Kirchenzucht und Gemeinschaft

Zur Ekklesiologie Johannes a Lascos und seiner Gemeinden. Von Judith Becker

Kirchenzucht, Aufforderung zur Buße, Ausschluss vom Abendmahl sowie Wiedereintritt in die Gemeinschaft vollzogen reformierte Gemeinden im 16. Jahrhundert sehr unterschiedlich. Dabei konnte ein Kirchenrat auch einmal gegen die Kirchenordnung und die ortsübliche Praxis der Gemeinde entscheiden und Milde walten lassen, um den Geist der Kirchenordnung zu wahren. Beispiele aus der Praxis des Gemeindelebens in London und Emden erzählt und deutet Judith Becker.

Dankesrede zum Empfang des J.F. Gerhard Goeters-Preises[1]

Judith Becker, Kirchenzucht und Gemeinschaft. Zur Ekklesiologie Johannes a Lascos und seiner Gemeinden.pdf

Veröffentlicht in: Thomas K. Kuhn / Hans-Georg Ulrichs (Hg.): Reformierter Protestantismus vor den Herausforderungen der Neuzeit. Vorträge der sechsten Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, Emder Beiträge zum reformierten Protestantismus 11, foedus-Verlag Wuppertal 2008, 7-17. Auf reformiert-info mit freundlicher Genehmigung der foedus-Verlags.

Kirchenzucht und Gemeinschaft. Zur Ekklesiologie Johannes a Lascos und seiner Gemeinden
Von Judith Becker

Am 20. Juli 1570 musste sich Matheux Verhaege vor dem Kirchenrat der Niederländischen Fremdengemeinde London verantworten. Matheux war mit einer englischen Frau trunken in eine Gracht gefallen. Ein Junge hatte sie gerettet und den Obrigkeiten angezeigt, sodass sie beide im Stock hatten stehen müssen. Für diese Vergehen – Trunkenheit, Unzucht (auch wenn Matheux ausdrücklich verneinte, mit der Frau "oncuyscheit te pleghen"[2]) und die daraus resultierende Öffentlichkeit der Vergehen – sollte Matheux öffentlich im Gottesdienst seine Schuld bekennen. Das war die normale Regelung in der Gemeinde. Matheux jedoch bat darum, von der Veröffentlichung in der Gemeinde verschont zu werden, da der Ehemann der Engländerin ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte. Der Kirchenrat der Niederländischen Fremdengemeinde erließ Matheux das öffentliche Schuldbekenntnis und kündigte seine Buße in seiner Abwesenheit ab.

Damit widersprach der Kirchenrat seiner Kirchenordnung wie der üblichen Praxis der Gemeinde. Trotzdem war seine Entscheidung richtig. Das soll kein moralisches Urteil sein und auch keins über den rechten Umgang mit der Kirchenzucht oder dass Kirchenzucht nicht zu streng durchgeführt werden sollte. Nein, die Entscheidung war richtig innerhalb des Selbstverständnisses der Gemeinde. Buchstabentreue zur Ordnung hingegen hätte den Geist der Ordnung verletzt.

Was die Gemeinde mit der Kirchenzucht bezwecken wollte und in welchem Verhältnis die Kirchenzucht zur Ekklesiologie der Gemeinde stand, möchte ich im Folgenden kurz erläutern. Dabei stelle ich zunächst Johannes a Lascos Kirchenordnung vor, die normative Vorgabe der Gemeinde, und gehe dann auf deren Umsetzung in der Niederländischen Fremdengemeinde London ein. Zum Vergleich werden in einem dritten und vierten Schritt die Französische Fremdengemeinde London und die Emder Gemeinde herangezogen, die beiden anderen unmittelbar von Johannes a Lasco beeinflussten Gemeinden.

1. Johannes a Lascos Ekklesiologie

Johannes a Lasco (1499-1560) war zunächst Superintendent Ostfrieslands in Emden,[3] bevor er von 1550 bis 1553 als Superintendent der neugegründeten niederländisch- und französischsprachigen Fremdengemeinde in London wirkte. Dort baute er in Zusammenarbeit mit den niederländischen und französischen Pfarrern eine autonome Gemeinde nach biblischem Vorbild auf. Ihre Kirchenordnung, die Forma ac ratio, veröffentlichte er 1555 im Exil in Frankfurt.[4]

Da die Forma ac ratio neben der Beschreibung des Gemeindelebens und der Liturgie ausführliche theologische Erörterungen enthält, lässt sich an ihr a Lascos Ekklesiologie wie deren Beziehung zum Gemeindeleben gut erkennen.[5] A Lasco definierte die Gemeinde als Gemeinschaft des Leibes Christi. Diese communio corporis Christi wurde im Abendmahl begründet und durch die Kirchenzucht erhalten. A Lasco verstand die Kirchenzucht als in erster Linie gegenseitige liebevolle Ermahnung, um auf dem rechten Weg zu bleiben, sowie als gegenseitige demütige Annahme der Ermahnungen. Weil jeder Mensch Sünder sei, brauche es diese Ermahnungen. Erst wenn einer sich als widersetzlich erwies, sollte er dem Kirchenrat angezeigt und nun von diesem ermahnt werden. Bei weiterer Renitenz sollten zuerst anonyme, dann namentliche Abkündigungen erfolgen und zuletzt die Exkommunikation. Doch auch der Bann war nicht der letzte Schritt der Kirchenzucht, sondern nur das ultimative Mittel, um die Menschen auf den rechten Weg zurückzuführen: Das Fleisch sollte brennen, damit die Seele gerettet werde, der Mensch umkehre und unter den Danksagungen der Gemeinde wieder aufgenommen werden könne, so wie er unter den Tränen der Gemeinde ausgeschlossen worden war.[6] Die Kirchenzucht zielte auf die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft des Leibes Christi und damit in das Reich Gottes. So sollte durch die Kirchenzucht die Gemeinde als mystische Gemeinschaft des Leibes Christi erhalten bleiben.[7]

Gleichzeitig erfüllte die Kirchenzucht auch innerweltlich den Zweck, die Gemeinde als Gemeinschaft zu bewahren. Durch die gegenseitige demütige Unterordnung konnte Unruhe in der Gemeinde vorgebeugt werden. In der Durchführung der Kirchenzucht zeigte sich dieser Aspekt darin, dass Streitfälle einen Großteil der Arbeit des Kirchenrats ausmachten. Immer bemühte sich das Gremium – gleich welcher Gemeinde –, die Parteien zu versöhnen und sie wieder in die Gemeinschaft zu integrieren.[8]

Die Betonung von Einheit und Gemeinschaft ist charakteristisch für Johannes a Lascos Ekklesiologie. Sie zeigte sich nicht nur in der Kirchenzucht, sondern auch in der Struktur der Gemeinde: Alle Gemeindeglieder waren gleich, lediglich einige zum besonderen Dienst in der Gemeinde ausgewählt. Dabei unterschied a Lasco nur zwischen zwei Diensten: Ältesten und Diakonen.[9] Pfarrer und Superintendent waren Sonderformen des Ältestenamtes mit den besonderen Aufgaben der Predigt und Sakramentsverwaltung und der Pflicht, sich als erste der gegenseitigen Ermahnung zu unterwerfen.

A Lasco begründete seine Gemeindekonzeption damit, dass die Gemeinde Leib Christi sei, Christus ihr Haupt. Neben ihm könne es keine anderen Häupter geben. Weil Christus ihr Haupt sei, müsse sich die Gemeinde aber auch vollkommen an seine Regeln halten. Dafür sei die Kirchenzucht zuständig, sonst könne die Gemeinde nicht Leib Christi bleiben. Und somit bedingten sich bei a Lasco das Sein der Gemeinde als Leib Christi und die Durchführung der Kirchenzucht – die ja selbst als eine Regel Christi angesehen wurde, siehe Mt 18 – gegenseitig. Die Kirchenzucht erhielt die Gemeinde als Gemeinschaft des Leibes Christi.

2. Kirchenzucht und Gemeindekonzeption in der Niederländischen Fremdengemeinde London

Die von a Lasco gegründete Londoner Fremdengemeinde wurde 1553 aufgelöst, nachdem Mary Tudor den Thron bestiegen hatte und der Protestantismus in England unterdrückt wurde. 1560 wurden die Gemeinden – nun als sprachlich getrennte Gemeinden – wiedererrichtet. Sie waren jetzt nicht mehr autonom, sondern dem Bischof von London unterstellt und mussten sich anscheinend auch stärker als die erste Londoner Fremdengemeinde mit ihren Beziehungen zu den englischen Mitbürgern in London und der englischen Obrigkeit auseinandersetzen.[10] Außerdem standen die Gemeinden, sowohl die niederländische als auch die französische, nun in intensivem Kontakt zu ihren Glaubensgenossen in den Heimatländern.[11] Dennoch bemühte sich die Niederländische Fremdengemeinde – als einzige der untersuchten Gemeinden – in den ersten 15 Jahren ihres Bestehens, also bis etwa Mitte der 1570er Jahre, Johannes a Lascos Kirchenordnung umzusetzen. Sie sang auch den Utenhove-Psalter der ersten Fremdengemeinde und unterrichtete Martin Microns (1523-1559) Kleinen Katechismus, ebenfalls aus a Lascos Zeiten.[12]

Das bedeutete auch, dass die Gemeinde, die sich als Gemeinschaft verstand, alle wichtigen Ereignisse gemeinsam beging. Für die Kirchenzucht hieß das, dass Abendmahlsausschlüsse öffentlich bekannt gegeben wurden, dass bei schweren und öffentlich gewordenen Vergehen eine öffentliche Buße folgen musste, bei der die betroffene Person nach Verlesung der Buße mit Ja antwortete – und dass selbstverständlich auch Wiederzulassungen zum Abendmahl und Wiederaufnahmen öffentlich gefeiert wurden.[13]

Daher hätte auch der zu Beginn erwähnte Matheux Verhaege öffentlich büßen müssen. Da er im Stock gestanden hatte, war sein Vergehen öffentlich geworden. Der einzige Grund, der den Kirchenrat davon abhielt, Matheux öffentlich büßen zu lassen, war die Sorge um sein Leben. Der Modus aber, der ihn davon abhielt – und das ist entscheidend –, waren Freunde von Matheux, selbst Älteste, und seine Frau, die für ihn eintraten und darum baten, ihn zu schonen. Der Gemeinde sollte laut Kirchenordnung immer Gelegenheit gegeben werden, gegen eine Kirchenratsentscheidung zu protestieren und Einwände sollten gründlich geprüft werden.[14] Die endgültig Entscheidung sollte einstimmig fallen, und hier ließ sich der Kirchenrat von den – ihm gleichwertigen – Gemeindegliedern überzeugen.

Im Fall von Matheux Verhaege war Einheit und Frieden, Gemeinschaft in der Gemeinde mehr gedient, wenn er der Verlesung seiner Buße fernblieb, als wenn er kam. Dass die Buße ernst gemeint war, ließ sich der Kirchenrat, wie üblich, schriftlich bestätigen. Zudem wird Matheux' ehrliches Auftreten, das durch die Protokollierung seines Falls durchscheint, den Kirchenrat überzeugt haben.[15]

Matheux' Fall war, wie gesagt, eine Ausnahme. Alle anderen Gemeindeglieder mussten in dieser Zeit öffentlich büßen. Die Gemeinde versuchte in allem, die Kirchenordnung umzusetzen und als Gemeinschaft zu leben. Die Ausnahme scheint die Gemeinschaft nicht gestört zu haben, denn es findet sich kein Hinweis darauf, dass Gemeindeglieder gegen die Ungleichbehandlung protestiert hätten. Offenbar war es dem Kirchenrat gelungen, der Gemeinde seine Entscheidung verständlich zu machen.

Bevor nun allerdings der Eindruck entsteht, die Niederländische Fremdengemeinde sei eine ideale Gemeinde gewesen oder ich wolle sie zu einer solchen machen, soll erwähnt werden, dass der beschriebene Zustand nicht mehr lange anhielt. Spätestens ab Mitte der 1570er Jahre gab die Gemeinde das Idealbild der Gemeinschaft auf. Die Kirchenzucht wurde von einer Liebes- zu einer Bußzucht. Und außerdem waren auch die Jahre von 1560 bis 1570 in der Niederländischen Fremdengemeinde nicht ausschließlich von Frieden und Freude geprägt gewesen. Von 1564 bis 1569 hatten mehrere Streitigkeiten die Gemeinde fast gespalten, und erst seit 1569 hatte die Gemeinde begonnen, wieder als Gemeinschaft zu leben und sich auf ihre Ursprünge zu besinnen.[16]

Daher hatte Johannes a Lascos Ekklesiologie ihren stärksten Einfluss zwischen 1560 und 1564 und von 1569 bis ca. 1572/73. Aus dieser Zeit stammt auch das besprochene Beispiel. Aber es zeigt, dass und wie es möglich war, a Lascos Kirchenordnung zu verwirklichen.

3. Die Französische Fremdengemeinde London

Die Französische Fremdengemeinde blickte bei ihrer Wiedererrichtung 1560 nicht auf a Lasco, sondern nach Genf, bat dort um einen Pfarrer und erhielt Nicolas des Gallars (ca. 1520-ca. 1580). Dieser verfasste kurz nach seiner Ankunft im Sommer 1560 eine neue Kirchenordnung für die Gemeinde.[17] Er übernahm zwar einige Riten der ersten Londoner Fremdengemeinde, gab der Gemeindeverfassung aber dennoch eine andere Ausrichtung als a Lasco. Der Kirchenrat war der Gemeinde nun gegenübergestellt und ein Leitungsgremium, das der Gemeinde in allem voranging. Entscheidungen über die Kirchenzucht fielen im Kirchenrat, und es war nicht unbedingt nötig, sie der Gemeinde auch mitzuteilen, geschweige denn, dass die gesamte Gemeinde sie hätte billigen müssen.

Doch auch hier wurden die Bußzeremonien zumindest in den ersten Jahren öffentlich abgehalten. Die öffentliche Buße hatte allerdings nicht das Ziel, die Einheit der Gemeinde zu erhalten und zu stärken, sondern ihre Reinheit sicherzustellen. Für a Lasco war Christus das Haupt der Gemeinde, die im Abendmahl zu seinem Leib wird. Für die Französische Fremdengemeinde war Christus das Haupt der Gemeinde, die ihm als ihrem Herrn folgt und gehorcht. Daher waren der Gemeinde die Gebote besonders wichtig, und bei Abkündigungen berief sich der Kirchenrat auf Christi Lebensregeln, während der Kirchenrat der Niederländischen Fremdengemeinde eher Christi Aufforderung zur Gemeinschaft hervorhob.

Die öffentliche Buße diente der Reinigung der Gemeinde von dem Skandal, der durch das Gemeindeglied über sie gekommen war. Sie diente nicht unbedingt der Wiedereingliederung des Gemeindeglieds in die Gemeinde. Menschen konnten öffentlich büßen und trotzdem weiterhin vom Abendmahl ausgeschlossen bleiben. In der Französischen Fremdengemeinde bildeten anders als in der Niederländischen Fremdengemeinde öffentliche Buße und Wiederaufnahme/Wiederzulassung keine Einheit mehr. Dadurch konnte sie Gemeindeglieder schnell und häufig zur öffentlichen Buße zulassen, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen haben musste. Die Kirchenzucht diente in diesem System nicht mehr primär der Einheit der Gemeinde, sondern war zu einem Züchtigungsinstrument geworden.

4. Die Emder Gemeinde

Auch in Emden wurde a Lascos Kirchenordnung nie rein umgesetzt; sie war auch nie offizielle oder auch nur halb offizielle Lehr- und Lebensgrundlage der Gemeinde. Dass a Lasco dennoch einigen Einfluss auf das Emder Gemeindeleben ausübte, zeigen die Kirchenratsprotokolle, das Selbstverständnis des Kirchenrats sowie die von a Lasco ins Leben gerufenen Institutionen.[18]

Im Folgenden soll es um die Ekklesiologie der Gemeinde und die Durchführung der Kirchenzucht in Emden gehen. Wie bei der Französischen Fremdengemeinde London war auch in Emden der Kirchenrat deutlich von der Gemeinde unterschieden. Er bildete gleichsam das Zentrum der Gemeinde – eine Art Kerngemeinde – und führte an sich die Kirchenzucht so durch, wie sie laut a Lasco die gesamte Gemeinde hätte konstituieren sollen. Hier gab es die gegenseitigen liebevollen Ermahnungen[19] – zumindest wurden sie so protokolliert: "in aller christlicker fruntschaft und lieve"[20] – in Gleichheit und Gemeinschaft.

Die Gemeinde hingegen wurde nicht als Gemeinschaft verstanden. Zumindest war Gemeinschaft kein konstitutiver Wesenszug der Gemeinde. Dies zeigte sich auch bei den Bußen. Schon von Beginn der Protokollüberlieferung im Jahr 1557 an mussten Bußen nicht öffentlich stattfinden, ja selbst die Abkündigung einer Buße musste nicht unbedingt namentlich erfolgen. Nachdem sich die Waisenkindermutter mit der Gasthausmutter geprügelt hatte, wurden zwar die Tat und das Schuldbekenntnis abgekündigt, aber keine Namen genannt.[21] Dass die Buße eine Bedeutung für die Gemeinschaft haben könnte, wurde hier nicht deutlich.

Zudem wurde die öffentliche Buße in Emden ausschließlich in Abendmahlsgottesdiensten abgekündigt. In a Lascos Konzeption sollte die öffentliche Buße stattfinden, sobald das Gemeindeglied sich dazu bereit erklärte, denn die Gemeinschaft der Gemeinde war so schnell wie möglich wiederherzustellen. In Emden nun konnten zwischen der Bußbereitschaft des Gemeindglieds und der Abkündigung der Buße Wochen liegen. Hier stand nicht mehr die fortwährende Gemeinschaft der Gemeinde im Vordergrund, sondern die auf das zu feiernde Abendmahl bezogene reine Gemeinde.

So wurde die Kirchenzucht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Abendmahl – und mit der Reinheit der Gemeinde im Abendmahl – gebracht. Sie war in Emden integraler Bestandteil des Gemeindelebens, konstituierte und erhielt aber nicht die Gemeinde, sondern zielte vornehmlich auf die Lebensführung der einzelnen Gemeindeglieder und die Abendmahlsreinheit.

5. Resümee

Bei der Durchführung und Begründung der öffentlichen Buße zeigen sich in den drei untersuchten Gemeinden charakteristische Differenzen, die auf ihre unterschiedlichen Ekklesiologien zurückzuführen sind. Die Niederländische Fremdengemeinde London verstand sich um 1570 als Gemeinschaft. Daher mussten so wichtige die Gemeinschaft betreffende Zeremonien wie die Buße öffentlich stattfinden. Über die Maßnahmen der Kirchenzucht entschied die ganze Gemeinde.

In der Französischen Fremdengemeinde London und der Emder Gemeinde war die Kirchenzucht hingegen Aufgabe des Kirchenrats. Zwar fand auch in der Französischen Fremdengemeinde die Buße öffentlich statt, doch sie diente der Reinheit, nicht der Einheit der Gemeinde. Selbst die einzelnen Schritte der Kirchenzucht bildeten hier keine Einheit mehr.

In Emden musste nicht einmal öffentlich gebüßt werden. Einzig der Kirchenrat führte an sich selbst eine gemeinschaftliche und gemeinschaftsbildende Kirchenzucht durch und wurde dadurch zu einer Art Kerngemeinde.

Allerdings ist abschließend zu bemerken, dass die Gemeinden ihre Verfahren im Laufe der Zeit einander anpassten, sodass in den beiden letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts nur noch wenige Unterschiede bestanden. Dies gilt für die Durchführung der Kirchenzucht ebenso wie für die Ekklesiologie. Die Gemeinden vereinheitlichten ihre Riten und ihre Theologie und befanden sich so auf dem Weg zur Bildung einer reformierten Konfessionsgemeinschaft.


[1]           Hier wird nur ein Aspekt der Dissertation vorgestellt. Für das Gesamtbild vgl. Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung (SMRT 122). Leiden u.a. 2007. Der Vortragsduktus ist beibehalten.

[2] Auke Jan Jelsma/Owe Boersma (Hgg.), Acta van het consistorie van de Nederlandse gemeente te Londen 1569-1585 (RGP Kleine Serie 76). 's-Gravenhage 1993, (KP NFL II), 20.7.1570.

[3] Vgl. zu a Lascos Werdegang bis 1549: Henning P. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland. Der Werdegang eines europäischen Reformators (SuRNR 18). Tübingen 2002. Einige ältere Literatur gibt einen Gesamtüberblick über sein Leben: Oskar Bartel, Jan Laski. Berlin 1981; Petrus Georg Bartels, Johannes a Lasco (LASRK 9). Elberfeld 1860; Harold O. J. Brown, John Laski: a Theological Biography. A Polish Contribution to the Protestant Reformation, PhD diss. Harvard University, 1967; Herman Dalton, Johannes a Lasco. Beiträge zur Reformationsgeschichte Polens, Deutschlands und Englands. Nieuwkoop 1970 (ND d. Ausg. Gotha 1881).

[4] Johannes a Lasco, Forma ac ratio tota ecclesiastici Ministerii, in peregrinorum, potissimum vero Germanorum Ecclesia: instituta Londini in Anglia, per Pientissimum Principem Angliae etc. Regem EDVARDVM, eius nominis Sextu: Anno post Christum natum 1550. Addito ad calcem libelli Priuilegio suae Maiestatis. Frankfurt: [Egenolff?]/Emden: Ctematius 1555, in: Abraham Kuyper (Hg.), Joannis a Lasco Opera tam edita quam inedita duobus voluminibus comprehensa, 2 Bde. Amsterdam [u.a.] 1866, Bd. 2, 1-283.

[5] Vgl. zu a Lascos Ekklesiologie insbesondere Anneliese Sprengler-Ruppenthal, Mysterium und Riten nach der Londoner Kirchenordnung der Niederländer (ca. 1550-1566). Köln 1967; Ulrich Falkenroth, Gestalt und Wesen der Kirche bei Johannes a Lasco, Diss. theol. Georg-August-Universität Göttingen, 1957. Zur Beziehung zwischen Biographie und Theologie bei a Lasco vgl. auch Judith Becker, Jana Laskiego Forma ac ratio – rozwazanie krytyczno-historyczne / Johannes a Lascos Forma ac ratio – eine historisch-kritische Betrachtung, in: Janusz T. Maciuszko/Rafal Leszczynski (Hgg.), Jan Laski: "Forma i calkowity porzadek koscielnego poslugiwania", Warschau 2004, 243-267 (polnisch), 268-288 (deutsch).

[6] Vgl. Forma ac ratio (wie Anm. 4), 197-200, 203f., 217, 219f.

[7] Vgl. ebd., 127, 145, 208.

[8] Vgl. KP NFL II (wie Anm. 2), Aart Arnout van Schelven (Hg.), Kerkeraads-Protokollen der Nederduitsche Vluchtelingen-Kerk te Londen 1560-1563 (Werken uitgegeven door het Historisch Genootschap, Derde Serie 43). Amsterdam 1921; Elsie Johnston (Hg.), Actes du consistoire de l'Église française de Threadneedle Street, Londres, vol. 1, 1560-1565 (PHSL, Quarto Series 2). Frome 1937; Anne M. Oakley (Hg.), Actes du consistoire de l'Église française de Threadneedle Street, Londres, vol. 2, 1571-1577 (PHSL, Quarto Series 48). London 1969; Eglise française de Londres, "Actes de l'an 1578 [=1579] à 1588", Archives of the French Church London, MS 3, London, 1578 [=1579]-1588; Eglise française de Londres, "Actes de l'an 1589 à 1615", Archives of the French Church London, MS 4, London, 1589-1615; Heinz Schilling/Klaus-Dieter Schreiber (Hgg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557-1574, 2 Bde., Teil 1: 1557-1574, Teil 2: 1575-1620 (Städteforschung Reihe C: Quellen 3, Teil 1 + 2). Köln [u.a.] 1989/1992 (KRP).

[9] Vgl. Forma ac ratio (wie Anm. 4), 51.

[10] Vgl. zur Beziehung der Gemeinden zur englischen Umwelt Charles G. Littleton, Geneva on Threadneedle Street. The French Church of London and its Congregation, 1560-1625, PhD diss. University of Michigan, 1996; bes. 165-264, sowie Andrew Pettegree, Foreign Protestant Communities in Sixteenth-Century London. Oxford 1986, bes. 262-295.

[11] Vgl. Pettegree (wie Anm. 10), 215-261; Fernand de Schickler, Les églises du refuge en Angleterre. 3 Bde. Paris 1892, Bd. 1, 127-131, 185-200.

[12] Vgl. Martin Micron, De cleyne Catechismus, oft Kinder leere, der Duytscher Ghemeynte, die te Londen is. London: Nicolaes vanden Berghe 1552.

[13] Im Archiv der Gemeinde, heute in der Guildhall Library, London, findet sich eine Akte mit handschriftlichen Schuldbekenntnissen, auf denen jeweils auch das „Ja“ vermerkt ist: Guildhall Library, London, MS 7387.

[14] Vgl. Forma ac ratio (wie Anm. 4), 195f.

[15] Matheux bekannte sofort und ohne Umschweife seine Schuld (vgl. KP NFL II [wie Anm. 2]), 20.7.1570.

[16] Vgl. zum Ablauf des sogenannten Taufzeugenstreits Aart Arnout van Schelven, De Nederduitsche Vluchtelingenkerken der XVIe eeuw in Engeland en Duitschland in hunne beteekenis voor de reformatie in de Nederlanden. 's-Gravenhage 1909, 152-178; zur theologischen Interpretation vgl. auch Judith Becker, Ecclesiology in the Dutch Church of London: conflicts between competing church models in the 1560s. In: Proceedings of the Huguenot Society of Great Britain and Ireland XXVIII (2007), 684-694.

[17] Vgl. Nicolas des Gallars, Forma politiae ecclesiasticae nuper institutae Londini in coetu Gallorum Nicolao Gallasio authore, 1561. In: Auke Jan Jelsma/Owe Boersma (Hgg.), Unity in Multiformity. The Minutes of the Coetus of London, 1575, and the Consistory Minutes of the Italian Church of London, 1570-1591 (Publications of the Huguenot Society of Great Britain and Ireland 59). London 1997, 111-132; Nicolas des Gallars, Forme de police ecclesiastique, instituée à Londres en l'Eglise des Francois. O.O. 1561.

[18] Einige der Institutionen, wie der Coetus, existieren bis heute fort, wenn auch mit verändertem Aufgabenfeld.

[19] Zur Censura morum in Emden vgl. auch Jan Remmers Weerda, Der Emder Kirchenrat und seine Gemeinde. Ein Beitrag zur Geschichte reformierter Kirchenordnung in Deutschland, ihrer Grundsätze und ihrer Gestaltung. Hg. von Matthias Freudenberg und Alasdair Heron (EBzrP 3). Wuppertal 2000, 303-313.

[20] KRP (wie Anm. 8), 1.8.1580.

[21] Vgl. KRP 18.3.1560.

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