Sexagesimae: Lukas 8, 1-10.11-15 - Der Same der Verkündigung trägt nicht überall Frucht
von Johannes Calvin
Lukas 8, 1-10
1 Und es begab sich danach, daß er reiste durch Städte und Dörfer und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Geister ausgefahren, 3 und Johanna, die Frau des Chusa, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen Handreichung taten von ihrer Habe. 4 Da nun viel Volks beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: 5 Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. 6 Und etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum daß es nicht Saft hatte. 7 Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. 8 Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat, zu hören, der höre! 9 Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, was dies Gleichnis wäre. 10 Er aber sprach: Euch ist’s gegeben zu wissen die Geheimnisse des Reiches Gottes, den anderen aber in Geheimnissen, auf daß sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören.
Lukas 8,18
18 So sehet nun darauf, wie ihr zuhöret. Denn wer da hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er meint zu haben.
Lukas 10,23.24
23 Und er wandte sich zu seinen Jüngern besonders und sprach: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet. 24 Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen, und hören, was ihr höret, und haben’s nicht gehört.
Was ich hier aus dem Lukasevangelium einfüge, bezieht sich vielleicht auf eine andere Zeit, aber weil der Evangelist es in diesen einen Zusammenhang gesetzt hat, schien mir kein Grund zwingend, daß ich es auseinanderrisse. Zuerst sagt er, die zwölf Apostel hätten zusammen mit Christus das Reich Gottes gepredigt. Wir schließen daraus, daß sie sich, obwohl ihnen das regelrechte Lehramt noch nicht übertragen war, doch als eifrige Herolde betätigten, um ihrem Meister Gehör zu verschaffen. So werden sie, obgleich sie an Stellung Christus weit unterlegen waren, seine Gehilfen genannt. Er berichtet dann weiter, Christus habe in seiner Begleitung gewisse Frauen gehabt, die er von bösen Geistern oder bösen Krankheiten geheilt hatte, wie etwa Maria Magdalea, die schon einmal von sieben Dämonen geplagt war. Es könnte den Anschein haben, dass dieser Umgang weniger ehrenvoll gewesen ist; denn was schickte sich für den Sohn Gottes weniger, als übelbeleumundete Frauen mit sich herumzuführen? Aber wir erkennen hierdurch um so besser, daß die Gebrechen, die uns belasteten, bevor wir zum Glauben kamen, der Herrlichkeit Christi gar nicht hinderlich sind, im Gegenteil, sie machen sie noch größer. Und es heißt doch ganz gewiß nicht, daß er die Gemeinde, die er sich erwählte, ohne Runzel und Fleck gefunden, sondern daß er sie mit seinem Blut abgewaschen und sie rein und schön gemacht habe. Darum ging der erbärmliche, schmachvolle Zustand jener Frauen, nachdem sie von ihm befreit sind, in der großen Herrlichkeit Christi auf, damit er die Kennzeichen seiner Kraft und seiner Gnade zeige. Zugleich lobt Lukas auch ihre Dankbarkeit, daß sie nichts auf die Schmähreden der Welt gaben und ihrem Befreier nachfolgten. Zweifellos zeigte man überall mit dem Finger auf sie, und die Gegenwart Christi war für sie wie eine Schaubühne, die die Blicke auf sie lenken mußte; aber sie weigern sich nicht, sich öffentlich in ihrer Schande zu zeigen, damit nur die Herrlichkeit Christi nicht litte und verborgen bliebe. Sie ertrugen sogar freiwillig die Demütigung, damit sein Auftreten überzeugen konnte. Nun hatte sich durch die unermeßliche Güte Christi an Maria ein ganz besonderes Wunder ereignet; die Frau, die einst von sieben Dämonen besessen war und gleichsam unter der allergemeinsten Sklaverei Satans lebte, wurde nicht nur der Ehre einer Jüngerin, sondern auch seines vertrauten Umgangs gewürdigt. Lukas fügt den Beinamen Magdalena hinzu, um sie von der Schwester der Martha und den anderen Marien zu unterscheiden, die anderwärts erwähnt werden.
Luk. 8, 3. „Johanna, die Frau des Chusa.“ Man weiß nicht, ob Lukas diese Frauen ebenso aufgefaßt wissen wollte wie die Maria. Mir kommt es als wahrscheinlich vor, daß sie an die Spitze der Reihe gesetzt wurde, weil Christus an ihr in besonderer Macht gewirkt hatte, und daß die Frau des Chusa und Susanna als ehrenwerte, unbeschrieene Frauen nach ihr genannt werden, weil sie nur von gewöhnlichen Krankheiten geheilt worden waren. Da es reiche und edle Frauen von Stand waren, so verdient ihr frommer Eifer um so mehr Lob, als sie Christi Unterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten und, mit dieser Aufgabe noch nicht zufrieden, ihre häuslichen Geschäfte zurückstellen und trotz der Anfeindungen und vieler Unbequemlichkeiten ihm lieber in die unterschiedlichen und ungewissen Quartiere folgen als das verwöhnte Nichtstun in ihren eigenen Häusern genießen. Es kann auch sein, daß Chusa, ein Verwalter des Herodes, seinem Herrn nicht allzu unähnlich war und dafür dem Vorhaben seiner Frau sehr abgeneigt; doch die fromme Frau überkam dieses Hindernis mit der Glut ihres Eifers und auf Grund von Beharrlichkeit.
Matth. 13, 2. „Und es versammelte sich viel Volks zu ihm.“ Nicht ohne Grund erzählen die Evangelisten zuerst von dem ungeheuren Massenauflauf, dessen Anblick Christus dazu veranlaßte, seine Verkündigung mit einem Samenkorn zu vergleichen. Aus verschiedenen Orten war jene Menge zusammengeströmt, und sie standen alle erwartungsvoll da; bei allen fand sich das gleiche Verlangen zu hören, doch nicht der gleiche Wille, Gewinn für sich daraus zu ziehen. Das war der Anlaß zu dem Gleichnis; man sollte wissen, daß der Same der Verkündigung nicht überall Frucht trägt, obwohl er weit und breit ausgesät wird, denn er findet nicht immer fruchtbares und wohlvorbereitetes Erdreich vor. Christus gibt sich hier also als einen Bauern aus, der ausgehe, um zu säen, aber viele Hörer seien wie unbebautes, dürres Erdreich, andere wie Dornen, so daß die Mühe und der Same selbst verloren sei. Im übrigen erspare ich mir, die Bedeutung des Gleichnisses weiter zu behandeln, bevor wir zu seiner Erklärung kommen, die der Herr selbst ein wenig später gibt. An dieser Stelle sind die Leser nur an eins zu erinnern: wenn bereits die mit unbrauchbarer, ertragloser Erde verglichen werden, die wie Hungrige von entfernten Orten zu Christus gelaufen kamen, so ist es kein Wunder, wenn das Evangelium heute bei vielen keine Frucht bringt, von denen die einen träge und langsam sind, die andern nur schläfrig zuhören und man die dritten kaum zum Zuhören bewegen kann.
Matth. 13, 9. „Wer Ohren bat, der höre!“ Mit diesen Worten deutet Christus einerseits an, daß nicht allen die gleiche Gabe geschenkt sei, aufzufassen, was er sagt, andererseits ermahnt er jedoch seine Jünger, seine Lehre aufmerksamer zu bedenken und sie nicht für etwas zu halten, was offen auf der Hand liege und einfach zu verstehen sei. Gewiß unterscheidet er bei den Hörern so, daß er die einen zuhören, die andern jedoch taub sein läßt. Wenn man nun fragt, woher jene ersteren nun die Ohren haben, dann bezeugt die Schrift an anderer Stelle (Ps. 40, 7), daß niemand sich auf Grund eigener Anstrengung eigne und heranbilde, sondern daß der Herr ihm die Ohren auftue.
Matth. 13, 10. „Und die Jünger traten zu ihm und sprachen.“ Aus den Worten des Matthäus geht hervor, daß die Jünger nicht nur im Blick auf sich, sondern in gleicher Weise auch für die anderen Auskunft wünschten. Wenn schon sie das Gleichnis nicht verstanden, war es ihnen klar, daß es dem Volk erst recht unverständlich war. Darum beschweren sie sich, daß Christus Worte gebrauche, mit denen seine Hörer nichts anfangen konnten. Wenn nun auch Gleichnisse meistens die Sache, um die es sich handelt, erleuchten, so sind sie doch rätselhaft, wenn das Bild, das sie enthalten, niemals aufgelöst wird. Wenn Christus also dieses Gleichnis vortrug, wollte er unter einem bildlichen Vergleich verhüllen, was er ohne Bild klarer und deutlicher hätte sagen können. Nun aber, da die Auslegung dazugestellt ist, hat die bildhafte Rede mehr Aussagekraft und Wirkung als eine einfache. Das heißt, sie ist nicht nur kräftiger, um die Herzen zu bewegen, sondern sie ist auch einsichtiger. So viel liegt daran, wie etwas gesagt wird.
Matth. 13, 11. „Euch ist's gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreichs versteht.“ Aus dieser Antwort Christi schließen wir, daß Gott den Menschen die Predigt vom Heil mit verschiedenen Zielpunkten vorträgt. Denn Christus bezeugt, er habe eigens deshalb dunkler geredet, damit für die breite Masse sein Wort rätselhaft bleibe und es mit einem verworrenen, zweideutigen Ton nur die Ohren berühre. Wenn jemand die Stelle aus Jesaja (45,19) einwerfen will: „Ich habe nicht im Verborgenen geredet an einem finstern Ort der Erde; ich habe nicht zu den Söhnen Jakobs gesagt: Sucht mich vergeblich!", oder den Lobpreis des Gesetzes, den David singt (Ps. 119,105), das Wort sei dem Fuße eine Leuchte und gebe den Unmündigen Weisheit, so ist die Antwort leicht: Das Wort Gottes ist von Natur aus immer hell, doch die Finsternis der Menschen erstickt sein Licht. Denn wenn auch das Gesetz gleichsam wie ein Vorhang davorgelegt worden ist, so ist trotzdem darin die Wahrheit Gottes offenkundig da, nur sind die Augen von vielen verblendet worden. Vom Evangelium bezeugt Paulus richtig, es sei nur den Verworfenen verhüllt und den dem Verderben Geweihten, da Satan ihre Sinne verblendet hat (2. Kor. 4,4). Darum müssen wir wissen, daß die Erleuchtungskraft, an die David erinnert, und die unmittelbare Weise zu lehren, die Jesaja preist, sich eigentlich nur auf das erwählte Volk bezieht. Denn das wird immer feststehen: Das Wort Gottes ist nur insofern dunkel, als die Welt es auf Grund ihrer Blindheit in Dunkel hält. Aber es ist auch wahr, daß der Herr seine Geheimnisse bei sich behält, damit ihre Bedeutung auf keinen Fall dem Verständnis der Verworfenen zugänglich werde. Und zwar nimmt er ihnen auf zwei Arten das Licht seiner Verkündigung: Manchmal trägt er unter Rätselworten etwas vor, was sich klarer sagen ließe; zuweilen erklärt er auch seinen Gedanken offen ohne Umwege und Bilder, macht aber ihre Aufnahmefähigkeit stumpf und schlägt sie mit Torheit, so daß sie bei vollem Licht doch blind sind. Hierauf beziehen sich jene schaudererregenden Drohungen bei Jesaja, wo Gott ankündigt, er werde seinem Volk wie ein Ausländer sein, der eine fremde, unbekannte Sprache spricht; die Gesichte der Propheten würden den Weisen ein verschlossenes, versiegeltes Buch sein, in dem sie nicht lesen könnten; wenn aber das Buch dann geöffnet würde, würden sie alle in Bestürzung versinken und nicht mehr wissen, wie man es liest (Jes. 28,11 und 29,11).
Da nun Christus seine Predigt mit Bedacht so formte, daß sie nur bei wenigen solchen Erfolg hatte, daß sie sich fest in ihren Herzen einwurzelte, da er die andern aber in Erwartung und in Verwirrung beließ, so folgt daraus, daß Gott die Predigt vom Heil den Menschen nicht mit ein und der gleichen Absicht vorträgt, sondern sein wunderbarer Ratschluß hat es so eingerichtet, daß sie den Verworfenen ebensosehr ein Duft des Todes zum Tode werde wie den Erwählten ein lebensspendender Geruch. Damit niemand aufzubegehren wage, beugt Paulus mit diesen Worten vor, wie immer auch sich das Evangelium auswirke, so sei doch sein Geruch, mag er auch todbringend sein, immer vor Gott ein süßer Duft. Damit uns nun aber die Bedeutung der vorliegenden Stelle aufgeht, müssen wir die Absicht Christi, warum und wozu er so gesprochen hat, näher untersuchen. Zuerst einmal will das Gleichnis zweifellos darauf hinaus, daß Christus den Jüngern die ihnen gewährte Gnade in erhöhtem Maße deutlich mache. Denn ihnen war in besonderer Weise etwas geschenkt, was nicht allen unterschiedslos zugänglich war. Wenn einer fragt, woher den Aposteln das Vorrecht solcher Würde zukomme, so findet sich sicherlich der Grund nicht in ihnen selbst, sondern indem Christus erklärt, es sei ihnen geschenkt, schließt er jegliches Verdienst aus. Sie seien allerdings bestimmte, auserwählte Menschen, so erklärt Christus, die Gott besonders mit dieser Ehre auszeichnet, so daß er ihnen seine Geheimnisse eröffnet, den übrigen aber diese Gnade versagt. Für diese Unterscheidung findet sich kein anderer Grund, als daß Gott die zu sich ruft, die er auf Grund seiner freien Entscheidung erwählt.
Matth. 13, 12. Denn wer da hat ... Christus führt weiter aus, was ich schon gesagt habe: Er erinnert seine Jünger daran, wie freigebig Gott an ihnen handle; sie sollen darum seine Gnade um so höher einschätzen und sich als seiner besonders großen Wohltat verpflichtet betrachten. Diese gleichen Worte wiederholt er noch einmal an einer anderen Stelle, doch in einer verschiedenen Bedeutung (Matth. 25,29); dort handelt es sich nämlich um den richtigen Gebrauch der Gaben, hier zeigt er einfach, den Aposteln werde darum mehr geschenkt als den gewöhnlichen Menschen, weil der himmlische Vater seine Wohltaten gegen sie bis ins Übermaß steigern wolle. Denn da er nach Ps. 138,8 das Werk seiner Hände nicht läßt, das er einmal zu bilden begann, so schmückt er es immer unermüdlicher aus, bis er es schließlich zur vollkommensten Schönheit gebracht hat. Darum fließen uns zuweilen so vielerlei Gaben von ihm zu; darum können wir fröhliche Fortschritte machen, weil nämlich der Anblick seiner Wohltaten Gott noch weiter dazu treibt, uns fortwährend zu beschenken.
Sooft er uns darum ein Stück weiter emporgeführt hat, wollen wir daran denken, daß alles, was uns täglich an Gaben zukommt, darin seinen Ursprung hat, daß er das Werk seines Heils, das er begonnen hat, vollenden will. Im Gegensatz dazu erklärt Christus nun aber, die Verworfenen würden immer tiefer stürzen, bis sie, völlig am Ende, auf Grund ihrer Armut dahinschwinden. Dieses Wort wirkt nun hart, daß den Gottlosen das weggenommen wird, was sie gar nicht haben; doch Lukas mildert die Härte, und, indem er die Worte ein wenig abändert, nimmt er ihnen ihre Schwierigkeit. Er sagt: Was sie dem Augenschein nach haben, das wird ihnen genommen. Und ganz gewiß kommt es sehr oft vor, daß auch die Bösen mit vortrefflichen Gaben glänzen und dem Aussehen nach den Kindern Gottes ganz gleich sind. Doch gibt es bei ihnen nichts Beständiges, weil ihr Herz keine Frömmigkeit kennt und all ihre Pracht sich als leer entpuppt. Darum behauptet Matthäus mit Recht, sie hätten überhaupt nichts, weil es vor Gott wie nichts gelte und innerlich leer sei. Lukas aber deutet in passender Weise darauf hin, daß sie die Gaben, mit denen sie beschenkt wurden, selbst verderben, so daß sie nur in den Augen der Menschen glänzen und im übrigen nichts haben als Pomp und leeren Schein. Wir lernen daraus auch, daß wir unser ganzes Leben danach streben sollen weiterzukommen, denn Gott bietet uns ja einen Vorgeschmack seiner himmlischen Lehre dar, wenn er bestimmt, daß wir uns täglich reichlicher davon nähren sollen, bis wir zu einer vollen Sättigung gelangt sind. Bei Markus liest sich dieses Wort ein wenig unklarer. Gebt acht, sagt der Herr, was euch gesagt wird. Wenn sie daraufhin gehörig vorankommen, macht er ihnen Hoffnung auf reichere Gaben. Euch, die ihr hört, wird noch dazugegeben werden, sagt er. Endlich schließt er mit dem Sätzchen, das mit den Worten des Matthäus übereinstimmt. Doch schob er einen Satz dazwischen, den ich schon in Matth. 7 behandelt habe, weil es unwahrscheinlich ist, daß er der Zeitfolge nach hier seinen Platz hatte. Denn die Evangelisten waren, wie ich hin und wieder schon erwähnt habe, nicht darauf erpicht, fertige Reden von Christus zustande zu bringen, sondern oft stellen sie nur verschiedene Aussprüche von ihm zusammen. Lukas, der zum Teil andere Reden Christi wiedergibt, mischt den gleichen Ausspruch ein und bezeichnet zugleich einen anderen Grund, warum Christus so gesprochen habe. Wir sollen nämlich auf seine Lehre achthaben, damit der Lebenssame nicht leichtsinnig verschüttet werde, der doch tief in den Herzen aufgenommen werden und dort Wurzeln treiben soll. Er hätte auch sagen können: Paßt auf, daß euch nicht genommen wird, was euch geschenkt wurde, wenn ihr kein Weiterschreiten zeigt.
Matth. 13, 13. „Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen.“ Nach seinen Worten redet er darum dunkel zum Volk, weil es das wahre Licht nicht besitze. Wenn er behauptet, ein Schleier liege auf den Juden wie auf Blinden, so daß sie in ihrer Finsternis verharren müßten, so gibt er ihnen doch nicht die Schuld daran, sondern er preist damit nur die Gnade um so höher, die den Aposteln widerfuhr, die doch nicht allen in gleicher Weise gemeinsam sei. Darum gibt er keine andere Ursache an als den geheimen Ratschluß Gottes, dessen Sinn uns zwar verborgen ist, der trotzdem aber feststeht, wie wir bald deutlicher sehen werden. Obwohl im allgemeinen Gleichnisse einen andern Zweck verfolgen als Rätselworte wiederzugeben, die Gott nicht in Klarheit kundtun will, so müssen wir hier sagen: Das hier vorliegende Gleichnis wurde von Christus so vorgetragen, daß es wegen seiner Bildrede wie ein dunkles Rätselwort wirkte.
Matth. 13, 14. „Und an ihnen wird die Weissagung Jesajas erfüllt.“ Die Weissagung des Jesaja bestätigt, daß es in keiner Weise etwas Neues sei, wenn viele keinen Nutzen aus dem Wort Gottes ziehen, das doch einst dem alten Volk zu noch tieferer Verblendung bestimmt war. Im übrigen wird diese Stelle des Propheten verschiedentlich im Neuen Testament erwähnt. Paulus wirft Apg. 28, 26ff. den Juden ihre hartnäckige Bosheit vor und behauptet, sie seien deshalb blind für das Licht des Evangeliums, weil sie sich gegen Gott auflehnten und rebellierten. So gibt er die zunächstliegende Ursache an, die nämlich in den Menschen selbst lag. In Röm. 11, 7 f. jedoch leitete er den Unterschied von einem tieferen und weniger offenbaren Grund ab. Er lehrt, es werde ein Rest auf Grund der Erwählung aus Gnaden gerettet, die übrigen aber seien verstockt, wie es in Jes. 29, 10 steht. Jene Gegenüberstellung ist bemerkenswert: Denn wenn allein die Erwählung Gottes, und zwar die aus Gnaden, einen beliebigen Rest des Volkes rettet, so folgt daraus, daß alle andern vergehen, auf Grund des verborgenen Urteils Gottes, das zugleich doch auch gerecht ist. Denn wer sind die übrigen, die Paulus dem erwählten Rest gegenüberstellt, wenn nicht die, die Gott eines besonderen Heils gewürdigt hat? Ein ähnlicher Gedankengang begegnet uns in Joh. 12, 38: Es heißt, viele hätten nicht geglaubt, weil nur der glaubt, dem es der Arm des Herrn offenbart. Und Johannes schreibt weiter: Jene hätten gar nicht glauben können, weil wiederum geschrieben sei (Jes. 6, 10): „Verstocke das Herz dieses Volks ..." Genau das meint Christus, wenn er sich auf den verborgenen Plan Gottes bezieht; denn die Wahrheit des Evangeliums werde nicht allen ohne Unterschied eröffnet, sondern sie werde ihnen aus der Ferne und unter Rätselsprüchen vorgetragen, so daß sich nichts als noch dichtere Finsternis über das Verstehen des Volkes breite. Ich gebe zwar zu, daß Gott immer solche verstockt, die er dieser Strafe für würdig befindet, aber da nicht immer der nächstliegende Grund im Wesen der Menschen selbst zutage liegt, so bleibt dieser Grundsatz bestehen: Wen Gott in gnädiger Weise erwählt hat, der wird durch göttliche Kraft zum Heil erleuchtet, und das auf Grund eines einzigartigen Geschenks; allen Verworfenen aber wird das Licht des Lebens genommen, mag ihnen nun Gott sein Wort entziehen, mögen ihre Augen und Ohren versperrt sein, daß sie nicht sehen noch hören. Wir begreifen jetzt, in welcher Weise Christus die Weissagung des Propheten im vorliegenden Fall verstanden wissen will.
„Mit den Ohren werdet ihr hören." Es war nicht nötig, die Worte des Propheten wörtlich anzuführen, weil es Christus genügte, wenn er zeigte, daß es kein neues oder ungewöhnliches Vorkommnis war, wenn viele sich angesichts den Wortes Gottes verstockten. Dem Propheten war gesagt worden: Geh hin und verstocke ihre Einsicht und mache ihre Herzen hart; das wandte nun Matthäus auf die Hörer Jesu an, um zu zeigen, daß sie selbst die Schuld für ihre Blindheit und Verstockung tragen. Denn man kann das eine nicht vom andern trennen, weil alle, die Gott an einen verworfenen Sinn dahingegeben hat, sich freiwillig und in innerlicher Bosheit verblenden und verstocken. Wie könnte es auch anders sein, wo der Geist Gottes nicht herrscht, von dem allein die Erwählten regiert werden! Darum müssen wir auf diesen Zusammenhang achten: Die Gott nicht mit dem Geist der Kindschaft erleuchtet, haben auch keine gesunde Einsicht; darum werden sie durch das Wort Gottes nur noch mehr verstockt; trotzdem tragen sie selbst die Schuld daran, weil ihre Verstockung selbstgewollt ist. Im übrigen finden hier die Diener am Wort einen Trost, wenn ihre Mühe oft nicht den ersehnten Erfolg findet. Vielen Menschen ist ihre Verkündigung so wenig zum Gedeih, daß sie dadurch nur noch schlimmer werden. Den Dienern am Wort heute widerfährt nämlich nur, was der Prophet bereits erlebt hat, und über ihn sind sie ja nicht erhaben. Es wäre zwar zu wünschen, daß sie alle zum Gehorsam gegen Gott bringen könnten, und es ist ihre Aufgabe, sich dafür einzusetzen und zu mühen. Indessen sollen sie sich nur nicht wundern, daß heute das Gericht Gottes auch noch gilt, das er damals durch den Dienst des Propheten vollstreckte. Doch müssen wir uns beständig davor hüten, daß nicht durch unsere Nachlässigkeit die Frucht des Evangeliums umkomme.
Mark. 4, 12. „Auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen.“ Hier genügt es, wenn ich kurz anmerke, was ich früher schon breiter ausgeführt habe. Die Verkündigung ist weder ihrer Eigentümlichkeit nach noch durch sich selbst, noch ihrer Natur nach der Grund der Verstockung, sondern sie will durch die Umstände, die sie antrifft. Denn es ist so, wie wenn ein Nachtblinder an die Sonne kommt und seine Augen dadurch noch weniger Sehkraft haben. Man kann dieses Übel darum in keiner Weise der Sonne zuschreiben, sondern den Augen des Nachtblinden. So verblendet und verstockt das Wort Gottes auch die Verworfenen; da das durch ihre Bosheit geschieht, so hängt es mit ihrer Art und ihrem Wesen zusammen und ist nur zufällig mit dem Wort verbunden und nicht wesentlich.
„Auf daß sie sich nicht etwa bekehren“. Dieser Zusatz zeigt, wozu das Sehen und das Erkennen nützt. Die Menschen sollen sich nämlich dadurch zu Gott bekehren und bei ihm wieder zu Gnaden kommen. Und wenn er ihnen dann gnädig ist, dann können sie gut und glücklich leben. Darum möchte der Herr sein Wort eigentlich mit diesem Ziel verkündigt sehen, daß es die Einsicht und die Herzen der Menschen erneuert und sie mit sich versöhnt. Über die Gottlosen aber verkündet Jesaja hier das Gegenteil: sie sollen in ihrer steinernen Härte verbleiben, damit sie keine Barmherzigkeit erlangen, und ihnen gegenüber verliere das Wort seine Wirkung, da es ja ihre Herzen nicht zur Buße erweiche. Mit „helfen“, wörtlich „Heilung bringen", meint Matthäus wie auch der Prophet die Befreiung von allem Übel. Denn sie vergleichen das von der Hand Gottes geschlagene Volk im Bild mit einem kranken Menschen. Darum nennen sie es Gesundheit erlangen, wenn der Herr die Strafen erläßt. Aber da jene Gesundheit von der Vergebung der Sünden abhängt, gibt Markus passend und klug den Grund und die Ursache dafür an. Denn woher soll denn eine Erleichterung der Strafen kommen, wenn nicht daher, daß uns der Herr gut ist und uns seinen Segen schenkt? Wenn er auch zuweilen, obwohl er uns die Schuld erlassen hat, mit der Strafe nicht aufhört, dann sollen wir dadurch entweder tiefer gedemütigt werden oder wir sollen in Zukunft mehr auf der Hut sein. Im Ganzen gilt jedoch, daß wir die Zeichen seiner Huld erkennen können, wenn er uns lebendig macht und erneuert. Da nun meistens die Strafe zusammen mit der Schuld erlassen wird, so setzt man mit Recht Heilung und Vergebung miteinander in Zusammenhang. Im übrigen darf daraus auf keinen Fall gefolgert werden, die Buße sei der Grund zur Vergebung, als ob Gott die Bußfertigen in Gnaden annimmt, weil sie es so verdient hätten (denn auch die Buße selbst ist ein Zeichen der unverdienten Gnade Gottes); es wird damit nur eine Ordnung und ein Zusammenhang bezeichnet, weil Gott nur dann die Sünden vergibt, wenn Menschen mit sich selbst ins Zerwürfnis geraten.
Matth. 13, 16. „Aber selig sind eure Augen.“ Lukas scheint diesen Ausspruch in eine spätere Zeit zu verschieben. Doch die Erklärung dafür ist einfach: die meisten Aussprüche dort sind nicht einer genauen Zeitfolge entsprechend zusammengestellt. Darum wollen wir dem Zusammenhang bei Matthäus folgen, der es deutlicher zum Ausdruck bringt, woher er den Anlaß genommen hat, so zu reden. Denn wie es zuvor um die einzigartige Gnade ging, die ihnen zugekommen war und sie dann darauf aufmerksam gemacht wurden, daß der Herr sie aus dem Volk herausnahm und ihnen einen freien Zugang zu den Geheimnissen seines Reiches ließ, so wird jetzt die gleiche Gnade durch einen anderen Vergleich gepriesen: sie stehen nämlich damit über den alten Propheten und den heiligen Königen. Das ist noch viel herrlicher, als der ungläubigen Menge vorgezogen zu werden. Christus meint nun aber nicht gewöhnliches Hören und auch nicht einfaches Sehen des Fleisches, sondern er preist ihre Augen darum selig, weil sie die Herrlichkeit wahrnehmen, die dem eingeborenen Sohn Gottes zukommt, so daß sie ihn als ihren Erlöser erkennen. Denn ihnen strahlt das lebendige Ebenbild Gottes entgegen, in dem sie Heil und wahrhafte Seligkeit erlangen. Weiter preist er ihre Augen selig, weil an ihnen erfüllt wird, was durch die Propheten gesagt worden war, daß sie voll und ganz von Gott gelehrt würden und keiner von seinem Nächsten lernen müsse. So wird der Einwand zerstreut, den man von einem andern Wort Christi her anführen könnte, wo er selig die nennt, die nicht sehen und doch glauben (Joh. 20, 29). Denn dort ist eine andere Art von Sehen gemeint, wie es nämlich Thomas als sinnenfälligen Beweis begehrte. Das Sehen jedoch, von dem Christus hier spricht, ist den Gläubigen aller Zeiten mit den Aposteln gemein. Denn nicht sehend sehen wir Christus und nicht hörend hören wir ihn. Denn im Evangelium tritt er uns von Angesicht zu Angesicht entgegen, wie Paulus (2. Kor. 3, 18) sagt, damit wir in sein Bild verklärt werden, und die Fülle der Weisheit, der Gerechtigkeit und des Lebens, die einmal in ihm offenbar wurde, strahlt beständig von ihm aus.
Luk. 10, 24. „Und Könige wollten sehen.“ Mit Recht heißt es, die Gemeinde zu Jesu Zeiten sei besser daran als die heiligen Väter, die unter dem Gesetz lebten. Ihnen wurde nur unter Schattenbildern und Verhüllungen gezeigt, was nun in dem strahlenden Angesicht Christi offen zutage tritt. Denn nachdem der Vorhang des Tempels zerrissen ist, treten wir im Glauben in das himmlische Heiligtum ein, und der freie Zugang zu Gott steht uns offen. Denn wenn die Väter, sich auch mit ihrem Geschick begnügten und einen seligen Frieden in ihren Herzen hegten, so stimmt doch auch, daß sie mit ihrem Sehnen weiter ausgriffen. So sah zwar Abraham den Tag Christi von ferne und freute sich (Joh. 8, 56), doch wünschte er sich, einen Blick aus weiterer Nähe zu tun, und kam doch nicht in den Genuß seines Wunsches. Allen aus dem Herzen spricht Simeon, wenn er sagt; „Herr, nun lassest du deinen Diener im Frieden fahren ..." (Luk. 2, 29). Es konnte aber auch gar nicht anders sein, daß alle, unter der Last des Fluches, von dem das ganze Menschengeschlecht bedrückt ist, in Sehnsucht nach der verheißenen Befreiung entbrannten. Wir sollen also mitnehmen, daß sie sich wie Verschmachtende nach Christus sehnten, und doch war ihr Glaube ruhig, so daß sie Gott nicht in den Weg traten, sondern in ihren Herzen geduldig darauf warteten, bis die Zeit zur Offenbarung reif wäre.
[Matthäus 13, 13-18; Markus 4, 13-20]
Lukas 8, 11-15
11 Das Gleichnis aber ist dies: Der Same ist das Wort Gottes. 12 Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden. 13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. 14 Das aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Freuden des Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. 15 Das aber auf dem guten Land sind, die das Wort hören und behalten in einem seinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.
Bei Matthäus und Lukas erklärt Christus den Jüngern das Gleichnis einfach, ohne sie zu tadeln. Bei Markus jedoch wirft er ihnen in versteckter Weise ihre Schwerfälligkeit vor, weil sie nicht schneller seien als die andern, wo sie doch in Zukunft alle lehren sollten. Mit der ganzen Erklärung will Christus sagen: Die Verkündigung des Evangeliums, die wie ein Same ausgestreut wird, bringt nicht überall Frucht, denn sie fällt nicht immer auf fruchtbares und wohlvorbereitetes Erdreich. Er zählt vier Arten von Hörern auf: Die ersten nehmen den Samen gar nicht auf; die zweiten scheinen ihn zwar aufzunehmen, aber nur so, daß er keine Wurzeln treiben kann; bei den dritten wird die Saat erstickt; so bleibt nur der vierte Teil übrig, der Frucht bringt. Es ist nicht so, daß von den vier Hörergruppen nur eine oder von vierzig nur zehn die Verkündigung annehmen und Frucht bringen, denn sicherlich wollte Christus hier nicht im voraus ein bestimmtes Zahlenverhältnis angeben, noch wollte er die, über die er spricht, in gleich große Gruppen teilen. Denn der Ertrag für den Glauben ist doch nicht immer der gleiche, sondern er ist, wo das Wort ausgestreut wird, bald reicher, bald kärglicher. Christus wollte nur daran erinnern, daß bei vielen der Same des Lebens verderbe wegen verschiedener Mängel, durch die er entweder sofort umkommt oder verdorrt oder langsam seine Kraft verliert. Damit wir uns im übrigen diese Mahnung mehr zu Herzen nehmen, sollen wir beachten, daß die Verächter, die das Wort Gottes offen von sich weisen, hier gar nicht erwähnt werden, sondern daß hier nur von denen gesprochen wird, bei denen eine gewisse Bereitschaft zum Lernen dazusein scheint. Wenn schon der größere Teil von denen aus den Augen schwindet, wie mag es dann erst der übrigen Welt gehen, die die Verkündigung des Heils offen von sich weist? Nun will ich zum einzelnen kommen.
Matth. 13, 19. Wenn jemand das Wort von dem Reich hört und nicht versteht. An erster Stelle erwähnt er die Unfruchtbaren und Verwilderten, die den Samen innerlich nicht aufnehmen, weil ihre Herzen gar nicht vorbereitet sind. Solche vergleicht er mit hartem, trockenem Erdreich, das wie ein Estrich festgestampft wurde und ausgetrocknet ist. Wenn man nur nicht so viele von dieser Art heutzutage sehen müßte, die sich zum Hören bereitfinden, aber dann wie angedonnert dastehen und überhaupt keine Ahnung davon erfassen! Mit einem Wort, sie unterscheiden sich kaum von Baumstümpfen oder Steinen; darum ist es kein Wunder, daß sie völlig unbeständig sind. Wenn Christus von dem Wort sagt, es werde in ihre Herzen gesät, so ist das nicht wörtlich zu nehmen; doch hat es seinen Sinn, denn durch die Fehler und die Bosheit der Menschen verliert das Wort nicht sein Wesen, der Same verliert nicht seine Kraft. Das ist aufmerksam zu bedenken, damit wir nicht meinen, es habe Gottes Gnadengaben verloren, wenn auch ihre Wirkung nicht bis zu uns durchdringt. Was Gott nämlich angeht, so sät er wohl das Wort in die Herzen, aber nicht die Herzen aller Menschen nehmen jenen Samen mit Sanftmut auf, wie Jakobus (1,21) mahnt. Seinem Vermögen nach ist darum das Evangelium immer fruchtbarer Same, doch nicht dann, wenn es seine Wirkung entfaltet. Lukas fügt hinzu, der Teufel reiße den Samen aus ihren Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden. Daraus schließen wir, daß dieser Feind unserer Seligkeit, wie es hungrige Vögel während der Saatzeit tun, mitten in der Verkündigung auftaucht und nicht davon abläßt, auf sie einzuwirken, um sie an sich zu reißen, bevor der Same Feuchtigkeit aufgesogen hat und keimen kann. Es ist ein ungewöhnlicher Lobpreis des Glaubens, wenn er die Ursache unserer Seligkeit genannt wird.
Matth. 13, 20. „Bei dem auf das Felsige gesät ist ...“ Diese Gruppe unterscheidet sich von der ersten. Ein zeitweiliger Glaube läßt, als ob der Same aufgenommen sei, anfänglich einige Frucht erwarten, aber die Herzen sind nicht so gut und gründlich durchgearbeitet, daß ihre Lockerkeit als beständige Nahrung genügte. Von dieser Sorte beobachten wir heute nur allzu viele: mit Eifer nehmen sie das Evangelium an, um wenig später wieder abzufallen. Denn es fehlt die lebendige Leidenschaft, die sie zur Beharrlichkeit festigt. Darum soll sich jeder gründlich prüfen, daß nicht der Eifer, der einen großen Schein aussendet, nach kurzer Zeit verglimmt wie ein Strohfeuer, wie man sagt. Nur wo das Wort das ganze Herz von Grund auf durchdringt und tiefe Wurzeln schlägt, wird der Glaube fortwährend mit Feuchtigkeit versorgt, so daß er beharren kann. Zwar ist jene Bereitschaft erfreulich, das Wort Gottes in dem Augenblick, in dem es angeboten wird, ohne Zögern und fröhlich anzunehmen; doch wissen wir, daß damit noch nichts gewonnen ist, bevor der Glaube nicht eine gediegene Kraft gesammelt hat, damit er nicht verdorrt, wenn er in die ersten Halme schießt. Um ein Beispiel zu geben, führt Christus die Menschen an, die sich vom Ärgernis des Kreuzes umwerfen lassen. Und so gewiß, wie die Hitze der Sonne die Fruchtbarkeit der Erde erweist, so deckt auch Verfolgung und Kreuz die Hohlheit derer auf, die nur von irgendeiner Neigung berührt, aber der Liebe zur Frömmigkeit nicht aufrichtig und ernsthaft zugetan sind. Solche werden bei Matthäus und Markus wetterwendisch genannt oder eigentlich „Zeitgläubige", nicht nur darum, weil sie sich nur eine Zeitlang als Christi Jünger bekennen und hernach in der Versuchung wieder abfallen, sondern weil es bei ihnen auch so aussieht, als ob sie den wahren Glauben hätten. Darum sagt Jesus auch bei Lukas, sie würden nur eine Zeitlang glauben, weil jene Ehrerbietung, die sie dem Evangelium zollen, so ähnlich aussieht wie Glaube. Doch müssen wir wissen, daß sie nicht in Wahrheit von dem unvergänglichen Samen wiedergeboren sind, der niemals kraftlos wird, wie Petrus lehrt (1. Petr. 1,23ff.). Denn jenes Wort des Jesaja (Jes. 40,8): das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit, erfüllt sich nach den Worten des Petrus an den Herzen der Gläubigen, in die einmal die Wahrheit Gottes eingesenkt wurde und dann niemals wieder verging, sondern bis ans Ende kräftig ist. Doch glauben in gewisser Hinsicht auch die, denen das Wort Gottes als liebenswert erscheint und bei denen es eine gewisse Ehrerbietung erfährt. Denn ganz gewiß unterscheiden sie sich von den Ungläubigen, die mit dem Glauben nichts zu tun haben wollen, wenn Gott zu ihnen redet, oder sein Wort gar zurückweisen. Nur soviel sollen wir wissen: Keiner ist des wahren Glaubens teilhaftig, der nicht vom Geist der Kindschaft Gottes versiegelt ist und Gott von ganzem Herzen als Vater anruft. Wie einerseits jener Geist niemals erlischt, so kann auch unmöglich der Glaube, den er den Herzen der Gläubigen einmal eingeprägt hat, sich verflüchtigen und vergehen.
Matth. 13, 22. „Bei dem aber unter die Dornen gesät ist ..“. Zu der dritten Gruppe rechnet Jesus die, die sich zwar als geeignet erweisen würden, den Samen bei sich innen zu behalten, wenn sie ihn nicht von anderer Seite verderben und verkommen ließen. Mit Dornen vergleicht Christus die weltlichen Lüste oder die bösen Begierden und die Habsucht und die anderen Sorgen des Fleisches. Obgleich Matthäus außer der „Sorge der Welt“ nur noch die Habsucht erwähnt, so meint er doch dasselbe; denn er begreift unter diesem Wort die Verlockungen der Begierden, die Lukas aufzählt, und jede Art von Lust. Denn wie Dornen und anderes Unkraut den sonst munter sprossenden Samen ersticken, wenn er in die Halme schießt, so herrschen in den Herzen der Menschen die bösen Leidenschaften des Fleisches und sind dem Glauben überlegen. Dadurch zerstören sie die Kraft der himmlischen Verkündigung, die noch nicht ausgereift ist. Wenn die bösen Begierden das Herz des Menschen auch besitzen, bevor das Wort des Herrn Blätter treibt, so scheinen sie doch bei den ersten Anfängen das Feld noch nicht zu beherrschen, sondern sie kommen erst langsam, nachdem der Same aufgegangen ist und Frucht verspricht. Darum muß sich jeder einzelne Mühe geben, die Dornen aus seinem Herzen auszureißen, wenn er nicht möchte, daß das Wort Gottes bei ihm erstickt wird. Denn es gibt niemanden, der nicht voll wäre von einem unübersehbaren Gehege von Dornen, ja gleichsam einem dichten Wald. Und wir sehen ganz genau, wie nur wenige zur Reife gelangen; denn kaum jeder Zehnte bemüht sich, die Dornen auszuroden, geschweige denn sie wenigstens zurückzuschneiden. Und gerade diese riesige Menge, die unsere Trägheit aufrütteln müßte, ist den meisten ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. „Betrug des Reichtums“ nannte Christus die Habsucht. Er hat es genau bedacht, wenn er den Reichtum täuschend und verführerisch nannte, damit sich die Menschen um so mehr vor seinen Fangstricken in acht nehmen lernen. Im übrigen denken wir daran, daß es ebenso viele Schädlinge gibt, die den Samen des Lebens zerstören, wie Leidenschaften unseres Fleisches, deren Menge und Mannigfaltigkeit unzählbar ist.
Matth. 13, 23. „Bei dem aber in das gute Land gesät ist...“ Nur die vergleicht Christus mit guter und fruchtbarer Erde, in denen das Wort des Herrn nicht nur Wurzeln treibt, und zwar tiefe und beständige, sondern wo es auch alle Hindernisse überwindet, die seiner Frucht zuvorkommen wollen. Wenn einer einwendet, es gäbe keinen Menschen, der von Dornen frei und rein wäre, so ist die Antwort leicht: Christus spricht hier nicht von der Vollkommenheit des Glaubens, sondern zeigt nur, bei welchen Menschen er Frucht bringt. Obgleich also das Vorankommen gering sein wird, so wird doch jeder, der nicht vom aufrichtigen Gottesdienst abfällt, als gutes und fruchtbares Erdreich angesehen. Zwar müssen wir uns mühen, die Dornen auszureißen, aber weil wir es niemals in auch noch so fleißiger Arbeit zuwege bringen, sondern immer irgendein Rest bleibt, so soll doch wenigstens jeder von uns danach streben, ihnen die Lebenskraft zu nehmen, damit sie nicht der Frucht des Wortes hinderlich sind. Der folgende Satz bestätigt dieses Wort, wenn Christus lehrt, daß nicht alle nach dem gleichen Maß Frucht bringen. Wenn auch im Vergleich mit dem hundertfältigen Ertrag die Fruchtbarkeit der Erde nur kläglich ist, wo sie einen dreißigfältigen Ertrag bringt, so sehen wir doch, daß Christus alle diese Böden zusammen nennt, die die Arbeit und Hoffnung des Bauern nicht gänzlich zunichte machen. Und daraus lernen wir, daß wir in keiner Weise die verachten dürfen, die sich weniger hervortun; wenn zwar der Hausvater selbst jeden einzelnen nach dem Maß seines Reichtums den andern voranstellt, so würdigt er doch auch die Geringeren in einem gemeinsamen Lob ihrer guten Beschaffenheit. Im übrigen verrenkt Hieronymus in unsinniger Weise jene drei Gruppen auf Jungfrauen, Witwen und verheiratete Frauen, als ob der Fortschritt, den der Herr von uns fordert, allein mit der Ehelosigkeit zu machen sei und als ob nicht oft ein rechtschaffener Ehestand sich reicher erweise im Hervorbringen jeglicher Frucht und Vorzüge. Nebenbei muß man auch dies wissen, daß Christus hier nicht übertreibt, wenn er von der hundertfältigen Frucht spricht; gewisse Gebiete besaßen damals eine Fruchtbarkeit, die wir von sehr vielen Geschichtsschreibern, und zwar von Augenzeugen, kennen.
Aus: Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Die Evangelienharmonie 1. Teil, Neuenkirchener Verlag 1966, S. 382ff.
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