Provokation
Herausforderung
»Es bedurfte nicht der französischen Revolution, um die wirkliche alte Ordnung Europas zu zerstören. Sie war schon zerstört, lange bevor diese Revolution, die Revolution von unten, Ereignis wurde.« (Karl Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Zürich 1946, 24f)
»[König] David ragte in verschiedener Beziehung hoch über seine Zeitgenossen und über sein Volk hinaus: durch seine Tapferkeit, durch seine Klugheit, durch seine für jene wilde Zeit erstaunliche Großmut gegenüber seinen Feinden. Aber einmal beging er doch eine unerhörte Zügellosigkeit und Roheit: als er den Uria verräterisch ermorden ließ und dessen Frau Bathseba zu sich nahm [2. Sam 11]. Er meinte wohl im Stillen, bei seinen sonstigen ehrenwerten Taten sei das ein kleiner, unbedeutender Flecken, der den Glanz seines Namens und sein Verhältnis zum lebendigen Gott nicht trüben könne. Doch, das hatte er getan. Obwohl David damals nicht mehr jung war, würde er ein ganz anderer Mann geworden sein, wenn jene Untat ungetadelt und ungestraft vorbeigegangen wäre. Er stünde dann vor unsern Augen als einer von den wüsten, gewissenlosen Tyrannen, an denen das Morgenland so reich gewesen ist, und es würde uns ganz unmöglich, ihn mit so manchen schönen, tiefen Psalmen in Verbindung zu bringen, die uns unter seinem Namen überliefert sind. Wenn er trotz jener Untat schließlich noch ein anderer geworden ist, so verdankt er das nicht seinen sonstigen guten Eigenschaften, sondern der Tatsache, daß die faule Stelle an ihm, die ihn sonst ganz vergiftet haben würde, unbarmherzig aufgedeckt wurde.« (Karl Barth, Predigt zu Sprüche 23,23, in: Predigten 1913 (GA I.8), 529f)
»Ohne Geld keine Schweizer. Ohne Geld keine Kultur. Ohne Geld keine Ruhe und Rast. Ohne Geld keine Freude und keine Zufriedenheit. Ohne Geld leider auch kein Christentum. Ja, wir leben vom Geld. Wer das Geld hat, der wird respektiert und gefürchtet, der hat die Behörden von vornherein für sich, der kann, wenn es sein muß, auch den Gesetzen und Ordnungen eine kleine Nase drehen, der richtet sich überhaupt die Welt so ein, wie es ihm paßt. Er kann befehlen, und er kann, wenn er will, auch bestrafen, wie ein zweiter lieber Gott. Er kann mit seinem Geld, wenn es sein muß, auch Liebe und Barmherzigkeit spenden mit vollen Händen, mit seinem Geld in der Welt, die vom Gelde lebt, und kann dafür die Verehrung und Dankbarkeit und den ewigen Gehorsam der Anderen in Empfang nehmen. Und dabei kann er persönlich vielleicht ein ganz vortrefflicher, vielleicht aber auch ein sehr zweifelhafter oder schlechter Mensch sein. Das ist gerade das Entscheidende, daß es darauf nicht ankommt. Der Mammon weiß nichts von Gut und Böse. Der Mammon ist einfach Macht. Als Macht kommt er über die Menschen. Als Macht zwingt er sie in seinen Dienst, Macht schenkt er ihnen in unendlicher Fülle, wenn sie ihm einmal Untertan sind.« (Karl Barth, Predigt zu Lk 16,19-26 (1915), in: Predigten 1915 (GA I.27), 264).
»Niemand versteht, daß der Herr nahe ist, der nicht mit tiefstem Entsetzen hineingesehen hat in die Abgründe der menschlichen Torheit und Bosheit, der nicht schon darüber erschrocken wäre, wie gut es doch die Torheit versteht, sich als Weisheit – und die Bosheit, sich als Gerechtigkeit zu gebärden. Niemand versteht, daß der Herr nahe ist, der nicht von Herzen verzagt ist: nicht nur über die Beschränktheit seiner eigenen Fähigkeiten und Hilfsmittel, sondern noch vielmehr darüber, daß auch er selbst, daß auch alle Guten und Besseren in die Torheit, die klug, und in die Bosheit, die tüchtig sein möchte, so tief verstrickt sind. Und wieder versteht niemand, daß der Herr nahe ist, der die Hände in den Schoß legt, der sich mit bloßem Zuschauen und Abwarten begnügt« (Karl Barth, Brief nach Holland, 1942, in: GA V.36, 403)
»Die Fürsten dieser Welt kommen und gehen, Gott aber bleibt. Die Staatsordnungen wandeln sich, Gottes Ordnung aber besteht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Die Reiche der Menschen entstehen und gehen wieder unter, Gottes Reich aber gehört die Zukunft.« (Karl Barth, Predigt zu Mk 12,13-17, in: Predigten 1913 (GA I.8), 82)
»Wenn der König oder Herr durch allgemeine Abstimmung gewählt wird, so soll er, wenn er Böses tut, durch allgemeine Abstimmung wieder abgesetzt werden, andernfalls aber werden seine Wähler mit ihm zusammen bestraft. Wenn ihn eine kleine Zahl Fürsten gewählt hat, soll man diesen mitteilen, dass man sein anstößiges Leben nicht mehr hinnehmen könne, und sie auffordern, den König abzusetzen.« (Zwingli, Auslegung und Begründung der Thesen und Artikel (1523), in: Schriften II, 393).
»Der Geldgeist macht die Leute freilich vorsichtiger, sie sagen es nicht so offen heraus, wem sie dienen, wie wenn sie etwa Untertanen des Zeitgeistes sind. Man rühmt sich nicht damit. Der Götzendienst geschieht in der Stille. Der Geldgeist lehrt seinen Leuten das vielsagende Achselzucken und die zweideutigen Worte, mit denen sie verstecken können, worum es ihnen eigentlich zu tun ist. Er wirkt darum nicht minder gewaltig. Er diktiert die Leitartikel in den Zeitungen, er bläst ein, wenn die Gesetze geschrieben und beraten werden, er sitzt als unsichtbares Mitglied mit beratender, aber entscheidender Stimme im Bundesrat, im Regierungsrat und im Gemeinderat, er führt dem sogenannten freien Bürger die Feder, wenn er seinen Stimm- und Wahlzeddel ausfüllt.« (Karl Barth, Predigt zu 2. Kor 3,17, in: Predigten 1913 (GA I.8), 226)
»Und nun ist gerade das Rechthaben ungefähr das Verhängnisvollste, was einem Menschen geschehen kann. Rechthaben ist immer etwas Hartes, Sachliches, Steifes. Da reißt der Mensch etwas an sich, was ihm nicht gehört. Da feiert er einen Triumph, der immer zu früh ist. Da scheint er groß und wird im selben Augenblick klein. Das Rechthaben macht das Gute in dem guten Menschen unwirksam. Sie müssten gut sein, (...) ohne recht haben zu wollen. Denn in dem Augenblick sieht man nur noch den Menschen, nicht mehr den guten Menschen. In dem Augenblick, wo Einer mit dem Guten einen Triumph feiern kann, wirkt das Gute mit dem Bösen auf der gleichen Linie. Man bewundert und respektiert es wohl noch, aber es ist nicht mehr ein Geheimnis, es ist keine Majestät mehr, es hat den Namen und das Gesicht dieses und dieses Menschen. (...) Die guten Menschen decken das Gute sozusagen zu; damit ist ihm seine Kraft genommen« (Karl Barth, Predigt zu Lukas 6,27-36, in: Predigten 1921 (GA I.44), 179).
»Doch was tun heute diese schlappen Hirten, die täglich den Ehebruch der Vornehmen konstatieren und die ihm gleichwohl nicht zuvorkommen, sondern häufig auch noch Kupplerdienste leisten? Was wollen wir erst von der unkeuschen Keuschheit (..) sagen, die ihre heuchlerische Enthaltsamkeit nicht genug herausstreichen können, sich uns aber täglich obszöner als die Hunde darbieten? Dies alles ginge ja noch halbwegs an, bliebe es bei einigen innerhalb der natürlichen Grenzen!« (H.Zwingli, Der Hirt (1524), in: Huldrych Zwingli Schriften I, 274)
»Gewiss, das sind Kämpfe, die durchgekämpft werden müssen, aber was für eine Verödung des politischen Lebens, (...) wenn die Leute außer den schönen Redensarten der patriotischen Feste nur noch durch solche Dinge in politische Erregung versetzt werden können, wenn nachgerade alle Politik zum wirtschaftlichen Zank auszuarten droht! Kein Wunder, wenn viele anständige und feinere Leute den Ekel bekommen vor aller Politik. Man blickt heute mit Entsetzen und fast mit Verachtung zurück auf die Zeiten, wo sich in unserm Lande die Konfessionen gegenseitig befehdeten und bedrängten, und wir wollen sie nicht zurückwünschen, aber war es nicht vielleicht doch fast noch die noblere, geistig höherstehende Zeit, in der man sich um den Glauben stritt, gegenüber einer Zeit, in der es scheint, als könne man nur noch wegen Eisenbahnen und Milchpreisen in Leidenschaft geraten?« (Karl Barth, Predigt zu Psalm 62,12, in: Predigten 1913 (GA I.8), 486)