Es lebe die Musik

Predigt zu 1 Sam 16,14–23 in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Hildesheim am 7. Mai 2023 (Kantate)


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Von Bärbel Husmann

Liebe Gemeinde!

der heutige Predigttext steht im ersten Buch Samuel. Samuel ist in der Geschichte Israels derjenige, der den Übergang von der Richterzeit in die Königszeit begleitet. Er ist der letzte Richter Israels, einer der Gott hört und von Gott gehört wird, der nach Gottes Gesetz Recht spricht. Aber seine Zeit ist zu Ende. Es sind keine neuen guten Richter in Sicht. Und so wünscht sich das Volk von Gott einen König, einen, der Recht und Gerechtigkeit verkörpert und durchsetzt. Gottes Wahl fällt auf Saul und wie ein neuer König gesalbt wird, das erfahren wir …, nein, das konnten wir gestern im Fernsehen sehen. Ein neuer König wird im Geheimen gesalbt, in einem intimen Moment. King Charles III. und der Erzbischof von Canterbury wurden durch drei Sichtschutzwände den Objektiven der Kameras entzogen; Samuel sagt zu Saul, bevor er ihn salbt: Sag dem jungen Mann, der dich begleitet, er soll schon vorausgehen! Und du, bleib einen Augenblick hier stehen! Ich will, dass du ein Wort Gottes hörst. [1 Sam 9,27]

Nur Saul und Samuel. Erst danach wird Saul zum König; und auf dem Weg zwischen Salbung und König-Werden liegt eine erste Erfahrung, die mit Musik zu tun hat: Saul trifft auf eine Schar von Propheten, er hört ihre Musik – es werden in der Bibel sogar die Instrumente genannt: Bassleier, Handtrommel, Flöte und Leier. Ihre Begeisterung, Luther übersetzt Verzückung, erfasst auch ihn. In diesem Augenblick wird es geschehen, dass der Geist des Herrn über dich kommt. Dann wirst auch du von der Begeisterung erfasst und in einen anderen Menschen verwandelt, kündigt Samuel ihm an. Und so geschieht es.

[David mit Steinschleuder und Harfe]

Nur sechs Kapitel währt Sauls Herrschaft. Dann wird ein neuer König gesalbt. David. Ebenfalls von Samuel und wieder hat Gott ihn ausgesucht. Wieder dauert es eine Weile, bis er als König auftritt und erkannt wird. Dazwischen stehen mehrere, sogenannte Aufstiegsgeschichten, die dem Leser, der Leserin der Bibel diesen David vorstellen mit allen seinen Facetten. Eine dieser Aufstiegsgeschichten ist Davids Sieg über den Philister Goliath. Das ist Michelangelos David aus den Uffizien in Florenz: ein schöner, kraftvoller Mann mit einer Steinschleuder in der Hand. Sie steht in Kapitel 17.

Die andere Aufstiegsgeschichte steht vorher, in Kapitel 16. Sie geht so:

Der Geist des Herrn hatte Saul verlassen. Von Zeit zu Zeit quälte ihn aber ein böser Geist, der seine Stimmung verfinsterte. Auch der kam vom Herrn. Da sprachen Sauls Leute zu ihm: „Du weißt, dass es ein böser Geist ist, durch den Gott deine Stimmung verfinstert. Unser Herr braucht nur etwas zu sagen, deine Knechte stehen bereit. Wenn du es willst, suchen wir einen Mann, der auf der Harfe spielen kann. Wenn dann der böse Geist Gottes über dich kommt, gleitet seine Hand über die Saiten. Und gleich wird es dir besser gehen.“

Saul antwortete seinen Leuten: „Also gut! Seht euch um nach einem Harfenspieler und bringt ihn zu mir!“

Da meldete sich einer von den jungen Leuten und sagte: „Ich weiß von einem! Es ist der Sohn Isais aus Bethlehem. Der kann Harfe spielen. Er ist mutig und ein guter Soldat. Klug ist er auch und sieht gut aus. Ja, der Herr ist mit ihm!“ Saul ließ Isai ausrichten: „Schick deinen Sohn David zu mir – den, der die Schafe hütet!“

Daraufhin nahm Isai einige Laibe Brot, einen Krug Wein und ein Ziegenböckchen. Damit schickte er seinen Sohn David zu Saul. So kam David zu Saul und trat in seinen Dienst. Saul liebte ihn und machte ihn zu seinem Waffenträger. Darum ließ er Isai die Botschaft überbringen: „Lass doch David in meinem Dienst bleiben. Denn mir gefällt, wie er seine Aufgaben erfüllt.“

Sooft aber der böse Geist über Saul kam, nahm David die Harfe zur Hand und spielte. Da konnte Saul befreit aufatmen und es ging ihm besser. Denn der böse Geist hatte ihn verlassen. [BasisBibel]

Das ist David, wie ihn ein Holzschnitzer im Chorgestühl in Bamberg verewigt hat und wie er an vielen, vielen anderen Orten an Orgeln verewigt ist: David mit der Harfe, dessen Macht die einen Menschen verwandelnde Macht der Musik ist.

Er ist da längst zum König gesalbt. Aber er ist doch immer noch Schafhirte und Harfenspieler, ein gutaussehender junger Mann und nun auch einer, den Saul liebgewinnt. Man fragt sich, wie das gut gehen soll.

[Innehalten]

Aber die Handlung hält inne. Und die Beziehung zwischen beiden, dem vom bösen Geist heimgesuchten Saul und dem zum neuen König gesalbten, Harfe spielenden Schafhirten David, diese Beziehung hat etwas Heilendes in dem Unheil, was ja irgendwann heraufziehen muss. Es ist, als hätte die Musik eine Kraft selbst gegen Gottes bösen Geist. Gott greift nicht ein, er lässt zu, dass Davids Harfenspiel den bösen Geist vertreibt. Saul konnte befreit aufatmen. Und es ging ihm besser.

Denken Sie jetzt nicht allzu schnell an Musiktherapie. Überlegen Sie nicht, ob Saul wohl eine Depression oder gar eine bipolare Störung hatte. Lassen Sie sich ein auf diesen Glauben, dass beides von Gott kommt: der Geist Gottes, der in der Musik steckt, die die Propheten entzückt hat, und die Saul nach seiner Salbung zu einem neuen Menschen gemacht hat. Und der böse Geist, den ihm Gott jetzt schickt, als sich sein Geschick zu wenden beginnt. Das Harfenspiel Davids kann diesen bösen Geist noch eine Weile lang vertreiben. Der alte und der neue König sind eine Weile lang vereint. Und es ist, als habe die Kraft der Musik diese Gemeinschaft gestiftet. Selbst der böser Geist lässt sich mit Musik vertreiben.

[Die Kraft der Musik]

Vielleicht kennen Sie das, diese Gemeinschaft stiftende und böse Geister vertreibende Macht der Musik. Calvin kannte diese Macht der Musik auch. Aber er war wie immer etwas besorgt, das Wort Gottes könne im Gottesdienst Konkurrenz bekommen – und so sind die Psalmgesänge reformiert und Bach lutherisch. Luther kannte die Macht der Musik als heilsame Macht, er war ein guter Lautenspieler und Sänger. Er hat nicht nur 35 Kirchenlieder gedichtet und komponiert, er hat auch gewusst, dass man sich des Singens bedienen kann, um die Ideen der Reformation durchzusetzen in einer Gesellschaft, in der viele des Lesens unkundig waren. Deshalb sind manche seiner Texte auf die bekannten Melodien von Gassenhauern und Tanzliedern gedichtet.

Heute sind manche Kirchen bei Bach-Kantaten voll, bei normalen Gottesdiensten eher spärlich besucht. Ist das schlimm?

Der Oboist Albrecht Mayer schreibt in seiner Biografie: „Bach bedeutet mir alles. Seine Musik ist auch der Schlüssel zu meiner Spiritualität. Es könnte also keinen wichtigeren Weichensteller für mich geben. Durch ihn ahne ich etwas von dem Göttlichen. Durch ihn erfahre ich eine Transzendenz, die mir ansonsten meist verwehrt bleibt. […] – für mich spricht Gott durch Bach. […] Ohne Bach könnte ich wahrscheinlich schlichtweg keine Musik machen.“

Es gibt aber nicht nur Bach. Für einen Kollegen von mir ist die Musik, die ihn befreit aufatmen lässt, die alles Wütende und Unausgegorene in ihm aufnimmt und ihn in einen neuen Menschen verwandelt, nicht Bach, sondern die Hardrockmusik der amerikanischen Band „Boys sets Fire“.

[Verwandlung]

Was verwandelt Sie in einen neuen Menschen? Welche Musik gibt Ihnen Kraft? Wir sollten keine Sorge haben, dass die Musik in Konkurrenz zum Wort Gottes treten könnte. Denn dies ist das Wort Gottes, dass David Schafhirte, Harfenist, Psalmdichter, Kriegsherr und König war. Und dass seine Musik für König Saul, den Gottes guter Geist verlassen hatte, und der nun von bösen Geistern geplagt war, dass dieser König Saul David und sein Harfenspiel liebte. Dass Musik einen Menschen befreit aufatmen lässt, dass sie auch uns zum Innehalten verhelfen kann, zu Liebe und Gemeinschaft.

Amen.


Bärbel Husmann