Im Pfarrhaus: Ich

Notat to go von Barbara Schenck

Schon merkwürdig, das eigene Leben im Museum zu betrachten. Ja, auch mein Alltag gehört zur Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses. Vorhang auf zum Blick hinter die Kulissen:

Was soll jetzt Großartiges kommen? Eine Pastorin, die als Pfarrfrau in einer niedersächsischen Kleinstadt lebt, unterliegt dem Seelsorgegeheimnis. Das gilt auch für die eigene Familie. Das Haus in der Klosterstraße hat keine gläsernen Wände. Aber ich fühle einen gewissen Drang zum Bekennen: Ich bin wohl doch eine typische Pfarrfrau. Diese Erkenntnis verdanke ich dem Katalog zur Berliner Ausstellung "Leben nach Luther". Bereits die Entscheidung, eine Kolumne dem eigenen Leben im Pfarrhaus zu widmen, ist typisch: Pfarrfamilien neigen dazu, ihren eigenen Lebensstil zu kultivieren in "narrativer Selbstinszenierung" via "Egodokumenten", sprich Tagebüchern, Erinnerungen, Autobiografien.
Als studierte Theologin in die Rolle der Pfarrfrau zu schlüpfen ist auch nicht ganz untypisch. Die Straßburger Pfarrfrau Katharina Zell, genannt Frau Doktor, publizierte selbst theologische Schriften, debattierte mit Gelehrten und predigte im 16 Jahrhundert!
Als modernes Phänomen gilt seit den siebziger Jahren die berufstätige Pfarrfrau bzw. der außerhalb des Hauses tätige Pfarrmann. Vergessen wird: Die ersten Frauen evangelischer Pfarrer arbeiteten oftmals außerhalb des Pfarrhauses als Hebammen, Lehrerinnen oder in der Pflege von Kranken und Armen.
Pfarrerdynastien seien die "protestantische Antwort auf die apostolische Sukzession", lese ich, lach' mich schlapp, werf' einen Blick auf den eigenen Stammbaum und den meines Mannes und werde ernster: Es wimmelt nur so von Pastoren.
"Knollen-Predigten" mit Ernährungstipps gab's im 18. Jahrhundert - im 21. konnte ich mir ein Notat to go zur Silphie als Maisersatz auch nicht verkneifen.

Nun doch noch was Privates: Die ersten Versuche auf dem Waveboard hat mein Mann, der Pastor, nicht auf dem Fußweg neben der Kirche gestartet, anders als seine Ehefrau. Was ziemt sich? Welcher Sturz ist peinlich? Kein neues Thema: Reverend Robert Walker (s.o.) war nicht der einzige begeisterte Schlittschuhläufer unter den Pfarrern. Einer von ihnen wäre Anfang des 20. Jahrhunderts fast in der Weser ertrunken. Nach der Rettung musste er sich das Gespött der Leute gefallen lassen: Hat ein Pastor nichts Besseres zu tun, als übers Eis zu gleiten?
Vor anderthalb Jahren entdeckte ich das Imkern. Bienen im Pfarrgarten - nichts Neues unter der Sonne. Pfarrer Johann Ludwig Christ schrieb 1784 einen "Bienenkatechismus für das Landvolk", ein amerikanischer Kollege Lorenzo Lorraine Langstroth schuf hundert 100 Jahre später ein Standardmaß für die Magazinbeute. Jetzt muss ich nur noch einen guten Weg im Kampf gegen die Varroa-Milbe entdecken. Schade eigentlich, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die modernsten Köpfe im Pfarrhaus aus Sorge ums eigene Auskommen voll Forscherdrang für den Alltag nützliche Dinge erfanden wie das Imkern mit Magazinen, den Jauchewagen oder die Waschmaschine.

Was ist heute die Selbstinszenierung des Pfarrhauses? Normal zu sein, denke ich. Gefragt ist die Pfarrerin, der Pfarrer "zum Anfassen" - so zumindest erlebe ich das. Die Gegenstände der Ausstellung in Berlin entzaubern die pastorale Lebensführung. Der berufstypische Akzent des Interieurs sei bestenfalls ein ästhetisch ergeizloser religiöser Bildschmuck, ansonsten entspreche es der bürgerlichen Normalität, resümiert der Katalog.
Ein Gang ins Museum konfrontiert mich mit meiner eigenen Spießigkeit. Das, was an mir als Pfarrfrau und Theologin anders ist, gleicht einem "gepflegten Uncoolsein" (Harry Luck). Sei's drum. Sich nicht an dem orientieren zu müssen, was andere Leute denken, soll ja glücklich machen.

Quellen:
Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses, hrsg. vom Deutschen Historischen Museum, Verlag Kettler, Bönen 2013.
Interview mit Harry Luck im Rahmen der ARD-Themenwoche zum Glück im November 2013.

 


Barbara Schenck, 13. November 2013