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Nur eine kurze Zeit
Predigt zu Lk 22,47-53 (Okuli)

„Liebevoll ruht dein Blick auf uns Gott.
Hier sitzen und angesehen zu sein – das tut gut.
Bleibe bei uns und sieh, wohin wir gehen.
Das bitten wir dich in Jesu Namen.“2
Liebe Gemeinde,
hören wir gemeinsam auf ein Wort aus dem Lukasevangelium.
„47Während er noch redete, siehe: Eine Schar und besagter Judas, einer von den Zwölfen, ging ihnen voran und näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48Doch Jesus sagte zu ihm: „Judas, mit einem Kuss lieferst du den Menschensohn aus?“
49Als seine Begleiter sahen, was geschehen sollte, sagten sie: „Herr, sollen wir mit Schwert dreinschlagen?“ 50Und einer von ihnen schlug auf den Knecht des Hohenpriesters ein und hieb ihm das rechte Ohr ab. 51Jesus antwortete: „Soweit lasst’s geschehen.“ Und indem er das Ohr berührte, heilte er ihn.
52Jesus sprach zu denen, die gegen ihn vorgedrungen waren, den Hohenpriestern, den Offizieren des Tempels und den Ältesten: „Wie gegen einen Räuber seid ihr mit Schwertern und Knüppeln ausgezogen! 53Als ich jeden Tag mit euch im Tempel war, habt ihr die Arme nicht gegen mich ausgestreckt, aber diese Stunde ist die eurige und die Macht der Finsternis.“3
Der Text ist brisant, ja, heikel. Er wühlt auf, enthält Sprengstoff. Er ist so intensiv, dass er mich irritiert hat – er hat mich beim ersten, auch beim wiederholten Lesen fast fertig gemacht. Ich musste einen Blick in den Abgrund wagen. Oder wollte ich es sogar? Es ging mir jedenfalls merkwürdig mit diesem Text. Ich will mich auf die Macht der Finsternis konzentrieren. Ja, das klingt wie ein Horrorfilm aus Hollywood, aber es steckt mehr dahinter! Die Worte stehen nicht für sich allein, und sie sind keinesfalls isoliert vom Rest, sondern stehen in einem bestimmten Zusammenhang und erfolgen in einer konkreten Situation. Es wird darauf ankommen zu hören, was vor ihnen geschah und was nach ihnen geschieht.
Meine Predigt hat drei Teile. Erst frage ich: Wieso dieser Verrat? Dann möchte ich wissen: Wer ist dieser „Herr“? Zum Schluss frage ich: Wie geht Gott mit dem Bösen um? Wer fragt, der will Antwort. Sie soll heute morgen darin bestehen, zu einem Blickwechsel anzuregen – am Sonntag Okuli, das heißt: „Augen“.
I. Wieso dieser Verrat?
Die Evangelien erzählen (übereinstimmend), dass Jesus von Nazareth zwölf junge Männer in seine Nachfolge berufen hat. Die Zahl zwölf ist, wie ihr wisst, kein Zufall: Sie repräsentiert die zwölf Stämme Israels und weist auf Jesu Wurzel im Judentum hin. Schon in dem Namen „Jesus“ erklingt „Gott rettet“: Jehoshua ist gekommen, Israel von seinen Sünden zu befreien. Das lesen wir ganz oft im Neuen Testament. Die Jünger haben viel mit Jesus erlebt. Einige davon sind in den zurückliegenden Jahren beinahe religiöse Eiferer geworden, die für ihren „Meister“ sterben oder morden würden. Einer bekennt ihn als den „Messias“ (Petrus), ein anderer bekennt ihn als seinen Herrn und „Gott“ (Thomas). Am Kreuz verlassen ihn alle. Und da ist ein Jünger, Judas heißt er. Der will mehr als die anderen. Auch er bekennt sich zum Messias Jesus. Er kann und soll Israel von den römischen Fremdherrschern befreien. Lautet ja nicht so die Verheißung der Tora? Judas kennt die Tora. Er kennt auch Elia, der in seiner Zeit, unter Pharisäern, als Messias, als König erwartet wurde. Es scheint so, dass Judas die Messiashoffnungen seiner Zeitgenossen verinnerlicht hat. Und er hat erlebt, was Jesus kann: Er tut Wunder.
Aber er, Judas, eigentlich Jehuda, Juda, einer der Stammväter, will mehr: Er hofft mehr als die anderen. Seine Hoffnung ist übermächtig. Vielleicht sieht er in Jesus wirklich den verheißenen Elia, der wiederkommt, um das zerrissene Königreich Israel wiederherzustellen, und zwar ohne, ja, gegen die Römer. Wie so viele andere Zeitgenossen will er nicht länger warten. Aber er will auch nicht, wie Barabbas, zu den Waffen rufen. Seine Tat ist die Geste, der Schein, der sich als dämonische Verblendung herausstellt.
Judas ist kein Verräter an der guten Sache – der Hoffnung. Er ist kein Verräter an den Schriften: Gott hat versprochen, dass, wer seine Weisungen liebt, leben wird. Judas‘ Verrat ist Verrat am Menschen, an einer Person aus Fleisch und Blut. Sein Verrat ist ein Verrat an dem Gott, der rettet. Ja, Gott rettet! Er braucht keinen Judas, der ihm hilft. Das ist Blasphemie! Wer ihm, dem Vater, hier, in der Passion seines Sohnes, unter die Arme greifen will, der müsste „ohne Sünde“ sein, müsste „sein wie Gott“ (Gen 3,5b). Gottes Wille und Judas‘ Hoffnung sind (ganz und gar) ungleich. Das erlebt und erleidet Judas „hautnah“, und das treibt ihn in den Wahnsinn – in die Verzweiflung. Wir wissen um sein bitteres Ende.
Wir wissen aber nicht, wieso er Jesus verrät. Wir wissen nicht, wie Judas, der diesen Sohn eines Menschen (V. 48) göttlich am Werk sah, verrät. Ich habe eine historisch wahrscheinliche, aber eben eine historische Vermutung vorgetragen. Ich weiß jedoch nicht, woher Judas‘ unmögliche Illusion stammt – wo ihr Grund ist. Und das ist gut so, denn wir wissen, Gott sei Dank, auch nicht, wo bei uns die Sünde lauert. Gewiss: Unser Herz ist widerspenstig und paradox. Aber Gott ist noch viel paradoxer! Ich frage erneut: Wieso lässt sich Jesus vom Jünger Judas verraten? Wieso lässt er sich hernach kreuzigen, wenn er doch der „Herr“ (V. 49), der Sohn Gottes ist? Oh – wir stoßen hier an eine Grenze, wir rühren an das Geheimnis und es verschlägt uns die Sprache. Es hat mir die Sprache verschlagen, ich erzählte es kurz. Darum wollen wir jetzt ein Blickwechsel wagen.
II. Wer ist dieser „Herr“?
Ihr Lieben, Elia, von dem wir eben in der Lesung gehört haben, Elia, war ein religiöser Eiferer: Er war noch krasser als Judas. Er war ein glühender Prophet für den Gott Israels. Für Ihn ist er zum Massenmörder geworden. Klingt auch nach Hollywood?
Elia hat Gottes Ehre verteidigen wollen, er hat zum Schwert gegriffen und Gottes Feinde getötet – hingemetzelt. Wer waren diese? Es waren Priester, vornehme Leute, die neben Gott noch einen anderen Gott anbeten lassen wollten, denn König Ahabs Frau Isebel wollte das gerne: Penetrant sprach sie sich bei ihrem Ehemann für den Gott Baal aus. Dieser Gewittergott4 aus dem Norden sollte gleichberechtigt neben dem Gott, der Bund und Treue hält ewiglich und nicht loslässt das Werk seiner Hände, verehrt werden. Der Prophet wusste: „Man kann nicht zwei Herren dienen“ (Mt 6,24). Aus diesem Wissen speist sich die grausame Tat: Weg mit den religiösen Heuchlern in den eigenen Reihen! Und wehe dem König, der solche Priester duldet, die neben dem einen, einzigartigen Gott, unserem Befreier aus Ägypten, einen weiteren Kult errichten will!
Vielleicht dachten sich das einige Jünger auch, als sie sahen, dass ihr Herr gefangengenommen werden sollte. Und einer, Petrus, schlug zu. Der Frust über die Fremden, die Römer, die so viele Götter statt des einen verehrten, war gewaltig. Da hatte sich was angestaut! In Elias Zeit war es nicht ganz anders. Adlige Verbrecher regierten aus seiner Sicht das Nordreich Israel. Die, denen dieses Land von Gott versprochen war, waren unter heidnische Besatzung geraten. Hier mehr im übertragenen Sinn, zu Jesu Zeit mehr im wörtlichen Sinn. Erneut besetzt! Viele könnten sich da gefragt haben: Wiederholt sich die Geschichte?
Die „Feinde“ waren schon zu lang dagewesen, und hatten sich breit gemacht in der Heimaterde der Auserwählten. Die „Anderen“ mit ihren fremden Sitten, sie müssen raus aus unserem Land! Und dann sind da noch die Juden, die mit den Römern kollaborieren. Gläubige, die mit Heiden verkehren und sprechen. Jetzt reicht es uns! Es ist genug! Und einer schlug drein und griff zum Schwert! Wieder ein Gewalttäter und Jesus antwortet: So nicht! Ich brauch keinen bewaffneten Begleitschutz. Ich bin weder Staatsoberhaupt noch VIP. Was ich will, sind Menschen, die mir in dieser dunklen Zeit zu Seite stehen, die mit mir durch die Finsternis gehen. Wo sind solche Menschen? Wo waren sie damals, wo sind sie heute?
Ihr Lieben, unsere Perikope ist bedrängend. Ich habe es selbst in Notzeiten erlebt, dass nur sehr wenige Menschen mir beistanden. Ich fühlte mich einsam. Wie muss es Menschen ergehen, die alles Gut und ihre Lieben hinter sich lassen müssen, und in ein unbekanntes Land kommen, wo sie niemand kennen und sie niemand kennen möchte. Bei Lk ist es noch grausamer. Alle Jünger verlassen ihren Meister. Gerade die Gemeinde Jesu verkennt ihren Befreier.
Der eine erhängt sich, weil er über seinen Verrat nicht hinwegkommt. Der andere läuft weg, da er Jesus erst mit dem Schwert, dann mit Lügen verrät. Die anderen flüchten ins Nirgendwo. Wo sind wir? Auf unserem neuen Kirchturm steht ein Hahn, der zeigt: Kirche – eine Gemeinschaft von Verrätern. Wer ist der, der sich mit solchen Verrätern abgibt? Wer ist dieser „Herr“? Er ist ein Neinsager zu sinnloser Gewalt! Und noch mehr. Wieso lässt er sich kreuzigen, wenn er der Herr ist? Wieso bestätigt er uns nicht in unserem frommen Eifer? Ein letzter Blickwechsel.
III. Wie geht Gott mit dem Bösen um?
Nachdem Judas Jesus mit einem vorgetäuschten Kuss begegnet ist, und Petrus ihm gewaltsam beistehen wollte, kommen andere: Die Masse, die Jesus nicht so gut kennt und die ihn nicht so lieben wie seine Jünger. Es sind Hohepriester, Offiziere, Alteingesessene. Hier ist die religiöse, militärische, soziale Elite. Die Mächtigen, die Jesus beim Predigen im Tempel nicht belästigten, greifen nun ein. Jesus macht jedoch klar: Sie wissen gar nicht, weshalb und wozu sie gekommen sind, welch merkwürdig-erhabener „Verfügung“ sie unterstellt sind, sie dienen müssen.
Doch, könnte eine einwenden! Die Mächtigen erblicken in Jesus eine politische Gefahr, die um des (lieben) Friedens willen beseitigt werden muss! Zu lange hat Er gepredigt, wie Er gepredigt hat. Jetzt reicht‘s! Wir brauchen in unsicheren Zeiten wie heute mit so vielen Gefahren bei uns im Land und um unser Land her einen starken Führer. Und wenns solch einen Führer nicht gibt, dann muss halt ein Sündenbock her: Einer muss den Kopf hinhalten für alle anderen. Jesus, der Nazarener, kommt uns da gerade recht. Aber was geschieht hier eigentlich, so frage ich?
Die Macht der Finsternis greift nach den Mächtigen, nach den Führern und nach ihren Dienern! Sie streckt ihre dreckigen Hände aus nach all denen, die ein politisches „Weiter so“ wollen. Sie packt mit ihren ekelhaften Klauen auch nach religiös Sicheren und Wohlstandsverwahrlosten, nach Menschen, denen es im Traum nicht einfällt, die bestehende (Un-)Ordnung zu kritisieren, geschweige denn zu durschauen.
Menschen, nach denen die Finsternis derart machtvoll greift, die tappen im Dunkeln! Vielleicht blicken sie mit Furcht (Versagen) oder Stolz (Kraft) auf das, was sie früher geleistet haben, aber sie blicken nicht vorwärts. Sie sind blind für ihre Mitmenschen. Blinder als Maulwürfe (Calvin) sind sie für den wahren Menschen. Sie alle sind geblendet von Ruhm und Ehre oder von Scham und Verzweiflung, von Angst und Eifersucht. Aber gerade für sie geht Jesus in den Tod, sie zu erretten. Jesus lässt der Macht der Finsternis nur eine kurze Zeit, sodass sie ihr böses Werk tun kann.
Wir verstehen den Text nicht, wenn wir ihn linear lesen. Wir verstehen ihn im Nachhinein, von Ostern her. Auch dann bleiben Fragen. Das ist gut so! Jesus lässt zu, ein Gefangener zu werden. Er erleidet freiwillig Demütigungen. Sein Leid hat keinen „Sinn“. Erst hinterher begreifen wir, was da passiert ist in seiner Passion. Wir schauen, dass die Macht der Finsternis das Chaos ist, das Gottes Schöpfung seit eh und je bedroht und uns, seine Geschöpfe. Wir sehen, dass Gott dem Bösen kurzzeitig freie Hand lässt. Aber Jesus lässt der Finsternis freien Lauf – ohne unfrei zu sein. Diese finstere Macht ist nicht frei. Jesus, ihr Kurzzeit-Gefangener ist ein Freier.
Eine Deutung unserer Perikope, die sagen würde, in Jesu Gefangennahme triumphiert das Böse, es ist „wirklich“5, missversteht, dass die Mächte (und Mächtige) Gott dienen müssen. Das Böse und die Bösen, die wir alle sind vor Gott, sind und bleiben in Gottes Hand. Das heißt auch, das geht oft unter: Seien wir reiche oder arme Menschen, er will uns alle als seine Diener; so geben wir ihm Ehre. Er will uns „wirklich“, wie wir sind. Viele wollen das gern so missverstehen, dass Menschen vor solch einem Gott Marionetten seien. Das ist sicher falsch! Der Vater zwingt den Sohn erstens nicht ans Kreuz zu gehen, Jesus ringt sich in Gethsemane zu einem Ja zu Gott zum Tod durch. Die Finsternis hat bei seiner Gefangennahme zweitens keine eigene Macht, und nur wenig Zeit. Jesus liefert sich drittens den Soldaten aus, aber das tut er, weil er frei ist, frei selbst in totaler Unfreiheit. Darin ist er der einzige seiner Art. Ein Bild kann vielleicht helfen:
Bis zu Jesus und nach Jesus hatte der Tod, den wir uns als gefräßigen Schlund vorstellen wollen, leichte Opfer. Sündige Menschen, die er rasch verschlang. Er, der Tod, war eine Macht und vor ihm waren alle Menschen machtlos. Was würde passieren, wenn er eines Tages einen Menschen verschlingen würde, der sündlos wäre? So wie Gott ihn will?! So jemanden würde der Tod nicht wollen. Was, wenn er ihn dennoch verspeisen müsste. Was wird passieren? Der Tod, das feiern wir jeden Sonntag, wäre da nicht mehr derselbe. In Jesus Christus ist er auf einen gestoßen, hat er einen gefressen, der eine zu kräftige Kost für ihn war. Es gibt einen Mächtigeren als den Tod, als die Mächte des Wahnsinns, unter denen wir leiden und mit denen wir uns einlassen.
Wer sind wir, die wir uns mit der Finsternis einlassen? Sei es politische, gesellschaftliche oder religiöse Finsternis? Wir sind durch Jesus Christus Versöhnte! Solche, für die der Vater seinen Sohn in den gefräßigen Schlund warf, damit wir leben. Eine schöne Verwechselung!6 Sind wir Marionetten, wenn Gott das Böse für seine Zwecke benutzt und uns noch dazu? Nein! Wir sind frei, und wir brauchen Befreiung, jeden Tag neu, denn noch ist der Tod nicht zerstört. Am Sohn Gottes hat er sich die Zähne ausgebissen, aber sogar zahnlos bedroht er uns. Was für Gott bloß eine kurze Zeit ist, erscheint mir beinah endlos. Ach, wie ist das verwirrend. Darum möchte ich euch sagen: Ihr Lieben, lasst euch nicht beeindrucken von der Finsternis, die in uns allen steckt und um uns alle lauert. Wir wollen nicht, wie Judas, Gott zwingen, wir wollen nicht, wie Petrus, fromme Sprüche klopfen.7 Machen wir uns selbst anderen bitte nichts vor! Uns allen steht es doch gut an, das Gebot zu tun: „Einer trage des andern Last. So erfüllt ihr das Gesetz Christi“ (Gal 6,2). Was gibt es da nicht alles zu tragen! Ich frage deswegen: Wer möchte anfangen?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahrt eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
1 Ich möchte diese Predigt bewusst als Homilie verstanden wissen, der es um eine „Einfühlung“ in den Text und seine Figuren geht, um so den Einbezug des Auslegers in den Text stark zu machen, dessen Qualität sich darin erweist, der sich selbst immer wieder neu imponiert – auch ohne Ausleger:innen.
2 https://www.liturgischer-wegweiser.de/gebete-und-lieder/passionszeit/okuli/ (Stand: 24.03.2025).
3 F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (Lk 19,28-24,53). EKK III/4, Neukirchen-Vluyn 2008, 323 (Herv. D.S.).
4 Nicht wenige Exegeten nehmen für Ps 68,5, „Wolkenreiter“, zwar den Gott Israels im Sinne der „Monolatrie“ an, gehen aber traditionsgeschichtlich-redaktionsgeschichtlich davon aus, dass Baal ebenfalls diese Eigenschaften und Funktionen zugeschrieben wurden, sprich: dass die Autoren des deuteronomistischen Geschichtswerkes in „EL“ eine Umdeutung von „Baal“ annehmen, der urspr. in einem Pantheon als Wettergott fungierte, aber im Zuge des Monotheismus unter „El“ und „JHWH“ subsumiert wurde; vgl. S. Grätz, „Baal“, in: https://bibelwissenschaft.de/ stichwort/14309/ (Stand: 24.03.2025). Ich lasse hier dahingestellt sein, welche historischen Abhängigkeiten (oder Unabhängigkeiten?) zwischen „Baal“ und „El“ / „JHWH“ vorliegen und möchte vielmehr theologisch betonen, dass der Text auf literarisch-intentionaler Ebene von einem qualitativen Unterschied (und Kontrast) zwischen den „Göttern“ ausgeht. Anders ist schwer zu erklären, wieso erzählt wird, dass Elia für JHWHs Ehre streitet, indem er Seine „Feinde“ vernichten will. Gegen einen „Gott“ kann er nicht kämpfen, aber für Gott kann er streiten. Dass er sich nach seiner Mordaktion depressiv fühlt und sterben will, verwundert nicht, scheint er doch sein Unrecht und seine Maßlosigkeit im Eifern erkannt zu haben. Was er nicht weiß und nur durch eine süßes Flüstern mitbekommt, ist, dass Gott ihn – den Massenmörder – weiterhin gebrauchen will, dass er Ihm diene, also Ihm allein (Monolatrie) folge.
5 Anm. 3, 333.337f. Wohl wohnt den V. 52f. eine gewisse Tragik inne, jedoch nicht, weil Jesus „die Feigheit der Gegner“ anprangert (326), sondern weil der Vater am Kreuz seinen Sohn allein ließ: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlasen“ (Ps. 22,2). Gott geriet „außer sich“ angesichts der Kluft, die sich zwischen Ihm und seinem Geschöpf am Kreuz aufgetürmt hatte, und die er bloß seinem Messias aufladen konnte und wollte. Wie schrecklich das war, lässt sich nicht einmal träumen, geschweige denn denken. Welch tiefe Treue zwischen diesem Vater und diesem Sohn besteht, lässt sich nur erahnen. Gottes Geist schuf, dass zwischen diesen Sohn und diesen Vater kein Blatt Papier passt (vgl. Joh 10,30).
Natürlich, die Schuld am Tod Jesu hat mit uns zu tun, aber nicht ursächlich. Mk und Mt betonen einmütig, dass in Jesu Tod der Wille Gottes erfüllt werden musste (Mk 14,43-51; Mt 26,47-56). Johannes argumentiert (wahrhaftig) mit der Blindheit der Menschen für Gottes Weg einerseits und mit Gottes Weisheit, die den Sohn den Kelch trinken lässt, der seine Freunde leben lässt (Joh 18,1-11), andererseits. Jesu Tod dient dazu, aus Ungerechten Gerechte zu machen (vgl. Ps 34,16.18-21).
6 Martin Luther spricht in vielen Predigten an dieser Stelle vom „admirabile commercium“ (wunderbarer Tausch), und rekurriert dabei wohl auf den Diognetbrief (9,5) aus dem 2. Jh. (vgl. R. Schwager: Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre, München 1986).
7 J. Calvin, Evangelienharmonie, 2. Hälfte, in: Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in dt. Übers., Bd. 9, hg. u. mit e. Vorwort vers. v. Siegfried Goebel, Neukirchen-Vluyn o.J., 328-334 betont, dass nichts ohne Gottes Wille geschieht, er sich des Bösen als Werkzeug bedient, um den Übermut der Feinde zu rügen/seine Herrlichkeit zu zeigen. Daraus folgert Calvin für unsere Perikope, dass Satans Macht über Jesus „durch eine Verfügung Gottes für eine kurze Zeit gestattet“ sei: Doch selbst wenn die Welt im Tumult versinke, so geschehe nichts ohne Gottes Fürsorge. Damit meint Calvin, dass der Vater sich um den Sohn kümmert, und ihm im Angesicht des Todes die Treue hält. Der dreifache Zweck dessen ist: Satan besiegen, Sohn ehren, die Erwählten des Heils vergewissern.
Dennis Schönberger