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Simchat Torah - Freude an der Tora
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 17. Kapitel
Tobias Kriener erzählt:
Simchat Torah
Weil wir gestern Abend bei Simchat Torah in Naharijah waren, haben Simon und ich den Spieleabend vorgezogen und Sonntagabend endlich mal ein „Twilight Struggle“ gespielt. Weil es um die Weltherrschaft geht – Kalter Krieg –, stellt das Spielbrett eine Weltkarte dar – für die vorbeikommenden Kibitze natürlich Anlass zu fragen: Ist das so was ähnliches wie Risiko??? Ist es eben nicht – es ist gerade nicht so eine tumbe Würfelorgie wie Risiko, sondern viel raffinierter. Darum ist Simon jetzt natürlich „hooked“, und wir werden die Zeit am Wochenende nutzen, um gleich noch eine Partie zu spielen.
Gestern Abend also Simchat Torah in Naharijah. Zuerst waren wir bei der Feier der Reformsynagoge dabei. Die Musik war schauerlich: Sie hatten einen Musiker engagiert, der jüdischen Sakropop der schlimmsten Sorte spielte.
Aber sie waren wieder so herrlich gnadenlos inklusiv: Es wurden mehrere Runden mit der Torah getanzt: In der 1. Runde waren die Kinder und Eltern dran; dann die Großmütter; dann die Großväter. Inzwischen waren wir Nes Ammimniks voll beim Kreistanz dabei. Da trat einer der Großväter auf mich zu und bot mir an, die Torahrolle zu tragen. Ganz abgesehen davon, dass ich nun endgültig weiß, dass ich im Großvateralter angekommen bin, habe ich natürlich erst mal zurückhaltend reagiert mit dem Verweis darauf, dass ich kein Jude sei, sondern Christ. Daraufhin drückte er mir die Torahrolle in die Arme und legte mir den Tallit um mit den Worten: „Ani lo jehudi; atah lo notzri; anachnu kulanu bnej adam.“ (Ich bin kein Jude; du bist kein Christ; wir alle sind Menschen – als hätte er im Beit Midrash des Rabbi Paulus gelernt...)
Da stand ich nun also – auch noch ohne Kippa – und hatte mit der Torahrolle zu tanzen. Aber alle fanden das völlig in Ordnung. Auch zwei der Volos bekamen noch eine Rolle. Und eine der letzten Runden widmete die Rabbinerin Ariela dann der Gemeinde und Nes Ammim, weil die Nes Ammimniks so viele Feste ihrer Synagoge mitfeiern. Zum Schluss wurde übrigens Hatikvah gesungen – die Nationalhymne –, eine schöne Melodie (angelehnt an die „Moldau“ von Smetana), ein schöner Text – nur eben exklusiv: nicht-jüdische Staatsbürger finden sich darin nicht angesprochen...)
So war es ein gelungener Abend: Ich konnte mich endlich mal der Rabbinerin vorstellen; und die Volos hatten ihren Spaß daran, beim Kreistanz dabei zu sein; und der Abend war mild; und es war fröhliche, ausgelassene Stimmung bei den Reformierten wie überhaupt auf den Straßen.
Auf dem Rückweg zu den Autos haben wir dann noch die offizielle Feier der Stadt Naharijah vor dem Rathaus angeschaut. Dabei zeigte sich die problematische Verquickung von orthodoxer Version der Religion mit dem Staat: Denn dies war natürlich eine orthodoxe Feier (alle anderen müssen sehen, wo sie private Simchat Torah abhalten) – d.h. nur die Männer waren zugelassen zum Tanz – die Frauen standen an der Seit und guckten zu. Die Musik war zwar weniger kitschig, dafür umso lauter. Und die Torah-Freude hatte etwas Brachiales – es war weniger ein Tanzen, als ein Springen und Rennen und Gebrüll – von der Bühne wie von den meist jungen Männern unten davor. Ist ja völlig in Ordnung – jeder hat eben seine Art und Weise, zu feiern; das Problem ist eben, dass nur die eine Version staatlich anerkannt ist und ihre Version als einzig wahre durch – und den anderen aufzudrücken versucht.
Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Oktober 2016
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener