Tobias Kriener schreibt:
27.12.2016
Es war ein vielfältiges, arbeitsreiches, schönes Weihnachten in Nes Ammim – und dazu Chanukka bei Freunden.
Es begann damit, dass die Töchter mit Schwiegersohn und Freunden zu Besuch kamen. Zusammen haben wir in der Umgebung ein paar schöne Stellen aufgesucht.
Weihnachten ging dann so richtig los am Heiligabend mit dem Trip nach Nazareth zur Christmas-Parade. Leider – oder vielleicht auch: zum Glück – war die Parade von 16 Uhr auf 12 Uhr vorgezogen worden, weil heftige Regenfälle für den Nachmittag angesagt waren (den wir auf der Hinfahrt auch tatsächlich hatten). So bekamen wir die Parade nur noch auf dem Abmarsch mit – mit ihren skurrilen „Motivwagen“ und noch ein paar Trommelschlägen der Pfadfinderbands (in denen übrigens auch eine ganze Reihe an ihren Kopftüchern als solche zu identifizierenden muslimische Mädchen mitmachten – es werden also auch muslimische Jungen dabei gewesen sein). Zum Glück floss eben auch das Publikum schon ab, so dass wir uns recht zügig bewegen konnten. Man kann sich ausmalen, welch qualvolle Enge in diesem schmalen Tal während der Parade geherrscht haben muss.
Das Publikum, durch das wir uns bewegten, bestand übrigens zu 99,9 % aus jüdischen Israelis, die mal einen Eindruck vom Weihnachtsfest erhaschen wollten. Viel werden sie nicht mitbekommen haben – denn sie waren eben weitgehend unter sich; und von dem, was wir noch mitbekamen, kann man darauf schließen, dass die Parade eher Weihnachtskitsch als Weihnachtsstimmung verbreitet hatte.
Richtig Weihnachten war dann aber in Nes Ammim – beim Gottesdienst, den viele Volos mitgestaltet hatten mit origineller Liedauswahl (Leonhard Cohens „Halleluja“ und einem jazzigen „Jingle Bells“ am Schluss; aber „Stille Nacht“ durfte natürlich nicht fehlen, und für mein Herz war auch „Es ist ein Ros entsprungen“ 4-stimmig dabei), Musik, Deko und Lesungen.
Und dann beim anschließenden Christmas Dinner im Chader Ochel: Das „Village“ (also die Volontärinnen, die in dieser Abteilung arbeiten) hatten den Raum wunderschön hergerichtet; die Küche hatte ein opulentes Buffet – einschließlich eines ausgewachsenen „Turkey“ – angerichtet; und die Volos trugen durch ihr „fancy outfit“, und mehr noch durch ihre festliche Stimmung zum Gelingen dieses Abends bei. Zur „Bescherung“ für die Volos gab's u.a. einen Kicker, der gleich intensiv in Gebrauch genommen wurde. Ich bin gegen 11 ins Bett gegangen; einige haben wohl bis halb fünf Uhr am nächsten Morgen gefeiert.
Eine von den Unentwegten war dann am nächsten Morgen um 9 Uhr schon wieder dabei, als wir zum Weihnachtsgottesdienst nach Mi'elija fuhren, der sich dann als ein Weihnachtserlebnis der ganz besonderen Art herausstellte. Das Wetter war scheußlich: regnerisch, kalt. Aber die schöne Kirche, die freundliche Aufnahme durch Sr. Monika und die Inbrunst, mit der die Gemeinde ihren Gottesdienst feierte, waren herzerwärmend. (Hilfreich war sicher auch, dass wir auf der Empore direkt neben der Heizung unsere Plätze zugewiesen bekamen.) Der Gottesdienst war auf Arabisch, aber Sr. Monika hat uns vieles übersetzt. Bei der Kommunion sang eine junge Frau arabische Weisen – und dann auf einmal eine auch uns vertraute Melodie: „Come, all ye faithfull“ (in unserem Gesangbuch: „Herbei, oh ihr Gläubigen“) auf Arabisch. Anschließend gab es noch Kaffee und selbstgebackenes Weihnachtsgebäck und viele freundliche Worte, Blicke und Gesten. Mit einem Wort: Ein Gottesdienst, der völlig unverhofft zu einer wunderbaren ökumenischen Gemeinschaft wurde.
Und am zweiten Weihnachtstag abends dann noch ein weiterer Höhepunkt: Wir waren eingeladen zu einem interreligiösen Chanukkahkerzen-Anzünden in Hararit – einem malerisch gelegenen jüdisch-israelischen Dorf hoch oben in den galiläischen Bergen mit phantastischem Panoramablick auf das Lichtermeer in der Küstenebene. Rabbiner Or Zohar hatte die arabischen und jüdischen Nachbardörfer eingeladen. Der „Moadon“ war gerammelt voll mit jüdischen und muslimischen Teilnehmern – und einer starken Delegation aus Nes Ammim (alle 17 Autoplätze waren besetzt!). Ich war der christliche Ehrengast und hatte die Ehre, beim Kerzenanzünden mitwirken zu dürfen und einige Worte zu sagen.
Or hatte als Thema des Abends „Licht der Liebe“ vorgegeben – und ich hatte folgsam ein kleines Referat zur Frage: Stimmt die Behauptung, dass das Christentum die „Religion der Liebe“ ist im Gegensatz zum Judentum als der „Religion der Gesetzlichkeit“ erarbeitet, in dem ich versuchte, das anhand von 3 neutestamentlichen Textstellen (Mk 12 – Doppelgebot der Liebe; Mt 5 – Feindeliebe; 1. Kor 13 – Hohelied der Liebe), die dafür immer wieder angeführt werden, zu widerlegen. (Auf Ivrit! – mit der hebräischen Tastatur geschrieben! Leider war keine Zeit, den Text noch mal von einem/r Muttersprachler_in redigieren zu lassen, deshalb kann ich nicht sagen, ob ich mich eher blamiert, oder Ehre für Nes Ammim eingelegt habe; der liebe Or hat sich natürlich sehr herzlich bedankt.) Die anderen Ehrengäste haben natürlich nichts zum Thema gesagt, sondern frei redend für Frieden und Versöhnung und jüdisch-arabische Zusammenarbeit geworben; wichtig war aber, dass es von Herzen kam.
Rabbi Or hat zwei schöne Gedanken zu Chanukkah mit uns geteilt: Die Sitte, das der Chanukkahleuchter ins Fenster gestellt werden muss, hat er so interpertiert, dass man sich öffnen muss für die Nachbarn – und er deswegen eben die christlichen und muslimischen Nachbarn in die Chanukkah-Feier einbezieht; und er hat diese universale Dimension der Chanukkahbotschaft illustriert mit dem schönen Midrasch vom allerersten Chanukkahfest, das bereits Adam und Eva gefeiert haben, um der um sich greifenden Dunkelheit des Winters (im ersten Jahr der Welt wussten sie ja noch nicht, dass es im Frühjahr dann auch wieder heller wird) ihre Lichter entgegenzusetzen. Eine wunderbare abweichende Tradition zu dem sonst gepflegten Makkabäerkult.
Wir werden noch eine Channukkah-Feier haben im Altenclub in Shavei Zion (dafür haben wir feste Chanukkah-Lieder singen geübt), und wir werden noch mit israelischen Bewohnern der neuen Häuser eine Chanukkah-Weihnachtsfeier zusammen haben, und natürlich den Gottesdienst zum Jahresausklang am Abend des 31. Dezember, bevor es dann am 1. Januar in den Urlaub nach Deutschland geht.