Kurzgeschichten
Seit Tagen drücken Sonne und Feuchte schwer auf Leib, Seele und Geist. Endlich ist Samstag, und sie sind zu fünft unterwegs zum Atlantik. Nach ein paar Stunden hält sein Freund auf dem vordersten Parkplatz. Alle huschen mit ihren Badesachen in die Dünen. Nun nichts wie ins kühle Meer.
Er mag kein Gedöns. Wie im Norden Europas üblich will er gerade seine Unterhose runterziehen, um die Badehose gleich wieder hochzuziehen. O my God! schreit sie plötzlich und fällt ihm in den Arm wie weiland der Engel in den Abrahams. Das geht hier nicht. Die holen sofort die Polizei, und die machen dir ein gehöriges Donnerwetter, sicher mit saftiger Busse. Wieso? Er ist perplex.
Du bist in Amerika, und Amerikaner sind Puritaner, immer noch. Irgendeiner passt immer auf. Sicher. Sie schweift mit dem Arm über die Dünen. Hier und da sitzt ein Paar zwischen dem Strandhafer. Kinder lassen Drachen steigen. Unten vergnügen sich Surfer. Einer hat ein Fernglas. Nun streckt sie gar ihren Zeigefinger aus. Dort, siehst du, dort unten ist die Hütte zum Umziehen. Da musst du hin. Wir kommen gleich nach. Männlein und Weiblein haben dort sicher je ihre Seite und ihren Eingang. Du bist in Amerika!
Da zuckt er mit den Schultern. Brav nimmt er Handtuch und Badehose und trottet hinunter zur Umkleide. Als er den Raum für die Gents betritt, einen dunklen grossen Raum für alle, sieht er sie. Erst einen, dann zwei, dann drei. Am Schluss sind es sechs, die, lässig gegen die Wand gelehnt wie an eine Bar, genüsslich zusehen, wie er nun seine Unterhose herunterlässt. Fehlen nur die Drinks. Unverblümt starren sie ihm auf den Hintern.
Ach, so ist das hier! Er lässt ihnen Zeit und winkt grinsend, als er die Hütte wieder verlässt. Dabei schwenkt er schamlos seine Unterhose wie eine Trophäe. Das Bad im Meer erfrischt alle. Die Jungs sind kaum aus dem Wasser zu locken, obwohl eine tiefschwarze Wolkenwand heraufzieht. Auf der Heimreise bricht ein derartiges Donnerwetter über sie herein, dass die Scheibenwischer nicht nachkommen. Sein Freund fährt rechts ran. Demütig lassen sie es über sich ergehen. Ob das die saftige Busse war?
2000Matthias Krieg, Zürich