Provokation
Herausforderung
»Man wird immer beobachten, daß gerade die Menschen, denen es irgendwie zu gut geht (...) und von ihrer Rolle durchaus befriedigt sind, keinen Humor haben, sondern daß man diesen bei den Angefochtenen, (...) suchen muß. Dadurch wird sich denn auch der echte Humor vom unechten, vom Karnevalshumor z. B., unterscheiden, daß er das Wissen um das Leid nicht ausschließt, sondern zur Voraussetzung hat. Und (...) daß er sich nicht mit Vorliebe an den Anderen, sondern mit ganz besonderer Vorliebe an sich selber übt (…). Darum und so wird er dann etwas Lösendes und Befreiendes, und nicht Gift und Galle, auch dann bedeuten, wenn er sich gegen Andere richtet. Wer sich selber zuerst ausgelacht hat, der darf dann auch einmal Andere auslachen und wird als letzte Probe auch die freudig überstehen, selber ausgelacht zu werden, eine Probe, in der mancher angeblich Humorvolle schmählich durchzufallen pflegt.« (Karl Barth, in: Ethik II (GA II, 10), 445f).
»Der Ort, wo die falschen Götter stehen und verehrt werden, ist heute wie zu allen Zeiten zuerst die Kirche selbst. Sie glaubt an die Güte und Macht ihrer eigenen Tradition, Moral und religiösen Aktivität. Sie glaubt an die Vortrefflichkeit der Christen im Unterschied zu den sie umgebenden Indifferenten, Atheisten und Kommunisten. Sie glaubt an das von ihr entworfene Menschenbild, Weltbild und Gottesbild. Sie tut damit dasselbe wie die, die an das Geld, den Sport, die Technik, die Sexualität oder auch einfach an die Herrlichkeit eines bequemen Lebens glauben. Die Kirche hat zu beweisen, daß sie selbst an den Gott glaubt, der die Menschen von allen falschen Göttern befreit hat.« (Karl Barth, Offene Briefe 1945-1968 (GA V.15), 501).
»The genius of stupidity is to think everything at the wrong time, to say everything to the wrong people, to do everything in the wrong direction, to lose no opportunity of misunderstanding and being misunderstood, always to omit the one simple and necessary thing which is demanded, and to have a sure instinct for choosing and willing and doing the complicated and superfluous thing which can only disrupt and obstruct.« (Karl Barth, § 65 The Sloth and Misery of Man, in: CD Volume IV,2 (§§ 64-68), 413f)
»Alles, was sich da vor uns ausbreitet an Fortschritten und erreichten Zielen, das ist von sehr, sehr fraglichem Werte; denn was helfen uns die steinernen, hölzernen, eisernen Fortschritte, wenn die Gegenkräfte, die Trägheit und das Raubtier im Menschen, so gewaltig sind, größer vielleicht und schneller fortschreitend als das, was wir Kultur nennen?« (Karl Barth, Predigt zu Mt 16,26, in: Predigten 1914 (GA I.5), 313).
»Rußland und Amerika: beide, wenn auch in sehr verschiedener Weise Kinder des alten Europas, beide entlaufene, oder schöner gesagt: mündig gewordene Kinder dieser Mutter, beide (...) zu Riesen ausgewachsen und nun beide, wenn auch unter sich konkurrierend, darin einig, daß eben sie (...) jenes alten Europas und damit des übrigen Globus Lehrer, Gönner, Beschützer, Wohltäter – oder sagen wir es deutlicher: Herren sein möchten.« (Karl Barth, Die Kirche zwischen Ost und West (1949), in: Der Götze wackelt, Berlin ²1964, 127).
»Auf dem Fußballfeld ist der Ball Gott. Oder das Tempo ist Gott, an der Börse heißt er Mammon.« (Karl Barth, in: Gespräche 1963 (GA IV.41), 27 auf die Frage, ob Gotteserkenntnis außerhalb der christlichen Offenbarung möglich sei).
»Ein in Davos hoffnungslos darniederliegender Lungenkranker, der in rechtschaffener innerer Auseinandersetzung mit seinem Schicksal, das ja zugleich eine allgemeine Bedrohung der Menschheit darstellt, begriffen ist, nimmt an der tätigen Bejahung des Daseins, obwohl sie für ihn praktisch nur im geduldigen Leiden und Ausharren und im Beweis von ein wenig Mut und paradoxer Freudigkeit inmitten seiner Umgebung bestehen kann, wahrhaftig auch und vielleicht intensiver teil, als der tüchtige Mann, der unterdessen im Bereich der Bahnhofstraße in Zürich ›Werte schafft‹, Geschäfte und Karriere macht.« (Karl Barth, KD III/4, 630).
»The shipping company whose president was also travelling on the Titanic and is among those who have been rescued – unfortunately, we are almost tempted to say. It is these people who saw this expensive ship, and all the intellectual effort which went into building it as well as the 800 sailors and 1400 passengers on board, as a great money-making operation. It is they above all who placed the safety of 2200 lives beneath their desire to compete with other companies. It is they who, for the sake of their dividends, have 1500 dead people on their consciences, together with all the distress this has brought upon families on both sides of the ocean. But ultimately not even this shipping company bears all the guilt for this disaster, but first and foremost the system of acquisition by which thousands of companies like this one are getting rich today, not only through shipping but across the whole spectrum of human labour.« (Karl Barth, Predigt am 21.4.1912 zu Ps 103,15-17, in: The Princeton Seminary Bulletin 28 (2007), 215).
»Es stand in der vorigen Woche in der National-Zeitung eine Weihnachtsbetrachtung (…), in der daran erinnert wurde, daß es dem Menschen im vergangenen Jahr gelungen ist, nach dem Mond zu greifen. Daran sei nun nichts mehr rückgängig zu machen und zu ändern, daß die Russen eine desinfizierte Kapsel dort hinauf gesendet haben und daß die nun eben dort ist! Dann fuhr der Verfasser aber fort: Es gebe etwas, was nun doch noch erstaunlicher und sicherer sei – daß nämlich Gott (der noch etwas weiter oben als der Mond und die Sonne, die Milchstraße und alle Welten jenseits der Milchstraße zu Hause ist) einen gewaltigen Griff nach der Erde getan, und daß er da etwas ganz Anderes und Besseres zurückgelassen habe als jene blöde Kapsel: eben den Bund seines Friedens, eben unsere Versöhnung mit ihm, eben den einen Jesus Christus, in welchem diese geschehen ist. Seht, darum, weil dieser Friede geschlossen ist, kann und wird Gottes Gnade nicht von uns weichen.« (Karl Barth, Predigt zu Jes 54,10 (1959), Predigten 1954-1967 (GA I.12), 158).
»Und traurig ist's, wenn man seine gestrigen Dummheiten und Verdrehtheiten ansehen und dann ins neue Jahr hinüber muss mit dem Gedanken: Fortsetzung folgt! Und traurig ist's, wenn man in die Welt hinaus sehen muss und seine Zeitungen liest am Neujahrsmorgen und nichts Anderes weiß als: Krieg und böse Zeiten gestern und heute dieselben! Dann ist ja zwischen gestern und heute kein Unterschied, beide sind eingetaucht in das gleiche Elend.« (Karl Barth, Predigt zu Hebr. 13,8, in: Predigten 1916 (GA I.29), 7)