Das Alte Testament noch umfassender als bisher in Lehre und Predigt einbeziehen

Beschluss der Hauptversammlung des Reformierten Bundes am 25. April 2015 in Villigst

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In der Debatte zur Stellung des Alten Testaments innerhalb von Kirche und Glaubenspraxis wandte sich der Reformierte Bund „entschieden“ gegen eine „Abwertung des Alten Testaments“.

Der am 25. April auf der Hauptversammlung verabschiedete Beschluss betont die „große Vertrautheit mit den Texten des Alten Testaments“ in reformierten Kirchen. Bereits die reformierten Reformatoren Zwingli, Bullinger, Bucer und Calvin hätten die „substantielle Einheit des Alten und Neuen Bundes und somit Gottes selbst festgehalten“. Im Alten Testament offenbare sich „der eine Gott, der seine Schöpfung von Göttern und Mythen befreit“, so die Leitsätze „Wir und die Juden – Israel und die Kirche“, die der RB vor 25 verabschiedete. Texte des biblischen Kanons einem ›christlichen Selbstbewusstsein‹ nachzuordnen widerspreche dem reformatorischen Schriftprinzip und der Frömmigkeitspraxis reformierter Kirchen.

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Beschluss der Hauptversammlung des Reformierten Bundes vom 25. April 2015

»Wir glauben und bekennen, dass die kanonischen Schriften der heiligen Propheten und Apostel beider Testamente das wahre Wort Gottes sind, und dass sie aus sich selbst heraus Kraft und Grund genug haben, ohne der Bestätigung durch Menschen zu bedürfen. Denn Gott selbst hat zu den Vätern, Propheten und Aposteln gesprochen und spricht auch jetzt noch zu uns durch die Heiligen Schriften. Und in dieser Heiligen Schrift besitzt die ganze Kirche Christi eine vollständige Darstel- lung dessen, was immer zur rechten Belehrung über den seligmachenden Glauben und ein Gott wohlgefälliges Leben gehört. Deshalb wird von Gott deutlich verboten, etwas dazu oder davon zu tun (5. Mose 4,2).« (Confessio Helvetica Posterior 1566, Kap. 1)

Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes wendet sich entschieden gegen die jüngst von neuem vorgebrachte Abwertung des Alten Testamentes für die Identität und Praxis unseres christlichen Glaubens. Schon reformierte Reformatoren wie Zwingli, Bullinger, Bucer und Calvin haben die substantielle Einheit des Alten und Neuen Bundes und somit Gottes selbst festgehalten und sich damit gegen eine willkürliche Auswahl und Interpretation des Alten Testaments gewehrt. Als das Alte Testament zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreichen Angriffen ausgesetzt war, haben reformierte Theologen und Synoden den bleibenden Wert des Alten Testamentes als wesentlichen Bestandteil des christlichen Kanons zum Ausdruck gebracht. In der ersten These des Bekenntnisses der Freien Reformierten Synode vom Januar 1934 heißt es z.B.:

»Die Kirche hört das ein für allemal gesprochene Wort Gottes durch die freie Gnade des Heiligen Geistes in dem doppelten, aber einheitlichen und in seinen beiden Bestandteilen sich gegenseitig bedingenden Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes, d.h. in dem Zeugnis des Mose und der Propheten von dem kommenden, und in dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel von dem gekom- menen Jesus Christus.«

Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes hat darüber hinaus vor 25 Jahren in ihren Leitsätzen »Wir und die Juden – Israel und die Kirche« festgehalten: »Als Christen glauben wir an den einen Gott, den Gott Israels, den Vater Jesu Christi. Wie die Juden loben und ehren wir auf dem gemeinsamen Grund der hebräischen Bibel, des »Alten Testaments«, den Gott Israels, den Schöpfer der Welt und Herrn der Geschichte. (…) Im Alten Testament offenbart sich der eine Gott, der seine Schöpfung von Göttern und Mythen befreit. Wir Christen haben uns daher von allen Weltanschauungen und Philosophien abzuwenden, bei denen in selbsterdachten Gottesvorstellungen wieder ›Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten‹ Gewalt über uns finden.« (Leitsatz III).

Dieses Verständnis spiegelt sich auch in den weiteren Bekenntnistexten der weltweiten reformierten Tradition des 20. und 21. Jahrhunderts wider, die mit großem Nachdruck das Zeugnis des einen Gottes in zwei Testamenten bekennen. Zudem ist es in den reformierten Kirchen seit Jahrhunderten eine ausgeprägte Tradition, die Gesamtüberlieferung des AT bei der Predigt zugrunde zu legen und die Psalmen Israels möglichst unverkürzt zu beten und zu singen. Auf diese Weise ist eine große Vertrautheit mit den Texten des Alten Testamentes entstanden – auch mit den eher sperrigen Texten. Diese Texte unseres biblischen Kanons (und damit letztlich auch das Neue Testament) einem ›christlichen Selbstbewusstsein‹ nachzuordnen, widerspricht nicht nur dem Schriftprinzip der Reformation, sondern auch der jahrhundertealten Frömmigkeitspraxis in den reformierten Kirchen.

Umgekehrt hat sich ein solches ›christliches Selbstbewusstsein‹ immer wieder selbst kritisch in das Licht der ganzen Schrift zu stellen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Arbeitsgruppe Perikopenrevision von EKD, VELKD und UEK im letzten Jahr vorgeschlagen hat, bei der Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte das Alte Testament stärker zu berücksichtigen. Zugleich sind wir mit der Arbeitsgruppe einig, dass der Reichtum des Alten Testamentes damit noch keineswegs ausgeschöpft und die Vielfalt des ersten Teils der christlichen Bibel noch immer unzureichend abgebildet wird. Wir fordern uns selbst und andere Kirchen deshalb auf, das Alte Testament im Angesicht Israels noch umfassender als bisher in Lehre und Predigt einzubeziehen. Denn das Alte Testament ist Wahrheitsraum des Neuen; das Neue Testament selbst fordert uns auf, das Zeugnis von Jesus Christus im Alten Testament zu entdecken (Joh 5,39.46).

So sehr die Hebräische Bibel bis heute eine jüdische Glaubensurkunde ist und keineswegs einlinig auf Jesus als den Christus verweist, so sehr sind wir genötigt, Jesus Christus nicht ohne diese Schriften zu verstehen. Diese Spannung gilt es auszuhalten und immer wieder neu zu beschreiben. Darin liegt die bleibende Aufgabe des christlich-jüdischen Dialoges.

Die ganze Bibel erzählt von Gott