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Das Geheimnis des Glaubens

Predigt zu 1. Timotheus 3, 16 (Christvesper)

© Pixabay

„Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ - Predigt von Martin Braukmann zur Christvesper 2007

Liebe Gemeinde am heiligen Abend in Oberfischbach.

Um ein Geheimnis geht es heute Abend. Ja, Weihnachten hat es mit einem Geheimnis zu tun. Und eben deshalb begegnet uns so viel Geheimnisvolles in diesen Tagen. Die Lichter auf unseren Straßen und in unseren Häusern, die vielen Geschenke, liebevoll eingepackt und wie ein Geheimnis gehütet, sind alles Umverpackung dieses einen großen Geheimnisses von Weihnachten. Und so, wie in den Wohnzimmern heute Abend oder morgen die Geschenke ausgepackt werden, so wollen wir uns nun daran begeben, unser Weihnachtspäckchen, unser Weihnachtsgeheimnis auszupacken.

Aber mit dem Weihnachtsgeheimnis ist das so eine Sache. Ein durch alle Kaufhauslautsprecher und in alle Öffentlichkeit getragenes Geheimnis ist doch kein Geheimnis mehr. Ein offenbares Geheimnis hat seinen Reiz, seine Spannung und seine Anziehungskraft verloren. Das habe ich in meiner Kindheit doch hin und wieder erfahren müssen. Voller Anspannung und Vorfreude auf die Weihnachtsgeschenke hat es mich doch schon mal dazu getrieben, den Geschenken im Vorfeld von Weihnachten nachzuspüren und sie zu suchen. Aber in dem Moment, wo ich das Geheimnis lüften konnte, hatte es auch schon seine Anziehungskraft und seine Magie verloren. Da löste sich das Geheimnis auf. Es war zwar noch das erwartete Geschenk, aber die spannungsgeladene Vorfreude war doch merklich abgeflacht.

Liebe Gemeinde. Geht es uns im Hinblick auf Weihnachten nicht ähnlich? Wir Erwachsenen haben schon mal hinter den Vorhang geschaut. Wir wissen angeblich, was denn da mal wieder auf uns zukommt. Jahr für Jahr hören wir die Geschichten, Jahr für Jahr singen wir die schönen Lieder. Alles ist uns so vertraut. Und eigentlich, so habe ich den Eindruck, feiern wir jedes Jahr das Weihnachten unserer Kindheit. Wir träumen und sehnen uns zurück in die Zeit, als wir schier platzen vor innerer Anspannung auf Weihnachten. Was gäben wir dafür, wir könnten das scheinbar Vertraute wieder gegen das Geheimnis eintauschen. Aber dieser Rückweg ist uns verbaut. Ich stell mir nur die Frage, ob es denn nichts mehr für uns zu entdecken und staunen gibt?

Irgendwie musste ich in diesem Zusammenhang an ein Lied von Klaus Lage denken, dass vor über 20 Jahren mal ein Schlager war. Und es hat zoom gemacht. Er singt da von einem Mädchen, dass ihm von Kindesbeinen an bekannt und vertraut war. Alles hatte man geteilt. Alles war bekannt. Doch im Moment des sich Verliebens und zugleich Aneinander-Verlierens wird alles ganz anders. Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert. Tausend und eine Nacht; und es hat zoom gemacht.

Ach wenn es doch bei uns endlich noch einmal zoom machte und wir aus den heiligen Hallen unserer Rationalität, unseres Wissen auf das offene Feld, unter den Sternenhimmel von Bethlehem treten könnten. Da könnten wir wahrlich ein Geheimnis entdecken; nämlich Jesus. Das offenbare Geheimnis Gottes. Wie heißt es doch dazu in unserem Predigttext: Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch. Was für ein Geheimnis wird denn da gelüftet in Bethlehem? Das ein Kind namens Jesus geboren wird, dessen Eltern Josef und Maria sind? Da kann man doch schwerlich von einem Geheimnis sprechen, denn das ereignet sich doch ähnlich tausende Male in einer Nacht auf dieser Erde. Und die meisten Leute der damaligen Zeit, die das Schreien des Kindes hörten und am Geschehen dieser jungen Familie teilnahmen, werden ähnlich gedacht haben. Sie werden sich mit dem jungen Paar gefreut haben, aber das war es dann auch schon. Da schwebte eben kein Heiligenschein über der Krippe und die Engel haben wohl schwerlich so laut und offensichtlich vom Himmel getönt, als wenn bei uns nachts die Sirenen alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nichts davon. Die breite Masse hat von alledem nichts mitbekommen. Und doch: wer Ohren hatte zu hören und Augen zu sehen, der konnte ein Geheimnis entdecken.

Wir können die Evangelien rauf und runter durchforsten; unsere verklärte Sehnsucht und geradezu mystische Erwartung findet kein adäquates Gegenüber. Da hat nichts zoom gemacht in dieser Nacht. Oder vielleicht doch? Für die Allgemeinheit jedenfalls gilt dieses Urteil. Wenige Ausnahmen aber werden uns dann doch genannt. Nur, was haben die Hirten und die Magier, die wissenschaftlichen Sternkundler, denn gefunden. Äußerlich zunächst nichts, aber auch gar nichts anderes als alle die, die vorher schon in dieses provisorische Kinderbettchen hineingeschaut haben.

Mit welcher Erwartung sind sie heute in diesen Gottesdienst gekommen. Was wollen sie sehen? Was suchen sie? Was wollen sie hören? Die heile Welt von Bethlehem ist eine verklärte Wunschvorstellung unserer Sehnsucht. Die gab es nicht und die gibt es nicht. So ist Weihnachten niemals gewesen. Und dafür bin ich Gott wahrlich dankbar! Denn Weihnachten braucht nicht die Beschaulichkeit und Harmonie als dezente Hintergrundszenerie eines kosmischen Ereignisses. Weihnachten ereignet sich mitten in der Welt. In der Welt, wie wir alle sie erfahren und zum Teil auch erleiden. Mitten in der Welt, in der die einen feiern und die anderen mit dem Tode ringen. Wo Geborenwerden und Sterben so dich zusammen liegen. Für einen winzigen Augenblick mag die Weltenuhr vielleicht stehen geblieben sein, oder sie kam ins Rucken, und schon ging es weiter; wie in der Zeit davor und in den 2000 Jahren mittlerweile danach. Weihnachten ereignet sich einfach mitten in unserer Zeit. Weihnachten geschieht bedingungslos mitten unter, ob wir geputzt haben oder nicht.

Gott sei es gedankt: Weihnachten wird es an den Krankenbetten unserer Krankenhäuser und in den Sterbezimmern in unseren Ortschaft. Weihnachten wird es mitten im Streit der unversöhnlichen Ehepaare und in die stumme und verzweifelte Klage der Kinder hinein, wo die Tränen still nach innen fließen. Die Jubelnden und Fröhlichen ereilt Weihnachten ebenso, wie die ohnmächtig Wartenden. Sowohl über dem herrlichsten Sieg als auch über der herbsten Niederlage wird es Weihnachten. Weihnachten wird es über dem unüberhörbaren Schrei menschlichen Elends dieser Welt, und auch über dem wollüstigen Prassen mit russischem Kaviar und Champagner. Weihnachten geschieht einfach. Und eben das haben wir mit den Menschen von damals gemein. Auch damals kam Weihnachten einfach über sie; mitten in ihr Leben, quer zu ihren Plänen. Die Frage ist nur: Entdecke ich Weihnachten.  

Lassen sie uns doch gemeinsam nachschauen, was es denn zu finden gibt; was denn das Geheimnis des Glaubens ist. Ich bin froh, dass in unserem Predigttext, diesem sehr alten Christushymnus, vom Geheimnis des Glaubens die Rede ist. Das eigentliche Geheimnis von Weihnachten ist nämlich der Glaube. Der Glaube, der in dem Kind den Sohn Gottes entdeckt. Der Glaube, der sich nicht damit abfindet, dass alles immer beim Alten bleibt und die Starken, Mächtigen und Reichen den Taktstock des Lebens schwingen. Der Glaube, der in aller Hoffnungslosigkeit doch an Gott festhält. Der Glaube, der im Tod das aufkeimende Leben entdeckt und vorweg lebt. Der Glaube, der einfach mit Gott rechnet.

Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch. Wir feiern an Weihnachten, dass Gott Mensch wurde. Gott hat sich in Jesus von Nazareth selbst offenbart. In der Bibel begegnen uns der verständliche Wunsch und die Sehnsucht der Menschen, Gott sehen zu können; sich seiner Gegenwart, Nähe und Zugewandtheit versichern zu wollen. Aber eben diesem Ansinnen der Menschen entzieht sich Gott. Menschen erfahren die Nähe Gottes und zugleich entzieht sich ihnen Gott wieder. Mensch leben von der Zugewandtheit Gottes, von seiner Fürsorge und seinem Beistand, und doch bleibt Gott ein unverfügbares Gegenüber. Wir Menschen können das Geheimnis dieser göttlichen Offenbarung trotz aller Verborgenheit nicht lüften. So gerne wir es auch wollen, wir können, salopp gesagt, Gott nicht in die Karten schauen und auch nicht den Mantel der verborgenen Nähe lüften. Wir greifen an dieser Stelle immer zu kurz.

Unsere Gotteserfahrung ist gedeutete Wirklichkeit aus dem Blick des Glaubenden. Uns geht es so wie Mose: Nachdem Gott an uns vorübergezogen ist, können wir ihm nachschauen. Können wir dem nachspüren, wie Gott in unser Leben hineingewirkt hat. Aber der paradiesische Zustand, Gott von Angesicht zu Angesicht schauen zu können, ist uns so nicht möglich. Und dies wird sich auch erst in der Ewigkeit vor Gott wieder einstellen. In der Zeit dazwischen ist es der Glaube, der die verhüllten Offenbarungen Gottes entdeckt und erfährt. Diesen Dualismus der verhüllten Offenbarung können wir nicht auflösen. Aber selig ist, wer an Gott glaubt und in Jesus die Offenbarung Gottes erkennt.

Er ist offenbart im Fleisch. Wie wir eben schon festgestellt haben, hat es an Weihnachten vor 2000 Jahren nirgendwo zoom gemacht. Die göttliche Offenbarung in Jesus geschah in und unter der Verborgenheit im Fleisch. Das heißt: Gott wurde so sehr Mensch, dass es rein äußerlich betrachtet, überhaupt nichts Göttliches in Bethlehem zu sehen gab. Und das zieht sich durch die Lebensgeschichte Jesu hindurch; vom Anfang bis zum Ende. Den Sohn Gottes, den erwarteten Messias und Erlöser bekommen die Augen nicht zu sehen. Die Inthronisation des Weltenkönigs fiel sehr bescheiden aus; eine Krippe ersetzte das Daumenbett. Später einmal sagt Jesus: Füchse haben Gruben, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegt. Zur Passafeier mit seinen Jüngern leiht er sich einen Raum. Statt mit einer prächtigen Eskorte, zieht der König Israels auf einem geborgten Esel in Jerusalem ein. Als Gotteslästerer und Aufwiegler wird Jesus verhöhnt und letztlich gekreuzigt.

Er ist offenbart im Fleisch. Barocke Künstler haben in ihren bildlichen Darstellungen der Geburt Jesu unseren Augen ein wenig nachgeholfen, indem sie Jesus mit einem Heiligenschein dargestellt haben. Was aber die Bilder darstellen, ist nicht eine Fotographie der Wirklichkeit, sondern sie sind jeweils Glaubensbekenntnisse in Öl festgehalten. Sie geben die Darstellung dessen wieder, was der Glaubende sieht. Denn es ist alleine der Glaube, der in dem Menschen Jesus eine Offenbarung Gottes entdeckt.

Das Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch, wie es im Predigttext heißt, lüften zu wollen, ist zu allen Zeiten bisher gescheitert. Entweder wurde die menschliche oder aber die göttliche Seite Jesu überzogen oder aber verkürzt, je nach dem, was man betonen oder abschwächen wollte. Die kühnsten gedanklichen Verrenkungen hat man angestrengt, um von dem Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch zu reden. So meinten Mystiker, die Gottheit scheine durch Jesus hindurch, wie das Licht durch eine Glasscherbe. Meines Erachtens sehr trefflich hat Dietrich Bonhoeffer in seiner Christologievorlesung im Sommersemester 1933 dargelegt, dass wir auch heute noch an dem Grundbekenntnis des Apostolicum nicht vorbeikommen: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Die Offenbarung Gottes im Fleisch können wir weder zur einen noch zur anderen Seite hin auflösen, es bleibt vielmehr das Geheimnis des Glaubens.

Insofern ist jegliche Christologie zum Scheitern verurteilt, die meint, Jesus als abstrakten und neutralen Gegenstand in einen innerweltlichen Sinnzusammenhang einordnen zu können. Genau darauf wollen die Evangelien keine Antwort geben. Sie wollen das Geheimnis des Glaubens umschreiben, aber nicht erklären. Jegliche distanziert neutrale Haltung, die auf die Klärung der Wie-Frage abzielt (wie kommen in Jesus Gott und Mensch zusammen?), greift zu kurz. In diesem Sinne kann es in all dem, was ich auch eben ausgeführt habe, nur um die eine Frage gehen: Wer ist Jesus für dich (für mich?)

Wer heute Abend hier in diesen Gottesdienst gekommen ist, um zu erfahren, wie denn nun Gott und Menschheit zusammengekommen sind in Jesus, den muss ich enttäuschen. Darauf kann und möchte ich keine Antwort geben. Im Sinne unseres Predigttextes geht es mir vielmehr um das Geheimnis des Glaubens.

So sagte Dietrich Bonhoeffer in der Eröffnung seiner Christologievorlesung an der Berliner Universität im Sommersemester 1933: „Lehre von Christus beginnt im Schweigen.“ Schweigen, Anbetung und Gebet sind die einzig sachliche Haltung dem absoluten Mysterium gegenüber. Und in sofern landen wir wieder mitten in der Weihnachtsgeschichte. Die Magier aus dem Morgenland und die auch die Hirten machen es uns vor: Sie schweigen und beten an. Und für sie hat es doch zoom gemacht! Sie hatten Ohren zu hören und Augen zu sehen. Nicht im Lauten und Offensichtlichen hat Gott sich offenbart, sondern in der Ohnmacht eines Kindes. Wahrlich ein Geheimnis des Glaubens ist es, wenn Menschen in dem Kind in der Krippe die Offenbarung göttlicher Liebe entdecken.

Wer ist Jesus für dich? Jesus selbst formuliert seinen Jüngern gegenüber einmal die Frage: Was sagen denn die Menschen, wer ich sei? Einzig treffend und angemessen antwort Petrus mit einem Glaubensbekenntnis: Du bist Christus.

Ich möchte sie heute Abend in die Heilige Nacht und in die Weihnachtstage entlassen mit dieser Frage: Wer ist Jesus für dich? Es hilft mir und ihnen weder zum Leben noch zum Sterben zu wissen, wer Jesus war. Es geht nicht um biographische Daten und Fakten, sondern um die existentielle Frage: Wer ist Jesus für dich? Glaubst du an ihn als deinen Herrn, Heiland und Erlöser?

Den weiten Bogen von Weihnachten bis Ostern (Himmelfahrt) spannt der Christushymnus, unser Predigttext: „Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“

Lassen sie uns schweigen, staunen und anbeten mit Paul Gerhardt:

1. Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu du mein Leben. Ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und laß dir's wohlgefallen.

4. Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O daß mein Sinn ein Abgrund wär’ und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen !

Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten.

Amen


Martin Braukmann, Pfarrer in Oberfischbach
Gesammelte Materialien für den Gottesdienst

 

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