Tobias Kriener schreibt:
25./26.10.2016
Gestern war ich mit Marije in Nativ HaEsreh, einem Kibbuz direkt an der nördlichen Grenze zum Gazastreifen, der 1982 den Bewohnern der Siedlungen im nördlichen Sinai als Kompensation für deren Räumung im Rahmen des Friedensabkommens mit Ägypten gegeben wurde. Dort wohnt Roni von „Kol acher“ (Other Voice), einer Organisation, die Verbindungen zu Menschen im Gazastreifen aufzubauen und zu pflegen versucht – per Internet und Skype und dadurch, dass man ihnen Permits für den Grenzübertritt verschafft, um ihnen Krankenhausbesuche oder Teilnahme an Konferenzen zu ermöglichen. Roni erzählt beeindruckend von ihrer Zeit in Ägypten in den 80er Jahren – als es noch intensive Kontakte zwischen Israel und Ägypten gab, und ihr Mann als landwirtschaftlicher Berater in Ägypten tätig war. Von daher hat sie die Überzeugung mitgebracht, dass selbst tiefverwurzelte Feindschaften überwunden werden können, wenn man nur beharrlich genug gegen sie angeht. Sie beschreibt uns, unter welchem Stress sie leben, wenn aus dem Gazastreifen heraus die Kassams geschossen werden.
Dennoch hält sie daran fest, dass man den Bewohnern des Gazastreifens eine Zukunft eröffnen muss, damit sich auch für Israel die Gefahr verringert und ein friedliches Zusammenleben möglich wird. Sie erzählt allerdings auch, dass sie die Einzige im Kibbuz ist, die sich bei Kol Acher engagiert. Sie führte uns an einen Aussichtspunkt, von dem aus man in den Gazastreifen sehen kann, und an eine Schutzmauer für die Wohnhäuser direkt an der Grenze, die von einer Künstlerin zu einem „Pfad zum Frieden“ umgestaltet wird. Ein Kontakt, der uns die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen des Studienprogramms auch die gespannte Situation in Gaza und am Gazastreifen den Volos zugänglich zu machen.
Heute dann ein Trip an die nördlichste Grenze Israels: Zunächst fuhren wir zu dem wunderschönen Aussichtspunkt über Tiberias, von dem aus man den ganzen See Genezareth und – bei klarem Wetter – Galiläa, den Golan und den Hermon überblicken kann. Heute war es leider sehr diesig, sodass wir hauptsächlich den Blick hinunter zum See genossen. Dieser Punkt liegt auf einem der „Hörner von Hattin“, zwei Felsvorsprüngen, zwischen denen hindurch das Hauptheer der Kreuzfahrer im Jahr 1187 nach Akko zurück wollte, und hier vom Heer Saladins vernichtend geschlagen wurde. Das „Königreich Jerusalem“ ging danach verloren, und damit war der eigentliche Zweck der Kreuzzüge bereits nach weniger als 100 Jahren verfehlt. Kleinere Kreuzfahrerstaaten an der Küste hielten sich noch ein Jahrhundert, bevor dann mit dem Fall Akkos 1291 die Kreuzfahrerepisode im Nahen Osten endgültig zu Ende ging.
Dann haben wir die schönen Mosaike in der Brotvermehrungskirche bewundert – ein Meisterstück eines Künstlers aus dem 2. oder 3. Jahrhundert. Ich bin ja äußerst ungern pathetisch – aber angesichts dieser feinen Bilder und der unglaublich gekonnten Ausführung bin ich jedesmal von wahrhaftiger Ehrfurcht für diese Kunst erfüllt. Ich stelle mir vor, wie er (oder sie?) wochen- oder gar monatelang daran gearbeitet hat, und wie dann diese Kirche in Gebrauch war – für die Mönche des Konvents, für die Pilger, die sicher seit antiker Zeit hierhergekommen sind. Sie alle hat er mit seiner Kunst auferbaut. Und tut es noch bis heute – wenn auch wahrscheinlich längst nicht alle, die hier täglich durchgeschleust werden und sich viel zu wenig Zeit nehmen, sich in seine Kunst zu vertiefen.
Danach haben wir uns Kapernaum angesehen: Die große Synagoge und die Oktagonkirche über dem Haus der Schwiegermutter des Petrus. An diesem Ort ist das Erstaunliche, das in vorkonstantinischer Zeit die Synagoge sogar der größere Bau in Kapernaum war. Judentum und Christentum waren damals noch gleichrangige Religionen, beide mit prächtigen Gotteshäusern ausgestattet.
Danach war dann ein Bad im See bei Karei Desche angesagt – wunderbar erfrischend. Es sollte allerdings dringend mal regnen, damit man nicht noch weiter laufen muss, um endlich in schwimmbares Wasser zu gelangen.
Und schließlich sind wir noch nach Kirjat Schmonah gefahren, haben dort eine Falafel gegessen, und danach den Aussichtspunkt oberhalb von Kirjat Schmona angesteuert, von dem aus man in den Libanon und nach Syrien (Hermon – heute leider aufgrund der schlechten Sicht nur in Umrissen zu erkennen) rübergucken kann. Hier ist das richtig aufregend, in ein anderes Land zu gucken – die Befestigungsanlagen; die Unmöglichkeit, die Grenze zu überqueren; wenn man am 3-Länder-Eck zwischen z.B. Deutschland, Belgien und Holland stehen würde, würde man nur mit der Schulter zucken.
Die Rückfahrt schließlich war genau so getimed, dass wir die Sonne über Naharijah ins Meer plumpsen sehen konnten – sie fällt wirklich, so rasend schnell geht hier der Sonnenuntergang.
In Nes Ammim angekommen fand ich in der Postbox endlich den Brief von der Deutschen Botschaft vor: Poststempel 11. Oktober – Laufzeit folglich 15 Tage!!!!!
Foto: Mosaik aus der Brotvermehrungskirche; CC BY-SA 3.0 / deror_avi