Bruchstücke des Sprachversuchs von Gott zu reden "als eine eigentlich den Menschen überfordernde Aufgabe" nennt ein Autor die 32 Beiträge des Sammelbandes "Kanzel in der Welt". Die Sprache der meisten Theologen, die überwiegend in kirchenleitender Position tätig sind oder waren, klingt allerdings weniger gebrochen als getragen von froher Zuversicht. Ihre Auslegung des Heidelberger Katechismus vertieft theologische Erkenntnisse, die sich zusammenfassen lassen unter Schlagworten wie: die "evangelische Trostbotschaft pur" gegen das sinnlose Kreisen um sich selbst - die Kirche als "Anwältin der Schwachen" - die Untrennbarkeit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit - Jesu Name als Programm: "Gott rettet" - christliche "Zukunftshoffnung" gegen den Mangel der Welt - die Erinnerung daran, beim plakativen Sprechen vom Wirken der Taufe den Heiligen Geist nicht zu vergessen - Plädoyer für Kommunikation statt Kontroverstheologie - Ratschlag zu Gelassenheit statt bloßem Aktivismus im Glauben an die Kirche.
Im Dreiklang des Katechismus mündet die Rede vom Elend sinnentleerter Selbstbespiegelung und der Erlösung von permanenter Selbstüberforderung in der Dankbarkeit für die Katechismen der Reformation.
Wer im 21. Jahrhundert Antworten sucht wider die HK-Fragen, kommt jedoch in der Festschrift für Klaus Engelhardt auch auf seine Kosten. Zu den Weggefährten des ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden und badischen Landesbischofs gehören Rechtsgelehrte, die sich ihren Blick auf den Heidelberger nicht durch traditionsreiche Dogmatik versperren lassen.
Auch 50 Jahre nach seinem Unterricht als Konfirmand ärgert Bernhard Schlink sich über "das Elend des Menschen" im HK. Die biblische Geschichte vom Sündenfall sei "von ganz anderer Kraft". Die Schönheit der Metapher vom Sündenfall, die vom "Scheitern-, Sündig- und Schuldigwerden" als "Preis von Freiheit und Erkenntnis" spreche, gehe beim katechetischen "Ab- und Kleinarbeiten" "völlig verloren". Kurz: "Wo der Heidelberger Katechismus im ersten Teil von des Menschen Elend handelt, handelt er auch von des Menschen Würde. Aber er weiß es nicht."
"Will Gott deinen Ungehorsam ungestraft lassen?" (HK 10) Diese Frage will erst einmal verstanden sein, denn der Ungehorsam des Menschen, sein Verstoß gegen Gottes Gebot ist nicht die Folge individuellen Handelns, sondern beruht auf seiner "Natur". Doch liegt, wenn ein Mensch "seiner Natur nach nicht anders sein und handeln kann, nicht ein Schuldausschließungsgrund vor"?, fragt die Juristin Susanne Teichmanis. Die Strafe, die der Katechismus meint, werde zugefügt, auch "wenn es gar keine sündigen Taten gibt, sondern nur eine sündige Art". Dies entspreche eher dem juristischen Begriff der Maßregel, folgert Teichmanis und gibt eine andere Antwort auf Frage 10 als der Heidelberger: "Ja, Gott will solchen Ungehorsam ungestraft lassen. Denn eine Strafe, und schon gar eine ewige Strafe, kann nichts bewirken. Sie kann das Individuum nicht bessern - denn die Bestrafung hört niemals auf. Sie kann auch andere nicht abschrecken - denn die anderen haben nicht die Freiheit, sich gegen die Sünde zu entscheiden. Sie laufen in ihr Unglück, so sehr sie sich auch mühen." Gott sei wohl gerecht, aber er sei auch barmherzig. Deshalb müsse es nicht zu der ewigen Strafe kommen, deshalb schenke Gott Erlösung.
Trost schenkt von den Kanzeln dieser Welt (auch) das klare Denken.
Traugott Schächtele | Christoph Schneider-Harpprecht (Hrsg.)
Festgabe für Klaus Engelhardt zum 80. Geburtstag
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2012
ISBN 978-3-374-03089-7
14,80 Euro
Internetseite des Verlags:
www.eva-leipzig.de/index.php?cat=c101_Theologische-Literatur.html