Matthäus am Letzten – das bringt ans Ende des Matthäus-Evangeliums, erklärte Martin Engels, Moderator des Reformierten Bundes in Deutschland und rheinischer Pfarrer, in seiner Predigt am Holocaust-Gedenktag in der Gemarker Kirche in Wuppertal. Dort versichert Jesus in seinen letzten Worten seinen Jüngern: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Am 26. Oktober 1941, in seinem Brief, wendet sich Leo Löwenthal an seine Tochter Trude und ihren Mann Hans in Amerika, ihm die Ausreise zu ermöglichen, das Geld dafür zu leihen: „Ihr müsst alle Hebel in Bewegung setzen, um mir zu helfen, sonst ist es zu spät.“
Der Rückblick und das Heute: Antisemitismus ist eine Herausforderung für Theologie und Kirche. Das macht der Untertitel der Jahrestagung des Studienkreises „Kirche und Israel“ mit dem Titel „Christusglaube – Judenhass“ deutlich. Christlicher Antisemitismus hat zum nationalsozialistischen Judenmord beigetragen, ist für den Bonner Theologie-Professor Andreas Pangritz klar. "Ist christliche Theologie notwendig judenfeindlich?" lautet die Überschrift über seinem Vortrag bei der Tagung "Christusglaube - Judenhass". Seine Antwort zusammengefasst vorweg: Als christlicher Theologe müsse der diese Frage mit Nein beantworten. "Anderenfalls müsste ich aufhören, christliche Theologie zu betreiben."
Zu den weiteren Vortragenden bei der Antisemitismus-Tagung gehört Michael Rubinstein, Geschäftsführer des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Nordrhein. Er spricht von einem wachsenden Unbehagen in den jüdischen Gemeinden. Während früher antisemitische Schmähungen, etwa im Netz, noch anonym geäußert worden seien, hätten Menschen heute weniger Hemmungen, sich erkennen zu geben. „Die Leute trauen sich mehr“, sagt Rubinstein. „Jude“ sei ein Schimpfwort, das sich beispielsweise auf Schulhöfen längst etabliert habe.
Bund und Länder bräuchten Antisemitismusbeauftragte, so die Verbände jüdischer Gemeinden. Von den Kirchen wünscht sich Rubinstein "Aufklärungsarbeit unter den eigenen Leuten". Antisemitismus lasse sich mit beruflichen und ehrenamtlichen Ämtern in der Kirche nicht vereinbaren. Die Kirche solle außerdem wachsam sein gegenüber antisemitischen Tendenzen, die unter dem Deckmantel der Israelkritik geäußert werden.
Wie gesagt: Andreas Pangritz und Michael Rubinstein sind bei der Antisemitismus-Tagung detailliert zu hören, sie findet vom 19. bis 21. Februar statt (Einladungsflyer siehe Download).
"Orte der Erinnerung: Auschwitz - Babyn Jar" heißt eine Ausstellung mit Fotos von Olaf Eybe, eröffnet am Holocaust-Gedenktag und noch bis 11. Februar in Essen zu sehen. Auf dem Blog himmelrauschen.de des Kirchenkreises Essen schreibt Eybe, engagiert auch als Presbyter: "Mir geht es um immer wieder neue Blickwinkel auf unsere nicht einfache Geschichte, der wir uns immer wieder neu stellen müssen. Nicht weil wir mit Schuld beladen sind, sondern um das Fundament unserer Gesellschaft so abzusichern, dass es auch für zukünftige Generationen standhält."
Zum Holocaust-Gedenktag hat NRW-Landtagspräsident André Kuper vor aufkeimendem Antisemitismus und Rassismus gewarnt. "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind in Deutschland unverhandelbar. Wer hier lebt, muss sich zu ihnen bekennen", erklärte Kuper. "Jeder Form von aufkeimendem Antisemitismus, von Rassismus, religiös getarnter Ausgrenzung oder nationalistischem Gehabe werden wir entschieden entgegentreten."
Deutschland bleibe der Freiheit verpflichtet, betonte Kuper. Er bat die Nachkommen der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen im Namen des Landtags "um Vergebung für das unermessliche Leid, dass der Nationalsozialismus über zahllose Menschen und Völker gebracht hat".
Der rheinland-pfälzische Landtag hat am Holocaust-Gedenktag im Neuen Justizzentrum in Koblenz der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Landtagspräsident Hendrik Hering sagte, kein Bereich in der Gesellschaft sei von den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verschont geblieben. So auch die Justiz nicht, "die eigentlich dafür einstehen sollte, die Menschen vor Willkür und Unrecht zu schützen".
Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch Soldaten der Rote Armee im Jahr 1945. Er wird seit 1996 in Deutschland und seit 2005 international als Gedenktag begangen.
Leo Löwenthals Kinder haben das Geld für die Fahrt und ein Visum nach Kuba aufgetrieben, weiß man heute dank der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, die auch den Brief Löwenthals aufbewahrt. Doch das Ticket wird ihn nie erreichen. Der Vater wird nach Litzmannstadt / Lodz deportiert, wird dort durch die Nazis ermordet. Er schrieb, ja schrie um Hilfe – vergebens.
Löwenthals bewegende Zeilen „brechen die unvorstellbare Gewalt und Brutalität des Nationalsozialismus in die Not dieses einzelnen Mannes aus Elberfeld herunter“, erklärte der Theologe Martin Engels in dem Gottesdienst, an dem die in Wuppertal tagenden Mitglieder des EKD-Rats teilnahmen. „Wir hören seine Stimme als eine von vielen Millionen verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden.“
Jesu‘ Wort „Ich bin bei euch alle Tage…“ sehe er, Engels, „heute als einen Spiegel, in dessen Abbild wir schmerzlich erkennen, wie sehr wir als Kirche Jesu Christi die Herzen vor dem Wort Gottes verschlossen haben“. Christus weise der Kirche den Weg, das Judentum gehöre zu ihren Wurzeln.