Ein Hilferuf

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


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Große Unruhe herrscht in Frankreich. Die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen wurde von einem unabhängigen Gericht verurteilt. Ihre Anhängerschaft ist empört und protestiert. Es geht nicht um Schuld oder Unschuld. Es geht um die Zukunft des demokratischen Rechtsstaats - nicht nur in Frankreich.

Der Baron von Montesquieu gilt als Erfinder der Gewaltenteilung. Dieser weitgereiste französische Aufklärer des 18. Jahrhunderts überlegte sich, wie Menschen am besten vor staatlicher Willkür zu schützen wären. Er sah die Lösung in einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, die es als dritte Gewalt, neben Legislative und Exekutive, geben sollte.

Gerichte, Gesetzgeber und Regierende sollten gleichermaßen an Gesetze gebunden sein und alle Bürgerinnen und Bürger vor Gericht gleich behandelt werden. Dieses Prinzip ist ein Wesenszug des demokratischen Rechtsstaats, vorausgesetzt, es handelt sich um unabhängige Gerichte.

Wo Menschen auf die Straße gehen, um gegen das Urteil eines unabhängigen Gerichts zu protestieren, müssen alle alarmiert sein, denen der Rechtsstaat am Herzen liegt. In einigen Ländern Europas wird seit Jahren an der Unabhängigkeit der Justiz gerüttelt. So manche Regierung würde am liebsten nur Richter zulassen, die ihr genehm sind. Die Unabhängigkeit der Justiz wird als Störfaktor betrachtet. Nicht nur Diktatoren und Autokraten haben Probleme mit einer unabhängigen Justiz, auch gewählte parlamentarische Mehrheiten akzeptieren nicht gerne, dass ihre Gesetze von einem Verfassungsgericht „kassiert“ werden.

Gerichtsurteile sind nicht das Ergebnis von Meinungsumfragen. Oft sind sie unbeliebt und schwer verständlich. Trotzdem brauchen unabhängige Richterinnen und Richter unsere Unterstützung, wenn Populisten das Vertrauen in eine unabhängige Justiz untergraben. Aus der Heimat des Barons von Montesquieu erreicht uns ein Hilferuf. Wir sollten ihn nicht überhören!


Paul Oppenheim