Tobias Kriener erzählt:
13.3.2017
Jetzt war ich von Donnerstag bis Samstag mit vier Volos beim „Tent of Nations“. Alle paar Monate fahren ein paar Volos da für ein Wochenende hin, um ein bisschen zur Hand zu gehen. Die vier haben meist Gartenarbeit gemacht; ich habe zuerst das Zimmer von der Volontärin gestrichen, die da wohnt und Daoud Nassar (dem „spiritus rector“ des „Tent of Nations“) beim Paperwork unterstützt; danach habe ich rostige Bettenrahmen grün gestrichen, damit es in den Schlafzelten für die Volontäre in der beginnenden Sommersaison ein bisschen nett aussieht. Die Ergebnisse sind in den angehängten Bildern zu bewundern. Man kann sie auch an meinen Händen absehen, die immer noch sehr grün sind von der Farbe (unser Facilities-Manager Sicco hier in NA meinte, beim Streichen ginge es eigentlich darum, die Farbe auf den zu streichenden Gegenstand zu bringen, und weniger auf die eigenen Hände...), und natürlich an meinen Klamotten. Wie gut, dass ich diese alte Hose und den alten Pulli noch nicht weggeschmissen hatte (jetzt klinge ich schon ganz wie Katja...).
Das „Tent of Nations“ ist ein Stück Land kurz vor der Wasserscheide der judäischen Berge, etwa 900 Meter hoch, mit einem Blick nach Westen, der bis ans Mittelmeer nach Aschdod und Aschkalon reicht. Man kann sich an dieser Landschaft gar nicht satt sehen. Wir hatten noch das Glück von außerordentlich wechselhaftem Wetter – wir haben also die ganze Bandbreite geboten bekommen: Am ersten Abend klarer Himmel mit einem gigantischen Sonnenuntergang und in der Dunkelheit dann das Lichtermeer in der Küstenebene. Am nächsten Morgen zunächst strahlender Sonnenschein, bevor es dann vom Mittelmeer her binnen einer Stunde völlig zuzog und wir in Nebel eingeschlossen waren. Später trieb der Wind die Wolken dann wieder ein bisschen weg. Am Abend dann malerisches Gewitter mit zuckenden Blitzen und grollendem Donner – der Wettergott Baal Zaphon sprach sozusagen persönlich mit uns (leider nur mit ein paar Tröpfchen Regen – dieses Jahr hat es im ganzen Land viel zu wenig geregnet – deshalb fast täglich in der Zeitung besorgte Berichte über den Pegelstand des Sees Genezareth; für das „Tent of Nations“ besonders bitter, weil die Wasserversogung dort ganz von den Zisternen abhängig ist, denn die israelische Militärbehörde genehmigt selbstverständlich keinen Wasseranschluss). Und am letzten Vormittag dann fegte der Sturm über den Hügel des „ToN“.
Es ist ein wunderschöner Flecken Erde. Die Arbeit ungewohnt körperlich und daher schon erschöpfend. Die Lebensbedingungen primitivst: Keine Dusche – Komposttoiletten (früher hätten wir dazu „Plumsklo“ gesagt) – keine Tasse mehr vollständig mit Henkel – Schlafstatt auf einer Matratze auf dem Boden im Durchgang. Auf die Dauer sicher nicht möglich, aber für ein Wochenende durchzuhalten. Wenn man den Kontext der angespannten Beziehungen zu den umliegenden israelischen Siedlungen und der über dem ganzen schwebenden Abrissdrohung, weil nichts auf dem Gelände eine Baugenehmigung hat, denn Baugenehmigungen an Palästinenser werden grundsätzlich nicht erteilt in Zone C (wenn doch, dann ist das die große Ausnahme), nicht kennen würde, dann könnte man meinen, man ist auf einem Selbstfindungswochenende. Aber mit dem Kontext im Kopf bekommt der Aufenthalt einen zusätzlichen Sinn als Schutz gegen die Schikanen der Siedler, denen Nassar ausgesetzt war, bevor es ihm gelang, internationales Interesse für seinen Kampf gegen den Landhunger der Siedler zu wecken. Jetzt sind von März bis Oktober ständig Volontäre auf dem Gelände (wir waren dieses Jahr die ersten und noch ganz unter uns – später werden es ständig einige Dutzend sein). Und der Ort wird von zahlreichen Besuchergruppen aufgesucht: Am 2. Tag unseres Aufenthalts waren es deren 3; am letzten Tag 2. Daoud Nassar wird zu Vortragsreisen eingeladen – in ein paar Tagen fliegt er für eine Woche nach Deutschland – u.a. Berlin. Googelt doch mal „Tent of Nations“ – vielleicht findet ihr ja eine Veranstaltung mit ihm in den nächsten Tagen in Norddeutschland oder Berlin).
Mein Eindruck ist gleichwohl: Auf Dauer werden ihm auch die internationalen Besucher nicht helfen können. Ein kleines Detail, das für den langen Hebel spricht, an dem Israel sitzt: Die Zufahrtsstraße, die bislang einige hundert Meter vor dem Tor zum „ToN“-Gelände von der Armee mit Erdaufschüttungen blockiert worden war (der Zustand, den wir noch im Januar beim Westbankseminar vorgefunden hatten), ist nun völlig zerstört. Um zum „ToN“ zu gelangen, muss man jetzt mehrere hundert Meter über den Acker laufen. Einige Besuchergruppen, deren Mitglieder nicht mehr so gut zu Fuß sind, haben deshalb schon abdrehen müssen. Sollte im Zuge der Bauarbeiten zwischen „ToN“ und Straße dieser Zugang völlig abgeschnitten werden, müssten Besucher einen weiten Umweg machen, der erfahrungsgemäß vom Militär immer wieder mit fliegenden Straßensperren dicht gemacht wird. Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass „ToN“ dem Expansionismus der umliegenden Siedlungen zum Opfer fällt – was schon deshalb ein herber Verlust wäre, weil dann eines der Modelle für gewaltlosen Widerstand in der palästinensischen Gesellschaft verschwinden würde. Aber der Eindruck, dass das israelische Militärregime in den besetzten Gebieten es gerade darauf anlegt, um den gewaltlosen Widerstand zu entmutigen, würde ja nicht zum ersten Mal entstehen; mit den dann noch verbleibenden blutrünstigen Terroristen wird man ja viel leichter fertig.
Wir waren rechtzeitig zurück in Nes Ammim, um pünktlich zum Lesen der Estherrolle in der Reformgemeinde in Naharija zu sein – ein vergnügliches Spektakel mit den Verkleideten und dem Krach bei jeder Erwähnung des Namens „Haman“. Köstlich, wie Rabbinerin Ariella die traditionelle Lesemelodie mit schauspielerischen Tonfarbgebungen mischte: einfältig-kleinmädchenhaft für Esther – protzig-bombastisch für Großkönig Achaschverosch. Anschließend gab es Pizza und Softdrinks für alle – für die Volos, die mit waren, eine bittere Enttäuschung, wurde ihnen doch der Genuss des eigentlich halachisch vorgeschriebenen Vollrausches vorenthalten. Als schließlich der DJ die Musik voll aufdrehte, zu der dann ein mehrheitlicher Ü-60-Schwof anhob, musste ich aufgrund meiner Hörprobleme passen. Da Katja seit ein paar Tagen von einem häßlichen Schilschul geplagt wurde, waren wir beide ganz froh, noch einigermaßen zeitig ins Bett zu kommen.