Gott verschenkt sich an uns - Predigt am 1. Weihnachtstag

Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel


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Von Pfr. Wolfram Kötter, Herford

Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott von wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater.
Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.
(...)
aus dem Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381)

Liebe Gemeinde,

Weihnachten ruft ja ganz unterschiedliche Erinnerungen wach. Je älter ich werde, so lebendiger werden die Erinnerungen, als unsere Kinder noch kleiner waren. Doch in gleicher Weise lebendig werden die Erinnerungen aus meiner Jugendzeit – bestimmt hängt das damit zusammen, dass unsere Ältesten, Lucas und Clara, jetzt in dieses Alter kommen bzw. in diesem Alter sind, wo man gegen jeden und jedes ist und erst Recht, wenn die Eltern dafür sind. Das reicht ja schon aus, um dagegen zu sein.

Aber ich erinnere mich auch, dass wir etwa in den Gottesdiensten an den so genannten hohen Fest- und Feiertagen das so genannte Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel gesprochen haben. Ein Bekenntnis, das schon im Jahre 381 formuliert worden ist. Dieses Glaubensbekenntnis verbindet die gesamte Christenheit. Das kam mir in diesen Tagen in den Sinn, als ich nachdachte über die Vorbereitung für die heutige Predigt. Und ich erinnere mich, dass mich dieser Text als Jugendlicher besonders beeindruckt hat. Es war die Feierlichkeit der Sprache, die natürlich auch zusammenhing mit den besonderen Gottesdienstanlässen.

Ich habe diese Tage diesen Bekenntnistext wieder hervorgekramt und stelle ihn in den Mittelpunkt unseres Nachdenkens. Ein Bekenntnis, das über 1.600 Jahre alt ist. Wie oft mag dieses Glaubensbekenntnis gesprochen sein im Laufe seiner Geschichte. Das machen wir uns heute ja gar nicht deutlich, für wie viele Menschen ein solches Bekenntnis für ihren Glauben wichtig gewesen ist. Für die unter Ihnen, die den Text mitlesen möchten, sei gesagt, dass wir ihn unter der Nummer 854 (S.1310) im Gesangbuch finden. Ich beschränke mich aus Teile aus dem 2. Artikel.

Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit.

Wir haben, liebe Gemeinde, das apostolische Glaubensbekenntnis, also das Bekenntnis, das wir vorhin gesprochen haben, noch im Ohr. Es formuliert: ich glaube. Und es meint damit, dass der Glaube zwar immer persönlich, aber nie privat ist. Hier heißt es: wir glauben. Dieses „Wir“ macht sofort deutlich: Glauben kann man nie allein, der Glaube sucht immer die Gemeinschaft. Wenigstens „zwei“ sollten es sein, sagt Jesus. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen!“

Gottesdienst lässt sich nicht allein feiern und diese alt vertraute Ausrede: „Ich gehe in den Wald und feiere dort mit meinen Gott Gottesdienst!“ ist zumindest mit diesem Glaubensbekenntnis nicht zulässig. Der Glaube drängt in die Gemeinschaft und er braucht die Gemeinschaft. Der Glaube braucht - auch wenn wir es vielleicht gar nicht so gern hören - die Kirche, nicht die Verwaltungskirche, aber die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen; nicht die Kirche als Raum, aber die Kirche als die Versammlung der Gläubigen. Ich kann nicht für mich allein Christ sein, darum: wir glauben.

Wir glauben an den EINEN Herrn Jesus Christus. Der Glaube an den einen Herrn Jesus Christus! Wer sich in der Geschichte des Protestantismus und dann noch einmal genauer in der Geschichte der Bekennenden Kirche auskennt, weiß, dass genau diese Formulierung eine wesentliche Rolle gespielt hat bei der so genannten 2. These der Barmer Theologischen Erklärung. Diese Erklärung ist eines der wesentlichen Lehrzeugnisse des 20. Jahrhunderts und wurde auf der Bekenntnissynode von Barmen 1934 verabschiedet. Entstanden als eine Form des Widerstandes gegen die NS-Diktatur.

In der ev.- reformierten Kirche hat diese Erklärung den Rang einer Bekenntnisschrift. In der 2. These wird formuliert und einige unter uns werden sich erinnern an die Abendmahlsworte, die wir sprechen: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben. … Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären. …“ Wir glauben an den EINEN Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde, bis auf den heutigen Tag und jeden Tag wiederum neu werden wir gefragt, ob wir neben Jesus Christus anderen Herren oder Mächten gehorchen. Werden wir gefragt, ob Jesus Christus unser einziger Trost im Leben und im Sterben ist. Und darum ist der Glaube immer auch eine Bekenntnisfrage: „Bekennst du dich zu dem, an den du glaubst? Glaubst du dem Kind in der Krippe, dessen irdischer Weg am Kreuz endete und dessen Leben in Gott einen neuen Anfang nahm und bekennst du dich zu ihm? Oder gibt es in deinem Leben noch andere Herren, andere Mächte? Dinge, Angewohnheiten, Süchte, die dir nicht nur das Herrsein Christi streitig machen, sondern soviel Macht über dich haben, dass du als Christ fremdbestimmt bist?“

Diese Frage, liebe Gemeinde, nach dem, was bzw. wer Herr ist über uns, ist durchaus die Frage des Kindes in der Krippe. Wenn er später erwachsen sein wird, wird er seine Nachfolger fragen bzw. ihnen sagen: Niemand kann zwei Herren dienen. … Du kannst nicht Gott und dem Mammon dienen. Das heißt, du als Mensch musst dich immer entscheiden: für oder gegen Gott. Für oder gegen Christus. Und ein anderes Wort von ihm wird sein: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.

Wer dieser Jesus Christus ist, sagen die nächsten Zeilen des Bekenntnisses:

Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott von wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater.

Nicht zu überhören sind die Anklänge an den Prolog des Johannesevangeliums und doch haben diese Worte hier ihr ganz eigenes Gesicht und Gewicht. Was für Formulierungen, liebe Gemeinde: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt und nicht geschaffen. Die Gottheit und das Menschsein Jesu stehen hier im Mittelpunkt. Noch intensiver: das wahre Gottsein Christi und das wahre Menschsein Jesu. Oder sollte ich besser sagen: das wahre Gottsein Jesu und das wahre Menschsein Christi.

Unterstrichen wird das, was eigentlich nicht sein kann: die Menschwerdung Gottes. Wie wollen wir uns vorstellen, dass Gott Mensch wird? Das können wir uns nicht vorstellen, das können wir nur glaubend bekennen. Das, was eigentlich nicht sein kann, wird wahr. Und diese Menschwerdung wird betont, indem die Gottheit unterstrichen wird: Gott von Gott, wahrer Gott von wahrem Gott. Und natürlich auch: Licht vom Licht. Gott: das Licht, das in die Finsternis scheint – so der Prolog des Johannesevangeliums.

Wir haben ihn vorhin als Lesung gehört. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Und natürlich auch: Das Licht, das Gott geschaffen hat, das erste Schöpfungswerk. Das Licht, das unterschieden wird von der Finsternis. Und die Finsternis ist der gottleere Raum, der Gott entleerte Raum. Doch seit Gott Mensch wurde in Jesus Christus, hat selbst dieser gottentleerte Raum, letztlich der Tod, seine Schrecken, seinen Stachel, wie Paulus es sagt, verloren. Gott ist des Todes Tod. Allein das Leben zählt.

Die Menschwerdung wird betont, indem die Gottheit unterstrichen wird, so hatte ich gesagt. Warum, liebe Gemeinde, sollte Gott eigentlich Mensch werden? Letztlich: warum feiern wir Weihnachten? Eigentlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum der allmächtige Gott, der Vater, der alles geschaffen hat, der alles Leben in seinen Händen hält, der Gott, der Herr ist über die sichtbare und über die unsichtbare Welt, warum dieser Gott Mensch wird? Die Menschwerdung Gottes bleibt das Geheimnis Gottes.

Das heißt genauer: einen Grund gibt es doch, warum Gott Mensch wurde. Ob dies ein vernünftiger Grund ist, vermag allein Gott zu entscheiden. „Gott wird Mensch, dir, Mensch zugute!“ formuliert Paul Gerhard in dem Lied: „Fröhlich soll mein Herze springen“. Das ist der einzige vernünftige Grund, warum Gott Mensch wurde. Wegen dir und dir und dir und mir ist Gott Mensch geworden. Nicht um seiner selbst willen, sondern um unsretwillen kommt Gott auf die Erde. In anderer Weise sagt es der Evangelist Johannes: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn in die Welt sandte, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Also: wenn es einen Grund gibt, warum Gott Mensch geworden ist, dann ist es die Liebe Gottes zu uns Menschen.

Das, liebe Gemeinde, ist kein vernünftiger Grund, aber ein liebenswerter. Es ist kein vernünftiger Grund, kein für uns Menschen nachvollziehbarer vernünftiger Grund, weil wir Menschen uns immer wieder und immer wieder neu gegen Gott entscheiden. Wie groß muss seine Liebe zu uns Menschen sein, dass er immer wieder gegen die Vernunft entscheidet.

Die Liebe als Grund für die Menschwerdung ist keine rationale Entscheidung, aber eine von Herzen kommende. Das ist eine Entscheidung Gottes, die auf eine Entscheidung unsererseits wartet. Das ist eine Liebeserklärung Gottes an uns Menschen, die auf eine Antwort wartet.

Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.

Für uns Menschen und zu unserem Heil: die Menschwerdung Gottes geschieht zu unserem Heil. Zu unserem Frieden. Gott wird Mensch, damit der Mensch Mensch werden kann. Gott wird Mensch, damit Du Du sein kannst. Er ist vom Himmel gekommen, damit wir Frieden finden. Shalom. Wenn die biblischen Traditionen oder auch die altkirchlichen Bekenntnisse wie dieses Glaubensbekenntnis vom „Heil“ reden oder von der „Glückseligkeit“ oder eben auch vom Frieden, vom Shalom, dann wissen sie, dass wir Menschen einen solchen heilvollen Zustand nie aus uns selbst heraus erwirken können. Wir können in uns und für uns kein Heil schaffen. Es muss geschenkt sein. Das Weihnachtsgeschenk Gottes an uns ist dieses Heil, ist dieser Friede.

Wir modernen und ach so aufgeklärten Menschen, mit der Möglichkeit, Wissen zu erlangen, wie es in der Geschichte der Menschheit noch nie da und auch noch nie möglich war, mit anderen technischen und auch medizinischen Möglichkeiten, von denen Generationen von Menschen geträumt haben, mit der Möglichkeit, mit einem einzigen Knopfdruck diese Erde für Jahrtausende unbewohnbar zu machen, sie zu zerstören, wir modernen und ach so aufgeklärten Menschen finden aus uns kein Heil. An der Stelle bleiben wir ein Mängelwesen. Nicht nur hier, aber hier vor allem. Was ist heutzutage nicht alles möglich und abrufbar.

Die unter uns, die zuhause über einen Internetzugang verfügen, gehen in die unterschiedlichsten Suchmaschinen und finden Informationen und Wissen ohne Ende. Viel mehr, als das Hirn gebrauchen oder verarbeiten kann. Wenn Sie etwa das Stichwort „Weihnachten“ eingeben, sagt Ihnen die Suchmaschine: es gibt Millionen von Einträgen. Das können Sie alles lesen und vielleicht auch noch verstehen und begreifen, doch Ihren Frieden finden Sie da nicht. Den finden wir weder im Internet, noch bei all den vielen anderen Möglichkeiten und Angeboten, die die Welt so bietet. Der innere Frieden, das Heil des Menschen, seinen Shalom findet der Mensch nach christlichem Verständnis nur bei Gott. Wir müssen ihn außerhalb von uns selbst suchen und finden und ihn uns dann schenken lassen.

Gott wird Mensch, damit der Mensch Mensch sein kann. Gott kommt, so sagt es das Bekenntnis, für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel auf die Erde. Jetzt wollen wir heute am 1. Weihnachtstag weniger darüber reden, wie dieses Menschsein gestaltet werden will. Das wissen wir alle, dass es um ein gottgefälliges Leben geht, dass es darum geht, Gott und dem Nächsten und mir gerecht zu werden. Das alles sind Fragen der Lebensgestaltung. Und es sind ohne Zweifel wichtige Fragen. Es ist Gott nicht egal, wie wir Menschen durch dieses Leben gehen. Seine Liebeserklärung an uns wartet und verlangt eine Antwort.

Doch wenn Gott zu unserem Heil kommt, schenkt er sich uns. Verschenkt sich an uns. Dafür steht das Weihnachtsfest. Das Kind in der Krippe will unser Heiland werden. Heil werden wir durch ihn, wenn wir nichts anderes werden und sind und bleiben als das, was wir von jeher sein sollen: Gottes Kinder. Das ist nicht einfach, weil wir viel zu gerne erwachsen sein wollen. Doch: lassen wir uns doch einfach beschenken. Amen.

Predigt gehalten am 25. Dezember 2006 in der Petrikirche, Herford


Pastor Wolfram Kötter, Herford