Das Erschrecken über den Ersten Weltkrieg stellt den Nationalismus infrage. Zwei Wochen nach Ende des Ersten Weltkriegs hört Albert Schweitzer in einer Predigt den Appell, die Unterschiede zwischen Rasse und Nation aufzuheben. Bezeichnend ist, dass er dazu auf die Opfer rekurriert. Um den Opfern einen Sinn zu geben, müsse man umlernen.
„Daß ihr Tod nicht nutzlos gewesen [ist]. Sie haben sich dahingegeben in allen Ländern, um jeder sein Volk vor den Greueln des Krieges zu bewahren und ihm die Freiheit zu erhalten. […] Aber das ist nicht das letzte an der Bedeutung ihres Todes. Jetzt [ ... ] stehen die, die geopfert wurden, als eine Schar, in der es keine Unterschiede von Rasse und Nation mehr gibt, als Menschen, die in Leid und Schmerz geeint sind, vor uns und fordern etwas von uns.“1
Noch hundert Jahre später versucht der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Rede im Deutschen Bundestag zum Volkstrauertag den Kriegstoten von damals einen Sinn abzugewinnen: „Und damit auch unsere Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken können, haben unsere Vorfahren ihr Leben geopfert.“ 2
Die Neubesinnung nach dem Ersten Weltkrieg bezieht sich vor allem auf eine Infragestellung des Nationalismus. Die Kategorien von Schuld, Vergebung und Versöhnung werden erst nach dem Zweiten Weltkrieg relevant. Die Dankesrede Gustav Stresemanns für die Verleihung des Friedensnobelpreises 1926 ist deutlich vom Bemühen gekennzeichnet, Verständnis für die deutsche Seelenlage zu wecken. Die Friedensbemühungen werden hier noch nicht durch die Anerkennung von Schuld und dem Wunsch nach Versöhnung, sondern durch das Bedürfnis nach Gerechtigkeit flankiert.3
--------