Friede sei mit euch! - Nehmt hin den heiligen Geist!

Andacht zu Johannes 20,19-23

Giovanni Fonduli: Christus-Statue © Wikimedia

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Johannes 20, 19-23

Die Jünger und Jüngerinnen haben Angst - Angst vor anderen Menschen, vor anders denkenden, anders glaubenden Menschen. In ihrer Angst haben sie sich eingeschlossen, in ihrer Angst haben sie sich den anderen gegenüber verschlossen, haben sich unzugänglich gemacht. Durch einen gemeinsamen Feind - oder nur ein gemeinsames Feindbild? halten sie sich zusammen und verbunden in doppeltem Sinn: sie schaffen sich dadurch Gemeinschaft - und engen sich ein, kapseln sich ab: wir sind wir, wir sind wer, wir wissen, was und wie es richtig ist. Die anderen?

Na ja. Solange die nicht so denken, glauben, leben wie wir, sind sie unsere Feinde. Und vor Feinden muss man sich hüten, sie muss man fürchten. Wir haben ja erlebt, wie sie sein können, wozu sie fähig sind. Sie haben ihr Gesetz, und wer dem Gesetz nicht entspricht, ist dran. So schafft Angst Feinde - und Feinde schaffen Angst usw. - eine endlose Spirale, und es ist gleichgültig, ob zuerst die Feinde da sind oder zuerst die Angst: haben Menschen die Spirale erst einmal in Gang gesetzt, gibt es kein Halten mehr.

Es sei denn, es käme jemand in die Verschlossenheit hinein, durch die Abschottung, den Panzer hindurch; es sei denn, jemand hätte den Schlüssel, um die Verschlossenheit zugänglich zu machen: Friede sei mit Euch! Das heißt aber, sie haben ihn nicht, den Frieden: sich verschließen, sich absondern, einkapseln, sich abschotten, einen Panzer anlegen ist unfriedliches Verhalten. Denn Friede - Schalom - ist auf Gemeinschaft aus. Friede sei mit Euch - in Euch je einzelnen: Gemeinschaft der verschiedenen Seiten, die ich habe, auch meiner Schattenseiten, jener Seiten, die ich bei mir selbst nicht zulasse, nicht wahrhaben will, die ich bei mir ausschließe, obwohl sie in mir, sind; Friede unter den vielen Gestalten, die mir im Nacken sitzen, im Kopf herumspucken, die in mir miteinander kämpfen müssen, weil ich einige von ihnen unterdrücke, leugne, vergewaltige.

Ich werde frei von ihnen und komme zu mir selbst, wenn ich sie in mir leben lasse: dann sind sie zufrieden und lassen mich in Frieden. Wenn nicht, machen sie mir Angst, machen sie mich verschlossen und versperren mir den Zugang zu mir - und damit zu anderen. Friede sei mit Euch - untereinander: Gemeinschaft so verschiedener Menschen, wie wir sind; einander sein lassen, voneinander lassen, andere, anderes zulassen. Die Anderen und ihr Anderssein ertragen, tragen. Hinnehmen, dass manche mich mögen und manche nicht, dass ich manche mag und manche nicht, und Vielen bin ich, Viele sind mir gleichgültig. Ich muss nicht alle lieben, und nicht müssen mich alle lieben. Wege suche, miteinander auszukommen.

Ein solcher Weg kann nicht sein, sich zu verschließen - einzeln oder als Gruppe, der Weg kann nicht sein, Panzer anzulegen oder aufzufahren. Ein solcher Weg kann sein, einander offen aus dem Weg zu gehen - ein anderer, aufeinander zuzugehen. So kann Verschlossenheit zu Aufgeschlossenheit werden, langsam oder auch plötzlich; wer zugänglich geworden ist, kann auf andere zuqehen, wer Frieden empfangen hat, kann ihn geben: wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Unterwegs als Friedensapostel und Friedensapostelinnen, das erfordert Kraft, die aus dem Frieden kommt, den ich habe und gebe.

Wichtig: Das Trennende trennend sein lassen, das Andere anders, das Fremde fremd - und es hinnehmen, vielleicht auch annehmen. Und nicht: Du bist, bist nicht; Du hast, hast nicht; Du muss unbedingt und Du darfst aber nicht. Das hieße: den Anderen, die Andere meinem Bilde anqleichen und aus Abweichungen und Unterschieden Vorwürfe machen; das hieße, Trennendes dem und der Anderen als deren Schuld vor- und festzuhalten, ihre Fremdheit, ihr Anderssein als Sünde und diese nicht zu erlassen. Was ich als anders erlebe als mir bekannt, was mir fremd ist, was mich trennt, liegt an meinem Sosein, meinem Gewordensein - und nicht an dem Anderen, dem Fremden, dem Trennenden.

Nur dann kann ich Trennendes überwinden, Fremdes kennen lernen, anderes vergleichen, wenn ich es lasse, wie es ist, hinnehme, annehme - und es dem, der Anderen, den Fremden erlasse, so werden zu sollen, wie ich meine, dass sie sein müssten. Es liegt bei mir, ob ich den Anderen, die Andere bei ihrem Fremdsein, bei dem, was uns trennt, festhalte, behafte - oder ob ich, was mir bei anderen fremd ist, lasse, zulasse, sein lasse.

Christus sagt: Friede sei mit Euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich Euch. Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie festhaltet, denen sind sie festgehalten.


Paul Kluge, Pfr. i.R., Leer