Matthäus 28,1-7
1 Als aber der Sabbat um war un der erste Tag der Woche anbrach, kam Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu besehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein ab und setzte sich darauf. 3 Und seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. 4 Die Hüter aber erschraken vor Furcht und wurden, als wären sie tot. 5 Aber der Engel hob an und sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, da er gelegen hat; 7 und geht eilend hin und sagt es seinen Jüngern, dass er auferstanden sei von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
Markus 16,1-7
1 Und da der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, des Jakobus Mutter, und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und salbten ihn. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen auf und wurden gewahr, dass der Stein abgewälzt war; denn er war sehr groß. 5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzet euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten! 7Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
Nun sind wir an den letzten Punkt unserer Erlösung gekommen. Denn die lebendige Zuversicht, daß wir mit Gott versöhnt sind, entspringt daraus, daß Christus als der Überwinder des Todes aus dem Totenreich wiederauftauchte, um zu zeigen, daß er die Macht über das neue Leben besitzt. Darum sagt Paulus mit Recht (1. Kor. 15,14), es gäbe keine frohe Botschaft mehr und die Hoffnung auf unsere Rettung sei eitel und hinfällig, wenn wir nicht festhalten, daß Christus von den Toten auferstanden ist. Denn erst dadurch wurde uns die Gerechtigkeit erworben, der Zugang zum Himmel erschlossen und unsere Kindschaft unverbrüchlich gemacht, daß Christus in seiner Auferstehung die Macht seines Geistes entfaltet und sich als der Sohn Gottes erwiesen hat. Obwohl er aber seine Auferstehung anders, als es sich unser fleischliches Empfinden gewünscht hätte, geoffenbart hat, muß doch gerade die Art, die ihm gefiel, auch uns als die beste erscheinen. Er ist ohne Zeugen aus seinem Grab gestiegen, damit die verlassene Grabstätte als erste seine Auferstehung anzeigte; dann ließ er den Frauen durch Engel verkündigen, daß er lebe; kurz darauf erschien er ihnen, dann auch den Aposteln, und zwar öfters. So führte er die Seinen, und zwar jeden, wie es für ihn gut war, zu immer vollerer Erkenntnis. Daß er aber mit den Frauen den Anfang macht und sich von ihnen nicht nur sehen läßt, sondern ihnen sogar die Verkündigung der frohen Botschaft an die Apostel aufträgt, so daß sie gewissermaßen die Lehrerinnen für sie wurden, stellt eine Strafe für die Schlaffheit der Apostel dar, die vor Entsetzen beinahe wie tot dalagen, während die Frauen eifrig zum Grab liefen und dort in dieser besonderen Weise belohnt wurden. Denn wenn auch ihr Plan, Christus zu salben, als ob er noch tot wäre, seine Fehler hatte, verzieh er ihnen doch ihre Schwachheit und würdigte sie dieser einzigartigen Ehre, daß er den Männern das Apostelamt nahm und es ihnen für kurze Zeit übertrug. Damit hat er ein Beispiel dafür gegeben, was Paulus (1. Kor. 1,27) so ausdrückt, daß er erwählt, was töricht und schwach ist vor der Welt, um die Größe des Fleisches zu demütigen. Und auch wir werden dieses Hauptstück unseres Glaubens nicht anders lernen können, als daß wir allen Hochmut ablegen und uns lernbegierig dem Zeugnis dieser Frauen unterwerfen; nicht, daß unser Glaube in so engen Grenzen bleiben müßte, aber weil der Herr zur Erprobung unseres Gehorsams will, daß wir zuvor töricht werden, ehe er uns zur volleren Erkenntnis seiner Geheimnisse zuläßt. Was nun den Verlauf der Geschichte betrifft, so sagt Matthäus nur, die beiden Marien seien gekommen, das Grab anzusehen; Markus, der als dritte Salome einführt, berichtet, sie hätten Spezerei gekauft, um den Leichnam zu salben; aus Lukas aber geht hervor, daß nicht nur zwei oder drei, sondern mehrere gekommen waren. Wir wissen jedoch, daß die heiligen Schriftsteller auch sonst wohl aus einer großen Zahl nur einige wenige hervorhoben. Die Vermutung hat viel für sich, daß Maria Magdalena mit ihrer Begleiterin, sei es, daß sie vorausgeschickt wurde, sei es, daß sie von selbst vorausgelaufen war, das Grab vor den anderen erreichte. Das scheinen auch die Worte des Matthäus anzudeuten, diese beiden seien gekommen, um das Grab anzusehen; denn nur nach einer Besichtigung konnte man an die Salbung gehen. Daß die Frauen aber diesen Liebesdienst planten, erwähnt Matthäus nicht; er hatte eben nur das eine Anliegen, nämlich von der Auferstehung zu berichten. Es fragt sich jedoch, wie dieser Eifer der Frauen, der doch nicht ohne Aberglaube war, Gott gefallen konnte. Ich hege keinen Zweifel, daß sie die von den Vätern überkommene Sitte, die Toten zu salben, auf ihren ursprünglichen Zweck zurückführten, nämlich in der Traurigkeit des Todes Trost in der Hoffnung auf das zukünftige Leben zu schöpfen. Allerdings gebe ich zu, daß sie darin unrecht taten, daß sie ihre Herzen nicht sofort zu der Verheißung erhoben, die sie aus dem Munde des Meisters gehört hatten. Da sie aber an dem allgemeinen Grundsatz einer letzten Auferstehung festhielten, wird ihnen dieser Fehler verziehen, der sonst mit Recht ihr ganzes Tun verdorben hätte. So nimmt Gott in seiner väterlichen Nachsicht oft die Dienste der Heiligen an, die ohne solche Verzeihung ihm nicht nur nicht gefallen könnten, sondern mit Recht sogar mit Schimpf und Schande von ihm abgewiesen werden müßten. Darin leuchtet also Christi wunderbare Güte auf, daß er den Frauen gnädig und freundlich als der Lebendige begegnet, obwohl sie ihn verkehrterweise noch unter den Toten suchten. Wenn er also nicht zuließ, daß jene Frauen nicht vergeblich zu seinem Grab kamen, so dürfen wir daraus folgern, daß niemand sich je getäuscht sehen wird, der sich heute Christus im Glauben entgegenstreckt; denn der räumliche Abstand wird die Gläubigen nicht daran hindern, den zu besitzen, der Himmel und Erde mit der Kraft seines Geistes erfüllt.
Mark. 16,1. „Und da der Sabbat vergangen war.“ Das bedeutet dasselbe, wie wenn Matthäus und Lukas mit etwas anderen Worten sagen: Als aber der Sabbat um war und der erste Tag der Woche anbrach, bzw. aber am ersten Tag der Woche. Denn da wir wissen, daß die Juden den Tag mit Beginn der Nacht anfingen, versteht jeder, daß die Frauen nach Ende des Sabbats beschlossen, das Grab zu besuchen, und zwar bereits vor Sonnenaufgang. Was den Kauf der Salben betrifft, weicht Markus etwas von dem Bericht des Lukas ab; denn dort (Luk. 23,56) heißt es, daß die Frauen schon am Begräbnistag in die Stadt zurückgekehrt seien, um die Salben zu bereiten, und dann nach der Vorschrift des Gesetzes einen Tag lang warteten, bevor sie sich auf den Weg machten. Markus berichtet jedoch nur die zwei verschiedenen Vorgänge in einem, die Lukas zeitlich genauer auseinanderhält. In der Sache selbst stimmen beide Evangelisten jedoch aufs beste überein, daß die Frauen nämlich nach still verbrachtem Sabbat noch in der Nacht von zu Hause weggingen, um in der ersten Morgendämmerung beim Grab einzutreffen. Nicht zu vergessen ist, was ich vorhin erwähnte, daß die Juden zwar die Sitte, die Toten zu salben, mit vielen heidnischen Völkern teilten, daß sie aber allein bei ihnen ihre Berechtigung hatte, da sie ihnen von den Vätern überliefert war, um sie im Glauben an die Auferstehung zu üben. Denn einen starren Leichnam ohne diese Hoffnung einzubalsamieren, wäre nur ein sehr frostiger, leerer Trost gewesen, wie wir es von den Ägyptern wissen, daß sie sich in dieser Hinsicht ängstlich abmühten ohne irgendeinen Nutzen. Gott aber stellte den Juden mit diesem heiligen Zeichen im Tode ein Bild des Lebens vor Augen, damit sie darauf hofften, daß sie aus Verwesung und Staub neue Kraft empfangen würden. Christi Auferstehung hat nun wie mit einem lebendigmachenden Duft alle Gräber durchdrungen und den Toten Leben eingehaucht; damit haben sich alle diese äußerlichen Zeremonien erledigt. Nicht also Christus selbst, sondern der Unverstand dieser Frauen brauchte diese Hilfsmittel, weil sie es noch nicht recht erfaßt hatten, daß Christus über alle Verwesung erhaben war.
Mark. 16,3. „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“ Von diesen Bedenken berichtet nur Markus; da aber auch die andern beiden erzählen, der Stein sei von einem Engel weggewälzt worden, so ist daraus leicht zu entnehmen, daß die Frauen furchtsam und ratlos waren, bis ihnen der Zugang zum Grab durch Gottes Hand geöffnet wurde. Übrigens können wir daraus erkennen, daß sie in ihrem Eifer diesen Weg ziemlich planlos angetreten haben. Sie hatten doch gesehen, wie das Grab mit einem Stein verschlossen wurde, um jedermann den Eintritt zu verwehren; zu Hause aber dachten sie nicht mehr ruhig darüber nach, weil sie vor Furcht und Verwirrung nicht mehr überlegen und sich nidn mehr erinnern konnten. Da sie aber aus lauter frommem Eifer so blind waren, rechnet Gott ihnen diesen Fehler nicht an.
Matth. 28,2. „Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben.“ Durch mehrfache Zeichen erweist der Herr die Gegenwart seiner Herrlichkeit, um die Herzen der heiligen Frauen noch mehr mit Ehrfurcht zu erfüllen. Denn weil es eine sehr wichtige Sache ist, zu wissen, daß uns durch den Sohn Gottes der Sieg über den Tod errungen wurde, worin das Hauptstück unserer Rettung besteht, mußten alle Bedenken beseitigt werden dadurch, daß die göttliche Majestät sich ihnen offen und nicht im geheimen vor Augen stellte. Darum berichtet Matthäus von dem großen Erdbeben, weil diese himmlische Macht darin spürbar wurde. Durch dieses Wunder mußten auch die Frauen aufwachen, so daß sie an nichts Menschliches oder Irdisches mehr denken konnten, sondern ihre Herzen zu dem neuen und keineswegs unerwarteten Werk Gottes erhoben. Auch in der Kleidung und Gestalt des Engels ergoß sich der Glanz der Gottheit wie in Strahlen, damit sie merkten, daß der, der in Menschengestalt so nahe bei ihnen stand, doch kein sterblicher Mensch war. Denn wenn auch nichts die unendliche Herrlichkeit Gottes erreichen kann, weder der Glanz des Lichtes noch die Weißheit des Schnees, ja, wenn man sich gar keine Farbe vorstellen kann, die Gott wirklich darstellen könnte, so deutet er uns doch durch äußere Zeichen seine Nähe an und lädt uns dadurch nach der Schwäche unseres Fassungsvermögens zu sich ein. Wir müssen nur wissen, daß diese sichtbaren Zeichen seiner Gegenwart uns nur gegeben werden, damit unsere Herzen ihn, den Unsichtbaren, selbst ergreifen; unter körperlichen Formen wird uns ein Gespür für sein geistliches Wesen gegeben, damit wir dieses im Geist suchen. Doch war ohne Zweifel mit den äußerlichen Zeichen eine gewisse innerliche Wirkung verbunden, die den Herzen der Frauen das Gefühl für die Gottheit einprägen sollte. Denn wenn sie auch anfangs bestürzt waren, geht doch aus dem weiteren Verlauf hervor, daß sie, nachdem sie sich gefaßt hatten, Schritt für Schritt dahin geführt wurden, Gottes Hand als gegenwärtig zu verspüren. Da sich unsere drei Evangelisten um Kürze bemühen, übergehen sie, wie wir es bei ihnen ja schon gewohnt sind, das, was Johannes (20, 1ff.) ausführlicher erzählt. Audi liegt darin ein Unterschied, daß bei Matthäus und Markus nur ein Engel erwähnt wird, während Lukas und Johannes von zweien berichten. Doch wird auch dieser scheinbare Widerspruch leicht behoben, da wir ja wissen, wie häufig in der Schrift ein Teil statt des Ganzen oder umgekehrt gesetzt wird. Es wurden also zwei Engel gesehen, zuerst von Maria, dann auch von den andern Begleiterinnen. Da aber der eine, der das Wort führte, ihre Aufmerksamkeit besonders auf sich zog, genügte es Matthäus und Markus, nur von der Sendung dieses einen zu erzählen.
Matth. 28,4. "Die Hüter aber erschraken vor Furcht.“ Der Herr erschreckte die Hüter, als ob er ihren Gewissen ein Brandmal aufdrücken wollte, indem er sie gegen ihren Willen zwang, seine göttliche Kraft zu fühlen; jedenfalls machte dieser Schrecken es ihnen unmöglich, ruhig an dem Gerücht, das bald über die Auferstehung in Umlauf kam, vorüberzugehen. Denn wenn sie sich auch nicht geschämt haben, ihre käuflichen Zungen dazu herzugeben, so wurden sie doch gezwungen, ob sie wollten oder nicht, innerlich das als Wahrheit anzuerkennen, was sie vor den Leuten gottloserweise leugneten. Sicher haben sie sich auch untereinander, wo sie freier reden konnten, gegenseitig zugegeben, was sie, da sie mit Geld bestochen waren, nicht wagten öffentlich zu behaupten. Bemerkenswert ist auch, wie verschieden die Evangelisten den Schrecken beschreiben, von dem einerseits die Wächter und andererseits die Frauen ergriffen wurden. Die an mancherlei Tumult gewöhnten Soldaten überfiel der Schrecken so, daß sie wie halbtot niederfielen; und als sie einmal lagen, richtete keine Kraft sie wieder auf. Ähnlich groß war sicher auch das Entsetzen der Frauen; aber der bald darauf folgende Trost hat ihre verwirrten Gemüter wieder so aufgerichtet, daß sie wenigstens begannen, wieder etwas Besseres zu hoffen. Und sicher ist es ganz in der Ordnung, daß Gottes Majestät den Frommen wie den Gottlosen Schrecken und Furcht einflößt, damit vor seinem Angesicht alles Fleisch zum Schweigen kommt. Aber sobald der Herr seine Auserwählten gedemütigt und sich unterworfen hat, nimmt er ihnen ihr Grausen, damit sie nicht am Boden liegenbleiben.
Aber nicht das allein, sondern er heilt auch durch die Süße seiner Gnade die ihnen geschlagenen Wunden. Die Gottlosen jedoch tötet er sozusagen mit einem panischen Schrecken oder läßt sie unter langsamen Qualen vergehen. Denn was diese Soldaten betrifft, waren sie zwar wie Tote geworden, aber doch ohne nachhaltige Wirkung; denn wie von Sinnen entsetzen sie sich zwar für einen Augenblick und vergessen doch gleich darauf wieder, daß sie sich gefürchtet hatten. Mag vielleicht die Erinnerung an diesen Schrecken nicht völlig geschwunden sein, so verflog doch jenes lebendige mächtige Ergriffensein von der Kraft Gottes, der sie wenigstens für einen Augenblick hatten weichen müssen. Das aber ist besonders festzuhalten, daß, obwohl sie sich genauso fürchteten wie die Frauen, ihnen das Heilmittel nicht geschenkt wurde, das ihre Furcht lindern konnte. Denn nur zu den Frauen sagte der Engel: „Fürchtet euch nicht!“ (28,5), womit er ihnen Anlaß zur Freude und Sorglosigkeit durch Christi Auferstehung gab. Bei Lukas (24,5) wird der Vorwurf hinzugefügt: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ Damit zupft der Engel die Frauen gewissermaßen am Ohr, damit sie sich nicht noch tiefer ihrer stumpfen Verzweiflung hingeben.
Matth. 28,7. „Und geht eilend hin und sagt es seinen Jüngern.“ Hier beschenkt Gott die Frauen durch den Engel mit der ganz besonderen Ehre, daß er ihnen auftragen läßt, das wichtigste Stück unserer Erlösung den Aposteln selbst bekanntzumachen. Bei Markus (16,7) wird ihnen noch besonders aufgetragen, diese Botschaft Petrus zu bringen, nicht weil er damals eine besondere Würde besessen hätte, sondern weil sein abscheulicher Abfall einen besonderen Trost brauchte, damit er wüßte, er sei trotz seines schändlichen, verruchten Fehltritts nicht von Christus getrennt. Zwar war er schon in das Grab hineingegangen und hatte die Spuren der Auferstehung Christi betrachtet (vgl. Joh. 20,6); aber die Ehre hat ihm Gott versagt, die er kurz darauf den Frauen zuteil werden ließ, aus des Engels Mund zu hören, daß Christus auferstanden sei. Und daß er damals noch bei stummer Verwunderung hängenblieb, geht besonders deutlich daraus hervor, daß er zitternd wieder in seinen Schlupfwinkel floh, als ob er nichts gesehen hätte, während Maria weinend am Grab saß. Darum haben sicher sie und ihre Begleiterinnen in dem Anblick des Engels den Lohn für ihre Ausdauer bekommen. Daß der Engel die Jünger nach Galiläa ruft, ist, glaube ich, darum geschehen, damit Christus sich mehreren offenbare; denn wir wissen, daß er sich längere Zeit in Galiläa aufgehalten hat. Und er wollte den Seinen auch einen größeren Zeitraum gewähren, damit sie sich nach und nach in der Zurückgezogenheit wieder fangen konnten. Dann half auch die Vertrautheit der Orte ihnen dazu mit, ihren Meister wirklich sicher wiederzuerkennen. So sollten sie auf alle mögliche Weise gestärkt werden, damit ihnen nichts zur Gewißheit ihres Glaubens fehlte.
„Siehe, ich habe es euch gesagt.“ Mit dieser Ausdrucksweise besiegelt der Engel die Wahrheit seiner Aussage. Diese bringt er jedoch nicht aus sich hervor, als ob er selbst auf diesen Gedanken gekommen wäre, sondern er gibt damit nur die Verheißung Christi weiter. Darum erinnert er bei Markus die Frauen nur an die Worte Christi. Bei Lukas (24, 7) geht die Rede des Engels noch etwas weiter und erinnert daran, daß die Jünger ausdrücklich von Christus darauf hingewiesen wurden, daß er selbst gekreuzigt werden müsse usw. (vgl. Matth. 17,22 f.), doch in dem gleichen Sinn, daß er seine Auferstehung in einem Atem mit seinem Tod vorausgesagt hatte. Dann wird auch hinzugefügt (Luk. 24, 8): Und sie gedachten an seine Worte. Daraus lernen wir, daß, wie wenig Fortschritte sie auch in der Lehre Christi gemacht hatten, diese doch nicht ganz an ihnen vorübergegangen, sondern nur etwas unterdrückt war, bis die Zeit dazu reifte, um einen Keim hervorzubringen.
Matthäus 28,8-10
8 Und sie gingen eilend vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, dass sie es seinen Jüngern verkündigten. 9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und um fassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie gehen nach Galiläa; daselbst werden sie mich sehen.
Markus 16,8
Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.
Matth. 28,8. „Und sie gingen eilend vom Grab.“ Die drei Evangelisten übergehen, was Johannes (20,2 ff.) von Maria Magdalena erzählt, daß sie nämlich, bevor sie die Engel gesehen habe, in die Stadt zurückgekehrt sei und unter Tränen darüber geklagt habe, daß der Leichnam Christi entfernt worden sei. Hier ist nur von ihrer zweiten Rückkehr in die Stadt die Rede, wo sie und ihre Begleiterinnen den Jüngern die Auferstehung Christi verkündigten, die sie sowohl aus dem Zeugnis des Engels wie aus dem Anblick Christi selbst erfahren hatten.
Bevor Christus sich ihnen zeigte, liefen sie schon zu den Jüngern, wie ihnen der Engel es aufgetragen hatte; unterwegs empfingen sie die zweite Bestätigung, damit sie noch bedenkenloser die Auferstehung des Herrn bezeugen konnten. Matthäus sagt, sie seien mit Furcht und großer Freude weggegangen, womit er meint, sie seien wohl durch das Wort des Engels erfreut worden, zugleich aber hätten sie noch unter ihrer Furcht gelitten, so daß sie zwischen Freude und Ängstlichkeit hin und her gerissen wurden. So beherrschen manchmal entgegengesetzte Gefühle die Herzen der Gläubigen und treiben sie um, bis endlich der Friede des Heiligen Geistes sie Ruhe finden läßt. Denn wenn ihr Glaube in ihnen fest gewesen wäre, hätte er wohl alle Furcht überwunden und sie völlig beruhigt; nun aber beweist die mit Freude gemischte Furcht, daß sie sich durch das Zeugnis des Engels noch nicht recht hatten beruhigen lassen. Hier aber gab Christus einen besonderen Beweis seiner Barmherzigkeit, indem er den auf diese Weise schwankenden und zitternden Frauen begegnet, um ihnen auch den letzten Rest von Zweifeln zu nehmen. Trotzdem weichen davon die Worte des Markus (16, 8) etwas ab, es sei sie Zittern und Entsetzen angekommen, so daß sie aus Furcht stumm wurden. Doch ist es gar nicht so schwierig, das mit den beiden andern Evangelisten zu vereinbaren: Obwohl sie die Absicht hatten, dem Engel zu gehorchen, fehlte ihnen die Kraft dazu, wenn nicht der Herr selbst das Schweigen gebrochen hätte. Das Folgende scheint einander jedoch mehr zu widersprechen. Denn Markus (16,9) sagt nicht, daß Christus ihnen allen begegnet, sondern nur, daß er frühe, das heißt in der ersten Morgendämmerung, Maria Magdalena erschienen sei, und Lukas erwähnt diese Erscheinung überhaupt nicht. Aber eine solche Auslassung, wie sie für Evangelisten keineswegs ungewöhnlich ist, darf uns nicht verwirren. Denn was den Unterschied zwischen den Worten des Matthäus und Markus angeht, kann es wohl sein, daß Maria Magdalena vor den andern einer solchen Erscheinung gewürdigt wurde und daß Matthäus dann dieses Erlebnis auf alle ausdehnte, was eigentlich nur dieser einen widerfuhr. Dennoch ist es wahrscheinlicher, daß sie allein von Markus genannt wird, weil sie Christus als erste sehen durfte, und zwar in dieser besonderen Weise vor den andern, ihre Begleiterinnen jedoch Christus dann der Reihe nach gesehen haben; und deshalb wird das bei Matthäus von allen zusammen berichtet. Christus gab damit einen wunderbaren Beweis seiner Güte, daß er seine himmlische Herrlichkeit einer armen Frau geoffenbart hat, die von sieben Dämonen besessen gewesen war, und daß er, indem er das Licht des neuen ewigen Lebens hervorbrechen lassen wollte, dort anfing, wo es für Menschenaugen nur Grund für Verachtung und Schmach gab. Damit hat Christus aber den Beweis gegeben, wie freundlich er seine Gnade uns gegenüber weitergehen läßt, wenn er sie einmal an uns entfaltet hat, und gleichzeitig hat er damit allen Stolz des Fleisches gedemütigt.
Matth. 28,9. „Und umfaßten seine Füße.“ Das scheint mit dem Bericht des Johannes (20,17) nicht übereinzustimmen, wo es Maria geradezu verboten wurde, Christus zu berühren. Der Ausgleich ist jedoch nicht schwer: Als der Herr sah, daß Maria zu sehr darauf aus war, seine Füße zu umfassen und zu küssen, hieß er sie zurücktreten, um ihren Aberglauben zurechtzuweisen und ihr den Zweck seiner Auferstehung klarzumachen, den Maria teils in irdischem grobem Empfinden, teils in törichtem Eifer aus dem Auge verloren hatte. Beim ersten Zusammentreffen jedoch ließ der Herr die Berührung seiner Füße geschehen, damit eine völlige Gewißheit zustande käme. Darum fügt Matthäus sofort hinzu: Und fielen vor ihm nieder, das heißt, sie beteten ihn an, was ein Zeichen einer festen Überzeugung war.
Matth. 28,10. „Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht!“ Die Furcht, von der Christus sie nun wieder befreit, war offensichtlich fehl am Platz; denn wenn sie auch aus der Verwunderung kam, ließ sie sich doch mit einem stillen Vertrauen nicht vereinbaren. Damit sie also zu Christus als dem Überwinder des Todes aufblicken, heißt er sie, fröhlich zu sein; daraus erkennen wir, daß wir dann erst die Auferstehung des Herrn richtig erfassen, wenn wir uns in getroster Zuversicht zu rühmen wagen, daß wir Teilhaber an dem gleichen Leben geworden sind. Und genau dahin muß unser Glaube gelangen, damit uns die Furcht nicht unterkriegt.
Wenn Christus die Frauen nun anweist, das den Jüngern zu verkündigen, so sammelt er durch diese Sendung seine zerstreute Gemeinde aufs neue und richtet sie aus ihrer Niedergeschlagenheit wieder auf. Denn wie uns heute besonders der Glaube an seine Auferstehung lebendig macht, so mußte auch damals den Jüngern das Leben wiedergegeben werden, das sie verloren hatten. Auch dabei müssen wir auf die unglaubliche Freundlichkeit Christi achten, daß er die Flüchtlinge, die ihn schmählich verlassen hatten, als seine Brüder bezeichnet. Ohne Zweifel wollte er von sich aus mit dieser freundlichen Benennung die Traurigkeit lindern, von der er sie schwer bedrängt wußte. Da aber die Anrede „Brüder" über den Kreis der Apostel weit hinausreicht, dürfen wir wissen, daß diese Botschaft auf Christi Geheiß verkündigt wurde, damit sie auch noch zu uns gelange. Wir sollen darum nicht unbeteiligt die Geschichte von seiner Auferstehung hören; denn Christus lädt uns aufgrund seines Bruderverhältnisses mit eigenem Mund freundlich ein, ihre Frucht zu ergreifen. Die Behauptung einiger Ausleger, Christus habe mit den „Brüdern" seine Blutsverwandten gemeint, wird durch den Zusammenhang deutlich genug als Irrtum widerlegt; denn Johannes (20,18) sagt ausdrücklich, Maria sei zu den Jüngern gekommen, und bei Lukas (24,10) heißt es kurz danach, daß die Frauen zu den Aposteln gegangen seien. Damit stimmt Markus (16,10) überein, wenn er schreibt: „Maria verkündigte es denen, die mit ihm gewesen waren, die da Leid trugen und weinten.“
Aus: Otto Weber, Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. 13. Band. Die Evangelienharmonie 2. Teil, Neukirchener Verlag, 1974, S. 409ff.