Magdalene L. Frettlöh: Gott Gewicht geben

Eine Laudatio

Zur Preisverleihung des Marga-Bührig-Preises an Magdalene L. Frettlöh für ihr Buch "Gott Gewicht geben" hielt Regine Munz die Preisrede. Die Laudatio eröffnet einen ersten Einblick in das preisgekrönte Buch.

Liebe Magdalene Frettlöh, meine Damen und Herren, werte Anwesende,

In einer Veranstaltung, die zu seinen Ehren durchgeführt wurde, war der Geehrte ebenfalls anwesend. Es handelte sich um den Philosophen Jacques Derrida, den Magdalene Frettlöh in ihrer Arbeit gerne zitiert. Gefragt, nach seinem Befinden, sagte Derrida: „Ich habe eine Situation erlebt, in der es ist, als ob ich tot wäre. Mein Vorredner hat alles gesagt, bevor ich überhaupt den Mund aufgemacht habe. Es ist, als ob ich tot wäre"(1).

Wie das? Zu hören, wie über eine geredet wird, ist als wäre man oder frau tot. Es ist unerträglich, tot zu sein ohne tot zu sein das heisst, jemand zu sein die benannt und zitiert wird, auf den man sich bezieht, als ob sie nicht mehr leben würde. Als könnte er nicht mehr ins Geschehen eingreifen, als wäre sie nicht mehr unvorhersehbar, als wäre man oder frau ein Ding, oder würde die Dinge „an sich“ sehen, so wie sie wären, wenn sie nicht da wäre. Als würde er oder sie Dinge und Menschen sehen, als ob er nicht da wäre, als ob sie tot wäre. Es ist als würde man oder frau in ein bestimmtes Bild gepresst.

Liebe Magdalene Frettlöh, vielleicht fühlt sich das Anhören dieser Laudatio auf ihr Buch „Gott Gewicht geben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre“  auch ein wenig an wie Derridas „als ob ich tot wäre“. Doch es gibt ja noch dieses „als ob“, diese Fiktion, dieses „Quasi“ und Sie sind offensichtlich lebendig. Dieses Vorhersehbar oder nicht vorhersehbar sein hat m.E. mit Ihrem Buch „Gott Gewicht geben“ zu tun.

Gott Gewicht geben heisst für Sie, den Entwürfen einer „Gotteslehre light“ zu widersprechen, die allein dem lieben Gott das Wort reden und Gott Seines Glanzes und Ihrer Ehre berauben. Die kavod oder doxa Gottes – das sind der hebräische und der griechische Begriff für Ehre, Glanz, Herrlichkeit oder eben Gewicht - ernst zu nehmen, ist für Sie mit der Aufgabe verknüpft, dafür zu sorgen, dass Gott „schwer von Begriff“ ist, dass er nicht in bestimmte Bilder gepresst und auf bestimmte Begriffe gebracht wird, dass Gott unvorhersehbar bleibt, dass sie da sein wird in Zusammenhängen, die wir nicht „beherrschen“ können, dass wir sie nicht vereinnahmen, sondern auf ihr Eingreifen und damit auf die Zukunftsfähigkeit hoffen, dass dieser Gott mit den Menschen eine Zukunft hat. Wir können nicht sicher sein, es gibt keine Norm, keine Regel, kein Kriterium dafür.

Die Rede von der Andersartigkeit Gottes, von Gottes Gewicht berührt sich mit dem Einsatz für eine geschlechtergerechte Gottesrede, welche von der Gottesebenbildlichkeit von Mann und Frau ihren Ausgang nimmt. Wenn personal von Gott geredet wird, dann kann nicht anders als in männlichen und in weiblichen Bildern von Gott geredet werden, dann kann nicht allein nur die männliche Gottesmetaphorik bevorzugt werden, wie es bis heute in der Dogmatik noch gang und gebe ist, oder, wenn die Gottesbilder dogmatisch einer allzu schlichten Geschlechtertypologie untergeordnet werden.

Der Dogmatiker Wilfried Härle etwa ordnet die Nähe und Distanz Gottes einer wohl für ihn naheliegenden Geschlechtertypologie unter: Nähe entspricht für ihn dem weiblichen Element, Distanz dem männlichen. Das liest sich dann so, ich zitiere hier ein Härle-Zitat aus Frettlöhs Buch: “Das weiblich-mütterliche Element kommt dabei zum Ausdruck in Bildern und Aussagen, die körperliche und seelische Nähe, beschützende und nährende Fürsorge sowie Lebensbegleitung, Zärtlichkeit und Trost zum Ausdruck bringen. Das männlich-väterliche Element findet Ausdruck in Bildern und Aussagen, die auf großzügige Güte, verläßlichen Schutz, ermutigendes Zutrauen, aber auch auf Strenge verweisen. Der weiblich-mütterlichen Nähe korrespondiert auf männlich-väterlicher Seite ein Element der Distanz“(2).

Demgegenüber möchte Frettlöh das geschlechtsspezifische Denken und Reden von Gott überwinden, damit nicht duale Geschlechterstereotypien weiterwirken, damit nicht etwa Weiblichkeit auf Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit reduziert, und Männlichkeit mit Aktivität und Gerechtigkeit gleichgesetzt wird. Es soll im Gegenteil in vielen Bildern von Gott geredet werden. Magdalene Frettlöh votiert für eine Vervielfältigung von Geschlechteridentitäten, sie ist möglich, etwa, wenn Gott aus der Rolle fällt, und von einem Uterus Patris, einer Gebärmutter des väterlichen Gottes gesprochen wird. Zugleich müssen diese Bilder immer wieder gebrochen, kritisiert werden, wie es Frettlöh selbstbewusst demonstriert „Eine Gebärmutter macht noch kein Erbarmen“ heisst beispielsweise eine Überschrift.

Werte Anwesende, ich habe nur einen kleinen Teil von Frettlöhs Projekt angesprochen. Ich möchte hier kurz innehalten und die Frage stellen: Was macht Magdalene Frettlöh hier eigentlich, genauer: von wo aus spricht sie, von woher kommt ihre Rede?

Von wo aus spricht die Autorin von „Gott Gewicht geben?

Eine Position, die inzwischen üblich ist, mutete vor bald dreissig Jahren noch gleichsam revolutionär an. Es waren feministische Theologinnen wie Marga Bührig, die dafür plädierten, von den eigenen Erfahrungen auszugehen. Sie betonten, dass die Vielfältigkeit der Erfahrung von Frauen, Männern, Kindern und Greisen, die verschiedenen Situationen und Erfahrungen der Geschlechter, ihre verschiedenen Positionen, Klassen, Schichtzugehörigkeiten, ihre Erfahrungen als arme weisse Frauen und reiche schwarze Männer, theologisch fruchtbar gemacht werden können und müssen, damit es in der Theologie und in der Kirche gerechter und lebensnaher zugeht.

Hier nun nimmt Frettlöh eine ungewohnte Position ein. Sie redet von wo anders her, sie spricht von einer Position aus, die für feministisch-theologische Zugänge und geschlechtersensible theologische Entwürfe ungewohnt ist. Es handelt sich um die Zentralperspektive, die Position der Zentralität, vom Zentrum, von der Mitte aus, als würde sie gleichsam neben Gott stehen und sprechen. Von hier aus möchte Frettlöh Gott Gewicht, Gott Kavod geben. Die Position einer Kavodologin ist damit allerdings noch nicht ganz beschrieben.

Frettlöh sieht sich nämlich, und das macht ihre Produktivität und ihren Reiz aus, in der Spannung zwischen gottgebotener und menschenunmöglicher Gottesrede: Auf der einen Seite ist da die Zentralposition: Gott die Ehre zu geben, ihm seine kavod, Gewicht zu geben, und damit zu beanspruchen, schon zu wissen, wie das aussieht und das ist, ihm und ihr ihr Gewicht zu geben, und auf der anderen Seite steht das sensible Wissen darum, dass gerade wir als Menschen, als Männer und Frauen dies nicht tun können, weil wir damit Gott in Bilder pressen, die ihm und ihr nicht entsprechen. Wir müssen Gott Gewicht geben, und können es nicht. Es sind nicht allein die Anklänge und Anknüpfungen an die Theologie Karl Barths, dem genius loci, die aufhorchen lassen. Der Versuch, von einem unzugänglichen, utopischen Ort aus zu sprechen, um Gott vor Vereinnahmungen und Banalisierungen zu schützen, heisst, so verstehe ich das, von Gott nicht zu sprechen, als ob er oder sie tot wäre.

Was ist die Konsequenz aus dieser Einsicht in die unmögliche Möglichkeit, von Gott zu reden? Naheliegend wäre, nun zu schweigen, Gott Gott sein zu lassen und ihr und ihm so Gewicht zu geben. Spannend am ausgezeichneten Buch war für mich, dass auf der einen Seite eine genaue Nachzeichnung dogmatischer Gottesrede erfolgt, und dass zugleich ein Stück biblische Theologie vorliegt. Denn: Es wird ja immer schon Gott Gewicht gegeben, in der Heiligen Schrift trotz oder gerade wegen des biblischen Bilderverbotes wird immer schon in Bildern von Gott geredet, als Mutter, als Vater, als Quelle, von seiner Mutterschössigkeit.

Diesen Bildern geht das Buch im kompetenten Gespräch mit exegetischen Arbeiten nach. Ich kenne wenig systematisch theologische Entwürfe, die sich als biblische Theologie verstehen, und noch weniger feministisch oder gendertheoretische Entwürfe, denen es wie Frettlöh gelingt, exegetische Einsichten in so hohem Masse systematisch theologisch fruchtbar machen und umsetzen. Und ich kenne zudem wenig Arbeiten, die so souverän mit der feministischen Theorie umgehen, dass sie nicht endlos zusammengefasst und referiert, sondern produktiv umgesetzt wird: Beispielsweise ist ja schon im Buchtitel „Gott Gewicht geben“ eine Anspielung auf Judith Butlers theoretisches Projekt: „Körper von Gewicht“ enthalten.

Wer spricht hier? Wer kann so sprechen?

Mit der Preisträgerin zeichnen wir heute eine Wissenschaftlerin aus, die sich lange Jahr als Gotteslehrerin betätigt hat. Einen Namen machte sich Frettlöh mit ihrer Dissertation „Theologie des Segnens“, die mittlerweile in der fünften Auflage bei Gütersloh erschienen ist. Das ist sicher für eine theologische Dissertation ungewöhnlich! Frettlöh hat feministische Theologie an der Universität gelehrt, war Pfarrerin, wissenschaftliche Assistentin u.a. in Bern, und arbeitet nun als „Rektorin des kirchlichen Fernunterrichts der Föderation evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland in Magdeburg“, als Gotteslehrerin der Gotteslehrerinnen also, und als Dozentin für Systematische Theologie in Bochum.

In ihren Texten ist das Miteinander mit Studierenden deutlich spürbar. Was ist eine Gotteslehrerin? Frettlöh beantwortet dies in ihrem Buch mit einem Zitat von Fulbert Steffensky „Ist nicht eines der Probleme von uns theologischen Lehrern und Lehrerinnen, dass wir kein Gesicht zeigen und dass die Menschen, die wir belehren, nicht wissen, wer wir sind? Wir können viel sagen über dieses und jenes, wir sind wissenschaftlich gebildet und wir zeigen gern, dass wir es sind. Aber werden wir erkennbar? Lehren heißt sich kenntlich machen, heißt zeigen, was man liebt und worauf man hofft“(3).

Eine Gotteslehrerin ist erkennbar, ist authentisch. Werte Anwesende. Ich glaube, dass „Gott Gewicht geben“ von einer Gotteslehrerin geschrieben wurde, eine Gotteslehrerin, wie auch Marga Bührig eine Gotteslehrerin war. Eine Gotteslehrerin kann auch eine Gottesprofessorin sein, das habe ich von Frettlöh gelernt. Professorin kommt von „professer“, ein Unterpfand geben. ein Zitat von Derrida, findet sich bei Frettlöh: „Professer, das heißt ein Unterpfand hinterlegen, indem man für etwas einsteht und sich dafür verbürgt. Faire profession de – sich zu etwas bekennen oder etwas zum Beruf machen -, das heißt mit erhobener Stimme erklären, wer man ist, indem man den anderen bittet, diese Erklärung aufs Wort zu glauben“(4).

Ich freue mich, dass wir mit dem Marga Bührig Förderpreis nun die Arbeit von Magdalene Frettlöh anerkennen, eine Arbeit die obwohl es sich um eine Habilitationsschrift handelt, inspirierend, unkonventionell und für weitere Diskussionen über theologische Geschlechtertheorien fundamental ist. Anerkennen heisst, Hochachtung von Arbeit, von unermüdlichem Einsatz, von Zeit, von Engagement, das nur zum Teil mit wissenschaftlicher Karriere belohnt wird.

Gott Gewicht geben - Als ob Gott nicht tot wäre

Wenn wir von Gott reden, müssen wir von Menschen reden. Wir sollen Gewicht geben, nicht vereinnahmen, nicht die eigenen Vorstellungen absolut setzen: Gott Gewicht geben: Das kavodologische Reden von Gott schliesst, wie Frettlöh schreibt, die „Bereitschaft ein, Gott wieder aus dem Begriff zu entlassen. Dabei käme es darauf an, die Begriffe je neu den als Gotteserfahrungen gedeuteten Lebenserfahrungen auszusetzen und von ihnen infrage stellen zu lassen. Der Einspruch der Erfahrung gegen die Begriffe muss nicht zum Verzicht auf diese führen, sondern ihm kann in deren narrativer Verflüssigung stattgegeben werden“(5).

Wie können wir uns das vorstellen? Kürzlich habe ich im Tagesanzeiger-Magazin einen Artikel gelesen, im dem eindrucksvoll auf die pädagogischen Gefahren des Lobens hingewiesen wurde. Nach der Lektüre des Artikels stellte sich bei mir der ketzerische Gedanke ein, dass wir überhaupt aufhören müssten, zu loben. Um wie viel mehr noch müssten wir verzichten, eine öffentliche Lobrede zu halten. Doch um was es mir hier geht, ist eine kleine Szene, die der Psychoanalytiker Arno Gruen im Artikel beschreibt (6).  Sie scheint mir eine narrative Verflüssigung der Unvorhersehbarkeit zu sein, von der auch Frettlöh redet.

Es handelt sich um eine Szene, die sich beim Stamm der Eipo in West-Neuguinea zugetragen hat: Ein kleiner Junge isst eine Wasserbrotwurzel, das Mädchen greift danach, beide fangen an zu weinen. Die Mutter kommt dazu, beide Kinder lächeln sie an. Der Junge reicht ihr von sich aus die Wurzel, sie bricht sie in zwei Teile und – Was würden wir wohl in einer ähnlichen Situation tun?: Jedem Kind ein Stück geben, nicht? Und dabei würden wir uns vorbildlich fühlen, weil wir glauben, den Kindern so das Teilen beizubringen. Nicht so die Eipo-Frau. Sie gibt beide Teile dem Jungen zurück. Der betrachtet sie einen Moment und gibt dann eines seiner Schwester.

Diese Eipo-Mutter versetzt sich in ihr Kind hinein, sie respektiert seinen Willen und seine Gefühle. Mit ihrem Handeln schafft sie einen Verhaltensraum. Das Kind macht was es macht, weil es das selber so will, nicht aus Gehorsam. Die Voraussetzung für sein selbstbestimmtes Handeln ist, dass die Mutter ihrem Kind das Vertrauen schenkte. Diese Mutter redete „die Sprache des Herzens“,

Vielleicht ist die Eipo-Mutter ein Bild für Gott. Wir können in vielen Bildern von Gott sprechen, und doch ist sie und er mehr und anders, als wir es uns vorstellen. Uns dies in Erinnerung gerufen zu haben: Dafür gebührt Magdalene Frettlöh hier in diesem Rahmen Dank und Anerkennung, dafür möchte ich sie loben.

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(1)  Jacques Derrida, Als ob ich tot wäre, As if I were dead, Wien: Turia und Kant 2000.
(2) Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin, New York 2 2000 (1995), 253-255, 254,
(3) Fulbert Steffensky, Was meine ich eigentlich, wenn ich Gott sage? In: Jabboq 2, hg. von Jürgen Ebach et al., Gütersloh 2002, 24-35, 24.
(4) Jacques Derrida, Die unbedingte Universität, Frankfurt a. M. 2001, 18.
(5)  Frettlöh, Gott Gewicht geben, S. 3.
(6) In: Ursula von Arx, Du sollst nicht loben, Tagesanzeiger. Das Magazin, 37 (2007).


Regine Munz