Der Prozess gegen Michael Servet

Die Rolle Calvins bei der Verurteilung und Hinrichtung des spanischen Ketzers

Der Streit um Michael Servet ist der bedeutendste Konflikt Calvins in Genf. Gelegentlich wird er so geschildert, dass Calvin sich mit Hilfe des Rates eines unbequemen Gegners entledigt habe und so seine Grausamkeit und Härte offenkundig werde. Das aber ist zu einfach. Deshalb wird hier der Streit etwas ausführlicher dargestellt. Von Georg Plasger

Michael Servet wird 1511 in der Nähe von Aragon geboren und gerät 1531 in Straßburg und Basel mit den Reformatoren in einen Streit über die Frage, ob das Wort Gottes ganz Mensch geworden ist; auch hinsichtlich der Ketzerverfolgung gibt es Auseinandersetzungen. Er veröffentlicht zur gleichen Zeit zwei Schriften gegen die traditionelle Trinitätslehre, in denen er letztlich nur Gott den Schöpfer als Gott anerkennt, der Sohn und der Geist sind göttliche Wirkweisen, aber nicht Gott selber (Monarchianismus). Beide Schriften erregen Widerspruch, der Straßburger Rat verbietet den Verkauf. Dann geht Servet nach Paris, studiert dort Medizin und zieht Calvins Aufmerksamkeit auf sich. Dann ist er eine Weile Korrektor in Lyon; 1540 ist er in Vienne in der Dauphine Arzt des Erzbischofs. Möglicherweise hat übrigens Servet den Blutkreislauf entdeckt, das jedenfalls hat seinen Namen in der Medizingeschichte berühmt gemacht.

Aber er arbeitet auch theologisch und schreibt ein größeres Werk, in dem er das Christentum auffordert, zu seinen reinen Wurzeln zurückzukehren: Kirchenväter, Römische Kirche und auch die Reformatoren haben das Evangelium verfälscht. Die Geschöpfe sind Ausfluss, Emanationen des Göttlichen; Sünden gibt es erst ab dem Alter von 20 Jahren, und man kann sie mit bestimmten Mitteln (Taufe, Abendmahl, gute Werke) auslöschen. Nun will dieses Werk keiner in Vienne drucken. So wendet er sich an einen protestantischen Drucker in Lyon, aber der will es auch erst nach einem Gutachten von Calvin drucken. Das wird von Servet eingeholt. Calvin widerlegt ihn und rät ihm, bestimmte Passagen der Institutio zu lesen. Aber Servet will sich nicht belehren lassen. Er antwortet Calvin und schickt ihm ein von ihm rezensiertes Exemplar von Calvins Institutio zurück, mit einem beleidigenden Begleitbrief. Einige Jahre verstreichen ins Land. 1553 gelingt es Servet dann doch, sein Buch drucken zu lassen. Es gelangt dann auch in die Hände Calvins und einiger seiner Freunde, darunter Guillaume de Trie. Dieser hatte sich der Reformation angeschlossen, aber ein großer Teil seiner Verwandtschaft, der in Lyon lebt, grollt ihm wegen seines Übertritts zur Reformation.

Guillaume de Trie schreibt jetzt seinen Verwandten, dass diese kein Recht hätten, ihn der Ketzerei zu beschuldigen, wenn in ihren Mauern ein Ketzer von der Größe Servets geduldet werde. Es wird dann entdeckt, dass Servet der Arzt des Erzbischofs ist. Er wird angezeigt, festgenommen und es wird sein Prozess angestrengt. Aber es fehlt an Beweisen. Guillaume de Trie schickt daraufhin einige Dokumente an seine Verwandten, darunter auch einige Briefe aus dem Briefwechsel zwischen Servet und Calvin, die dieser aus der Hand gibt. Damit fördert er indirekt den Prozess. Servet aber flieht, und so verbrennt man ihn gleichsam in Abwesenheit, das heißt, man verbrennt seine Bücher. Servet will sich in Neapel niederlassen. Dorthin reist er törichterweise über Genf. Kaum dort angekommen, wird er auf Verlangen Calvins am 13. August 1553 festgenommen. Der Magistrat ergreift sofort gegen Servet Partei, was Calvin so gar nicht erwartet hatte. Ja noch mehr: Der Rat der Stadt macht sich die Anklage selber zu eigen. Daraufhin wird das Gutachten der anderen Kantone eingeholt, aber bevor die eintreffen, stellt der Rat der Stadt eine eigene Anklage zusammen, und zwar durch einen Gegner Calvins. In Vienne wird Servets Auslieferung verlangt. Aber die Genfer Richter sind der Meinung, dass sie selber richten sollen und liefern Servet nicht aus.

Servet ist sich des Ernstes seiner Lage nicht bewusst. Er hofft auf das Eingreifen der Opposition. Calvin hingegen wünscht sich durchaus den Tod Servets. Doch ist Calvin dagegen, dass er einen Feuertod, die Todesstrafe für Ketzer, erleidet, sondern lieber einen weniger spektakulären und schmerzhaften. In den Verhören zeigt sich übrigens, dass Servet den Hass seiner Gegner geradezu herausfordert; er bezichtigt Calvin offenkundiger Ketzerei und fordert auf, dass ihm als Ausgleich für seine Leiden alles, was Calvin gehöre, übereignet werden solle.

Die Gutachten aus Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich treffen ein und bekunden einmütig, dass man sich Servets entledigen solle. Das geschieht dann auch, am 26. Oktober 1553 wird er zum Tod durch Verbrennen verurteilt, am Tage drauf wird das Urteil vollstreckt, obwohl Calvin und die anderen Pastoren eine weniger grausame Hinrichtungsart gefordert hatten.

Calvin hat am Tode Servets indirekt mitgewirkt, ihn freizusprechen von einer Schuld hieße, Unrecht gutzuheißen. Calvin hat sich den Tod Servets gewünscht. Er hat auch, indem er die Briefe weitergab, am Prozess mitgewirkt. Er hat nicht versucht, den Rat aufzuhalten, was er aber ohnehin kaum gekonnt hätte. Er trägt einen deutlichen Anteil der Schuld am Tode Servets - nicht mehr.

Aber man wird nicht sagen können, dass es ein Verfahren Calvins gegen Servet war. Keine andere Stadt hätte anders gehandelt. Vor und nach Servet sind Hunderte von Ketzern hingerichtet worden, von protestantischen und katholischen Herrschaften. Melanchthon gratuliert übrigens Calvin für sein Vorgehen. "Calvin war wie alle anderen Reformatoren davon überzeugt, dass es die Pflicht der christlichen Obrigkeit sei, Gotteslästerer, die die Seele töten, ebenso mit dem Tode zu bestrafen wie Mörder, die den Leib töten." (F. Wendel, 78)

Man kann heute den Richtstab über Calvin werfen. Das ist leicht. Aber man unsere heutigen modernen Maßstäbe nicht direkt auf Calvins Handeln übertragen können: Es spiegelt auch den Geist des 16. Jahrhunderts.


aus: reformiert-online / Prof. Dr. Georg Plasger

Artikel in reformiert-online.de

Ein dunkles Kapitel in der Biografie des Reformators

Hat Johannes Calvin den Tod Michael Servets auf dem Scheiterhaufen zu verantworten?
Die Postkarte 'Todesstrafe' als PDF
Am 26. Oktober 1553 verurteilte der Genfer Stadtrat Servet zum Tode, am 27. Oktober wurde er als ''Ketzer'' auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Der bereits in Vienne zum Tode verurteilte Servet flüchtete nach Genf. Der Genfer Stadtrat nahm den Prozess gegen ihn auf. Im Oktober 2008 jährt sich der Tag der Verbrennung Servets zum 455. Mal. Reformiert-info erinnert an eine „offene Wunde“ in der Geschichte der reformierten Reformation.
Peinliche Fehlurteile: Kommentare zu Stefan Zweigs 'Castellio gegen Calvin. Ein Gewissen gegen die Gewalt'

Von der "unermesslichen Macht" Calvins, dem "Finsterling" und "Monstrum" ist die Rede in Kommentaren, die sich auf die Darstellung Calvins in dem Werk Stefan Zweigs beziehen. Wenigstens ein Textbeitrag sieht die Angelegenheit etwas differenzierter - leider auf englisch. Kategorie: Verwechselung von literarischer Fiktion und historischen Tatsachen.
 

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