Etwas versäumt?
Perspektivwechsel
Nachdem wochenlang keine Gottesdienstbesuche möglich waren, werden die Kirchen von vielen Seiten kritisiert. Auch kirchenintern regt sich Unmut über den Umgang mit der Pandemie. Es habe zu wenig Protest gegen die Einschränkung der Religionsfreiheit gegeben. Die Kirchen hätten ihren Mitgliedern und der Gesellschaft nichts zu sagen gehabt und hätten sich für vereinsamte Menschen in Heimen nicht genügend eingesetzt.
Tatsächlich waren in den Corona-Talkshows kirchliche und seelsorgerliche Themen unterbelichtet. Aber standen die kirchlichen Vertreter*innen wirklich nicht bereit oder wurden sie einfach nicht eingeladen? Schwierig wird es, wenn die mediale Aufmerksamkeit der alleinige Gradmesser für Geleistetes und Versäumtes wird.
Aus diakonischer Sicht ist zum Beispiel die Isolation Älterer und Sterbender ein Ding der Unmöglichkeit. Vor Ort und in den einzelnen Fällen wird es an Protest auch nicht gefehlt haben. Doch die Problematik ist nicht einfach und den Einrichtungen muss zugestanden werden, dass sie eine riesige Verantwortung zu tragen haben und eine Verbreitung des Virus verhindern müssen.
Dasselbe gilt für Kirchen, die ihre Türen geschlossen hatten und jetzt immer noch nur mit Abstands- und Hygienemaßnahmen geprägte Gottesdienste anbieten können. Die Religionsfreiheit ist da nicht eingeschränkt, wo für die Gesundheit von Menschen Verantwortung übernommen wird. Man könnte sogar sagen, sie wird da in ihrer ureigensten Bedeutung praktiziert.
Georg Rieger, Nürnberg