Steffen Tuschling, Pastor in Osnabrück, war als Delegierter für die Evangelisch-reformierte Kirche auf der 3. Europäischen Versammlung vom 4. bis 9. September in Sibiu/Hermannstadt, Rumänien.
Für reformiert-info erzählt er von seinen persönlichen Eindrücken:
1 Woche vorher
Der Eröffnungsabend
Vormittags im großen Zelt
Das Mittagessen
Foren
Hearings
Jahrmarkt der Eitelkeiten
Reformiertes
Ökumene in Rumänien
Ökumene am Ende?
herrscht noch große Aufregung im „EKD-Hauptquartier“… so vieles scheint noch nicht geregelt. Flüge und Zubringerbusse. Hotels und Verpflegung. Und überhaupt. Aufgeregte Fragestunde auf der Vorbereitungstagung. Deutschtum meets Balkan. Waren etwa die Stadien in Athen eine Woche vor den Olympischen Spielen fertig? Eben.
auf dem Großen Ring, der Piata Mare, wird direkt vom Rumänischen Fernsehen TVR übertragen. Der riesige Platz füllt sich in der Abendsonne langsam mit Menschen. Zum Kulturhauptstadtjahr ist er neu gepflastert, die Fassaden rundum strahlen in barocker Farbenpracht. Auf der Festtribüne eine bekannte Ansagerin von TVR im modischen hellen Kleid, um sie herum, auf Plastikstühlen, Kirchenmänner in schwarzen Ornaten. Sie werden als Gastgeber an der Eröffnungsfeier mitwirken. Der orthodoxe Metropolit von Siebenbürgen, Laurentiu Streza, der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Christoph Klein… So verschieden die Ornate, schwarz sind sie alle. Das scheint ökumenischer Konsens, immerhin. Plötzlich kommt Bewegung in die Szenerie: Wer schwingt sich da noch schnell direkt vom Platz auf die Bühne? Auch in schwarz, aber mit Schal in den Leuenberger Regenbogenfarben aufgehellt: Wolfgang Huber. Sportlich, sportlich. Ganz vorne, zum Großen Ring und den Kameras hin, ist noch ein Plastikstuhl frei. Dort wird Huber die nächsten 1 ½ Stunden sitzen. Auch er ein Akteur heute Abend? Ein Blick ins Programm lehrt: nein. Unter den Mitwirkenden, weiter hinten, müssen derweil Rochaden vorgenommen werden… Doch diese Beobachtungen gehen in Jubel und Applaus unter: Klaus Johannis kommt, der Oberbürgermeister von Hermannstadt, der „Meister“ des Kulturhauptstadtjahres. Dieses Jahr sicher der beliebteste Politiker ganz Rumäniens. Die Hermannstädter, oder vielmehr: die Sibieni, wissen, was sie an ihm haben. Ihn, den evangelischen Sachsen (die deutsche Minderheit macht noch ca. 1,5 % der Bevölkerung aus) haben sie letztes Jahr mit über 85% der Stimmen als primar wiedergewählt.
Mittwoch morgen ist es kalt und regnerisch. Da Hermannstadt über keine derart große Halle verfügt, tagen wir 2000 Delegierten im riesigen Zelt, aufgestellt für „Sibiu – Kulturhauptstadt Europas 2007“. Drinnen fühlt es sich an, wie in einer Kongresshalle.
Nach der schönen gemeinsamen Morgenandacht (Katholiken und Orthodoxe schalten sicherheitshalber jeweils in ihrer Kirche noch je eine eigene Morgenandacht vor) kommen die Grußworte. Traian Băsescu, Rumäniens Präsident, wird mit höflichem Beifall empfangen. Wer, außer der rumänischen Delegation, weiß hier im Zelt, was das für ein mutiger Mann ist? Dies Jahr ist er von der politischen Nomenklatur abgesetzt und anschließend vom Volk wieder eingesetzt worden… Immerhin, die deutschen katholischen Delegierten haben sich auf ihrem Vorbereitungstreffen intensiv vorbereitet auf das zugleich fremde und vertraut wirkende, mehrheitlich orthodoxe und doch von alters her multikulturelle Gastgeberland. Bei der EKD hielt man derlei wohl für verzichtbar. Ist es am Ende doch egal, wo das „Raumschiff Ökumene“ konkret landet – Hauptsache, Unterbringung und Verpflegung stimmen?
Nach dem Politiker kommen die Kirchenmänner: Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios (generös), der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber (kämpferisch) und Kardinal Walter Kasper (apologetisch). Die letzteren liefern sich unter großem Beifall ein „Schauduell“ der „Profile“…, das später von Metropolit Kyrill von Smolensk getoppt wird, der Namens des Moskauer Patriarchates die Kirchen des Westens generell der Orientierungslosigkeit zeihen wird. Als die Grußworte zuende sind, ist es auch der Vormittag; der eigentlich vorgesehene Inhaltsteil („Das Licht Christi und die Kirche“) fällt aus. Na gut, das passiert, sie haben ja auch viel zu sagen gehabt.
Wird, genial organisiert, dezentral in den Restaurants, Cafés, Hotels der Stadt eingenommen. So gibt es ein bisschen Landung des EÖV-Raumschiffs im heutigen Sibiu. Und noch dazu trifft man beim Essen nun wirklich nach dem Zufallsprinzip die „anderen“. Serviert wird erstklassige rumänische Küche, vorweg immer eine gute Ciorbă (gesäuerte Suppe). Für manchen Nord-/ Westeuropäer irritierend. Ich sitze mal mit einer Heilsarmeeabteilung (ob man so sagt?) aus Rom am Tisch, mal mit Priestern aus dem Tessin, für die Wein zum Essen ein Muss ist, mal mit einem Jugendpastor aus Island und mal mitten unter den abgekämpften Dolmetscherinnen, die, wie sich herausstellt, als Tross alle KEK-, ÖRK- oder Bischofskonferenztagungen begleiten… Auf der EÖV werden alle Wortbeiträge simultan ins Deutsche, Englische, Französische, Italienische, Rumänische und, bei Bedarf, auch ins Russische übersetzt.
nennen sich die inhaltlich sortierten Arbeitsgruppen am Nachmittag. Hier soll in „kleinerer Gruppe“ die Möglichkeit zur Debatte gegeben werden. Wie das bei Gruppen um 200 bis 700 Teilnehmer gehen soll, bleibt ein Rätsel. Am Ende ähneln die Foren Podiumsdiskussionen. Auf dem Podium sitzt nach Proporz eine Konfessionenrunde: ein (lutherischer oder reformierter) Protestant, ein Neoprotestant, ein Anglikaner, Orthodoxer, Katholik. Manchmal, aber selten, sind Frauen auf dem Podium dabei. Jeder hält seinen Vortrag, geht dabei nicht weiter auf die Vorredner ein, und am Ende gibt es 20 Minuten Gelegenheit zu Rückfragen. Auf einigen Foren soll es Kleingruppen gegeben haben. Leider war ich auf keinem solchen.
Die Abende sind Themen, die von der „Basis“ angemeldet werden konnten, vorbehalten. Endlich wirklich kleinere Gruppen. Themen aus dem Ökumene-Alltag, wie „Mischehen – ökumenische Hausgemeinden?“, aber auch Kirchenpolitik, wie „Kirchliche Einheit aus protestantischer Sicht“ (es ging um die Vereinigung der Kirchen im Elsass) und heiße Eisen, wie „Die Union der siebenbürgischen Rumänen mit Rom“, diskutiert von den Interessierten. Hier fanden wirkliche Gespräche und Debatten statt – allerdings ohne, dass das auf die Konferenz Auswirkungen hätte haben können. Viel beachtet wurden die Hearings zum Projekt „Healing of Memories“, initiiert von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und der KEK. Wie viel dieses Projekt, die je ideologisch belasteten Geschichtsbilder der verschiedenen Konfessionen und Nationalitäten in Südosteuropa miteinander ins Gespräch zu bringen, austrägt, zeigt allein schon die innerrumänische Perspektive: Plötzlich hört der orthodoxe Bischof dem griechisch-katholischen zu, der von der Verfolgung seiner Kirche vor 1989 berichtet. Oder es sitzen Rumänen und Ungarn miteinander am Tisch, beginnen statt übereinander miteinander zu reden.
Wer am 2. Tag dachte, jetzt haben wir die Grußworte hinter uns, sah sich eines schlechteren belehrt. Der Reigen der Grußadressen wurde zur endlosen Schlange. Vormittag um Vormittag verging, indem ein Bischof den nächsten Kirchenpräsidenten mit der Fülle seiner grundsätzlichen Erwägungen und diplomatischen Worte übertrumpfte. Alles war schon gesagt, nur noch nicht von jedem. Immerhin waren die Grußworte thematisch sortiert, so sprach z. B. anstelle des vorgesehenen Mittwochs-Themas „Das Licht Christi und Europa“, EU-Kommissionspräsident Barroso.
Erst am Freitagvormittag überraschte Margot Kässmann, an diesem Tag Tagungsleiterin, die ermatteten Delegierten: Sie ließ die Grußworte schlicht ausfallen, stattdessen wurden die zum Tages-Thema „Das Licht Christi scheint auf die Welt“ vorgesehenen Beiträge von Frauen aus ökumenischen Basisinitiativen auch tatsächlich gebracht. Margot Kässmann flogen die Herzen nur so zu… und ich vermute, dieser Vormittag hat für die (bislang in der Ökumene bekanntlich mangelnde) Akzeptanz von Frauenordination und Frauen im Bischofsamt mehr gebracht, als Jahrzehnte ämtertheologischer Streitgespräche.
Was haben die Reformierten auf der Konferenz für eine Rolle gespielt?, werde ich oft gefragt. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. In der „großen“ Ökumene in Europa werden die traditionellen, landeskirchlich geprägten protestantischen Kirchen mehr oder weniger als „eins“ wahrgenommen. Verglichen z.B. mit den Orthodoxen auf der einen und den Pfingstlern auf der anderen Seite, sind sie das ja auch. Hinzu kommt das (wohltuende) gemeinsame Auftreten als Kirchen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, der ehemaligen Leuenberger Kirchengemeinschaft. Nach der konfessionellen Präsenz gefragt: Immerhin ist der Präsident der KEK und also „Mitausrichter“ der Konferenz, Jean-Arnold de Clermont reformiert. Überhaupt waren die französischen Reformierten spürbar präsent. Und natürlich gab es auch „reformierte“ Grußworte, z.B. aus der Schweiz oder aus Rumänien selbst. Wobei die spezifische Situation in Südosteuropa „anders“ ist: Die Reformierten sind hier starke Kirchen, aber ihr Hauptmerkmal ist das Ungarischsein. Bischof Tökes z.B. blieb der Versammlung fern und ließ ein flammendes Protest-Grußwort verlesen. Hintergrund: ein Streit um ein Sportplatz-Grundstück in Oradea/ Großwardein, bislang von einer ungarisch-reformierten Schule genutzt, nun aber vom Stadtrat den Rumänisch-Orthodoxen zugesprochen…
Wer in der Ökumene diese Probleme als spezifisch reformiert-orthodox wahrnimmt, liegt schlicht falsch. Es sind ungarisch-rumänische. Auch im 90. Jahr nach der Vereinigung (des bis 1918 ungarisch beherrschten, doch seit Jahrhunderten mehrheitlich rumänischen) Siebenbürgens mit Rumänien gibt es beiderseitig Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Realitäten. László Tökes deutet Ereignisse wie die Sportplatzfrage von Oradea als Unterdrückungsversuch Rumäniens gegenüber der ungarischen Minderheit. Viele Rumänen deuten das Auftreten der Ungarisch-reformierten Kirche als angemaßtes Kulturträgergehabe der einstigen Herren des Landes. Im Eingangsbereich des Konferenzzeltes ließ „Die ungarische reformierte Gemeinschaft im Karpatenbecken und in der ganzen Welt“ eine in vielen Sprachen erschienene Selbstvorstellung verteilen. Schlug man den vom layout her zeitgemäß und ansprechend gestalteten Prospekt auf, konnte man gleich auf der ersten Seite die seit den 1920er Jahren unveränderte Diktion wahrnehmen: Das auf den Ersten Weltkrieg folgende Friedensdiktat von Trianon bedeutete für Ungarn…. Als Deutscher stelle man sich einmal im Stillen die Frage: Was würden wohl Polen, Tschechen, Franzosen oder Dänen dazu sagen, wenn sie eine druckfrische Broschüre der „Deutsch-evangelischen Gemeinschaft von der Maas bis an die Memel und in der ganzen Welt“ in die Hand gedrückt bekämen, in der die Folgen des „Versailler Diktatfriedens“ erklärt würden…
Eine Stärke von „Sibiu“ war die spirituelle Gemeinschaft. Immer wieder wurden zusammen Taizé-Lieder gesungen, vielleicht sind die das erste neu gewachsene Bindeglied zwischen Ost- und Westkirche…
Zu den Abendandachten aber waren die Delegierten in die Gemeindekirchen vor Ort eingeladen. Lutherische und katholische Delegierte wollten in die Reformierte Stadtkirche geführt werden. Die Abendandacht sah folgendermaßen aus: Ein Chor intonierte in ungarischer Sprache 2 – 3 Psalmen, unendlich langsam, nach der Singweise des 18./19. Jahrhunderts. Daraufhin sprach ein Pfarrer einige Andachtsworte und ein Gebet auf Ungarisch, es folgte der Segen, ebenfalls auf Ungarisch. Auf den Gesichtern der Gäste: Ratlosigkeit. Doch selbst wer Ungarisch konnte, konnte nichts mitsprechen oder mitsingen, da dies nicht vorgesehen war… Wie anders das Bemühen, in der „augsburgischen“ Stadtpfarrkirche, wo ich eingeladen war, eine Abendandacht mitzugestalten, bei der alle 3 Landessprachen Rumänisch, Ungarisch und Deutsch zur Geltung kamen…
Mit ihr steht es, wie der vorige Abschnitt zeigt, nicht überall zum Besten. Die Orthodoxe Kirche umfasst weit mehr als 80% der Bevölkerung des sehr religiösen Landes. Ihre Kirchen sind sonntags überfüllt, und die Eintrittswelle junger Menschen in die Klöster ist bis heute ungebrochen. Vielerorts, besonders im sogenannten rumänischen Altreich (Moldau und Walachei) sehen orthodoxe Priester und Gemeinden gar nicht ein, warum es überhaupt andere Konfessionen gibt. In Siebenbürgen, dem Banat und der Bukowina dagegen besteht ein traditionelles Nebeneinander von Konfessionen und Nationalitäten. In Gegenden, wo der ungarisch-rumänische Konflikt virulent ist, ist dieses Nebeneinander von Abgrenzung, in anderen Gegenden gelegentlich auch von Wohlwollen geprägt. Der Schritt zum ökumenischen Miteinander wird erst hier und da gewagt. Für ihn war die Hermannstädter Versammlung ein Segen: Dem ganzen Land wurde täglich ins Wohnzimmer übertragen, wie orthodoxe Metropoliten Protestanten und Katholiken willkommen hießen. Die Sprache der Bilder war ausdrucksvoll: Sie begegnen sich von gleich zu gleich. Für die nicht orthodoxen Minderheiten im Land, besonders die bedrängte, mit Rom unierte Griechisch-katholische Kirche kam das einem enormen Emanzipationsschritt gleich.
Zwei Tage nach dem Abschluss der EÖV zog die Rumänische Orthodoxe Kirche noch einmal nach: Die Nationale Kirchenversammlung trat zusammen, um einen Nachfolger des im Sommer verstorbenen Patriarchen Teoctist zu wählen. Und zum neuen Patriarchen der zweitgrößten orthodoxen Kirche der Welt wurde Metropolit Daniel Ciobotea gewählt, ein ausgewiesener Ökumeniker, der in Straßburg und Tübingen studiert und jahrelang beim Ökumenischen Rat der Kirchen gearbeitet hat.
In Sibiu wurden keine heißen Eisen diskutiert, geschweige denn entschieden. Fortschritte in Fragen der Interkommunion o.ä. gab es keine. Wer hatte das aber erwarten können? 2000 Delegierte ohne Entscheidungsbefugnis kamen zusammen, von den Freikirchen bis zu den Armeniern war alles vertreten.
Doch angesichts der schwierigen, oft geradezu feindseligen Situationen, in denen sich Kirchen in Osteuropa nach der Wende begegnen, auch angesichts der Sackgasse, in die die westeuropäische Konferenzökumene im Zeitalter der „Profilierungen“ geraten ist, ist es geradezu ein Erfolg gewesen, dass die EÖV überhaupt stattgefunden hat. Für Osteuropa war sie ein Aufbruchssignal hin zu einer eigenen, nicht mehr vom Staat aufgezwungenen Ökumene.
Und für ganz Europa setzten die Kirchen ein Zeichen, wir nehmen uns noch gegenseitig wahr und haben die gemeinsame Aufgabe nicht vergessen. In diesem Sinne ist auch die ethisch orientierte Schlusserklärung, mit dem Appell an die Kirchen, ihre Verantwortung für das Weltklima wahrzunehmen und darüber mit den Partnerkirchen in der „3.Welt“ ins Gespräch zu kommen, ein wirkliches Zeichen. Auch der Vorschlag, zwischen dem 1.9. und 4.10. einen „Schöpfungssonntag“ einzuführen, ist der Annahme wert.
Von der Sensibilisierung in Kirche und Gesellschaft einmal abgesehen, wäre es das Beste, wir beginnen etwas umzusetzen: Schon eine Wärmedämmung unserer Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäuser könnte eine Menge zum Klimaschutz beitragen…
Auf der nächsten Ökumenischen Versammlung – die, wenn sie denn stattfindet, hoffentlich wieder stärker auch von der kirchlichen Basis getragen wird – gälte es, Bilanz zu ziehen.