Die Tauflehre des Heidelberger Katechismus in ökumenischer Perspektive (Fragen 69-74)

Von Michael Beintker

Reformierte Sommeruniversität 2007 in Münster, Vorlesung am 30. August 2007

Michael Beintker,
Die Tauflehre des Heidelberger Katechismus in ökumenischer Perspektive (Fragen 69-74). pdf

1. Die Fragen 69-74: Aufbau und Gliederung
2. Taufe als sakramentale Zeichenhandlung
3. Reformatorische Kontexte: Luther, Melanchthon und Calvin
4. Die Verstärkung des Moments der Zueignung

1. Die Fragen 69-74: Aufbau und Gliederung

Relativ ausführlich beschäftigt sich der HK mit den Sakramenten. Dem sakramentstheologischen Teil des Katechismus sind, unter Einschluss der Bußdisziplin, die Fragen 65-85 gewidmet. Mit diesem Themenfeld waren sehr vitale Fragen des Glaubenslebens aufgeworfen. Denn an keinem Punkt wird der einzelne Christ so individuell und unverwechselbar vom Evangelium berührt wie bei seiner Taufe und beim Empfang des Abendmahls; hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, wie nahe Christus der Gemeinde und ihren Gliedern kommt und wie authentisch die Christusbegegnung sein kann, die mit den Sakramenten gefeiert wird. Dazu kamen die damit zusammenhängenden Differenzen und Streitpunkte, die insbesondere beim Verständnis des Abendmahls aufgebrochen waren und im Verlaufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu massiven Konflikten unter den unterschiedlichen reformatorischen Strömungen geführt hatten. In ihnen spiegelten sich differierende Zugänge zum Sakramentsverständnis und zur sakramentalen Praxis, aber auch verständliche Abwehrreflexe gegenüber einer zu radikalen Erneuerung, wie man sie beim sog. linken Flügel der Reformation wahrnahm.

Auch wenn sich der eigentliche Konflikt am Abendmahl entzündet hatte, sollte man nicht übersehen, dass sich auch bei der Deutung der Taufe und ihrer liturgischen Gestaltung sehr rasch markante Differenzen einstellen konnten. Allerdings gab es auch beachtliche Konsenspunkte: Einigkeit bestand quer durch alle kirchlichen Lager in der Abwehr der Taufgesinnten und der Ablehnung der Wiedertaufe. Einigkeit bestand auch darin, dass die Taufe schon wegen des Mandates Christi ein unverzichtbarer Ritus sei. Einigkeit bestand weiter darin, dass die einmal ordnungsgemäß vollzogene Taufe nicht wiederholt werden könne. Dies und die vehemente Abgrenzung von der Praxis der „Wiedertäufer“ hatte zur Folge, dass die einmal gespendete Taufe in der Regel als gültig betrachtet wurde und sich damit eine – ekklesiologisch bis zum heutigen Tage schwer einzuordnende – stillschweigende Anerkennung der Taufe über Konfessionsgrenzen hinweg behauptete. Anders als beim Abendmahl vermochte sich die grundsätzliche Anerkennung dieses Sakraments von der Verständigung über seine theologische Ausdeutung zu lösen. Die durchaus markanten Kontroversen im Deutungsansatz und im Detail wurden interessanterweise in Kauf genommen.

Der sakramentstheologische Abschnitt des HK beginnt mit der üblichen Klärung, wie Predigt und Sakrament, die Verheißung des Evangeliums und die ihr korrespondierenden „heiligen Wahrzeichen (signa) und Siegel (sigilla)“ (Fr. 66)[1] einander zuzuordnen seien (Fr. 65-68). Hier werden die entscheidenden Weichen gestellt, und zwar auf zeichentheoretischer Ebene. Dabei bewegte man sich unweigerlich auf den Spuren der von Augustinus eingeführten Unterscheidung von res und signum, res significata und res significans. Kommt die mit dem Zeichen bezeichnete Wirklichkeit in die Zeichen, vielleicht sogar so, dass sich die Zeichen unter der Präsenz der von ihnen bezeichneten Wirklichkeit verändern oder diese Wirklichkeit re-präsentieren? Oder bleibt es bei einer unüberbrückbare Differenz zwischen dem Zeichen und der mit ihm bezeichneten Wirklichkeit, so dass die Beziehung zwischen dem Zeichen und der von ihm bezeichneten Realität auf eine Analogie oder gar einen Parallelismus hinausläuft – einen Parallelismus zwischen der Reinigung durch Wasser und der Reinigung durch Christi Blut sowie einen Parallelismus zwischen geistlicher und leiblicher Speise im Abendmahl, einen Parallelismus freilich auch, dessen Parallelen durch den Heiligen Geist zusammengehalten werden, wenn sie sich nicht gar in seiner Präsenz schneiden. Der HK argumentiert jedenfalls in dieser Richtung, wenn er sagt, dass der Heilige Geist den Glauben in unseren Herzen durch die Predigt des Evangeliums wirke und ihn bestätige (confirmat) „durch den Gebrauch der heiligen Sakramente“ (Fr. 65) und dann die Sakramente definiert als „sichtbare heilige Wahrzeichen und Siegel“, von Gott eingesetzt, „um uns durch ihren Gebrauch den Zuspruch des Evangeliums besser verständlich zu machen und zu versiegeln“ (Fr. 66). Die Sakramente treten also zur Verkündigung des Evangeliums hinzu, indem sie das, was uns im Evangelium zugesprochen wird, erstens besser verständlich machen – man könnte wohl auch sagen: indem sie den Gehalt des Evangeliums versinnbildlichen –, zweitens bestätigen – nämlich konfirmieren und affirmieren – und drittens versiegeln. Mit dem für die reformierte Anschauung zentralen Gedanken des Siegels wird die Unverbrüchlichkeit und Unantastbarkeit der im Sakrament versinnbildlichten und bekräftigten Christusbeziehung des Glaubenden unterstrichen. Dafür konnte man die in Röm 4,11 vorgenommene Charakterisierung der Beschneidung Abrahams als „Siegel der Gerechtigkeit“ heranziehen (vgl. auch 2 Kor 1,22; Eph 1,13; 4,30). Gegenüber der durch das Kreuzesgeschehen gesetzten und zugesprochenen Wirklichkeit (man beachte den für den Katechismus zentralen Rekurs auf das „einzige Opfer Christi“ am Kreuz [Fr. 66, 67, 80]) erfüllen die Sakramente eine subsidiäre, unterstützende, keineswegs aber eine selbständig tragende Funktion.

Die eigentlichen Fragen zur Taufe werden mit der Frage eröffnet: „Wie wirst du in der heiligen Taufe erinnert und gewiß gemacht (admoneris et confirmaris), daß das einmalige Opfer Christi am Kreuz dir zugut kommt?“ (Fr. 69) Die Frage 75 nach der Bedeutung des Abendmahls ist parallel gebaut. Die Art der Fragestellung zielt von vornherein auf den existentiellen Zuspruch: Wie wirst du erinnert und gewiß gemacht? Die Frage ist nicht definitorisch strukturiert wie noch in Ursinus’ Vorlage, der Catechesis minor: „Quid est baptismus?“[2]

Die Fragen 69 und 70 erläutern das Wesen der christlichen Taufe und bilden den Kern der eigentlichen Tauftheologie des HK. Die Frage 71 nimmt Bezug auf die Einsetzung der Taufe und zitiert mit Mt 28,19 den Taufbefehl des Auferstandenen und mit Mk 16,16 das für den Zusammenhang von Glaube und Taufe klassische Schriftwort. Wichtig ist hier der Aspekt der Verheißung: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“. Ausdrücklich wird bekräftigt, dass diese Verheißung auch bei den anderen Taufaussagen der Schrift vorauszusetzen ist. Der Fragenkreis zum Abendmahl ist übrigens parallel gegliedert: zwei Fragen, die den Kern der Abendmahlslehre des HK erfassen (Fr. 75 und 76) und sodann eine Frage zur Einsetzung des Abendmahls, wobei auch hier zwei Schriftstellen in extenso angeführt werden (Frage 77).

Auf die positive Exposition der Lehre und ihrer Verankerung in der Schrift folgt bei beiden sakramentalen Fragenkreisen jeweils die Kontroverstheologie, nämlich die Profilierung der Lehrposition gegenüber Missverständnissen und Fehldeutungen (Fr 72-74 sowie 78-82). Dass es sich um eine solche Profilierung handelt, dürfte für die Katechumenen in der Regel nicht erkennbar gewesen sein; sie mussten und müssen den Eindruck gewinnen, hier solle etwas vertieft werden. Denn die alternativen und aus Sicht des Katechismus auszuschließenden Positionen bleiben bis auf eine Ausnahme anonym. Diese Ausnahme ist die nachträglich in den Katechismus eingefügte Frage 80 mit ihrem Bannstrahl gegen die römische Messe.

Die kontroverstheologische Arrondierung erfolgt bei der Taufe in zwei einander ziemlich entgegengesetzten Richtungen, in denen sich die damaligen Frontstellungen abschatten: a) nach „rechts“: gegen die sakramentale Überhöhung der Taufhandlung, b) nach „links“: gegen die spiritualistische Entleerung der Taufhandlung, ihre einseitige Bindung an den Glauben des zu Taufenden, ihre Verkürzung auf einen Akt des Bekennens und die damit verknüpfte Ablehnung der Kindertaufe. Gegen die sakramentale Überhöhung der Taufhandlung argumentieren die Fragen 72 und 73, indem sie Taufwasser betont Wasser sein lassen und den Gleichnischarakter des Abwaschens mit diesem Wasser so deutlich wie nur möglich hervorheben, so dass sich der Gedanke an zwei Taufen aufdrängt, nämlich eine Taufe mit dem Blut und Geist Christi (vgl. Fr. 72) und eine Taufe mit Wasser, in der sich die Taufe mit Christi Blut und Geist abbildet. Das richtete sich natürlich gegen den römischen Sakramentalismus und die dort dem Eintauchen in das Wasser zugeschriebene effektive Wirkung. Aber von diesen Formulierungen wurde auch Luthers eigentümliche Verknüpfung von Wort und Wasser getroffen. Gegen die Wiedertäufer wird die Kindertaufe verteidigt, wobei die Argumentation im Bundesgedanken und in der schon von Zwingli hergestellten und von Calvin aufgenommenen Analogie zur Beschneidung verankert wird.

Eine nähere Betrachtung der Sakramentslehre des Katechismus sollte auch die den Katechismus einrahmende Kirchenordnung der Kurpfalz[3] in den Blick nehmen, denn hier kann man nachlesen, wie Taufe und Abendmahl gemäß der Lehre des Katechismus gefeiert werden sollten[4]. Die kirchenrechtlichen Bestimmungen der Taufe, der liturgische Ablauf des Taufgottesdienstes (Gottesdienst der Gemeinde) und die Taufvermahnung (Taufpredigt) bieten bemerkenswerte Aufschlüsse über die reformierte Taufpraxis des 16. Jahrhunderts. An der Taufvermahnung ist vor allem der trinitarische Bezug auffällig. Das Wesen der Taufe wird hier über die Appropriationen von Vater, Sohn und Heiligem Geist erschlossen, also über die göttlichen Werke der Schöpfung, Versöhnung und Heiligung[5]. Der Glaube, in den der Täufling hineinwächst, wird über seine Inhalte im Katechismus erlernt und eingeübt. So folgt auf die Ordnung der Taufe der uns bekannte Heidelberger Katechismus (die andere Klammer, in der er steht, ist das Abendmahl). Einen besseren Sitz im Leben kann ein Katechismus gar nicht haben: Man entspricht seiner Taufe am besten damit, dass man sich immer wieder in allen Einzelstücken vor Augen führt und bewusst macht, woraufhin man getauft worden ist – Katechismusunterricht als didaktisch gestaltete Tauferinnerung.

2. Taufe als sakramentale Zeichenhandlung

Die sich an Calvin orientierende reformierte Dogmatik betrachtet die Taufe mit Wasser als ein Abbild der durch Christi Blut vollzogenen Reinigung des Menschen von der Sünde. Im Genfer Katechismus von 1545 wird zur Bedeutung der Taufe gesagt: „Sie bildet die Vergebung der Sünden und die geistliche Wiedergeburt ab (Eph 5,26-27; Röm 6,4) [remissio peccatorum, deinde spiritualis regeneratio figuratur]“ (Fr. 324)[6]. In seiner Institutio charakterisierte Calvin die Taufe als „signum initiationis quo in Ecclesiae cooptamur societatem, ut Christi insiti, inter filios Dei censeamur“ (seit 1543)[7]. Weber übersetzt: „Die Taufe ist ein Zeichen der Einweihung, durch das wir in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden, um in Christus eingeleibt und damit zu den Kindern Gottes gerechnet zu werden.“[8]

Vier Momente werden in der reformierten Dogmatik nach Calvin bei der Taufe besonders hervorgehoben:
Sündenvergebung,
Neubestimmung des Lebens in der Gemeinschaft mit Jesus Christus,
Vergewisserung der Gotteskindschaft und Bundeszugehörigkeit,
Einfügung in den Leib Christi und Begründung der Kirchengliedschaft.

Darüber hinaus kann der für Zwingli wie für Calvin in unterschiedlicher Betonung hervorgehobene Aspekt des Bekennens eine Rolle spielen: Durch die Taufe bekennt man öffentlich, dass man zum Volk Gottes gerechnet werden möchte (vgl. Institutio IV,15,13). Es ist auffällig, dass dieser Gesichtspunkt im HK fehlt. Die anderen vier Momente sind gut erkennbar.

Sündenvergebung und Neubestimmung des Lebens in der Gemeinschaft mit Jesus Christus bilden gewissermaßen die tragende Achse der Tauflehre des HK. Schon in Antwort 69 fällt die markante Zusammenstellung von „Blut und Geist“ auf: Ich bin mit Christi Blut und Geist von der Unreinigkeit meiner Seele reingewaschen[9]. Das Blut Christi steht für das Kreuzesgeschehen, sein Geist für die Erneuerung des Sünders. Das wird in der Antwort auf Frage 70, was es denn heiße, mit dem Blut und Geist Christi gewaschen zu sein, in aller Prägnanz und Klarheit ausgeführt:
Es heißt,
Vergebung der Sünde
von Gott aus Gnade haben
um des Blutes Christi willen,
das er in seinem Opfer am Kreuz
für uns vergossen hat.
Es heißt ferner,
durch den Heiligen Geist erneuert
und zu einem Glied Christi geheiligt sein,
so dass wir je länger je mehr
der Sünde absterben
und ein Leben führen,
das Gott gefällt.

Die – geistliche (vgl. Fr. 73) – Waschung mit dem Blut Christi versinnbildlicht den Vorgang der Sündenvergebung. Sündenvergebung aber geschieht von „Gott aus Gnade …um … Christi willen“ und ist nichts anderes als die Rechtfertigung des Gottlosen im Vollzug. Von daher kann man die Taufe auch als Abbild des rechtfertigenden Handelns Gottes betrachten – sie ist das Geschehen, in dem mir dieses rechtfertigende Handeln in ausgezeichneter Weise auf den Leib gezeichnet wird. So gewiss (certo), wie ich äußerlich durch das Wasser gereinigt werde, werde ich von meinen Sünden reingewaschen (Fr. 69). Die Taufe verbürgt und garantiert mir als göttliches Pfand und Wahrzeichen (ut nobis hoc divino symbolo ac pignore certum faciat) die Gewissheit meiner Rechtfertigung.

Aber gleichzeitig wird die Wirklichkeit meiner Heiligung durch die Taufe gesetzt. Blut und Geist: Während das Blut für die Realität der Rechtfertigung steht, verbürgt der Geist die Neubestimmung der Existenz des getauften Christen. Er wird durch den Heiligen Geist erneuert und zu einem Glied Christi geheiligt. Die Taufe ist der Sterbetag des alten und der Geburtstag des neuen Menschen (vgl. Röm 6,1-11). Die Tauftheologie des HK fixiert sich nicht auf ein immerwährendes „simul iustus et peccator“, sondern reproduziert mit kräftigen Strichen den biographischen Einschnitt und Wendepunkt, der für die Texte des Neuen Testaments charakteristisch ist, wenn sie auf die Taufe blicken. Je länger je mehr sterben wir der Sünde ab und führen ein Leben, das Gott gefällt. Das ist die Begründung der christlichen Ethik durch die Taufe.

Der HK legt allergrößten Wert auf die Unterscheidung zwischen der Taufe als einer sakramentalen Zeichenhandlung und dem geistlichen Vorgang der Abwaschung von unseren Sünden. Sinnfällig sichtbar ist das „äußerliche Wasserbad“ (externum aquae lavacrum) (Fr. 69 und 72). Das lavacrum externum darf nicht mit der „Abwaschung der Sünden“ identifiziert werden. Die Antwort auf Frage 72 macht das in aller Schärfe deutlich: Allein (solus) das Blut Christi und der Heilige Geist können uns von allen Sünden reinigen. Der HK legt größten Wert auf die Exklusivität der Heilstat Jesu Christi. Das ist seine unübersehbare Stärke. Die Taufe mit Wasser versinnbildlicht und verbürgt die Realität der geistlichen Abwaschung der Sünden. Ich bin von allen meinen Sünden reingewaschen, wie ich „äußerlich durch das Wasser gereinigt werde, das die Unsauberkeit des Leibes hinwegnimmt“ (Fr. 69). Gott will uns vergewissern, „daß wir so wahrhaftig von unseren Sünden geistlich gewaschen sind, wie wir mit dem leiblichen Wasser gewaschen werden“ (Fr 73).

Die Taufe mit Wasser als solche bewirkt nichts, jedenfalls nicht im Blick auf die Sündenvergebung. Faktisch ist mir die Vergebung schon zugesprochen. Faktisch gehöre ich schon zu Jesus Christus, gehöre ich schon zum Bund Gottes. Die eigentliche Realität ist längst gesetzt und wird mir durch die Taufe lediglich bezeugt. Damit stellt sich die Frage, ob die Taufe überhaupt etwas gibt, was mir auch ohne die Taufe zusteht und womöglich längst gewährt ist. Ja, man kann sogar fragen, ob der HK in der strengen Unterscheidung von geistlicher und leiblicher Abwaschung nicht ein wenig über das Ziel hinausschießt. Natürlich reinigen allein das Blut Jesu Christi und der Heilige Geist von allen Sünden. Aber dieses Geschehen muss doch beim Menschen ankommen, Ereignis in seinem Leben werden. Weshalb sollte das Ankommen nicht Ausdruck einer besonderen Zuwendung Gottes zum Menschen sein, die nun auch – bei aller Unterscheidung von leiblicher und geistlicher Realität– eine legitime leibliche und sich legitim verleiblichende Dimension hat?

Für die lutherische und erst recht die katholische und auch die ostkirchliche Sichtweise ist die Taufe ebenfalls eine Zeichenhandlung. Das Zeichen der Abwaschung mit Wasser kann auch bei ihnen als Symbol interpretiert werden. Aber das Symbol ist wirkungsmächtig gedacht; es bezeichnet nicht nur, sondern es wirkt zugleich, was es bezeichnet; es ist Wirkzeichen, signum efficax. Zeichenhandlung und Vergebungszusage fallen hier in eins zusammen. In dem Moment, in dem ich getauft werde, ist mir vergeben, bin ich gerechtfertigt. Der HK hat die Taufe so klar als Hinweiszeichen profiliert, dass es ausgesprochen schwierig wird, sie als ein signum efficax zu betrachten. Die sog. exhibitiven oder kausativen Momente des Taufvollzugs bleiben der Abwaschung durch Christi Blut vorbehalten. Die spätere Entwicklung der reformierten Tauflehre im 20. Jahrhundert ist einerseits von einer vorsichtigen Annäherung an den Gedanken des Wirkzeichens bestimmt, andererseits aber auch von einer markanten Absetzung der Wassertaufe vom Handeln Gottes, so dass die Wassertaufe ihren sakramentalen Charakter einbüßt (Karl Barths Tauflehre in KD IV/4).

Der Vorzug der reformierten Betrachtungsweise besteht darin, dass die Frage nach der Heilsnotwendigkeit der Taufe, die von Melanchthon auch in CA IX festgeschrieben worden war, mit erstaunlicher Gelassenheit betrachtet werden kann. Da die Taufe die Gotteskindschaft des Menschen nicht erst herstellt, sondern als bereits bestehend zum Ausdruck bringt, dokumentiert sie sinnfällig, auf der Erfahrungsebene, die Zugehörigkeit des Menschen zum Gnadenbund Gottes. Über diese Zugehörigkeit ist schon in der Erwählung des Menschen durch Gott entschieden. Die Taufe fungiert als Siegel für Gottes Ja zum Getauften und darin als „Zeichen des Bundes“ (Fr. 74, vgl. Gen 17,11). So dient sie der Heilsvergewisserung. Gottes Ja zum Täufling wird also im Vorgang der Taufe unverbrüchlich bezeugt und bekräftigt, aber geht ihm voraus und ist nicht an ihn gebunden. Einzig das im Kreuz Christi begründete Ja Gottes ist heilsnotwendig. Weil der Empfang von Heil von der Taufhandlung unterschieden wird, hat die reformierte Theologie die Praxis der Nottaufe als missverständlich und entbehrlich abgelehnt.

Der Katechismus übergeht die Nottaufe und formuliert das alles nicht so dezidiert wie Calvin, der explizit sagen konnte, dass die Kinder mit einem feierlichen Zeichen in die Kirche aufgenommen werden, „weil sie kraft der Gnadengabe der Verheißung schon zuvor zum Leibe Christi gehört haben“ (Inst. IV,15,22). Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Prädestinationslehre, die das aller menschlichen Antwort souverän vorausgehende erwählende Ja Gottes in den Vordergrund stellt, im HK nicht entfaltet wird. Ursinus war eben ein Schüler Melanchthons und nicht Calvins, obwohl er sich intensiv mit Calvins Anschauungen beschäftigt haben dürfte. Aber man kann die Frage 74, in der die Kindertaufe begründet wird, erwählungstheologisch lesen. Die Kindertaufe wird ja damit begründet, dass die kleinen Kinder wie die Erwachsenen in den Bund Gottes und seine Gemeinde gehören und dass ihnen die Zusagen der Taufe nicht weniger gelten als den Erwachsenen. Man muss fragen: Gehören die Kinder schon von Geburt an in den Gottesbund? Oder werden sie erst im Vollzug der Taufe in den Gottesbund aufgenommen?

Auf den ersten Blick scheinen die Aussagen in HK 74 beide Möglichkeiten zuzulassen. Wenn man jedoch auf die Analogie zur Beschneidung achtet, kommt nur die erste Möglichkeit in Betracht. Der Bund besteht, zu ihm gehört man bereits als israelitischer Knabe von Geburt an. Dass Mädchen gar nicht beschnitten werden mussten, um diesem Bund anzugehören, wird nicht eigens erwogen, wie denn auch an diesem heiklen Punkt die Analogie zwischen Beschneidung und Taufe brüchig werden dürfte. Die Beschneidung ist ein äußeres Erkennungszeichen der Bundeszugehörigkeit. Wenn nun die Taufe als „Zeichen des Bundes“ charakterisiert wird, macht sie die Realität der Bundeszugehörigkeit sichtbar, bewirkt diese aber nicht. So können dann die getauften Kinder von den Kindern der Ungläubigen unterschieden werden. Auf diese Weise erreicht der HK auch ohne eine ausgearbeitete Erwählungslehre den gleichen Effekt. Es ist noch anzumerken, dass der Gedanke des Bundes nur hier und dann noch einmal in Frage 82 im Zusammenhang der Zulassung zum Abendmahl auftaucht.

In ekklesiologischer Hinsicht stellt sich die Frage noch einmal: Gehört man schon vor der Taufe zur Gemeinde? Oder wird die Gliedschaft in der Gemeinde durch die Taufe begründet? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man die Beziehungen zwischen Bund und Leib Christi deutet. Die Kinder gehören wie die Erwachsenen „in den Bund Gottes unnd seine [gemein]“, und sie werden in der Taufe „der Christlichen kirchen eingeleibt“[10]. Man kann das so verstehen: Die Kinder werden in eine konkrete Kirche eingegliedert. Mit der Taufe wird nicht ihre Gliedschaft in der heiligen allgemeinen christlichen Kirche begründet (vgl. dazu HK 54) – die muss als bereits bestehend angesehen werden –, wohl aber die Mitgliedschaft in der jeweiligen konkreten sichtbaren Kirche. Das würde heißen: Im Vollzug der Taufe wird ein Mensch Mitglied der Kirche, die ihn tauft. Spätestens an diesem Punkt wird dann auch in einem reformierten Bekenntnistext die Taufe zum signum efficax: Hier bewirkt sie tatsächlich, was sie bezeichnet – die Eingliederung eines Menschen in die erfahrbare Kirche.

3. Reformatorische Kontexte: Luther, Melanchthon und Calvin

Die Tauflehre des HK ist das Ergebnis eines vielschichtigen und darin konstruktiven Rezeptionsprozesses. Hier war ein Autor bzw. waren Autoren am Werk, die zwar ein unverkennbar reformiertes Sakramentsverständnis hatten, aber dennoch so etwas wie konfessionelle Engführungen vermeiden wollten. Wilhelm Neuser, der der Tauflehre des HK eine Studie widmete[11], fand in der Tauftheologie des HK Einflüsse von Luther, Calvin und Melanchthon. Sein Fazit lautete, dass Calvin nicht als Vater der Tauflehre des HK gelten könne, dass der Katechismus vielmehr in der Schülerschaft Luthers und Melanchthons stehe und der Einfluss Calvins dazugekommen sei. Ganz so weit möchte ich nicht gehen. Aber das Fazit, das Neuser zog, finde ich doch beachtenswert: „Die Verfasser des Heidelberger Katechismus haben offensichtlich auf Luthers, Melanchthons und Calvins Lehre zurückgegriffen, ihre Schwächen ausgemerzt und – aufs Ganze gesehen mit glücklicher Hand – eine einheitliche Tauflehre geschaffen, die in vieler Hinsicht heute (1967!) unsere Beachtung findet.“[12]

Die von Neuser behauptete Schülerschaft des HK bei Luther überrascht. Denn im Sakraments- und dann im Taufverständnis sind eklatante Unterschiede zu Luther aufweisbar. Dazu kommt, dass Luthers Tauflehre einen komplizierten Entwicklungsprozess durchmachte, die es nicht gerade leicht macht, ihre jeweiligen Konturen zu erheben[13]. Wenn wir einen Blick in die bekanntesten Texte – Luthers Aussagen im Kleinen und Großen Katechismus werfen – ist jedenfalls der sakramentstheologische Klimawechsel im Vergleich zum HK unübersehbar. Die Taufe sei nicht allein bloßes Wasser, „sondern sie ist das Wasser, in Gottes Gebot gefasset und mit Gottes Wort verbunden“[14]. Luthers Tauflehre wurzelt in einem Sakramentsverständnis, in dem das Zeichen der Abwaschung mit dem Wasser und das Wort Gottes eine enge Verbindung eingehen: „ohne Gottes Wort ist das Wasser bloßes Wasser und keine Taufe, aber mit dem Wort Gottes ist’s eine Taufe, das ist ein gnadenreich Wasser des Lebens …“[15]. Anders als in der Frage 72 des HK ist das äußerliche Wasserbad hier tatsächlich die Abwaschung der Sünden. Aus Luthers Sicht würde Frage 72 den sakramentalen Charakter der Taufe preisgegeben haben: „Derhalben vermahne ich abermal, daß man beileib die zwei, Wort und Wasser, nicht voneinander scheiden und trennen lasse. Denn wo man das Wort davon sondert, so ist’s nicht ander Wasser, denn damit die Magd kochet, und mag wohl ein Badertaufe heißen, aber wenn es dabei ist, wie es Gott geordnet hat, so ist’s ein Sakrament und heißet Christus’ Taufe.“ (Gr. Katechismus)[16]

So bleibt das Wasser unter dem Wort Gottes kein bloßes Wasser, sondern „ein Wasser, in Gottes Wort und Gebot gefasset und dadurch geheiligt, daß nicht anders ist denn ein Gotteswasser, nicht daß das Wasser an ihm selbs edler sei denn ander Wasser, sondern daß Gottes Wort und Gepot dazu kömmpt“ (Gr. Katechismus)[17]. Luther tendiert auch bei der Taufe zu einer Realpräsenz, und zwar zu einer Realpräsenz des Wortes und Gebotes Gottes im Wasser. Das Tauflied Luthers „Christ, unser Herr, zum Jordan kam“, lautet in der letzten Strophe (EG 202,7):
Das Aug allein das Wasser sieht,
wie Menschen Wasser gießen;
der Glaub im Geist die Kraft versteht
des Blutes Jesu Christi;
und ist vor ihm ein rote Flut,
von Christi Blut gefärbet,
die allen Schaden heilen tut,
von Adam her geerbet,
auch von uns selbst begangen.
Ich zitiere es aus der reformierten Ausgabe des Evangelischen Gesangbuchs!

Die Beziehungen zu Luther müssen deutlich auf einer anderen Ebene liegen. Es sind dies:
Die für einen reformierten Text auffällige Orientierung an der Kategorie der Verheißung (vgl. HK 69, 70) scheint auf Luthers Korrelation von Verheißung und Glaube zurückzugehen.
Die Grundaussagen von HK 72 finden wir auch bei Luther: Die Taufe „wirkt Vergebung der Sünden, erlöst vom Tode und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die es glauben, wie die Worte und Verheißung Gottes lauten“[18]. Die Erneuerung durch den Heiligen Geist formulierte Luther in seiner unübertrefflichen Einprägsamkeit so: Das Taufen bedeute, „daß der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe“[19].

Auch Melanchthons Tauflehre machte einen Wandel durch. So fällt auf, dass die in der CA bekräftigte Aussage von der Heilsnotwendigkeit der Taufe, an der Luther und das Luthertum natürlich festgehalten haben, in den späteren Tauftexten Melanchthons keine erkennbare Rolle mehr spielt. Ja noch mehr: Man fühlt sich fast in die Sprach- und Vorstellungswelt des HK versetzt, wenn man sich mit Melanchthons Tauflehre in der späten Fassung seiner Loci theologici von 1553 beschäftigt[20]. Diese Fassung entstammt der Zeit, in der der junge Ursinus bei Melanchthon studiert hat.

Melanchthon betrachtet hier die Taufe als „ein eusserlich zeichen und siegil … göttlicher verheißungen“[21]. Auch bei ihm spielt die Verheißung eine zentrale Rolle, die uns in der Taufe gewissermaßen auf den Leib geschrieben und gemalt wird[22]. Melanchthon hebt den Bundesgedanken hervor und charakterisiert die Taufe auch als „zeichen und Siegel dieses Bundes“[23]. Wie Calvin begründet er die Kindertaufe von der Beschneidung her[24] und stimmt mit ihm auch in der (nicht unproblematischen) Auffassung überein, dass es zwischen der Taufe des Johannes und der Taufe der Apostel im Prinzip keinen Unterschied gebe[25]. Vor allem aber finden wir beim Melanchthon der späten Loci ein Sakramentsverständnis, das man, wenn man seinen Autor nicht kennen würde, eher einem Reformierten, nicht aber einem Theologen aus dem Umkreis Wittenbergs zuordnen würde. Christus hat Taufe und Abendmahl als „eusserliche zeichen“ an „seine verheissung angehenget“[26]. Die Sakramente sind Zeichen und Pfand der göttlichen Gnade und zugleich ihre Applikation und Zueignung[27]. Damit werden sie zwar auf der Ebene des signum efficax angesiedelt. Aber das eigentliche Geschehen kann wiederum, wie beim HK, vom Empfang des Sakraments unterschieden werden. Das verdeutlicht Melanchthon am Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Beschneidung bei Abraham: „Also leret Paulus Rom 4: Abraham ist nicht gerecht worden durch die beschneidung. Aber die beschneidung ist das sigel gewesen der gerechtikeit, das ist, Abraham hatt dises zeichen an sich getragen auß gottes bevelch alß ein erinnerung, zeugnis, pfand und adplicatio der gnaden, die durch den kunfftigen samen verheißen war.“[28]

Angesichts dieser Berührungen mit Luther und starken Parallelen beim späten Melanchthon müssen wir nicht befürchten, dass der HK kein reformierter Bekenntnistext ist. Wie wir sahen, lassen sich in der tauftheologischen Substanz auch deutliche Übereinstimmungen mit Calvin benennen. Es fällt indessen auf, dass zwei für Calvin zentrale Motive in der Tauflehre des HK nicht auftauchen: der Aspekt, dass die Taufe ein Bekenntniszeichen ist, an dem man den Christen in der Öffentlichkeit erkennen soll, und der kräftig herausgearbeitete Gedanke, dass Gott die Seinen vor ihrer Taufe schon erwählt hat.

So können wir Neuser folgen und dem HK eine eigene Tauftheologie bescheinigen, in der zentrale Motive reformatorischer Tauflehren aufgenommen und zu einer neuen Komposition vereinigt worden sind. Der HK erweist sich an dieser Stelle wie auch an anderen Punkten als ein interessanter „textus receptus“ spezifischer Lesarten reformatorischer Theologie. Und darin weist er über seine Zeit hinaus auf einen modernen „textus receptus“ reformatorischer Theologie, nämlich auf die Leuenberger Konkordie von 1973.

4. Die Verstärkung des Moments der Zueignung

Die Tauftheologie der reformierten Kirchen verdankt dem HK zahlreiche bedeutsame Einsichten. Besonders hervorzuheben sind: die Ausführung des Aspekts der Vergebung und seine Verknüpfung mit der Neubestimmung der christlichen Existenz, sodann das Moment der Vergewisserung, zu Christus zu gehören, schließlich die Entlastung von der Annahme der Heilsnotwendigkeit der Taufe, die die Ungetauften vom Heils ausschließen würde. Da der Katechismus die Kindertaufe vom Bundesgedanken her begründet, kann er auf Hilfskonstruktionen wie die des Kinderglaubens oder der zuvorkommenden Gnade Gottes verzichten. Ich meine sogar, dass die Begründung der Kindertaufe in Frage 74 eine besondere theologische Stärke des HK darstellt.
Trotz dieser Vorzüge ist die reformierte Tauftheologie nicht einfach beim HK stehengeblieben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat es hier zwei – divergente – Entwicklungsschübe gegeben: einmal die Neukonzeption der Tauflehre bei Karl Barth (1967) sowie die dadurch ausgelösten Debatten und zweitens die sakramentstheologischen Annäherungen zwischen Reformierten und Lutheranern im Zusammenhang mit der Vor- und dann Wirkungsgeschichte der Leuenberger Konkordie von 1973.
Karl Barths Tauflehre kann hier nur angedeutet werden. Sie fällt auf durch ihre markante Unterscheidung von Geisttaufe und Wassertaufe. Auf das exklusive Gotteshandeln in der Geisttaufe antwortet der Glaubende in freiem menschlichen Gehorsam, indem er sich mit Wasser taufen lässt. Damit war eine temperamentvolle Absage an die Säuglingstaufe verbunden, die allgemein als Markenzeichen der Barthschen Tauflehre gilt. Natürlich hatte Barth als reformierter Theologe auch spezifische reformierte Elemente aufgenommen und zugespitzt, so die Entsprechung zwischen göttlichem Handeln und menschlichem Vollzug des Taufakts und den Aspekt des Bekenntnisses, der freilich hier in seiner die menschliche Aktivität betonenden Einseitigkeit eher auf Zwingli als auf Calvin zurückzuführen ist: Die Taufe mit Wasser ist die bekennende Antwort des Menschen auf die Taufe mit dem Heiligen Geist. Diese Revision der Tauflehre hat seinerzeit viel Furore gemacht. Sie ist aber mit einer Reihe offener Probleme und Aporien belastet, die maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass sie sich auf Dauer nicht durchsetzen konnte. Dazu kam die zähe und reformresistente Vorliebe für die herkömmliche Praxis der Kleinkindertaufe. Gerade auf diesem Hintergrund sollten die mit Barths Tauflehre verbundenen Denkanstöße aber als bleibende Herausforderung betrachtet werden.
Im Zusammenhang mit der Leuenberger Konkordie haben die evangelischen Kirchen Europas nicht nur ein gemeinsames Verständnis des Abendmahls, sondern auch ein gemeinsames Verständnis der Taufe entwickelt. Es wird viel zu wenig beachtet, dass im Zuge dieser Entwicklung nicht nur auf lutherischer, sondern auch auf reformierter Seite bestimmte Einseitigkeiten und Engführungen überwunden worden sind. So heißt es von der Taufe:
„Die Taufe wird im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen. In ihr nimmt Jesus Christus den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf, damit er eine neue Kreatur sei. Er beruft ihn in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge.“[29] Hier fällt der starke christozentrische Akzent auf. Christus ist der Handelnde. Er beruft den Täufling in der Taufe zu einem Leben aus Glauben und nimmt ihn unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf. Dieses Handeln Christi am Täufling lässt den Aspekt des signum efficax, des Wirkzeichens, hervortreten. Der Blick auf Christus als den Handelnden war übrigens auch ausschlaggebend für die Annäherung in der Abendmahlslehre.
Im Verlauf der Lehrgespräche, die im Anschluss an die Verabschiedung der Konkordie stattfanden, entstand auch ein lutherisch-reformierter Text zur Taufe, der dann im Jahr 1994 auf der Vollversammlung in Wien verabschiedet wurde: „Zur Lehre und Praxis der Taufe“[30]. Hier ist das Moment des signum efficax unübersehbar. In der Taufe, so heißt es gleich am Anfang, „wird das in Jesus Christus vollzogene Versöhnungsgeschehen jedem einzelnen persönlich zugesprochen und zugeeignet“[31]. Zugesprochen und zugeeignet: Zuspruch und Zueignung, Wort und sakramentales Zeichen verbinden sich hier zu einer Einheit, das Wort wirkt, was es verbal artikuliert. Der folgende Satz lautet dann: „In der Kraft des Heiligen Geistes ist die Taufe wirksames Zeichen der Zuwendung und Zusage Gottes.“[32] In diesem Satz verbinden sich lutherische und reformierte Aussageebenen zu einer Einheit: Die Taufe ist wirksames Zeichen (signum efficax) der Zuwendung und Zusage Gottes. Das wäre für sich genommen die lutherische Ebene. Aber: In der Kraft des Heiligen Geistes ist die Taufe das wirksame Zeichen. Das wäre als solche die reformierte Ebene, jedenfalls in der Schule Calvins.
as Motiv der Zueignung ist für Predigt, Taufe und Abendmahl in gleicher Weise charakteristisch: „In der Verkündigung des Wortes Gottes, in Taufe und heiligem Abendmahl eignet Gott uns das Heil zu.“[33] Damit erweisen sich diese drei als notwendig zum Heil. Es sind nämlich die Weisen, „in denen Gott uns Menschen begegnen, unsere Not wenden und uns aus der Macht des Bösen befreien will“[34]. Das bedeutet jedoch nicht, dass ungetaufte Menschen verloren gehen. Gott hat auch andere Wege zum Menschen als diese drei, „da er in seiner liebenden Freiheit nicht eingeschränkt ist“[35]. Hier behauptet sich wieder ein reformiertes Moment.
ir bemerken also eine Entwicklung, derzufolge auf reformierter Seite der mit der Zuwendung Gottes zum einzelnen verbundene Aspekt der Heilszueignung in der Taufe zunehmend Anerkennung findet. Auf diese Weise können reformierte Kirchen auch dem Charakter der Taufe als eines wirksamen Zeichens des Versöhnungsgeschehens zwischen Gott und Mensch Rechnung tragen.
Es gab übrigens einen reformierten Dogmatiker in Deutschland, der in dieser Richtung vorgedacht hat. Das war Otto Weber. Im 1962 erschienenen zweiten Band der „Grundlagen der Dogmatik“[36] betrachtete er die Taufe auf der Linie der von Augustinus eröffneten Zeichentheorie als signum efficax, das seine Wahrheit bei sich trage und nicht nur als „breve signum“, sondern im Anschluß an Luther auch als „res potentissima et efficacissima“, nicht nur als Zeichen, sondern auch als ein Gnadenmittel (un moyen de grâce) betrachtet werden müsse[37]. Damit verband Weber eine vorsichtige Bejahung des „exhibitiven“ Charakters der Taufe und zugleich eine behutsame Abgrenzung von Luthers objektivierender Verknüpfung von Wort und Taufwasser[38]. Grund und Kraft der Taufe sei der lebendige, gegenwärtige Herr[39]. In ihm sagt Gott ja zum Menschen. Der Mensch wiederum sagt im „Namen“ Jesu Christi ja zu Gott, er „wird in der Taufe zum Eigentum Jesu Christi bestimmt und erklärt“[40]. Die Zueignung des Ja Gottes im Namen Jesu Christi und die Übereignung des Getauften an Jesus Christus sind Vorgänge, in denen Tatsachen geschaffen werden. Zwar gebe uns die Taufe nichts anderes zu eigen als die ihr vorgeordnete Predigt und das ihr nachfolgende Abendmahl[41]. Aber in ihr „ersteht ein anderer Mensch, weil dem Getauften persönlich das Heil an- und zugesagt wird“[42].
Es gibt gute Gründe für die Vermutung weiterer Annäherungen im ökumenischen Verständnis der Taufe. Und das ist gut so. Denn die Taufe ist das heimliche ökumenische Band der Christenheit. Das wird in der grenz- und konfessionsüberschreitenden Anerkennung der Taufe deutlich sichtbar. Insofern können wir nicht bei einmal gewonnenen Erkenntnissen und Einsichten stehenbleiben, sondern müssen – was eindeutig zu den Profilen reformierter Theologie gehört – weiterdenken und -lernen.

Zitation:
Michael Beintker, Die Tauflehre des Heidelberger Katechismus in ökumenischer Perspektive (Fragen 69-74) (August 2007), auf www.reformiert-info.de. URL: http://www.reformiert-info.de/2467-0-56-3.html (Abrufdatum)


[1] Wiedergaben aus dem lateinischen Text des HK folgen dem Text bei Z. Ursinus in: Corpus Doctrinae christianae ecclesiarum a Papatu reformatorum, continens Explicationes Catecheticas D. Zachariae Ursini, Bremen 1623.

[2] Vgl. dazu Wilhelm H. Neuser, Die Tauflehre des Heidelberger Katechismus, TEH NF 139, 1967, 8f.

[3] Die Ordnung findet man leicht in BSKORK, 136-218.

[4] Taufe: aaO., 143-148.

[5] AaO, 145.

[6] Calvin-Studienausgabe 2, 119/118.

[7] OS V, 285.

[8] Unterricht in der christlichen Religion, IV,15,1, S. 898.

[9] Auch hier scheint eine Parallele zum Genfer Katechismus vorzuliegen (vgl. Fr. 325).

[10] BSRK 702, Z. 2f und Z. 6. Der Text ist hier fehlerhaft. Korrektur nach BSKORK, 48, Z.28.

[11] Siehe oben, Anm. 2.

[12] Neuser, aaO. (Anm. 2), 38.

[13] Vgl. dazu Ulrich Kühn, Sakramente, Gütersloh 1985, 23-45.

[14] BSLK, 515.

[15] AaO., 516.

[16] AaO, 695.

[17] AaO, 693.

[18] AaO., 515f.

[19] AaO., 516.

[20] Philipp Melanchthon, Heubtartikel Christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner Loci theologici, nach dem Autograph und dem Originaldruck von 1553 hg. von Ralf Jenett und Johannes Schilling, Leipzig 2002, 320-331.

[21] AaO., 320.

[22] Vgl. ebd.

[23] AaO., 321.

[24] AaO., 326.

[25] Vgl. aaO., 322 sowie Institutio IV,15,7.

[26] AaO., 317.

[27] Vgl. aaO., 318.

[28] Ebd.

[29] Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie). Dreisprachige Ausgabe mit einer Einleitung von F.-O. Scharbau, im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenberger Lehrgespräche hg. von W. Hüffmeier, Frankfurt M. 1993, Ziffer 14.

[30] W. Hüffmeier (Hg.), Zur Lehre und Praxis der Taufe. Zur Lehre und Praxis des Abendmahls (Leuenberger Texte 2), 1995, 15-45.

[31] AaO., 18.

[32] Ebd.

[33] AaO., 20.

[34] Ebd.

[35] Ebd.

[36] Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik II, Neukirchen-Vluyn 1962.

[37] AaO., 661.

[38] Vgl. ebd.

[39] AaO., 663.

[40] Ebd.

[41] Vgl. aaO., 664.

[42] AaO., 665.

Zitation:
Michael Beintker, Die Tauflehre des Heidelberger Katechismus in ökumenischer Perspektive (Fragen 69-74) (August 2007), auf www.reformiert-info.de. URL: http://www.reformiert-info.de/2467-0-56-3.html (Abrufdatum)

 

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