Kinder in der Bibel IV: ''... denn ein Kind ist uns geboren'' - Wer ist das Kind, von dem Jesaja sagt?
Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Martin Filitz
Predigt in der Reihe „Kinder in der Bibel“ im Februar 2012 in der Ev.-ref. Domgemeinde Halle
Das Volk, das in der Finsternis geht, hat ein grosses Licht gesehen, die im Land tiefsten Dunkels leben, über ihnen ist ein Licht aufgestrahlt.
Du hast die Nation zahlreich werden lassen, hast die Freude für sie gross gemacht. Sie haben sich vor dir gefreut, wie man sich freut in der Erntezeit, wie man jubelt, wenn man Beute verteilt.
Denn das Joch, das auf ihnen lastet, und den Stab auf ihrer Schulter, den Stock dessen, der sie treibt, hast du zerschmettert wie am Tag Midians.
Denn jeder Stiefel, der dröhnend aufstampft, und der Mantel, der im Blut geschleift ist, der wird brennen, wird ein Frass des Feuers sein.
Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und auf seine Schulter ist die Herrschaft gekommen. Und er hat ihm seinen Namen gegeben: Wunderbarer Ratgeber, Heldengott, Vater für alle Zeit, Friedensfürst.
Die Herrschaft wird grösser und grösser, und der Friede ist grenzenlos auf dem Thron Davids und in seinem Königreich; er gründet es fest und stützt es durch Recht und durch Gerechtigkeit, von nun an für immer. Dies vollbringt der Eifer des HERRN der Heerscharen.
Jesaja 9,1-6
Liebe Gemeinde,
der Predigttext klingt sehr nach Weihnachten, oder mindestens nach Advent. Und Weihnachten und Advent sind nun wirklich vorbei! Seit Mittwoch haben wir Passionszeit und da sind Tannengrün und Kerzen, Krippen und Weihnachtsbäume fehl am Platz.
Wir beschäftigen uns mit Kindern in der Bibel. Darum geht es auch in diesem Text aus dem Jesajabuch. Es geht um ein Kind, und dieses Kind ist erst einmal nicht das Kind aus der Krippe von Bethlehem.
Nach allem, was wir wissen, lebte der Prophet Jesaja im 8. vorchristlichen Jahrhundert, als Israel von den Assyrern bedrängt war und für die kleinen Staaten in Israel und um Israel herum es das erste Ziel aller Politik war, dieser Bedrohung auszuweichen oder sie gar abzuwenden. Nun ist es keineswegs ausgeschlossen, dass Jesaja zu seiner Zeit etwas gesagt hat, was Jahrhunderte später erst zu seiner vollen Bedeutung kommen sollte. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass der Prophet Jesaja zu seiner Zeit Wichtiges sagt, was für die Menschen, die ihm zuhören, keinerlei Bedeutung haben sollte.
Ein Prophet ist ein Mensch aus dem Volk Israel, der seinem Volk den Willen Gottes sagt und zwar aktuell, heute und jetzt: so, dass die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen etwas damit anfangen können, dass sie aus seinen Worten das tröstende und richtende Wort Gottes selbst hören und für wahr nehmen.
Aber von welchem Kind redet Jesaja dann? Wer ist das Kind, von dem Georg Friedrich Händel in seiner hinreißenden Fuge aus dem Messias singt: Denn es ist uns ein Kind geboren, uns zum Heil ein Sohn gegeben...
Folgen wir dem Text des Jesaja, gehen wir den Spuren nach, die sich in seinen Worten finden. Das wird nicht leicht.
Das Jahr 732 vor Christi Geburt ist unendlich weit von unserer eigenen Geschichte entfernt. Reiche sind entstanden und Reiche sind untergegangen. Gedanken haben die Welt beherrscht und sind wieder in Vergessenheit geraten. Wie haben die Menschen damals gedacht, wie haben sie gelebt? Was haben sie gegessen? Wie haben sie sich gekleidet?
Darauf werden wir kaum eine erschöpfende Antwort bekommen. Das wichtigste, was wir aus der fernen Zeit des Jesaja kennen, sind seine Texte. Die sind geblieben. Und geblieben ist auch das Volk der Juden, an die die Texte gerichtet waren und an die sie auch weiterhin gerichtet sind.
Die älteste Bibelhandschrift, die uns überliefert ist, ist eine Schriftrolle mit dem Text des Jesajabuches. Sie wurde 1947 in der Höhle von Qumran am Toten Meer gefunden, und es hat alle Wissenschaftler und alle Skeptiker erstaunt; der Text weicht von unseren hebräischen Bibelausgaben nur in Kleinigkeiten ab. Jesus und die Rabbinen seiner Zeit kannten den Text des Jesaja in derselben Überlieferung, wie wir in kennen.
Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen: Was Völker sind, die im Finstern wandeln, das können wir nachempfinden. Bombennächte sind taghell, aber in Wirklichkeit herrscht dort, wo die Bomben fallen, finsterste Dunkelheit. Und ich kann mir vorstellen, dass die Menschen in Syrien oder in Nord Korea ihren Weg für einen Weg durch die Dunkelheit ansehen. Wenn dann ein Licht erscheint, dann wächst die Hoffnung, dass das Schlimmste vorbei ist.
Mit dem Licht kommt der neue Morgen. Und dass Jesaja hier ganz konkret zu den Menschen seiner Zeit redet, steht außer Zweifel. Wenn ein Joch zerbrochen wird, dann ist der, der unter dem Joch aushalten muss, befreit. Man spannt Ochsen in ein Joch, damit sie zusammen Schwerstarbeit leisten können. Und die Älteren kennen auch noch das Joch, an dem auf jeder Seite ein Wassereimer hängt und unter dem vor allem die Frauen das Wasser für das große Schlachten auf dem Bauernhof zu schleppen hatten. Joch ist Berückung. Es geht ein Licht auf, wenn niemand mehr unter dem Joch zu stöhnen hat. Aber noch mehr. Der Militärstiefel, der dröhnend durch die Straße marschierte, der wird in Flammen aufgehen.
Wenn man einmal eine Kolonne Soldaten im Gleichschritt hat marschieren hören, dann wird man diesen Klang nie wieder vergessen.
Und wenn man dazu noch weiß, dass es die Stiefel, die Knobelbecher, wie die Soldaten sagen, der Assyrer sind, die nicht mehr durch die Dörfer und durch die Felder Nordisraels treten, dann ist das wirklich ein Lichtblick.
Und die Militärmäntel, die durchs Blut der Opfer geschleift wurden, werden brennen. Die Uniformen werden keinen Schrecken mehr verbreiten.
Jesaja spricht von Abrüstung. Immer wieder haben Menschen von Abrüstung geredet. Und meistens war es so, dass man sich in Abrüstungsverhandlungen darauf einigte, gemeinsam weiter aufzurüsten. Jesaja spricht von Abrüstung: verbrennen heißt wirklich vernichten: kein Stiefel mehr, kein Militärmantel mehr.
„Das ist doch zu schön, um wahr zu sein!“ werden die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Jesajas gesagt haben, wie wir auch! Friedensträume sind schön, aber sie alleine schaffen noch keinen Frieden. Das ist ja auch das Problem von allen Friedensbewegungen, dass die Menschen zwar eindringlich und aufrichtigen Herzens für den Frieden auf die Straße gehen, aber dass allein diese Demonstration noch keinen Frieden macht.
Um wirklich Frieden machen zu können, braucht man die Generäle, die etwas vom Krieg verstehen, und man braucht die Industriellen, die mit ihren Arbeitern davon leben, dass sie Kriegsgerät herstellen.
Und eine Lösung kann es ja auch nicht sein, dass man die Waffen, die man im eigenen Lande nicht mehr haben will, gewinnbringend in Weltgegenden liefert, die keine friedlichen Absichten haben, und die sie wirklich einsetzen. Es ist kein Gerücht, dass in Libyen Gaddhafis Armee mit Waffen aus deutscher Herstellung geschossen hat. Es ist auch mehr als eine Unterstellung, wenn man behauptet, dass Russland und China gegen Maßnahmen gegen das syrische Regime sind, weil sie mit Syrien beste Waffengeschäfte machen.
Ein Lichtblick, wenn das alles nicht mehr so ist, wie es jetzt noch ist, auch wenn nur wenige das glauben können.
Aber die Friedenshoffnung im Buch des Propheten Jesaja ist nicht nur Gerede.
Es gibt ein Kind, ja, es ist schon auf der Welt. Dieses Kind wird der Friedefürst sein, der weise Berater, der Mensch nach dem Herzen Gottes, und was alles man ihm noch für Titel beilegen mag. Guckt euch das Kind an: es ist – wie gesagt schon auf der Welt! – und dieses Kind ist das Zeichen dafür, dass Jesajas Worte nicht in den Wind geredet sind.
Aber wer ist dieses Kind? – die Christen haben 800 Jahre später gesagt: Dieses Kind ist das Krippenkind aus Bethlehem, der Sohn der Maria und des Joseph, über dem die Engel von dem Frieden auf Erden singen.
Das ist nicht falsch – ganz im Gegenteil! Aber Jesajas Zeitgenossinnen und Zeitgenossen hätten mit einer solchen Auskunft wenig anfangen können, dass das Kind erst in ferner Zukunft zur Welt kommen solle. Die Bibel – auch das Alte Testament – ist ja nicht das Buch des Nostradamus, der in völlig verschlüsselter Sprache mehrdeutige Prophezeihungen von sich gegeben hat.
Die Bibel redet konkret. Sie redet zuerst zu den Menschen ihrer Zeit. Und dann, später redet sie auch zu den Späteren, denen die alten Worte in der nun mehr veränderten Situation wichtig werden. Das macht die Bibel zu einem Lebensbuch, dass sie aus einer bestimmten Zeit kommt, dass sie auch in diese Zeit hinein redet, aber dass sie darüber hinaus sich immer wieder neu ins Gespräch bringt, sich auslegt und das Leben auch der späteren Menschen berührt und beeindruckt.
Also wer ist das frühere Kind? Wer ist das Kind, das ursprünglich von Jesaja gemeint ist. Es muss ein zeitgenössisches Kind gewesen sein, weil sonst die Worte Jesajas kaum einen Sinn ergeben würden.
Viele haben lange gerätselt, wer das Kind sein könnte. Stutzig machen die vielen Herrscherbezeichnungen, für die es sonst kein vergleichbares Beispiel gibt. Vermutlich ist das Kind ein Königskind. Vielleicht ist es der neugeborene Thronfolger in Jerusalem. Vielleicht ist es der Nachkomme Davids, auf den man in Israel in schlechten Zeiten immer große Hoffnungen gesetzt hat.
In Jerusalem gibt es einen Nachfolger auf dem Thron Davids. Er wird das Zeichen für das große Licht sein, das die Menschen in der Dunkelheit gesehen haben.. Auf David und seiner Familie ruht die Verheißung Gottes. Und Israel wird nur dann eine Zukunft haben, wenn es sich auf Gottes Verheißungen bezieht und aus Gottes Verheißungen lebt.
Niemand kann Gottes Verheißungen beweisen oder zur politischen Wirklichkeit machen. Gottes Verheißungen haben ihre Kraft in sich selbst. Denn es wird so sein, dass die, die von dem großen Licht gehört haben, auch bald die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sehen. Und die, die in Jerusalem das Königskind sehen, die werden dieses Kind mit Gottes Verheißungen in Verbindung bringen und ihre eigenen Kinder vielleicht auch.
Die Zeit ist über Jesaja hinweggegangen. Es gab Siege und es gab Niederlagen. Die mächtigen Reiche, die alle Macht an sich gerissen hatten, sind bald wir Kartenhäuser zusammengefallen. Es gab die große Niederlage Israels und die Vertreibung der Israeliten aus Jerusalem. Aber es gab auch die große Heimkehr in das Land der Väter nach dem babylonischen Exil. Es gab den jüdischen Krieg mit der vernichtenden Niederlage, als der Tempel verbrannte und die Festung Massada am Toten Meer fiel. Den Juden wurde bei Todesstrafe verboten, die Stadt Jerusalem je wieder zu betreten.
Zweitausend Jahre Exil. Unzählige Kinder wurden geboren und starben. Unzählige Male plünderte der Volkszorn die jüdischen Häuser und Familien. Und unzählige Male haben christliche Theologen den Juden ihre Verheißungen abgesprochen und sie aus der Gesellschaft der anständigen Christen ausgeschlossen. Bis es dann die „Endlösung“ geben sollte. Das Volk Gottes sollte im Rauch der Krematorien von Auschwitz-Birkenau, von Treblinka und Sobibor, von Buchenwald und Thersienstadt aufgehen.
Und dann stand der Name „Israel“ doch wieder auf den Landkarten des Vorderen Orients. Israel ist eine politische Tatsache. Dabei gilt: Israel ist kein Paradies. Aber das Land Israel ist ein Ort, an dem Juden zu Hause sein können und zu Hause sind. Der Staat Israel ist Zuflucht für alle Juden, die anderswo verfolgt werden. Er ist eine Heimat, die die Juden seit dem Jahr 70 n. Chr. Nicht mehr hatten. Aber Israel ist auch nicht das Paradies, In dem Land im Vorderen Orient streiten Menschen, die in diesem Land ein Recht auf Heimat haben, gegen andere Menschen, die in demselben Land auch ein Recht auf Heimat haben. Friede wird nur sein, wenn die Völker des Nahen Ostens – nicht nur Israel und Palästina auch den Frieden wollen und sich von Krieg und Gewalt nichts mehr versprechen.
Wenn wir jetzt die Verheißung des Propheten Jesaja noch einmal lesen, dann ist es schon erlaubt, zu fragen: Wer war oder wer ist das Kind der Verheißung, das der Gewalt und dem Krieg ein Ende machen soll?
Der Kronprinz aus Jerusalem aus dem Jahre 732 vor Christus hat die in ihn gesetzten Erwartungen offenbar nicht erfüllt, oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, in dem man es von ihm erwartet hatte. Die Verheißung Gottes ist größer, als dass die geschichtliche Wirklichkeit sie einholen könnte. Und gleiches kann man genau so von dem Krippenkind aus Bethlehem sagen: „Friede auf Erden bei den Menschen von Gottes Wohlgefallen“ - was wir zu Weihnachten gehört und gesungen haben ist auf dieser Welt leider keine Realität geworden. Und auch die Christen haben in den 2000 Jahren ihrer Geschichte nur wenig dazu beigetragen, dass Friede wurde.
Die Verheißungen Gottes sind größer als unsere Wirklichkeit. Und darum spiegelt sich in dem Gesicht des Kindes von Bethlehem genau dieses von Jesaja benannte Königskind aus Jerusalem. Die frühen Christen hatten Recht, wenn sie sagten: aus dem Jesajabuch hören wir auch die Stimme Jesu. Er hat wirklich mit der Gewalt ein Ende gemacht, indem er die Waffen gestreckt hat. Über ihn ist die gesamte Bosheit der Welt hereingebrochen. An ihm haben sich alle ausgetobt, denen der Sinn nach Gewalt stand, nach Folter, nach Demütigung von anderen Menschen und auf Sucht nach dem eigenen Vorteil.
Das Kind aus der Krippe und das Königskind, von dem Jesaja redet, haben miteinander zu tun. Und immer noch warten wir auf das große Licht, das uns von Gott her entgegenkommt. Noch immer warten wir darauf, dass die blutbefleckten Soldatenmäntel brennen und die genagelten Marschstiefel auch. Und wir sind gewiss, wenn der Friede Gottes kommt, dann werden wir ihn sehen, der sein Leben für uns eingesetzt hat, damit wir Frieden mit Gott haben.
Amen
Gottesdienst am Sonntag, dem 26. Februar 2012 im Ev.-ref. Gemeindehaus der Domgemeinde Halle, Sonntag Invokavit – 1. Sonntag der Passionszeit
Domprediger Martin Filitz, Halle, Februar 2012
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