16 | 31 | 46 | 61 | 73 | 85 | 100 | 115 | |
17 | 32 | 47 | 62 | 74 | 86 | 101 | 116 | |
18 | 33 | 48 | 63 | 75 | 87 | 102 | 117 | |
19 | 34 | 49 | 64 | 76 | 88 | 103 | 118 | |
20 | 35 | 50 | 65 | 77 | 89 | 104 | 119 | |
21 | 36 | 51 | 66 | 78 | 90 | 105 | 120 | |
22 | 37 | 52 | 91 | 106 | 121 | |||
23 | 38 | 53 | 92 | 107 | 122 | |||
24 | 39 | 54 | 93 | 108 | 123 | |||
25 | 40 | 55 | 67 | 79 | 94 | 109 | 124 | |
26 | 41 | 56 | 68 | 80 | 95 | 110 | 125 | |
27 | 42 | 57 | 69 | 81 | 96 | 111 | 126 | |
28 | 43 | 58 | 70 | 82 | 97 | 112 | 127 | |
29 | 44 | 59 | 71 | 83 | 98 | 113 | 128 | |
30 | 45 | 60 | 72 | 84 | 99 | 114 | 129 |
Die 129 Fragen des Heidelberger Katechismus - ohne die Antworten!
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1. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
2. Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst?
3. Woher erkennst du dein Elend?
4. Was fordert denn Gottes Gesetz von uns?
5. Kannst du das alles vollkommen halten?
6. Hat denn Gott den Menschen so böse und verkehrt erschaffen?
7. Woher kommt denn diese böse und verkehrte Art des Menschen?
8. Sind wir aber so böse und verkehrt, dass wir ganz und gar unfähig sind zu irgendeinem Guten und geneigt zu allem Bösen?
9. Tut denn Gott dem Menschen nicht Unrecht, wenn er in seinem Gesetz etwas fordert, was der Mensch nicht tun kann?
10. Will Gott diesen Ungehorsam ungestraft lassen?
11. Ist denn Gott nicht auch barmherzig?
12. Wenn wir also nach dem gerechten Urteil Gottes schon jetzt und ewig Strafe verdient haben, wie können wir dieser Strafe entgehen und wieder Gottes Gnade erlangen?
13. Können wir aber selbst für unsere Schuld bezahlen?
14. Kann aber irgendein Geschöpf für uns bezahlen?
15. Was für einen Mittler und Erlöser müssen wir denn suchen?
16. Warum muss er ein wahrer und gerechter Mensch sein?
17. Warum muss er zugleich wahrer Gott sein?
18. Wer ist denn dieser Mittler, der zugleich wahrer Gott und ein wahrer, gerechter Mensch ist?
19. Woher weißt du das?
20. Werden denn alle Menschen wieder durch Christus gerettet, so wie sie durch Adam verloren gegangen sind?
21. Was ist wahrer Glaube?
22. Was ist für einen Christen notwendig zu glauben?
23. Wie lautet dieses Glaubensbekenntnis?
24. Wie wird das Glaubensbekenntnis eingeteilt?
25. Warum nennst du denn drei: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, wo doch Gott nur einer ist?
26. Was glaubst du, wenn du sprichst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde“?
27. Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes?
28. Was nützt uns die Erkenntnis der Schöpfung und Vorsehung Gottes?
29. Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt „Heiland“ genannt?
30. Glauben denn auch die an den einzigen Heiland Jesus, die Heil und Seligkeit bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo suchen?
31. Warum wird er Christus, das heißt „Gesalbter“ genannt?
32. Warum wirst aber du ein Christ genannt?
33. Warum heißt Jesus Christus „Gottes eingeborener Sohn“, da doch auch wir Kinder Gottes sind?
34. Warum nennst du ihn „unseren Herrn“?
35. Was bedeutet: „Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“?
36. Was nützt es dir, dass er durch den heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren ist?
37. Was verstehst du unter dem Wort „gelitten“?
38. Warum hat er unter dem Richter Pontius Pilatus gelitten?
39. Bedeutet sein Tod am Kreuz mehr, als wenn er eines anderen Todes gestorben wäre?
40. Warum hat Christus den Tod erleiden müssen?
41. Warum ist er begraben worden?
42. Warum müssen wir noch sterben, obwohl Christus für uns gestorben ist?
43. Welchen weiteren Nutzen haben wir aus Opfer und Tod Christi am Kreuz?
44. Warum folgt „abgestiegen zu der Hölle“?
45. Was nützt uns die Auferstehung Christi?
46. Wie verstehst du, dass es heißt „aufgefahren in den Himmel“?
47. Ist denn Christus nicht bei uns bis ans Ende der Welt, wie er uns verheißen hat?
48. Werden aber auf diese Weise nicht Gottheit und Menschheit in Christus voneinander getrennt, wenn er nach seiner menschlichen Natur nicht überall ist, wo er nach seiner Gottheit ist?
49. Was nützt uns die Himmelfahrt Christi?
50. Warum wird hinzugefügt „er sitzt zur Rechten Gottes“?
51. Was nützt uns diese Herrlichkeit unseres Hauptes Christus?
52. Was tröstet dich die Wiederkunft Christi, „zu richten die Lebenden und die Toten“?
53. Was glaubst du vom heiligen Geist?
54. Was glaubst du von der „heiligen allgemeinen christlichen Kirche“?
55. Was verstehst du unter der „Gemeinschaft der Heiligen“?
56. Was glaubst du von der „Vergebung der Sünden“?
57. Was tröstet dich die „Auferstehung der Toten“?
58. Was tröstet dich die Verheißung des ewigen Lebens?
59. Was hilft es dir aber nun, wenn du das alles glaubst?
60. Wie bist du gerecht vor Gott?
61. Warum sagst du, dass du allein durch den Glauben gerecht bist?
62. Warum können denn unsere guten Werke uns nicht ganz oder teilweise vor Gott gerecht machen?
63. Verdienen aber unsere guten Werke nichts, obwohl Gott sie doch in diesem und dem zukünftigen Leben belohnen will?
64. Macht aber diese Lehre die Menschen nicht leichtfertig und gewissenlos?
65. Wenn nun allein der Glaube uns Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten gibt, woher kommt solcher Glaube?
66. Was sind Sakramente?
67. Sollen denn beide, Wort und Sakrament, unseren Glauben auf das Opfer Jesu Christi am Kreuz als den einzigen Grund unserer Seligkeit hinweisen?
68. Wieviel Sakramente hat Christus im Neuen Testament eingesetzt?
69. Wie wirst du in der heiligen Taufe erinnert und gewiss gemacht, dass das einmalige Opfer Christi am Kreuz dir zugut kommt?
70. Was heißt, mit dem Blut und Geist Christi gewaschen sein?
71. Wo hat Christus verheißen, dass wir so gewiss mit seinem Blut und Geist wie mit dem Taufwasser gewaschen sind?
72. Ist denn das äußerliche Wasserbad selbst die Abwaschung der Sünden?
73. Warum nennt denn der Heilige Geist die Taufe das „Bad der Wiedergeburt“ und die „Abwaschung der Sünden“?
74. Soll man auch die kleinen Kinder taufen?
75. Wie wirst du im heiligen Abendmahl erinnert und gewiss gemacht, dass du an dem einzigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gaben Anteil hast?
76. Was heißt, den gekreuzigten Leib Christi essen und sein vergossenes Blut trinken?
77. Wo hat Christus verheißen, dass er die Gläubigen so gewiss mit seinem Leib und Blut speist und tränkt, wie sie von diesem gebrochenen Brot essen und von diesem Kelch trinken?
78. Werden denn Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt?
79. Warum nennt denn Christus das Brot seinen Leib und den Kelch sein Blut oder nennt den Kelch den neuen Bund in seinem Blut, und warum spricht Paulus von der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Jesu Christi?
80. Was ist für ein Unterschied zwischen dem Abendmahl des Herrn und der päpstlichen Messe?
81. Welche Menschen sollen zum Tisch des Herrn kommen?
82. Dürfen aber zum heiligen Abendmahl auch solche zugelassen werden, die sich in ihrem Bekenntnis und Leben als Ungläubige und Gottlose erweisen?
83. Was ist das Amt der Schlüssel?
84. Wie wird das Himmelreich durch die Predigt des heiligen Evangeliums auf- und zugeschlossen?
85. Wie wird das Himmelreich durch die christliche Bußzucht zu- und aufgeschlossen?
86. Da wir nun aus unserm Elend ganz ohne unser Verdienst aus Gnade durch Christus erlöst sind, warum sollen wir gute Werke tun?
87. Können denn auch die selig werden, die sich von ihrem undankbaren, unbußfertigen Leben nicht zu Gott bekehren?
88. Worin besteht die wahrhaftige Buße oder Bekehrung des Menschen?
89. Was heißt Absterben des alten Menschen?
90. Was heißt Auferstehen des neuen Menschen?
91. Was sind denn gute Werke?
92. Wie lautet das Gesetz des HERRN?
93. Wie werden diese Gebote eingeteilt?
94. Was fordert der Herr im ersten Gebot?
95. Was ist Götzendienst?
96. Was will Gott im zweiten Gebot?
97. Darf man denn gar kein Bild machen?
98. Dürfen denn nicht die Bilder als „der Laien Bücher“ in den Kirchen geduldet werden?
99. Was will Gott im dritten Gebot?
100. Ist es denn eine so schwere Sünde, Gottes Namen mit Schwören und Fluchen zu lästern, dass Gott auch über die zürnt, die nicht alles tun, um es zu verhindern?
101. Darf man aber überhaupt bei dem Namen Gottes einen Eid schwören?
102. Darf man auch bei den Heiligen oder anderen Geschöpfen schwören?
103. Was will Gott im vierten Gebot?
104. Was will Gott im fünften Gebot?
105. Was will Gott im sechsten Gebot?
106. Redet denn dieses Gebot nur vom Töten?
107. Haben wir das Gebot schon erfüllt, wenn wir unseren Nächsten nicht töten?
108. Was will Gott im siebenten Gebot?
109. Verbietet Gott in diesem Gebot allein den Ehebruch?
110. Was verbietet Gott im achten Gebot?
111. Was gebietet dir aber Gott in diesem Gebot?
112. Was will Gott im neunten Gebot?
113. Was will Gott im zehnten Gebot?
114. Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten?
115. Warum lässt uns Gott denn die zehn Gebote so eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann?
116. Warum ist den Christen das Gebet nötig?
117. Was gehört zu einem Gebet, damit es Gott gefällt und von ihm erhört wird?
118. Was hat uns Gott befohlen, von ihm zu erbitten?
119. Wie lautet dieses Gebet
120. Warum hat uns Christus befohlen, Gott so anzureden: „Unser Vater“?
121. Warum wird hinzugefügt: „im Himmel“?
122. Was bedeutet die erste Bitte: „Geheiligt werde dein Name“?
123. Was bedeutet die zweite Bitte: „Dein Reich komme“?
124. Was bedeutet die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“?
125. Was bedeutet die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“?
126. Was bedeutet die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“?
127. Was bedeutet die sechste Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“?
128. Wie beschließt du dieses Gebet: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“?
129. Was bedeutet das Wort: „Amen“?
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Frage 86
Predigt von Prof. em. Dr. Micha Brumlik, Berlin
Es ist jetzt etwas mehr als zwei Wochen her, daß Jüdinnen und Juden in aller Welt „Ssimchat Tora“ gefeiert haben – das Fest der Torafreude. Keineswegs nur in Antwerpen oder Jerusalem, nein auch in Berlin sind Juden, fröhlich tanzend mit festlich gekleideten und gekrönten Torarollen durch die Strassen gezogen.
„Ssimchat Tora“ – das Fest der Torafreude oder – zu Deutsch – das „Fest der Gesetzesfreude.“ Das klingt - das ist einzuräumen - für protestantische, auf jeden Fall für lutherische Ohren befremdlich. Was gibt es am Gesetz zu feiern, an von Menschen nicht einzuhaltenden Normen, die ihn einzig seiner Sündhaftigkeit und seines Ungenügens überführen?
Ich komme darauf zurück – doch wollen wir zunächst einen Blick auf die Geschichte dieses jüdischen Festes werfen, das so in der gefeierten Tora auch gar nicht vorkommt.
Bekanntlich zeichnet sich der jüdische Gottesdienst seit mindestens zweitausend Jahren dadurch aus, daß in ihm Shabbat für Shabbat ein Abschnitt aus den fünf Büchern Mose, der Tora gelesen wird. Es liegt in der Logik der Sache, daß die Gemeinde damit einmal zu einem Ende und – ebenfalls damit – zu einem neuen Anfang kommt. Die fünf Bücher Moses beginnen – das ist bekannt – mit der Schöpfungsgeschichte und enden – das ist minder bekannt – mit dem Buch Deuteronomium, Kapitel 33 und 34:
„Im Anfang“ so beginnt die Tora „schuf Gott Himmel und Erde“ – während sie mit den Segnungen Moses über Israel und dem Bericht über Moses Tod im Lande Moab endete. Die letzten Verse der Tora aber lauten: „Und in Israel ist nie mehr ein Prophet aufgetreten wie Mose, den der Herr kannte von Angesicht zu Angesicht...mit all den grossen und furchtbaren Taten, die Moses vor den Augen ganz Israels vollbracht hat.“
Je nachdem, wie lange die jeweiligen Wochenabschnitte, die paraschot ha shavua sind, dauert es demnach, bis ein Lesezyklus vollendet ist. Das rabbinische Judentum hat seit der späten Antike festgelegt, daß der Zyklus dieser Toralesungen dem Zyklus des liturgischen Jahres folgt: Ssimchat Tora folgt auf das Laubhüttenfest, das wiederum unmittelbar an das herbstliche Neujahrsfest, ursprünglich ein Erntedankfest sowie den Versöhnungstag anschließt. Sukkot schließlich, das Laubhüttenfest, in dem fromme Juden während einer ganzen Woche ihre Mahlzeiten nur in einer Laubhütte zu sich nehmen, das Laubhüttenfest, das an die vierzigjährige Wanderung Israels durch die Wüste erinnert. Die Lesung von Gottes Wort endet in der Synagoge mit der Zeit des Erntedankes und beginnt mit ihm.
Das Fest der Gesetzesfreude „Ssimchat Tora“ selbst ist nicht biblischen Ursprungs, hat seine Vorläufer freilich im Talmud, jener in der späten Antike niedergeschriebenen Kommentierung und Diskussion der mündlichen Lehre. Dort, im Traktat „Megilla“ (zu deutsch „Die Schriftrolle“) wird vorgeschlagen, welche Abschnitte zu welcher Zeit zu lesen sind. Mittelalterliches, rabbinisches Schrifttum erwähnt, daß die Lesung des Buches Genesis, Bereshit, im unmittelbaren Anschluß an die Lesung der letzten Abschnitte dem Zweck dient, den Satan zu widerlegen, der sonst behaupten könnte, die Juden seien vor allem darüber froh, die jährliche Lesung beendet zu haben. Das Fest entstand wahrscheinlich im Gebiet des heutigen Irak und ist seit dem vierzehnten Jahrhundert im deutschsprachigen Mitteleuropa, in Aschkenas bezeugt. Als Freudenfest umfasst es nicht nur Umzüge, sondern auch eine besondere Hinwendung zu Kindern, die an diesem Tag, ohne doch schon religiös volljährig zu sein, der Tora nahe sein dürfen und die darüber hinaus mit Süssigkeiten beschenkt werden. Am Ssimchat Tora zeigen alle Gemeinden Israels ihre Freude und ihren Dank darüber, die Tora, Gottes gute Weisung, empfangen zu haben. Ssimchat Tora erweist sich damit als ein spirituelles Erntedankfest.
Jüdinnen und Juden aber sind jederzeit für die Gabe der Tora dankbar: An jedem Shabbat, nach der Lesung eines Wochenabschnitts sagen die Aufgerufenen einen Segensspruch:
„Baruch ata adonai, eloheinu melech ha olam, ascher natan lanu torat emet we chajei olam natan betokejnu“, zu deutsch: Gelobt seist Du Gott, unser Gott, König der Welt, der Du uns deine Weisung der Wahrheit gegeben und damit Leben der Welt unter uns gepflanzt hast.“
Eine größere Distanz zwischen evangelischen Christen und Juden als die, die in diesem Segen damit zum Ausdruck kommt, scheint gar nicht denkbar. Haben nicht zumal die Reformatoren unter Bezug auf den Apostel Paulus – ob er einfach ein hellenistischer Jude oder wirklich einer der ersten Christen war, lasse ich hier dahingestellt – immer wieder betont, daß das Gesetz ein Fluch sei, geradezu tödlich und daß einzig alleine die Heilstaten Jesu von diesem Fluch durch Gnade befreien und gerecht machen können.
Freilich: so eindeutig sind die Dinge nicht: „es fand sich“ heißt es im Römerbrief, Kapitel 7, „daß das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. Denn die Sünde nahm Ursache am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot. Das Gesetz ist ja heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.“ Vor allem im lutherischen Protestantismus (ob Luther selbst dieser Überzeugung war, wäre zu diskutieren) sind diese Verse so gedeutet wurden, als ob es einen diametralen Gegensatz zwischen „Gesetz“ und „Evangelium“ gäbe und zwar so, daß am Ende das „Gesetz“ die Ursache von Sünde und Tod sei. Genau das aber ist den zitierten Passagen aus dem Brief an die Römer nicht zu entnehmen, im Gegenteil:
Paulus beglaubigt, wie das auch heute Jüdinnen und Juden tun, daß das Gesetz, die Tora zum Leben gegegeben ward. Es war die Sünde, die – so die Übersetzung der Zürcher Bibel – die die Gelegenheit nutzte, die ihr das Gebot gab, ihn Paulus zum Tode zu führen – warum? Weil erst durch den Hinweis des Gebotes deutlich wurde, daß manches Begehren sündig ist. Anders als die lutheranische Deutung meint, ist also nicht das Gesetz die Ursache des Todes, sondern die Sünde. Freilich: das Gesetz wird deshalb als schmerzlich erfahren, weil es das Begehren als das zeigt, was es oft ist: als Sünde.
Der mehr als vierhundert Jahre alte Heidelberger Katechismus hat sich dieses Themas angenommen und fragt am vierten Sonntag in seiner neunten Frage: „Tut denn Gott dem Menschen nicht Unrecht, wenn er in seinem Gesetz etwas fordert, was der Mensch nicht tun kann? Und antwortet folgendermaßen: „Nein, sondern Gott hat den Menschen so erschaffen, daß er es tun konnte. Der Mensch aber – so argumentiert der Katechismus nun – vom Teufel angestiftet, hat sich und alle seine Nachkommen durch mutwilligen Ungehorsam der Gabe Gottes beraubt.“
Tatsächlich, im Buch Deuteronomium 30, 11/12, und darauf nimmt der erste Teil der Antwort bezug, heißt es ganz unmißverständlich: „Denn dieses Gebot, das ich dir heute gebe, ist nicht zu schwer für dich und nicht zu fern, es ist nicht im Himmel, so dass du sagen müsstest: wer steigt für uns in den Himmel und holt es und verkündet es uns, damit wir danach handeln können. Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer und holt es uns und verkündet es, damit wir danach handeln können? Sondern nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, so dass du danach handeln kannst.“
Im Judentum, im rabbinischen Judentum erfüllt der Versöhnungstag, der Jom Kippur, die Funktion, die der im neuen Testament und seinen Auslegern postulierte Sühnetod Jesu erfüllt, allerdings so, daß er Jüdinnen und Juden selbst Mitwirkung und Verantwortung für die Befreiung von der Last ihrer Sünden einräumt:
„Übertretungen zwischen einem Menschen und Gott“ heißt es in der Mischna, im Traktat „Joma“ „sühnt der Versöhnungstag, Übertretungen zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nur, wenn er sich mit seinem Nächsten vorher versöhnt hat.“ Daraus hat der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas geschlossen, daß das Judentum eine „Religion für Erwachsene“ sei.
Der Heidelberger Katechismus konnte diesen Weg nicht gehen und fragt am Ende noch einmal: „Warum läßt Gott denn die zehn Gebote so eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann“? um zu antworten, daß diese Predigt dazu anhält, umso begieriger Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit in Christus zu suchen. Dann aber verweist der Katechismus die Gläubigen auf das Jenseits: „daß wir, je länger, je mehr zum Ebenbilde Gottes erneuert werden, bis wir nach diesem Leben das Ziel der Vollkommenheit erreichen.“
Das Judentum, und das ist der Liturgie des Jom Kippur zu entnehmen, geht anders davon aus, daß die Menschen tatsächlich sündigen und zwar alle, schließt aber gleichwohl nicht aus, daß sie bereits in diesem Leben weitestgehend gerecht, sündenfrei leben können. Die Sünde – so könnte man in der Sprache der modernen Sozialwissenschaft sagen – ist eine allgemein verbreitete, aber eben doch empirische Tatsache und kein Fluch, der allen Menschen anhaften muß, bis sie im Jenseits sind. Um im nächsten Jahr ein besserer Mensch zu sein, ein besseres Leben zu führen, fleht die betende Gemeinde im Schlußgebet, dem Neilagebet des Jom Kippur um Gottes Hilfe:
„Unser Vater, unser König, sei gnädig mit uns und antworte uns, denn wir haben keine verdienstvollen Taten, erweise uns Milde und Liebe und hilf uns.“ Hilf uns, so können wir das jetzt vervollständigen, hilf uns, deine guten Weisungen, diesen Weg zum Leben, zu erfüllen. Das Judentum hält die Menschen für fähig, Gottes Weisungen mit seiner Hilfe erfüllen zu können und kann darum auch keinen Gegensatz zwischen Tora und Gottes Gnade erkennen. Die Tora selbst ist Gnade, ein Weg zum Leben. Genau dem gilt die Freude des Ssimchat Tora.
Predigt gehalten am 13. Oktober 2013 im Rahmen einer Predigtreihe zum Heidelberger Katechismus in der St. Katharinenkirche in Frankfurt am Main.