'Ermutigung und Befähigung zur Begegnung von Christen und Muslimen'

Landeskirche legt Handreichung für Kirchenvorstände vor.

Bei der Präsentation der Schrift in Kassel erklärt der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, die Publikation verstehe sich als „profiliert evangelischer Beitrag zum praktischen Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens“.

Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat unter dem Titel „Ermutigung und Befähigung zur Begegnung von Christen und Muslimen“ eine Handreichung für Kirchenvorstände vorgelegt. Bei der Präsentation der Schrift in Kassel - gemeinsam mit dem Beauftragten der Landeskirche für Islamfragen, Pfarrer Konrad Hahn - erklärte der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, die Publikation verstehe sich ausdrücklich nicht als grundsätzliche theologische Auseinandersetzung mit dem Islam, sondern als „profiliert evangelischer Beitrag zum praktischen Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens“. Die Zielrichtung entspringe der Einsicht, dass in der persönlichen Begegnung von Menschen Missverständnisse und Vorurteile, die es auf beiden Seiten gibt, abgebaut werden könnten.

Die Handreichung war von der Kammer für Mission und Ökumene erarbeitet worden; der Rat der Landeskirche hatte sich den Text einstimmig zu eigen gemacht.
 
Was Christen und Muslime verbindet und unterscheidet, deutlich aussprechen
Die deutsche Gesellschaft steht nach Auffassung der Handreichung vor einer doppelten Aufgabe: Die Aufnahmegesellschaft als ganze hat die Aufgabe, die muslimischen Einwanderer anzunehmen. Die muslimischen Einwandererfamilien stehen vor der Aufgabe, Deutschland als ihr neues Zuhause anzuerkennen. Christen und Muslime müssten das Verhältnis der Religionen neu bedenken. „Was sie verbindet und worin sie sich unterscheiden, muss offen ausgesprochen werden können. Die Gesellschaft als ganze, das schließt die Einwanderer ein, muss Auskunft geben können, welches ihre gemeinsamen Werte sind.“
 
Wahrheitsgewissheit und Dialog schließen sich für christlichen Glauben nicht aus
In Leitsätzen zum interreligiösen Dialog heißt es unter anderem: Dialog und Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens widersprechen sich nicht. Der christliche Glaube sei nicht darauf angewiesen, Menschen mit anderen Wahrheitsansprüchen herabzuwürdigen. Dem Dialog der Glaubensüberzeugungen müsse der Dialog des Lebens vorausgehen. Es gehe darum, sich im Lebensalltag als vertrauenswürdig erfahren zu haben.
Der Dialog setze Wahrheitsüberzeugungen voraus. So stünden sich auch Mission als Bezeugung des Evangeliums und Dialog nicht entgegen. „Ein tolerant geltend gemachter Wahrheitsanspruch gesteht dem anderen zu, seine konträren Ansprüche auch dann vertreten zu können, wenn man selbst sie für falsch hält.“ Toleranz habe dort ihre Grenze, wo Menschen Prinzipien vertreten und in einer Weise handeln, dass Würde und Freiheit anderer verletzt werden. Hiergegen sei Protest geboten; die Pflicht zum Schutz von Bedrohten gehe der Toleranz gegenüber Menschen mit konträren Ansprüchen und Verhaltensformen voraus. Bei Gesprächen über Fragen des Glaubens würden Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Christentum und Islam deutlich. Dies gelte ebenso für religiöse Inhalte und Praxis wie für ethische Werte.
 
Exemplarische Begegnungsfelder: Chancen und Grenzen der Gastfreundschaft
Die Handreichung nennt eine ganze Reihe von exemplarischen Begegnungsfeldern zwischen Christen und Muslimen: etwa die Begegnung von Kirchenvorstand und Moscheevereine. Hier sei Gastfreundschaft für eine Kirchengemeinde etwa durch die Überlassung von Gemeinderäumen für Familienfeste möglich. Eine Überlassung kirchlicher Räume für islamische Veranstaltungen sei hingegen nicht möglich.
 
Moscheebau und Religionsfreiheit – Glockengeläut und Imamruf unvergleichbar
Mit Blick auf Projekte von Moscheebaus verweist die Handreichung auf das Grundrecht der Religionsfreiheit. Es gelte auch für Muslime und die Errichtung einer Moschee – bei Beachtung der gesetzlichen Bausbestimmungen. Kirchengemeinden müsste zu geplanten Moscheebauten keine Stellungnahme abgeben, könnten aber im Vorfeld des Baus ein Forum für die Fragen eines Moscheebaus bilden. Mit Blick auf den muslimischen Gebetsruf stellt die Studie fest: „Das Glockenläuten hat religiöse und säkulare Funktionen. Kirchtürme gehören zur kulturellen Identität der Städte und Dörfer. Das Läuten ist nicht an ein Bekenntnis gebunden. Der islamische Gebetsruf hingegen hat einen ausdrücklichen Bekenntnischarakter.“ Von muslimischen Bürgern sei „bei der Wahrnehmung ihrer religiösen Verantwortung zu erwarten, dass sie in strittigen Fragen die Sozialverträglichkeit ihrer Entscheidungen mitbedenken.“
 
Evangelische Kindergärten: Profil und Respekt vor muslimischen Kindern und Eltern
Ein Ort der Begegnung zwischen Christen und Muslimen stellen - regional unterschiedlich – Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft dar. Im Jahr 2006 lag die Zahl ausländischer Kinder in evangelischen Kindertagesstätten bei durchschnittlich 12,4, die muslimischer Kinder bei 5,4 Prozent. Grundsätzlich sei bei muslimischen Eltern von einer positiven Erwartungshaltung und Offenheit gegenüber der evangelischen Einrichtung auszugehen.
Es sei deshalb verfehlt, aus falsch verstandener Rücksichtnahme das evangelische Profil zu verstecken. Von Erzieherinnen in einem multikulturellen Umfeld sei zu fordern, dass sie im evangelischen Glauben fest verankert seien und über die eigene religiöse Tradition und christliche Werte verlässlich Auskunft geben können – bei Respekt und Offenheit gegenüber andersreligiösen Kindern und deren Eltern. Bei der Konzeptionsentwicklung der Kindertagesstätten kommen der Kirchengemeinde als Träger der Einrichtung eine bedeutende Rolle zu. Sie könnten so den Grund für eine „Kultur respektvollern Zusammenlebens“ legen und einen wichtigen Dienst an der Gemeinschaft leisten.
In der kirchlichen Jugendarbeit nehmen muslimische Jugendliche vor allem Angebote offener Jugendarbeit wahr, etwa in Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten. Erfahrungen hierzu gebe es aus dem Bereich Hanau. Hier könne es möglicherweise gelingen, eine Kultur streitbarer Toleranz einzuüben.
 
Schulen „exemplarischer Ausschnitt der Begegnung von Christen und Muslimen“
Schulen stellen nach Auffassung der Studie mit Chancen, Aufgaben und Belastungen eine „exemplarischen Ausschnitt der Begegnung von Christen und Muslimen“ dar. Belastungen zeigten sich, wenn der Schulalltag zum Spiegel entstehender Parallelgesellschaften würden, wenn etwa aus religiösen Gründen die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht respektiert würden. Andererseits ließe sich hier auch erlernen, dass Unterschiedlichkeit kein Hinderungsgrund für Freundschaften seien müssten: „Nicht die Religion an sich tritt mir gegenüber, sondern der Mensch, der einen anderen Glauben hat.“ Daneben stünden Schulseelsorge und Schulgottesdienste auch muslimischen Schülern offen. Es sei damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit islamischer Religionsunterricht gelehrt werde. Derzeit seien in Hessen jedoch die rechtlichen Voraussetzungen für einen islamischen Religionsunterricht nicht gegeben. Ausdrücklich unterstreicht die Studie, dass der evangelische Religionsunterricht den Respekt gegenüber Andersgläubigen lehrt. Dies müsse auch Standard eines islamischen Unterrichts sein.
Im Blick auf den Umgang mit Kranken und Pflegebedürftigen wird dazu aufgerufen, auf die religiöse Prägung der Betroffenen Rücksicht zu nehmen.
 
Christlich-muslimische Ehen: möglich, aber mit Schwierigkeiten verbunden
Mit Blick auf eine Eheschließung zwischen Christen und Muslimen stellt die Handreichung fest, dass dies nach evangelischem Verständnis möglich ist. „Die Glaubensverschiedenheit ist dennoch in der Lebenspraxis mit besonderen Schwierigkeiten verbunden.“ Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ehe und Familie sei zu achten. Wenn dem Grundgesetz widerstrebende Standards angewandt werden, etwa mit Hinweis auf religiöse Traditionen, habe der Staat die Aufgabe, den einzelnen Menschen zu schützen und das geltende Recht durchzusetzen. Kulturelle und zusätzliche Milieuverschiedenheit könne leicht Frauen zu Verliererinnen machen. Deshalb sei eine sogenannte „Imamehe“ außerhalb der geltenden Rechts abzulehnen. Für die Ehe sei ein notariell beurkundeter Ehevertrag anzuraten, der dem internationalen Privatrecht genügt. Auch für christlich-islamische Ehen solle eine kirchliche Trauung angestrebt werden. Voraussetzung sei die Achtung des nicht-christlichen Ehepartners vor dem christlichen Glauben. Auch die religiöse Erziehung der Kinder sollte sorgfältig bedacht werden. Werde ein Kind im Kleinkindalter getauft, trügen der christliche Elternteil und der Taufpate, aber auch der muslimische Elternteil Verantwortung für eine christliche Erziehung. Muslime und ihre Kinder, auch wenn sie nicht getauft wurden, seien in der evangelischen Kirche und bei ihren Veranstaltungen immer willkommen.
 
Kirche, Religion, Staat: Nationale und globale Konsequenzen der Religionsfreiheit
Deutlich äußert sich die Handreichung zu den Konsequenzen, die sich aus den Grundrechten für Religionen und Religionsgemeinschaften ergeben. „Eine Religion zu haben, sie auszuüben, sich von einer Religion loszusagen, die Religionszugehörigkeit zu wechseln oder gar keine Religion zu haben, sind unveräußerliche Grundrechte. Die Abwendung vom Glauben und das Verlassen der Religionsgemeinschaft werden von den Religionsgemeinschaften als Schwächung erfahren. Das kann aber nicht bedeuten, dass das Grundrecht der Religionsfreiheit auch nur ansatzweise außer Kraft gesetzt wird.“
So verbiete es der Respekt gegenüber der Religionsfreiheit, Menschen wegen eines Religionswechsels zu verfolgen oder in anderer Weise sozial zu benachteiligen. Christen und Muslime seien in gleicher Weise aufgefordert, die rechtlichen Vorgaben des deutschen Staates zu beachten, wenn sie die sich daraus ergebenden Vorteile beanspruchen wollen. In diesem Zusammenhang könne nicht davon abgesehen werden, dass die Religionsfreiheit in vielen Ländern missachtet wird und Christen in islamisch geprägten Ländern benachteiligt oder sogar verfolgt werden. „Christen werden auf die Glaubensfreiheit in Deutschland hinweisen und im Gespräch mit Muslimen für die Aufhebung der Benachteiligung in islamischen Ländern eintreten.“
 
Multireligiöses Gebet ist möglich – Interreligiöses Gebet nicht möglich
Mit Blick auf das Beten von Christen und Muslimen stellt die Handreichung fest, dass ein interreligiöses Gebet – ein von allen Vertretern der verschiedenen Religionen gemeinsam verantwortetes eigenes verantwortetes Gebet - nicht möglich ist. Dazu seien die theologischen und kulturellen Unterschiede zu groß und das Gottesverständnis und Menschenbild zu unterschiedlich. Eine Vermischung religiöser Traditionen führe dazu , konstitutive Glaubensaussagen fallen zu lassen und die religiöse Identität aufzugeben. Hingegen sei ein multireligiöses Gebet möglich: das von den einzelnen Vertretern der verschiedenen Religionen nacheinander vorgetragene Gebet in stiller Anwesenheit der Menschen anderer Religionszugehörigkeit. Hierbei sei es nicht Voraussetzung, dass die Vertreter der beteiligten Religionen die Inhalte der anderen Religion anerkennen oder bejahen. In der Regel verbindet beim multireligiösen Gebet die Beteiligten ein gemeinsames Anliegen. Praktische Erfahrungen hat es hier etwa bei Katastrophen (Grubenunglück Stolzenbach) gegeben oder beim multireligiösen Gebetstreffen in Kassel, wo zum Abschluss von christlicher Seite ein Abendsegen und von Muslimen ein Gebet ihrer Tradition gesprochen wird. Dabei ist das multireligiöse Gebet kein Gottesdienst und auch kein Ersatz. Vorrang sollten mit Blick auf die Ortswahl religiös neutrale Orte wie Gemeindehäuser, Kindergärten oder Begegnungszentren haben, nicht aber Kirchen und Moscheen.
 
Respekt und Verständnis entscheidend für Zusammenleben künftiger Generationen
Abschließend stellt die Handreichung fest: Die Begegnung von Christen und Muslimen muss auf gegenseitigen Respekt und Verständnis aufbauen. Es gelte nicht nachzulassen, aufeinander zuzugehen, aber auch den eigenen Glauben zu bekennen. Auftretende Konflikte müssten benannt werden. In Zeiten aufkommender sozialer Spannungen würden mit den Enttäuschungen angesichts eingeschränkter Lebensmöglichkeit Resignation und Vorurteile wachsen. Für das friedvolle Zusammenleben künftiger Generationen müssen heute die entscheidenden Schritte für ein gegenseitiges Verstehen getan werden.
 
Die Handreichung kann über das Ökumenedezernat (Frau Deichmeier, Tel. 0561 9378-271 oder per E-Mail oekumenedezernat.lka@ekkw.de) bestellt werden.