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Von einem, der das Nachschauen hatte
Eine Epiphanias-Predigt zu Ex 33,18–23
Liebe Gemeinde,
lassen Sie uns heute, am ersten Sonntag nach Epiphanias, noch einmal über das Epiphaniasfest nachdenken. Es geht um das Fest der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ – so heißt es in Joh 1,14b. Wer ermessen und verstehen will, was es mit dem Erscheinen der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus auf sich hat, der wird im Alten Testament ansetzen müssen,3 etwa bei dem Wunsch Moses, die Herrlichkeit Gottes zu schauen. In 2. Mose 33,18–23 heißt es:
„18Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit schauen! 19Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht schauen; denn kein Mensch wird leben, der mich schaut. 21Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her schauen; aber mein Angesicht kann man nicht schauen.“
Die Sehnsucht danach, Gott4 zu schauen, scheint uns Menschen tief ins Herz geschrieben zu sein. Eine religiöse Anlage tritt hier zutage, darin sind sich viele Menschen auch über die engeren Zirkel von Kirche und Theologie hinaus einig. Zwei Beispiele aus der Kunstgeschichte, genauer gesagt der Romantik, mögen hier genügen, um dies zu verdeutlichen. Da ist zunächst Caspar David Friedrichs Ölgemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1818.5
Wir kommen ja aus dem Friedrich-Jahr 2024 mit der Feier seines 250. Geburtstages und ganz Deutschland scheint den Maler mit dem Besuch der Hamburger Kunsthalle zu ehren. Hundertausende strömten letztes Jahr dorthin, nicht zuletzt um die Ikone der Ausstellung, ihr Werbemotiv, nämlich Friedrichs „Wanderer“ zu sehen, oder besser gesagt: um mit dem „Wanderer“ zu schauen.6 Schauen und Sehen meinen nämlich im Deutschen nicht dasselbe.7 Das Schauen geht tiefer. Es blickt gleichsam hinter den Vorhang, dringt zum Wesen der Dinge, zu ihrer Wahrheit vor. Den spannungsvollen Moment der Erwartung einer solchen unmittelbaren Schau, die Erwartung des nächsten Augenblicks, in dem die Schau Ereignis, Erlebnis wird, hält Friedrich in seinem Gemälde fest.
Dort blickt eine Rückenfigur, ein Mann mit roten Haaren, wie Friedrich selbst sie hatte, auf eine in Nebel getauchte Gebirgslandschaft und wir als Betrachtende mit ihm. Der „Wanderer“ wird zur Spiegelfigur, in der wir uns mit Caspar David Friedrich erkennen können. Der Standort des „Wanderers“ ist verräterisch. Wie Mose in unserem Predigttext, so steht auch Friedrichs „Wanderer“ auf dem Felsen, ja, wenn wir genau hinschauen, erkennen wir den zerklüfteten Untergrund, der dem „Wanderer“ Halt gibt. Gott stellte Mose dementsprechend in die Felsenkluft, damit er hinter seiner Herrlichkeit herschauen konnte.
Auch Friedrichs „Wanderer“ erwartet wie Mose als Führer des „wandernden Gottesvolkes“ eine Art Offenbarung, eine ihm ermöglichte Schau, die er selbst nicht ermöglichen kann, der gegenüber er selbst ins Passive gesetzt ist und die er nur geschehen lassen kann. Sie muss ihm geschenkt werden. Die dichten Nebel, die ein undurchsichtiges Meer bilden und das Geheimnis der unter ihnen verborgenen Welt bedecken, müssen sich dazu lichten, die Schleier aus milchigem Dunst, die das Mysterium verhüllen, verschwinden. Man gewinnt den Eindruck, als ginge es dem „Wanderer“ um etwas sehr Ähnliches wie Mose, nämlich um eine Schau des Geheimnisses dieser Welt, ja, eine Schau Gottes als des Geheimnisses dieser Welt.8
Auch das zweite Kunstwerk bringt die Sehnsucht nach der Gottesschau zur Sprache und zwar im wörtlichen Sinne. Denn es handelt sich um ein Stück Lyrik, nämlich Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“ von 1827:
„Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.“
Auch hier geht es um die Offenbarung des noch Verhüllten.9 Wiederum ist vom Nebel die Rede: „Im Nebel ruhet noch die Welt“. Die verborgenen Phänomene sind noch nicht ans Licht der Sichtbarkeit getreten. Die Welt schwebt noch in Gestalt von Wald und Wiesen in der Sphäre des Traumes. Doch bald schon kommt es zur Enthüllung. Das Gedicht expliziert eine Naherwartung: „noch nicht“, aber „bald schon“. Bald schon wird der Schleier fallen und das Blau des Himmels wird unverstellt zu Tage treten. Gott, symbolisiert im Blau des Himmels, lässt sich schauen. Dies ist ein ungeheures Ereignis, das alle Sinne packt und ergreift.
Es kommt zu geballten Synästhesien. Die Empfindungen arrangieren sich im Zusammenspiel, im Verbund der Wahrnehmung. Sinneseindrücke werden parallel angeregt, Sinneseindrücke, wie sie mit dem Sehen des fallenden Schleiers und dem Ertasten der „Herbstkräftigkeit“ der Welt zur Sprache kommen. Sie will zugleich als „gedämpfte“ gehört und schließlich im „warmen Gold“ mit dem sehenden Auge und der fühlenden Hand wahrgenommen werden. Die Gottesschau ergreift den Menschen in seiner Sinnlichkeit, verflechtet alle seine beteiligten Sinnesmodalitäten kunstvoll in- und miteinander. Die Gottesschau packt ihn, sie hat ihn und wird zu einem Ereignis des farbigen Hörens, zum unvergesslichen Erlebnis des Zugleichs einer einzigartigen Verbindung von Farbe, Temperatur, Musik und Räumlichkeit.
Ja, die Romantik spricht die Sprache der Sehnsucht. Und die Sache, um die es ihr in unseren beiden Kunstwerken geht, dürfte nicht allzu weit von dem entfernt sein, was unseren Predigttext in seinem Dialog zwischen Gott und Mose bewegt. Auch Mose möchte Gott schauen, ihn konkret in seiner Heiligkeit erfassen, ja Mose möchte Gott erleben. Doch wie reagiert Gott auf dieses religiöse Ansinnen? „Mein Angesicht kannst du nicht schauen; denn kein Mensch wird leben, der mich schaut.“ Wir ahnen es bereits, was das bedeuten würde: Wenn wir Gott, sein Angesicht, d.h. sein Wesen schauten, würden wir mit einem Schlag das Geheimnis der Welt durchschauen, wüssten, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält.10
Wir wüssten, warum Kriege geführt werden, warum Unglücke geschehen, warum die Biographien von Menschen so und nicht anders verlaufen – mit einem Wort: wir wären Gott mit diesem Wissen gleich. Ja, nicht nur mit diesem Wissen, sondern in allem, denn mit diesem Wissen wüssten wir ja auch, wie wir Göttlichkeit erlangten und könnten sie uns aneignen. Dann wäre freilich der „unendlich qualitative Unterschied“ (S. Kierkegaard) zwischen Gott und Mensch dahin. Der Mensch, der Gott in diesem Sinne schaute, wäre als Gott nicht mehr Mensch. Er wäre tot, tot als Mensch. Es muss also heißen: „Kein Mensch wird leben, der mich schaut“. Denn nochmals: Der Mensch, der Gott wäre, wäre kein Mensch mehr, sondern tot.
Vor diesem Tod als Mensch wird Mose von Gott bewahrt. Mose darf Mensch sein und bleiben. Unser Predigttext versteht es nicht als Strafe für den Menschen, Mensch zu sein und nicht Gott zu werden, sondern als Gnade. Doch diese Gnade, als Mensch im Gegenüber zu Gott leben zu dürfen, ist ausweislich unseres Predigttextes nicht die einzige. Vielmehr handelt er von einer zweifachen, einer doppelten Gnade. Neben die Gnade des Verwehrten, nämlich der verwehrten Gottesschau, tritt die Gnade des Gewährten.
Es ist uns nicht nur verwehrt, in Gottes Geheimnisse einzudringen, ihn als Geheimnis der Welt zu entschlüsseln, sondern es wird uns auch gewährt, hinter Gott her zu schauen. Gott bleibt zwar das Geheimnis der Welt. Er entzieht sich unserem Zugriff, bleibt frei und souverän in der Wahl seiner Wege und Gedanken. Diese Freiheit ist seinem Wesen mit seinem Namen eingeschrieben11: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“12
Unser Dialog zwischen Gott und Mose geht aber noch weiter. Er bleibt nicht bei dem Verwehrten stehen, sondern schreitet zum Gewährten voran. Gott tadelt Mose nicht, als dieser ihm seine religiöse Bitte vorträgt.13 Und so sollten auch wir unsere Mitmenschen mit ihrer religiösen Bedürfnislage nach Gottesschau – und mag sie auch außerkirchlich vorgetragen sein – gewiss nicht tadeln. Gott geht sehr menschlich mit den Menschen um und so sollen wir es auch halten.14 Der Genfer Reformator Johannes Calvin kann sagen: „Wo Gott erkannt wird, da kommt auch die Menschlichkeit zur Ehre.“15 Gott lässt sich sogar auf Moses Wunsch ein: Er darf Gottes Herrlichkeit nachschauen.16
Unser Predigttext handelt von einem, der nicht das Nachsehen, sondern das Nachschauen hat. Diese Nachschau ist die wahre, die angemessene Gottesschau, auf die wir hinweisen und zu der wir als Kirche einladen dürfen. Ihr entspricht die Bewegung des theologischen Denkens als der des Nach-Denkens, hinter Gott und seinem Tun her.17 „Theologie ist ein nachträgliches Geschäft“18, so formuliert Helmut Gollwitzer. Dies hat elementar damit zu tun, dass – wie Sören Kierkegaard in seinen Tagebüchern schreibt – das Leben „vorwärts gelebt“, aber „rückwärts verstanden werden muss“.19
Wie ist diese Nachschau, diese Rückschau nun beschaffen? Ich denke, dass viele von Ihnen, liebe Gemeinde, sie bereits erlebt und erfahren haben: Als die Herrlichkeit Gottes durch unser Leben ging, er uns in der Stunde der Gefahr bewahrte, er uns die Augen öffnete, als wir keinen Durchblick mehr hatten, als er uns Kraft, Mut und Aufbruchsgeist schenkte, als wir nicht mehr weitergehen konnten und wollten. Diese Spur20 in der eigenen Lebensgeschichte, in der die Herrlichkeit Gottes aufleuchtet, erkennen wir oft erst in der nach-denkenden Betrachtung, während im Augenblick seiner Nähe und schützenden Hilfe alles dunkel scheint und unsere Augen blind sind.
Uns ergeht es bisweilen wie Jakob, der in Bethel nach seinem Traum von der Himmelleiter wach wird und sagen kann: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht“ (Gen 28,16)! „Erst in der Rückschau erkennen wir in solchen Spuren Gottes Spur.“21 Und erst im Nachhinein können wir Einstimmen in jene Strophe, die zu den schönsten und tiefsten unseres Gesangbuches gehört: „Wenn ich auch gleich nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele / auch durch die Nacht.“22
Ja, liebe Gemeinde, mit unseren Gefühlen, auch und gerade den religiösen, ist das so eine Sache. Sie trügen uns oft. Und auch unsere Sehnsüchte richten sich nicht selten nach etwas aus, was sich als leer und nichtig erweist. Mose selbst hat das am Sinai erfahren, als das Volk in seiner Sehnsucht nach der Gottesschau dem Glanz des goldenen Stierbildes erlag (vgl. Gen 32). Doch damit endet unsere Geschichte – Gott sei Dank – nicht, sondern Mose darf den Reichtum der gewährten Gnade Gottes erfahren: Er hält seine schützende Hand vor Mose und stellt ihn in den Schutzraum der Felskluft. Von dort aus ist keine vernichtende Schau möglich.
So bewahrt Gott Mose, gewährt ihm die doppelte Gnade des Verwehrens und Gewährens, von der ich sprach. Ja, bei genauem Hinsehen können wir erkennen, dass sich die ohnehin geschenkte doppelte Gnade noch einmal verdoppelt und zwar im Motiv des doppelten Schutzes, denn Mose wird zum einen in eine Felsspalte gestellt und zum anderen schirmt Gottes Hand Mose vor der unmittelbaren, selbstzerstörerischen Gottesschau ab.23
Aber auch damit ist die biblische Geschichte von der durch Mose erbetenen Gottesschau noch nicht zu Ende. Denn als Christinnen und Christen, die wir die Bibel Alten und Neuen Testaments lesen, verweist sie uns hinüber vom Alten ins Neue Testament. Vor wenigen Tagen erst haben wir, wie gesagt, das Weihnachtsevangelium gehört: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14b). Und wir kennen vielleicht das Wort Jesu: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh 14,9).
Der freie, souveräne Gott, den wir nicht von Angesicht zu Angesicht schauen können, er ist es, der sich an Weihnachten festgelegt hat. Er hat bestimmt, wo und wie er sich schauen lassen will: in der Krippe, im Kreuz und im leeren Grab. Damit grenzt sich Gott ab, macht sich für den Glauben bestimmbar und eingrenzbar. Wohlgemerkt Gott selbst – nicht etwas über ihm – hat sich in Jesus Christus auf seinen Offenbarungswillen festgelegt: „Hinter diese seine eigene Festlegung sollen wir nicht zurück. Vielmehr sie in Ehrfurcht verehren und stehen lassen.“24
Martin Luther kann sagen: „Dieser Wille ist nicht zu erforschen, sondern mit Ehrfurcht anzubeten als ein in höchstem Grade verehrungswürdiges Geheimnis der göttlichen Majestät“.25 Das heißt: „Die Praxis des Glaubens und der Theologie hat da anzufangen, wo Gott aufgehört hat, hat aber keinen Gott zu ihrem Gegenstand zu haben, der sich nicht in Jesus Christus definiert hat. Gott in seiner Freiheit jenseits und vor seiner Selbstbestimmung in Jesus Christus ist für Luther kein möglicher Gegenstand der Theologie. Sie verlöre sonst alles. Gott und den Glauben – und sich selbst.“26
In Christus zeigt uns Gott indes sein wahres, sein leuchtendes Angesicht. Hier zeigt er, dass er kein „Willkürgott der absoluten, der grenzenlosen Freiheit“27 ist, kein Moloch, dem Menschenopfer dargebracht werden müssen (vgl. Jer 7,31). Gott offenbart in Christus seine Herrlichkeit: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Amen
1 Hintergrund der Predigt: Entscheidende Hinweise und viele Formulierungen verdanke ich der Predigt von Pfr. i.R. Dr. Helmut Hollenstein im Gottesdienst am 15.01.2023 in der evangelischen Gemeinschaft Lützel, unter: https://www.youtube.com/watch?v=1qFRr6SUdys (Minuten: 27:41–45:21).
2 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Wanderer_%C3%BCber_dem_Nebelmeer (Wikicommons, zuletzt abgerufen am 10.1.25)
3 Ingo Baldermann (Einführung in die Bibel, Göttingen 1988, 139–143) identifiziert dort im Blick auf die Erzählformen Verheißungsgeschichten (Epiphanien), in denen Gottesbegegnungen geschildert werden.
4 Von dem dieser Gottesschau zugrunde liegenden Gottesbegriff gilt freilich: „Wenn der Mensch von Gott, von der göttlichen Natur, von göttlichem Wesen oder von Gott schlechthin redet, dann meint er damit den Gegenstand der allgemein vorhandenen und wirksamen Sehnsucht, den Gegenstand des menschlichen Heimwehs und der menschlichen Hoffnung nach einer Einheit, nach einem Grunde, nach einem Sinn seines Daseins und dem Sinn der Welt, er meint damit die Existenz und die Natur eines Wesens, welches, sei es in diesem oder jenem Zusammenhang mit den von ihm verschiedenen Realitäten, als das höchste, als das alles Seiende bestimmende und beherrschende Wesen zu verstehen wäre.“ Karl Barth, Dogmatik im Grundriss, 7. Aufl., München 1987, 39.
5 Vgl. Florian Illies, Zauberer der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten, Frankfurt a.M. 2023, 228: „[H]eute ist es [scil. dieses Ölgemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer; M.H.] wohl das berühmteste Friedrich-Bild überhaupt. Mann kann es kaum glauben. Nie hat Friedrich ein symbolischeres Bild gemalt. Nie hat er eine so große Rückenfigur gemalt. Ein Bild von ungeheurer Wirkung.“
6 Es gehört vielleicht zu den Ungereimtheiten unserer Zeit, dass die Menschen im Augenblick ihrer Abwendung von den Kirchen sich massenhaft tiefreligiösen Bildern wie denen Caspar David Friedrichs zuwenden, die auf romantische Weise „Gott als Geheimnis der Welt“ zu explizieren versuchen.
7 In der Lutherübersetzung wird Ex 33,12–23 trefflich überschrieben mit: „Mose begehrt, des Herrn Herrlichkeit zu schauen“. Kursivierung: M.H.
8 Wenn Eberhard Jüngel (Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, 4 Aufl., Tübingen 1982, 514) von Gott als Geheimnis der Welt spricht, so ist indes „[d]er dreieinige Gott als Geheimnis der Welt“ gemeint.
9 Vgl. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Eine Eschatologie Bd. 1, Gütersloh 1993, 141.
10 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Szene Nacht, Z. 382f.: „Dass ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält“.
11 Vgl. Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments Bd. 1: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, 10. Aufl., München 1992, 196: „Dieser Name hat unmittelbar teil an der Heiligkeit Jahwes selbst, denn er war ja gleichsam ein Doppel des Wesens Jahwes.“
12 Gerhard Sauter (Schrittfolgen der Hoffnung. Theologie des Kirchenjahres, Gütersloh 2015, 168) weist darauf hin: „Wird der göttliche Name ausgerufen, vernehmen die Hörenden die Verheißung seiner unwandelbaren Treue.“
13 Martin Nicol (Mit dem verborgenen Gott leben. Der einzelne Mensch und sein Leid in Texten moderner Lyrik, in: ders., Zwischen Kaffeehaus und Kanzel. Praktische Theologie im Wechselspiel mit den Künsten, hg. von Alexander Deeg, Leipzig 2023, 135–149, 140) spricht von einer „geradezu zarte[n] Szene“.
14 Kornelis Heiko Miskotte (Wenn die Götter schweigen. Vom Sinn des Alten Testaments, 3. Aufl., München 1966, 396) notiert zum Predigttext: „[…] neue Überraschung, sieh und höre, wie menschlich JHWH mit den Menschen ist! Bis zum äußersten wird er gehen mit dem Entgegenkommen gegenüber dem Verlangen des Glaubens, der in seiner Verzückung dieses Mal das Unmögliche gefordert hat.“
15 Johannes Calvin, Komm. Jer 22,16 (CO 38,388): „Ubi cognoscitur Deus, etiam colitur humanitas.“
16 Vgl. Jörg Jeremias, Theologie des Alten Testaments, GAT 6, Göttingen 2015, 106: „Mose darf – das ist sein Privileg – Gott ‚hintendrein schauen‘ (V. 23): ein singulärer, für den Kontext geprägter Begriff, der Gottes Transzendenz gegenüber Moses kühnem Wunsch wahren will.“
17 Vgl. Karl Barth, Denken heißt: nachdenken, in: Zürcher Woche 15 (1963), Nr. 24, 5.
18 Helmut Gollwitzer, Befreiung zur Solidarität. Einführung in die Evangelische Theologie, München 1978, 38.
19 Genau zitiert heißt es in den Tagebüchern (Sören Kierkegaard, Die Tagebücher 1834–1855. Auswahl und Übertragung von Theodor Haecker, Innsbruck 1923, 157): „Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muß. Aber darüber vergisst man den andern Satz, daß vorwärts gelebt werden muß.“
20 Von der „Spur“ Gottes hat in Anlehnung an Emmanuel Lévinas (Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg i.Br. / München 1983) Christian Link (Die Spur des Namens. Wege zur Erkenntnis Gottes und zur Erfahrung der Schöpfung. Theologische Studien, Neukirchen-Vluyn 1997, 37–66) gesprochen. Auch M. Nicol (Mit dem verborgenen Gott leben, 140) identifiziert „eine Spur von Gottes Herrlichkeit“ im Predigttext. Vgl. auch Alexander Deeg / David Plüss, Liturgik, Lehrbuch Praktische Theologie Bd. 5, Gütersloh 2021, 225: „Was von Gott bleibt, ist die Spur, die er auf Erden hinterlässt – und die phänomenologisch zwischen Präsenz und Absenz vermittelt.“
21 Hans-Richard Reuter, Wer nicht sehen kann, darf hören. 2 Mose 33,17b–23, in: ders., Beim Wort genommen. Predigten, Stuttgart 2012, (37–44) 42. Reuter (ebd.) rät: „Überfordern wir uns nicht mit der Theodizeefrage. Erst vom Ende her bekommt alles seine wahre Bedeutung.“
22 EG 376,3.
23 Diese Einsicht verdanke ich J. Jeremias, Theologie des Alten Testaments, 106.
24 Hans Theodor Goebel, Wie verborgen ist der verborgene Gott? Luthers Rede von Gott – theologisch befragt, in: Reformierte Kirchenzeitung 8/1999, (343–350) 345.
25 Martin Luther, De servo arbitrio, LDStA I, 405,9–11.
26 H.T. Goebel, Wie verborgen, 345.
27 Ebd.
Prof. Dr. Marco Hofheinz