Erst recht fertig

Einspruch! – Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger


Die Rechtfertigungslehre macht ihrem Namen alle Ehre und erwischt uns doch auf dem falschen Fuß. Das mit der Gnade ist ganz schön verzwickt.

Martin Luther habe sich einen gnädigen Gott gedacht, so wird oftmals kolportiert. Das klingt so oder soll so klingen, als habe sich der Wittenberger Reformator erst mit Schuldgefühlen herumgequält und dann – schnipp! – eine Lösung für sein Problem darin gefunden, dass man an die Gnade Gottes nur glauben müsse. Das ist natürlich genauso Quatsch wie die Behauptung, Luther oder er zusammen mit den anderen Reformatoren hätten die Rechtfertigungslehre erfunden und sie hätte von da an ihren Siegeszug durch die Welt angetreten.

Ausformuliert hat sie schon seinerzeit der Apostel Paulus. Angelegt ist sie bereits im Alten Testament und zwar auch in dessen ältesten Texten, den Psalmen. Und erfunden hat sie – wenn überhaupt einer – dann Gott selbst vor allen Zeiten.

Denn es geht letzten Endes um die einfache Wahrheit, dass Gott souverän ist. Er lässt sich nicht erpressen und nicht umschmeicheln und er hat etwas mit dieser Welt vor. Was es genau ist, werden wir zeitlebens nie erfahren und deshalb können wir auch niemals exakt danach leben. Aber wir können daran glauben, dass Gott unser Bemühen fördert und tatsächlich etwas Gutes daraus werden lässt.

So lehrreich die Rechtfertigung auch formuliert werden mag – jüngst in dem Grundlagentext zum Reformationsjubiläum „Rechtfertigung und Freiheit“ – so entscheidend bleibt immer, was davon gelebt wird. Und das ist unter dem Strich wahrscheinlich immer gleich wenig und gleich viel.

Zu jeder Zeit gibt es Menschen, die die Schuld an Allem bei Anderen suchen. Und zu jeder Zeit gibt es Menschen, die sich für die alleinigen Gestalter ihres Lebens halten und sich in das Leben Anderer auch noch gerne einmischen.

Angesichts dessen könnte man verzweifeln. Reden und predigen wir da nicht gegen Wände? Über Jahrhunderte und Jahrtausende und es ändert sich doch nichts!

Die Lösung liegt in der Frage selbst. Würden wir die Erkenntnis der freien Gnade Gottes an ihrem Erfolg messen, würden wir genau das tun, was eben nichts mit Gottvertrauen zu tun hat. Weder die Gnade Gottes selbst noch die Rede darüber ist nach menschlichen Maßstäben messbar.

Deshalb erst recht! Die Rechtfertigung hat eine Faszination. Sonst wäre die Bibel und die Literatur nicht voll von Geschichten mit eben dieser Pointe, dass es nicht die Entscheidungen von uns Menschen sind, sondern die Fügungen Gottes, die etwas voranbringen. Und es faszinieren uns die Geschichten von Menschen, die sich von Zwängen und Anforderungen frei machen und Gott die Regie überlassen – von Menschen eben die im positiven Sinn des Wortes fertig sind.

Ja, so recht fertig möchte ich sein, gnädiger Gott!

Georg Rieger, 28. Mai 2014