Kritik am bequemen und weltflüchtigen Trostchristentum

Emil Brunner im Jahr 1919

Der 23. Dezember ist der Geburtstag eines reformierten Theologen, der in Deutschland heute wenig beachtet wird: Emil Brunner, ab 1924 bis zu seiner Emeritierung Professor für Systematische und Praktische Theologie an der Universität Zürich. An den Schweizer Theologen, einstigen Freund und Weggefährten und späteren Kontrahenten Karl Barths, sei an dieser Stelle kurz erinnert.

Ein treuer Leser von reformiert-info bat die Redaktion, neben Barth auch Brunner nicht zu verschweigen. Das fällt mir persönlich nicht leicht. Ich teile Barths Kritik an der Theologie seines Freundes Brunners. Mit natürlicher Theologie und der Rede vom "Anknüpfungspunkt" kann ich selbst nichts anfangen und deshalb wage ich nicht, diese Theologie angemessen zu würdigen. Aber warum nicht einmal einen Blick in Brunners Schriften werfen aus dem Jahr, als er einer der ersten Rezensenten von Barths Römerbrief war: 1919.

In Brunners Nachwort zu seinem Artikel über die soziale Aufgabe der Kirche von 1919 fand ich Gedanken, die ich an dieser Stelle als Beitrag zum aktuellen theologischen Denken gerne weitergebe:
Emil Brunner nahm nach dem Ersten Weltkrieg deutlich Stellung gegen ein kapitalistisches "laissez faire" und für ein staatliches Eingreifen in die Wirtschaft: "Denn Kapitalismus ist Profitwirtschaft, wirtschaftliches Faustrecht. Der Schwache, der Nicht-Kapitalist, ist dem Starken, dem Kapitalisten, wehrlos ausgeliefert. Die soziale Bewegung ist darum keine Geld- und Magenfrage, sondern so gut, wie die Kämpfe unserer Vorväter eine Freiheitsbewegung, ein Ringen um die verlorenen Menschenrechte."
Im Kapitalismus komme "das Geld zu Ehren und der Mensch zu kurz". "Sozialismus, Genossenschaftlichkeit" hingegen hießen: "Das Wohl aller ist wichtiger als der Profit der Einzelnen, darum muss der Geldmächtige sich soviel von der Gesamtheit 'dreinreden' lassen, als zum Wohl der Vielen, der Schwachen nötig ist. Ob das geschieht auf dem Weg der Verstaatlichung oder des Gemeindesozialismus, oder der Genossenschaft, nach Rathenau, oder Marx, oder Morris usw., ist verhältnismäßig Nebensache und wird von Fall zu Fall verschieden sein. Gewisse Forderungen, wie beschleunigte Fürsorgegesetzgebung, Lohnminimum, schärfere Besteuerung der großen Einkommen und Vermögen, Bodenreform, ergeben sich in jedem Fall mit Notwendigkeit. Alles aber, um die verletzten Menschenrechte und die Menschenwürde wiederherzustellen; die neue Zeit verlangt Gerechtigkeit für die vielen! Darum dürfen wir Christen nicht abseits stehen, es geht um den göttlichen Adel, um die Seele des Menschen. Ich bin Sozialist, weil ich an Gott glaube."
Das "bequeme" und "weltflüchtige Trostchristentum" jedoch müsse verschwinden, schrieb Brunner. Über ihm werde der Spruch lauten" 'Was ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.'"

An dieser Stelle sei jedoch auch nicht verschwiegen, dass Brunner ein Paktieren mit dem totalitären Kommunismus ablehnte. In ihm erkannte er einen "wahrhaft teuflischen Charakter" (II, 241). Nach dem Krieg bekannte er sich zur atomaren Aufrüstung und kritisierte die Forderung von Helmut Gollwitzer und "offiziellen kirchlichen Gremien", die einen Verzicht auf die "Atomrüstung" forderten. Atomwaffen waren seines Erachtens notwendig zur Abschreckung Russlands, um ein "Gleichgewicht der Kräfte" zu wahren und eine "Weltherrschaft" des Kommunismus zu verhindern.
Emil Brunner wurde am 23. Dezember 1889 in Winterthur geboren und starb am 6. April 1966 in Zürich.

Literatur
Emil Brunner, Ein offenes Wort. Vorträge und Aufsätze 1917-1962, eingeführt und ausgewählt von Rudolf Wehrli, Bd. 1 und Bd. 2, TVZ 1981; Zitate aus dem "Nachwort" in Bd. 1, S. 72-75 und dem Text "Pazifismus als Kriegsursache" (1958); Bd. 2, S. 373f.


Barbara Schenck, 23. Dezember 2013