Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr: Lukas 17,20-30 - Vom Kommen des Reiches Gottes

von Johannes Calvin

''... daß das Evangelium wie ein Blitz im Augenblick seines Aufzuckens von einem Pol der Erde bis zum andern drang; damit beweist Christus nicht von ungefähr seine himmlische Herrlichkeit. Und indem er ein solches Bild von der Größe seines Reiches entwarf, wollte er zeigen, daß auch die Zerstörung Judäas seine Herrschaft nicht zu hindern vermochte.''

Lukas 17,20-30
20 Da er aber gefragt wurde von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man`s mit Augen sehen kann; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Luk. 17, 20. „Da er aber gefragt ward von den Pharisäern.“ Zweifellos war diese Frage der Pharisäer spöttisch gemeint. Denn da Christus ständig vom nahen Reich Gottes redete, ohne daß sich die äußere Lage der Juden änderte, meinten diese unredlichen, boshaften Menschen, das sei ein brauchbarer Vorwand, um ihn zu ärgern. Gerade als ob er über das Reich Gottes nur unnützes, dummes Zeug geschwätzt hätte, fragen sie in beißendem Hohn, wann dieses Reich denn nun endlich komme. Wenn jemand anstelle dieser groben Darlegung dies noch genauer untersuchen möchte und meint, hier werde mehr als nur zum Hohn gefragt, so habe ich nichts dagegen.

„Das Reich Gottes kommt nicht so.“ Diese Antwort richtet Christus meines Erachtens an die Jünger und übergeht diese Speichellecker dabei ganz. Oft hat er ja die Herausforderung der Gottlosen als Anlaß zum Lehren genommen. So verlacht Gott ihre Bosheit, indem die Wahrheit gegen ihre Einwürfe herausgestellt wird und dadurch nur um so heller aufstrahlt. Mit dem Satz: „Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man's mit Augen sehen kann", meint Christus, es komme nicht in sichtbarer Herrlichkeit; er möchte bestreiten, daß Gottes Reich schon von ferne an seiner Pracht sichtbar sein würde. Er will sagen, daß sich all die gewaltig täuschen, die das Reich Gottes mit den Augen des Leibes suchen, obwohl es doch nicht im geringsten leiblich oder irdisch ist, da es ja nichts anderes bedeutet als die innere und geistliche Erneuerung des Herzens. Es ist der Natur dieses Reiches zuwider, wenn man hierhin und dorthin späht, um sichtbare Zeichen davon zu entdecken. Er hätte auch sagen können: Im Innern muß man die Erneuerung der Gemeinde suchen, die Gott verheißen hat. In seinen Auserwählten richtet er sein Reich auf, indem er sie zu einem neuen, himmlischen Leben erweckt. Und so tadelt Christus in versteckter Weise die Beschränktheit der Pharisäer, weil sie sich nur etwas Irdisches, Vergängliches erhoffen. Doch ist dabei zu beachten, daß Christus hier nur über die ersten Anfänge des Reiches Gottes spricht: Jetzt fängt der Heilige Geist an, uns zu dem Ebenbild Gottes zu erneuern, damit endlich zu seiner Zeit sich unsere Heimrufung und die der ganzen Welt in vollkommener Weise vollende.

22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, daß ihr werdet begehren, zu sehen einen der Tage des Menschensohnes, und werdet ihn nicht sehen. 23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe da! siehe hier! Geht nicht hin und folgt auch nicht. 24 Denn wie der Blitz oben vom Himmel blitzt und leuchtet über alles, das unter dem Himmel ist, also wird der Menschen Sohn an seinem Tage sein.

Matth. 24, 26. „Siehe, er ist in der Wüste.“ Lukas (17, 20 ff.) bringt dieses Wort Christi im Zusammenhang mit einem andern: auf die Frage der Pharisäer nach dem Kommen des Reiches Gottes antwortete Christus, es werde nicht mit äußeren Gebärden kommen; daran schließt sich bei Lukas die Erklärung an die Jünger, es würden Tage kommen, in denen sie vergeblich wünschen würden, einen Tag des Menschensohnes zu sehen. Mit diesen Worten wollte Christus die Jünger ermahnen, im Licht zu wandeln, bevor sie von der Finsternis der Nacht bedeckt würden. Denn die Ankündigung von den nahenden schweren Umstürzen mußte für sie der stärkste Antrieb sein, aus der Gegenwart soviel zu gewinnen wie möglich. Man kann nicht mehr feststellen, ob Christus zweimal über die gleiche Sache zu den Jüngern gesprochen hat; vermutlich hat Lukas hier wie schon an anderen Stellen Worte, die ursprünglich bei einer anderen Gelegenheit gesprochen waren, in den übergeordneten Zusammenhang des kommenden Reiches Gottes eingeschaltet. Zum Verständnis des ursprünglichen Sinnes müssen wir auf den Gegensatz achten zwischen einem etwaigen Versteck einerseits und der weiten Ausdehnung und Ausbreitung des Reiches Christi, die plötzlich und unerwartet eintritt und deren Weg dem Weg des Blitzes vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang gleicht. Denn die falschen Christusgestalten damals versuchten, wie es der groben, törichten Hoffnung jenes Volkes angemessen war, sich in den Verstecken der Wüste, in Höhlen oder andern Schlupflöchern zu versammeln, um mit Waffengewalt das Joch der römischen Herrschaft von sich abzuschütteln. Der Sinn ist also: Wer seine Kraft in einem verborgenen Winkel sammelt, um mit Waffen die Freiheit des Volkes zurückzugewinnen, der ist ein Lügner, wenn er sich für den Christus ausgibt. Der Erlöser ist dazu gesandt, damit er plötzlich und, ohne daß jemand damit rechnet, seine Gnade in die ganze Welt ausgießt. Denn das schließt sich gegenseitig aus, die Erlösung in irgendeinen Winkel einschließen zu wollen und sie über den ganzen Erdkreis auszugießen. Damit wurden die Jünger also ermahnt, den Erlöser nicht mehr in den Verstecken Judäas zu suchen, da er doch die Grenzen seines Reiches mit einem Mal bis an die äußersten Enden der Erde vorschieben wolle. Wenn wir an die wunderbare Schnelligkeit denken, mit der das Evangelium die ganze Welt durcheilt hat, so haben wir darin ein leuchtendes Zeichen der göttlichen Macht vor uns. Denn das konnte menschlicher Fleiß bewirken, daß das Evangelium wie ein Blitz im Augenblick seines Aufzuckens von einem Pol der Erde bis zum andern drang; damit beweist Christus nicht von ungefähr seine himmlische Herrlichkeit. Und indem er ein solches Bild von der Größe seines Reiches entwarf, wollte er zeigen, daß auch die Zerstörung Judäas seine Herrschaft nicht zu hindern vermochte.

30 Auf diese Weise wird`s auch gehen an dem Tag, wenn des Menschen Sohn wird offenbar werden.

Matth. 24, 37. „Denn wie es in den Tagen Noahs war.“ Nachdem Christus die Seinen vor allzu neugierigem Forschen nach dem Jüngsten Tag gewarnt hat, ermahnt er sie jetzt zur Wachsamkeit, damit sie sich nicht von den Freuden der Welt einschläfern lassen. Sie sollten zwar den Tag seines Kommens nicht kennen; aber trotzdem sollten sie täglich, ja stündlich bereit sein, ihn zu empfangen. Um sie aus ihrem Stumpfsinn aufzurütteln und sie zu noch eifrigerem Wachen anzustacheln, sagt er voraus, daß das Ende die Welt in stumpfer Gleichgültigkeit überraschen werde, ähnlich wie in den Tagen Noahs alle Völker unerwartet von der Flut verschlungen wurden, während sie in irdischen Freuden schwelgten, oder wie etwas später die Bewohner von Sodom von himmlischem Feuer verzehrt wurden, als sie sich gerade ihren Lüsten hingaben, ohne irgend etwas zu fürchten. Wenn die Welt beim Nahen des Jüngsten Tages in solcher Sicherheit dahinlebt, dann ist das noch lange kein Grund, daß die Gläubigen ihrem Beispiel folgen. Um also nicht plötzlich überrannt zu werden, sollen die Gläubigen immer auf dem Posten stehen, da der Tag des Jüngsten Gerichts unvermutet kommen wird. Übrigens findet sich der Hinweis auf Sodom nur bei Lukas, und zwar im 17. Kapitel, wo der Evangelist aus gegebenem Anlaß, ohne Rücksicht auf die Zeitfolge, diese Worte Christi wiedergibt. Es hat jedoch nichts Befremdliches, wenn die beiden andern Evangelisten sich an dem einen Beispiel genügen lassen, obwohl Christus zwei genannt hat; denn beide Beispiele wollen ja nur dasselbe sagen, daß das ganze Menschengeschlecht mit wenigen Ausnahmen mitten in seinen Vergnügungen plötzlich hinweggerafft wird. Wenn es hier heißt: (24, 38): „Sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien“, als Gott die ganze Welt unter der Flut und Sodom unter den Blitzen umkommen ließ, soll das sagen, daß die Menschen sich so den Annehmlichkeiten und Freuden dieses Lebens hingegeben hatten, als ob nie eine Änderung der Lage zu befürchten sei. Wenn der Herr seinen Jüngern gleich auch befehlen wird, sich vor Unmäßigkeit: und irdischen Sorgen zu hüten, so verurteilt er an dieser Stelle doch nicht unmittelbar die Zügellosigkeit jener Zeit, sondern eher die Verstocktheit, die seine Zeitgenossen die immer wiederholten Drohungen Gottes verachten ließ und sie dem furchtbaren Untergang entgegenführte. Da sie sich vorgaukelten, alles müsse immer so bleiben, beharrten sie sicher und ohne Hemmungen auf ihren gewohnten Wegen. Daß sie für ihre Bedürfnisse sorgten, wäre an und für sich nicht böse und verdammenswert gewesen, wenn sie nicht Gottes Gericht mit stumpfer Lässigkeit aufgenommen und sich blindlings hemmungsloser Sünde ergeben hätten, als ob es keinen Vergelter im Himmel gäbe. So bezeugt uns Christus, daß die Menschen der letzten Zeit völlig in der Sorge um ihr gegenwärtiges Leben aufgehen werden und daß sie sich auf lange Dauer einrichten und bei ihrem gewohnten Leben bleiben werden, so als müsse die Erde immer genauso bestehen, wie sie ist. Die herangezogenen Beispiele sind sehr deutlich: denn wenn wir bedenken, was damals geschah, dann kann uns der Anblick der Welt, wie sie immer nach der gleichen Ordnung weiterzulaufen scheint, nicht so weit täuschen, daß wir glauben, dieser Zustand solle ewig dauern.


Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Dreizehnter Band: Die Evangelien-Harmonie 2. Teil, Neukirchener Verlag, 1974, S. 8. 265ff. 279ff.