Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Die Bartholomäusnacht (1572)
Massaker unter den Reformierten in Frankreich
I. Hintergrund und Ursachen der Bartholomäusnacht
1. Der Protestantismus in Frankreich bis 1559
2. Die Hugenotten von 1559 bis 1572
3. Die unmittelbaren Hintergründe für die Bartholomäusnacht
4. Das Attentat auf Coligny
5. Die Bartholomäusnacht
6. Ein Drama in drei Akten
7. Wer war Schuld?
8. Die Folgen
II. Ein Zeitzeugenbericht
„In den Straßen wurde getötet“. Ein Bericht vom Überleben
IV. Zeittafel
I. Hintergrund und Ursachen der Bartholomäusnacht
Vor 440 Jahren, anno Domini 1572, fand in Frankreich ein blutiges Gemetzel unter den Reformierten, den "Hugenotten" statt. Unter dem Namen Bartholomäusnacht wurde das Massaker bekannt. Plötzlich und unerwartet wurden in Paris und in der Provinz Tausende Hugenotten umgebracht, und mindestens genauso viele traten, erschrocken vom Gemetzel, wieder in die katholische Kirche ein. Ein traumatisches Ereignis für die reformierten Kirchen in Europa, umso erstaunlicher, dass der Protestantismus in Frankreich nicht auszurotten war. Nach heftigen Kämpfen und zähen Verhandlungen erlangte er mit dem Edikt von Nantes eine gewisse Sicherheit.
Die folgende Schilderung soll einen Überblick über der Hintergrund und die Ursachen der Bartholomäusnacht geben - den allgemein bekannten historischen Fakten und dem Stand der Forschung entsprechend. Im zweiten Teil wird ein Augenzeugenbericht vorgestellt. Eine junge Frau, namens Charlotte Arbaleste de la Borde, eine überzeugte Hugenottin, entkam aus Paris; später heiratete sie den Gefolgsmann von Heinrich IV., Philippe Duplessis-Mornay. Ihren Sohn schrieb sie, unter welchen Umständen sie und ihr zukünftiger Gatte aus Paris geflüchtet waren.
Diese Erzählung wurde bislang von der Forschung (mit der Ausnahme von Crouzet 1994) wenig berücksichtigt, vermutlich, weil sie erst 20 Jahre nach dem Ereignis niedergeschrieben wurde. Sie eröffnet aber einen interessanten Blickwinkel auf das Geschehen. In ihrer Beschreibung der Massaker schildert Charlotte Arbaleste den mörderischen Hass auf die Hugenotten. Zugleich zeigt der Bericht, dass weder sie noch Philippe Duplessis-Mornay ohne die Hilfe ihrer katholischen Freunde und Bekannte überlebt hätten.
Es ist allgemein bekannt, dass am 23. und 24. August 1572 eine große Anzahl Hugenotten in Paris umgebracht wurde, eniger bekannt ist, dass die Massaker in Paris länger als eine Woche dauerten, und dass zuerst in den Städten um Paris herum, dann in Südfrankreich bis in den Oktober hinein ähnliche Massaker stattfanden.
Wie kam es dazu, dass so viele Hugenotten plötzlich umgebracht wurden? Die Hugenotten selbst schrieben im Nachhinein Pamphlete, um die Gräueltaten zu schildern und zu erklären. Die Schuld suchten sie meistens beim König oder dessen Mutter, Katharina von Medici. Wenn man die Massaker verstehen will, muss man in der Geschichte zurückblicken, denn eine solche Wut und Blutdurst der Bevölkerung lässt sich nicht nur mit einem Befehl des Königs erklären.
1. Der Protestantismus in Frankreich bis 1559
In Frankreich hatten schon Anfang des 16. Jahrhunderts Humanisten eine einfachere katholische Kirche ohne die zahlreichen Missbräuche und Skandale gefordert. Diese bibelhumanistischen Bestrebungen blieben jedoch innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses und wurden am Hof von der Schwester des Königs Franz I, Margarete von Angoulême, unterstützt.
Luthers Schriften wurden nach 1517 teilweise auf Latein gelesen, teilweise übersetzt. Die theologische Fakultät der Sorbonne, der Pariser Universität erklärte sie 1521 für ketzerisch und verbot ihren Besitz. Ein erster Märtyrer wurde 1523 wegen des Besitzes solcher Schriften verbrannt. Die Reformierten, die von Zwingli inspiriert waren, wurden eine Herausforderung für alle Katholiken. Guillaume Farel, der später Calvin in Genf zur Mitarbeit verpflichtete, war in Frankreich besonders aktiv, sowohl als Prediger wie als Verfasser religiöser Schriften. Die Reformierten wurden bald als Sakramentarier bekannt, weil sie die Realpräsenz (körperliche Gegenwart Christi im Wein und Brot) im Sakrament des Abendmahls bestritten und stattdessen allein die geistige Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier betonten.
Die Kritik an der Lehre vom Abendmahl war keineswegs nur akademisch. Im 15. und 16. Jahrhundert gab es eine weitverbreitete Eucharistiefrömmigkeit, deren besonderes Kennzeichen die Verehrung der Hostie war. In die Kirchen wurden kostbare Sakramentshäuser eingebaut, die Fronleichnamsprozessionen eingeführt. Die Hostie wurde feierlich in einer schönen Monstranz durch die Straßen getragen, während alle Häuser mit Blumen und bunten Decken geschmückt waren. Die Anwesenheit Gottes in der konsekrierten Hostie bedeutete für die Gemeinde die Zuversicht, dass Gott unter seinem Volk weilte.
Die französische Kirche war dank der gallikanischen Freiheiten weitgehend Rom gegenüber selbstständig, der König war das Haupt der Kirche und damit Garant für das gute Verhältnis zwischen Nation und Gott. In der Verehrung der Hostie spielte auch die Verehrung des Königs mit. Wenn die Reformierten die körperliche Anwesenheit Gottes in der geweihten Hostie verneinten, war es sowohl ein Angriff auf geliebte kirchliche Gebräuche und eine weitverbreitete Frömmigkeit, als auch eine Kränkung Gottes und des Königs (Elwood 1999).
Man versteht, warum die Plakate, die als Angriff auf die Messe 1533 in Paris erschienen, eine solche Empörung beim König verursachten, dass mehrere „Ketzer“ auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Die Plakate waren Gotteslästerung und zugleich Majestätsbeleidigung. Indem sie Gott erzürnten, brachten sie Frankreich in Gefahr, und der König musste unbedingt Gottes Zorn und seine Strafe vom Volk abwenden. Für Calvin war die Messe schlechthin Götzendienst, weil der Priester auf dem Altar das Opfer Christi auf Golgatha wiederholte, indem er Brot und Wein in der Eucharistiefeier beim Sprechen der Einsetzungsworte in das Fleisch und Blut Christi verwandelte. Nach seiner Auffassung durften Reformierte an der Messe nicht teilnehmen.
Auch die katholische Verehrung der Mutter Gottes und der Heiligenkritisierte Calvin scharf. Er wollte die Bilder und Statuen der Heiligen aus den Kirchen entfernen, allerdings wandten er und sein Nachfolger, Beza, sich strikt gegen jeden Bildersturm und Vandalismus. Das Bilderverbot in den reformierten Kirchen hieß nicht, dass man Bilder und Statuen der Heiligen zertrümmern sollte. Als Johanna von Albret (1528-72), Königin von Navarra, reformierte Prediger in die Dörfer lassen wollte, riet Beza ihr, alle Kirchen abzuschließen und bewachen zu lassen, wohl wissend, dass Bilderstürme die Reformierten in einen schlechten Ruf brächten (Actes du colloque 1974).
In der Regierungszeit der Könige der Familie Valois, Franz I. (1515-1547) und sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1547-1559), wurden mehrere Edikte erlassen, die alle „ketzerischen“ Schriften verboten. Ketzerei galt als krimineller Straftat. 1547 wurde ein Ketzergericht, die sogenannte „chambre ardente“, eingeführt. Ketzer wurden verbrannt und alle, die ihnen halfen, zum Tode verurteilt. Ihre Verräter hingegen erhielten zur Belohnung ein Viertel des Gutes der Verurteilten.
Viele Reformierte flüchteten nach Strasbourg und Genf. Dennoch entstanden allmählich kleine reformierte Gemeinden in Frankreich. Calvin unterstützte sie mit Briefen und Pastoren – die Akademie in Genf wurde 1559 gegründet, um der wachsenden Nachfrage der französischen Gemeinden nachzukommen. Der Reformator riet den Gemeinden zu Friedfertigkeit, auch wenn sie verfolgt wurden. Er versuchte den Märtyrer zu helfen, unter Anderem indem er bei den reformierten schweizerischen Kantonen und den protestantischen deutschen Fürsten um Unterstützung bat. Da Heinrich II. Krieg führte, erst gegen den Kaiser Karl V. und dann gegen seinen Sohn, Filipp II. von Spanien, war er von den schweizerischen und deutschen Söldnern abhängig. Frankreich hatte keine stehende Armee. Der König war auf Söldner angewiesen. Calvin hatte damit die Möglichkeit, den König unter Druck zu setzen. Diese Diplomatie funktionierte aber nicht immer.
Nichts desto weniger wuchsen die reformierten Gemeinden rasant, und besonders zwei demographische Gruppen schlossen sich der Reformation an: der Hochadel und die Jugend. Pastoren meldeten Gottesdienste mit mehreren Tausend Besuchern. Damit traten die Reformierten in der Öffentlichkeit und zeigten vermehrt ein gewisses Selbstbewusstsein, das die katholischen Mehrheit als Frechheit deutete. Außerdem war diesen beiden Gruppen von Konvertiten gemeinsam, dass sie wenig bereit waren, klein beizugeben.
2. Die Hugenotten von 1559 bis 1572
1559 starb Heinrich II. durch einen Unfall. Sein Sohn und Nachfolger, Franz II. (1559-1560), war erst 15 Jahre alt und von schlechter Gesundheit, mündig war er jedoch. Da er des Regierens nicht fähig war, übernahm die Familie von Guise die Regierungsgeschäfte. Der Prinz, der nach der Verfassung dem jungen König hätte beistehen sollen, war Anton von Bourbon (1518-62), der einzige erwachsene Prinz in der Erbfolge. Er hatte deutliche Sympathien für die Reformierten und war auch aus diesem Grund für die von Guise nicht akzeptabel. Calvin schrieb Bourbon, ob er die Regentschaft an sich ziehen könnte, denn damit hätten die reformierten Kirchen einen mächtigen Befürworter (CO 16,730-34, CO 18,285-87).
Anton von Bourbon jedoch war nicht gerade die geborene Führungspersönlichkeit (Sutherland 1984), und enttäuschte die Kirchen und Calvin sehr.
Anton von Bourbon ist für die folgende Geschichte interessant, weil er der Vater war von Heinrich von Navarra (1553-1610), seit 1589 Heinrich IV. von Frankreich. Die Mutter war Johanna von Albret, Königin von Navarra. Sie hatte die Entschlossenheit, die ihrem Gatten fehlte, und bekannte sich 1560 zum reformierten Glauben. Sie sorgte, soweit es ihr möglich war, auch dafür, dass Heinrich und seine Schwester Catherine de Bourbon im protestantischen Glauben erzogen wurden.
Als der Hochadel sich teilweise zum Protestantismus bekehrte, entstand eine politische „Partei“ in Frankreich, deren Anhänger Hugenotten genannt wurden. Bislang waren die Ketzer in Frankreich Lutheraner genannt worden. Der Name Hugenotten dagegen kann mit Eidgenossen zusammenhängen und deine Verbindung zu der Schweiz andeuten. Die mächtigsten Vertreter der Hugenotten waren Johanna von Albret, der Prinz Ludwig von Condé (1530-69), der jüngere Bruder von Anton von Bourbon, und der Admiral von Frankreich, Gaspard von Coligny (1519-72). Coligny gehörte einem dritten mächtigen Familienklan an, der Familie Montmorency.
Diese drei, Johanna von Albret, Condé und Coligny sollten für die nächsten zwölf Jahren das Schicksal der Hugenotten lenken. Ihnen feindlich gegenüber stand die Familie von Guise, überzeugte Katholiken, papsttreu und verbunden mit Philipp II. von Spanien. Mit anderen Worten: sie waren Anhänger eines katholischen Europas. Zwischen den Hugenotten und den Erzkatholiken befanden sich die königliche Familie Valois und viele Beamte, die gerne die gallikanische Freiheit der Kirche erhalten hätten. Sie mochten sich weder dem Papst noch dem spanischen König fügen und versuchten, die Unabhängigkeit Frankreichs zu sichern. Die Hugenotten konnten sich mit dieser Gruppe arrangieren, weil auch sie königstreu waren.
1560 starb Franz II. Auf den Thron folgte ihm sein zehnjähriger Bruder, Karl IX. (1560-1574). Dieser war minderjährig. Seine Mutter Katharina von Medici wurde Regentin. Sie versuchte 1561 in Poissy, außerhalb Paris', in Religionsgesprächen zwischen Hugenotten und Katholiken einen Konsens herbeizuführen, ohne Erfolg. Im Januar 1562 erließ sie ein Edikt, das den Hugenotten weitgehende Akzeptanz zusicherte. Anscheinend hatte Katharina eingesehen, dass man mit Ketzerverfolgungen die Reformierten nicht ausrotten konnte.
Das hatten Franz I. und Heinrich II. 30 Jahre lang vergeblich versucht. Die Familie von Guise dagegen wollte ein katholisches Europa unter der Führung Spaniens und des Papstes. Ihre erzkatholische Partei war nicht am Frieden interessiert. Es verwundert nicht, dass Herzog Franz von Guise (1519-63) den ersehnten Frieden im März brach, als dieser im Städtchen Vassy einen reformierten Gottesdienst mit Waffengewalt überfiel. Es gab mehrere Tote und Verletzte; ihr Verbrechen war, innerhalb der Stadt in einer Scheune Gottesdienst zu feiern. Nach dem Edikt vom Januar waren reformierte Gottesdienste nur außerhalb der Städte erlaubt.
Als Reaktion darauf brach im April 1562 der erste Religionskrieg aus; die Religionskriege dauerten mit kurzen Unterbrechungen durch Friedenstraktate bis zur Bekehrung Heinrichs IV. 1593. Im ersten Krieg forderte der Prinz von Condé die Umsetzung des Ediktes vom Januar, was die katholische Partei gegen den Willen der Krone verhinderte, und erklärte den schlechten Ratgebern der königlichen Familie den Krieg. Diese Haltung wurde bis zu den Massakern von 1572 beibehalten: Die Hugenotten erkannten den guten Willen der königlichen Familie an, deren treue Untertanen sie waren, aber sie setzten sich gegen alle, die das Edikt des Königs verhinderten, zu Wehr. Die politische katholische Partei in Frankreich unter Anführung der Familie von Guise sorgte dafür, dass die Hugenotten sich immer wieder verteidigen mussten. Die Kriege zogen sich endlos hin, weil nur das Königshaus und die königlichen Beamten den Frieden wünschten, sie selbst aber zu schwach waren, um ihn herbeizuführen.
Abgesehen von den Gräueltaten des Krieges – und wie jeder Bürgerkrieg waren auch die Religionskriege voller Grausamkeiten – gab es noch ein Phänomen in Frankreich, das Natalie Z. Davis beschreibt (Davis 1973, 1975 & Soman 1974): der rituelle Charakter der Gewalt. Beide Seiten wollten das Land reinigen, die Hugenotten von der Abgötterei und die Katholiken von der Beschmutzung durch die Ketzerei.
Die Hugenotten verwüsteten Kirchen, verjagten die Priester und verhöhnten die traditionellen Riten. Die Hostie nannten sie einen „Gott aus Teig“, sie weigerten sich, an den Fronleichnamsprozessionen teilzunehmen und schmückten ihre Häuser nicht. Von Genf aus versuchten sowohl Calvin als auch Beza den Vandalismus zu verhindern, und auch die Pastoren sowie die Presbyterien taten ihr Bestes, aber die vielen Neubekehrten ließen sich trotzdem in ihrer Bekennerwut auf Bilderstürme ein. Die Israeliten, die die Altäre des Baals und der Astarte zerstört hatten, dienten ihnen als Vorbilder.
Die Katholiken neigten eher dazu, Menschen zu überfallen – die Hugenotten hatten höchstens ihre Bibel als Kultobjekt, das beschädigt werden konnte. Diese war eigentlich beiden Kontrahenten "heilig", aber trotzdem gibt es Berichte, dass Bibeln zerstört wurden. Nach einem mörderischen Angriff auf die "Ketzer", wurden ihre Leichen in die Flüsse geworfen, um sie zu reinigen. Sowohl Feuer als auch Wasser hatte reinigende Kraft.
Oft wurden die Leichen zudem geschändet, Ohren, Nasen und Genitalien abgeschnitten oder Bäuche aufgeschlitzt.
Die Hugenotten ihrerseits mordeten aber auch. Bei der berüchtigten Michelade 1567 in Nîmes – einer überwiegend reformierten Stadt - trieben die Hugenotten katholische Würdenträger in den Hof des Bischofpalastes und metzelten sie kaltblütig nieder. Die Leichen warfen sie in Brunnen. Ungefähr 30 Personen kamen um. Sehr oft fanden Gewaltexzesse in Verbindung mit kirchlichen Feiertagen und Prozessionen statt. Neben den bereits erwähnten Fronleichnamsprozessionen konnte jede katholische Feier den Spott und Hohn der Hugenotten auslösen, ein Gottesdienst der Hugenotten mit lautem Gesang des Psalters die Wut der Katholiken entzünden.
Die Bevölkerung in Paris war extrem katholisch und hing der Familie von Guise an. In Paris gab es katholische Hassprediger, die von der Kanzel aus dazu aufforderten, die Ketzerei wie ein Krebsgeschwür aus dem gesunden Volkskörper auszuschneiden. Damit verhinderten sie jeden Anflug von Menschlichkeit zwischen den Religionen.
Angst konnte auch der Auslöser für Gewalt sein. 1567 belagerte das hugenottische Heer Paris, schnitt die Versorgung der Stadt ab und verbrannte die Windmühlen auf den Wällen. Die Pariser waren bereits bewaffnet, und aus Angst vor Verrätern innerhalb der Stadtmauern, gingen sie von Haus zu Haus und töteten alle Hugenotten, die sie fanden. Dieser Angriff wird als eine Art "Generalprobe" für die Bartholomäusnacht gesehen (Diefendorf 1991).
Außenpolitisch fing in diesen Jahren nach 1566 der Aufstand in den Niederlanden gegen Spanien an. Philipp II. ließ den Herzog von Alba mit aller erdenklichen Härte gegen die Ketzer vorgehen. Der Adel lehnte sich gegen den spanischen König und den Herzog von Alba auf, angeführt von Wilhelm von Oranien (1533-84). Der Aufstand in den Niederlanden war ein Freiheitskampf, nichts desto weniger suchte Wilhelm von Oranien Unterstützung von der englischen Königin und von den französischen Hugenotten. Ein gemeinsames protestantisches Bündnis gegen das katholische Spanien und den Papst entstand. Der Bruder Wilhelms von Oranien, Ludwig von Nassau-Dillenburg (1538-74), kämpfte Seite an Seite mit den Hugenotten in Frankreich, und die Hugenotten waren ihrerseits bereit, gegen Spanien in den Niederlanden zu kämpfen.
Der Admiral Coligny war mit den Grafen von Egmont und Hoorn verwandt, die beide 1568 vom Herzog von Alba hingerichtet worden waren. Coligny hatte deshalb persönliche Gründe, den Glaubensbrüdern in den Niederlanden zu helfen, aber was er eigentlich wollte, war die Teilnahme Frankreichs am Krieg. Er hoffte, die Spaltung des Adels in Katholiken und Hugenotten mit einer gemeinsamen nationalen Aufgabe zu überwinden. Frankreich hatte jahrelang gegen Karl V. und später gegen Philipp II. gekämpft und konnte es nach seiner Meinung nochmals tun. Wenn der Adel im Ausland kämpfte, könnte Frankreich im Innern vielleicht Frieden erlangen. Philipp II. dagegen hatte Schwierigkeiten genug in den Niederlanden, das Letzte, was er sich wünschte, war eine Einmischung Frankreichs und eventuell auch Englands an der Seite der Niederländer.
3. Die unmittelbaren Hintergründe der Bartholomäusnacht
1570 handelte die Krone den Frieden von St. Germain mit den Hugenotten aus. Die Hugenotten hatten zwar in den vorangegangenen Jahren mehrere wichtige Schlachten verloren, den Krieg aber gewonnen, da Coligny mit einem hugenottischen Heer zum Schluss Paris bedrohte, während dem König das Geld ausgegangen war, um ein Heer gegen Coligny ins Feld zu führen. Notgedrungen schloss der Karl IX. einen für die Hugenotten sehr günstigen Frieden, sehr zum Verdruss seiner katholischen Untertanen.
Coligny hatte vor, eine Ehe zwischen dem Prinzen Heinrich von Navarra und der englischen Königin Elizabeth zu arrangieren. Sie allerdings war nicht angetan von dem jungen Prinzen. Stattdessen schlug Katharina von Medici (1519-89), die für einen ihrer Söhne eine Ehe mit Elizabeth arrangieren wollte, vor, Heinrich mit ihrer Tochter Marguerite (1553-1615), Margot genannt, zu vermählen.
Johanna von Albret sah hierin anscheinend eine Möglichkeit, Heinrich näher an den Thron zu bringen. Dieser war zwar Erbprinz, aber Katharina hatte zu dem Zeitpunkt drei lebende Söhne, die ihrerseits Kinder bekommen könnten. Die Königin von Navarra hatte schon sehr hart verhandelt, um den Friedensvertrag von St. Germain zustande zu bringen, jetzt fing sie erneute Verhandlungen an, erstens um den Vertrag auch wirklich durchzuführen und zweitens um die besten Bedingungen für ihren Sohn zu erlangen.
Coligny erhoffte sich von dieser Ehe offizielle französische Hilfe für die Niederlande. Dies wäre freilich einer Kriegserklärung an Spanien gleichgekommen, was der Admiral freilich billigend in Kauf genommen hätte. Aber Katharina von Medici und der Kronrat waren vehement gegen einen Krieg mit Spanien. Die Krone hatte mit den Hugenotten Frieden geschlossen, weil ihr das Geld fehlte einen Krieg zu führen. Sie hatte nicht die finanziellen Möglichkeitn, sich auf militärische Abenteuer einzulassen.
In Juni 1572, kurz vor der Hochzeit, starb Johanna von Albret an Tuberkulose; später bezichtigte man Katharina, sie vergiftet zu haben. Die Hochzeit zwischen Heinrich, jetzt König von Navarra, und Margot wurde am 18. August vollzogen. Die Feierlichkeiten dauerten mehrere Tage. Die katholischen Hassprediger wetterten gegen diese Ehe zwischen einer katholischen Prinzessin von Frankreich und einem Hugenotten scharf, und wiegelten damit die Pariser auf.
4. Das Attentat auf Coligny
Nach den Feierlichkeiten ging Coligny am 22. August zum König in den Louvre um mit ihm zu verhandeln. Auf dem Weg nach Hause wurde er von einer Kugel verwundet. Hätte er sich nicht in dem Augenblick nach vorne gebeugt, um etwas in Ordnung zu bringen, als auf ihn geschossen wurde, wäre er vermutlich auf der Stelle tot gewesen. Er überlebte. Seine Begleiter brachten ihn zu seiner Wohnung in Rue de Béthisy (die jetzige Rue de Rivoli). Karl IX. und die Königinmutter besuchten ihn. Der junge König schwor Rache. Coligny bat um Schutz; er bekam 50 Musketiere zugestellt. Die Hugenotten um ihn waren außer sich vor Wut und drohten mit Vergeltung für diese Schandtat.
Man weiß bis heute nicht, warum der Admiral angegriffen wurde, aber es gibt mehrere Erklärungen dafür. Die Familie von Guise stand seit Jahren in einer Blutsfehde mit Coligny. Franz, der zweite Herzog von Guise (1519-63), war von einem hugenottischen Edelmann umgebracht worden, und die Guise verdächtigten seitdem Coligny als Hintermann. Es hatte über die Jahren mehrere Attentate auf Coligny gegeben, bislang war er aber immer mit dem Leben davongekommen. Das Haus, aus dem er angeschossen worden war, und das Pferd, auf dem der Täter entkam, gehörten beide der Familie Guise. Alle Indizien sprachen für einen Mordversuch von Seiten der von Guise.
N.M. Sutherland (1973,1980 & 1984, Soman 1974) vertritt die These, der Admiral sollte wegen seiner Kriegspläne sterben. Frankreich konnte sich den Krieg nicht leisten und Coligny stand unmittelbar vor einem Feldzug mit Erlaubnis des Königs, den er für seine Pläne gewonnen hatte. Die unmittelbaren Nutznießer des Tods des Admiral wären demnach einerseits die Krone, andererseits der Herzog von Alba gewesen. Ein Komplott unter Spanien, dem Papst und dem Kronrat, bzw. Katharina von Medici, ausgeführt durch die Familie de Guise, wäre denkbar (Knecht 1996, 1998).
Leider (!) überlebte Coligny. Die Hugenottischen Edelmänner um ihn herum waren in Aufruhr. Ob nun der König und seiner Mutter in das Attentat verwickelt waren oder nicht, jetzt waren sie auf alle Fälle aufgeschreckt. Am 23. August wurde im Kronrat verhandelt. Dort saß unter anderen der Herzog von Anjou, der jüngere Bruder des Königs. Er, der später als Heinrich III. Frankreich regieren sollte, war überzeugter Katholik und stand unter dem Einfluss der Familie von Guise.
Nachdem ein Entschluss gefallen war, wurde in der Nacht der Bürgermeister von Paris in den Louvre geholt. Er erhielt den Befehl, Paris abzusichern, die Bürgerwehr zu mobilisieren, Artillerie vor dem Rathaus aufzustellen, die Stadttore zu schließen und die Boote auf der Seine anzuketten.
5. Die Bartholomäusnacht
Vier Uhr morgens ertönte die Sturmglocke von St. Germain l´Auxerrois. Der junge Herzog Heinrich von Guise (1550-88, der Sohn des ermordeten Herzog Franzens) zog mit der Garde des Herzogs von Anjou zum Hôtel de Béthisy, wo Coligny schlief, ließ ihn ermorden und aus dem Fenster werfen. Sein Kopf wurde abgehauen, zuerst zum König getragen, später balsamiert und nach Rom geschickt, um den Papst zu erfreuen. Zu gleichen Zeit wurden die Edelmänner um Coligny und die, die in der Nähe wohnten, von der Garde umgebracht. Einige wurden in ihren Betten ermordet, ihrer kriegerischen Haltung zum Trotz, leisteten die wenigsten Widerstand.
Zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung von Paris gründlich aufgeschreckt und fing an, ihre hugenottischen Nachbarn zu ermorden und deren Häuser zu plündern. Die Katholiken befestigten weiße Kreuze an ihren Hüten oder Ärmeln, damit sie im Gemetzel erkennbar waren. Im Louvre wurden die zwei jungen Erbprinzen Navarra und sein Vetter Condé verschont, aber alle ihre Begleiter wurden in den Hof des Louvre gejagt und dort von der Schweizergarde umgebracht.
Auf dem rechten Seine-Ufer im Zentrum der Stadt überlebte kaum ein Hugenotte, ob nun von der Hochzeitsgesellschaft oder wohnhaft in Paris. Links der Seine wurden die Hugenotten durch die Glocke geweckt. Sie dachten, der König sei in Gefahr und wollten ihm helfen. Als sie aber zur Seine kamen, fanden sie alle Boote angekettet, und als sie zum Louvre hinübersahen, entdeckten sie Karl IX. in einem Fenster, mit Muskete auf flüchtende Hugenotten schießend. Dieser Gruppe von Hugenotten gelang die Flucht. Der junge Philippe Duplessis-Mornay versteckte sich beim Notar seiner Familie, während der junge Rosny, später bekannt als der Finanzminister Sully, sich geistesgegenwärtig ein Messbuch als Tarnung unter den Arm steckte, damit durch den Straßen lief und in seiner Schule versteckt wurde. Er war zwölf Jahre alt.
Weder Alter noch Geschlecht schützte die Hugenotten. Die Berichte über die Ermordung von Frauen und Kindern sind besonders grausam. Die Leichen wurden, nachdem man ihnen ihre Kleider ausgezogen hatte, in die Seine geworfen. Als sie in Rouen angeschwemmt wurden, fanden in dieser Stadt auch Massaker gegen Hugenotten statt.
Am Vormittag des 24. Augusts kam der Bürgermeister von Paris zum König und beklagte die anhaltenden Plünderungen und Ermordungen. Am Nachmittag verbot er auf königlichen Geheiß die Übergriffe. Dennoch dauerten sie mehr als eine Woche an, und als Paris sich ausgetobt hatte, fingen die Massaker in der Provinz an. Es war Oktober, bevor wieder Ruhe wieder einkehrte. Tausende von Hugenotten waren tot, sehr viele konvertiert.
Unter den bekannten Konvertiten waren Heinrich von Navarra, seine Schwester Catherine und sein Vetter Heinrich von Condé (1552-88). Sie erhielten als Beichtvater Hugo Sureau du Rosiers (1530-75), einen reformierten Pastor, der unter dem Schock der Ereignisse konvertiert war. Sureau des Rosiers war überzeugt, dass Gott sein Volk strafen wollte. Jahre später bat er in Genf um Wiederaufnahme in die reformierte Kirche. Nach langem Zögern gestatteten es ihm die Genfer Pastoren, aber Pastor wurde er selbst nicht mehr. Sureau des Rosiers starb 1575 in Frankfurt (Kingdon 1988). Hugenotten traten in Scharen zum katholischen Glauben über. Nur wenige konnten sich ins Ausland absetzen, andere flüchteten nach La Rochelle, wo sich Widerstand formierte.
6. Ein Drama in drei Akten
Zum Verständnis der Bartholomäusnacht kann man sie als "Drama" in drei "Akten" betrachten:
Der erste Akte war das versuchte Attentat auf den Admiral. (Wie gesagt, es ist immer noch umstritten, warum oder auf wessen Befehl es stattfand.)
Der zweite Akt war die Ermordung Colignys und der huguenots de guerre, der militärischen Edelmänner um Coligny und um die beiden Prinzen. Der Befehl dazu ging ohne Zweifel vom König aus, so wie die Befehle an den Bürgermeister von Paris. Die französische und die schweizerische Garde bedurften eines Befehls des Königs, um die Hugenotten im und um den Louvre umzubringen. Der Herzog von Guise hätte vermutlich gerne auf eigene Faust den Admiral umgebracht, aber als der Tote aus dem Fenster herausgeworfen wurde, rief er laut zu den versammelten Parisern: „Der König hat es befohlen!“
Laut Diefendorf (1991) waren es genau diese Worte, die das folgende Blutbad auslösten.
Der dritte Akt war die Ermordung Tausender von Hugenotten: Männer, Frauen und Kinder. Der König ordnete vergeblich an, die Hugenotten zu schonen; weder in Paris, noch in der Provinz konnten sie auf Barmherzigkeit hoffen. Hier scheint das Massaker ein religiös motiviertes Verbrechen gewesen zu sein. Dagegen ist es durchaus möglich, dass das Attentat und die Ermordung Colignys und seines Gefolges politisch motivierte Verbrechen waren. Tatsächlich ließ Karl IX. eine Münze schlagen mit einer Inschrift, die an seinen Sieg über die hugenottischen Rebellen erinnerte. Seinen Botschaftern an fremden Höfen teilte er mit, er habe einen Komplott seitens der Hugenotten entdeckt und verhindert.
7. Wer war schuld?
Die französischen Massaker lösten teils Freude, teils Entsetzen in Europa aus. Der Papst ließ seinen Hofmaler Vasari Fresken davon im Vatikan malen – dieser Raum ist nicht öffentlich zugänglich. Filipp II. soll gelacht haben, als er die Nachricht bekam – bemerkenswert, weil er sonst nie lachte. Sowohl er als auch der Papst gratulierten dem französischen König. Königin Elizabeth von England trug Trauer als sie den französischen Botschafter empfing.
Die Hugenotten schrieben im Ausland Berichte über das Gemetzel. Sowohl sie wie auch die katholischen Verfasser neigten zu der Meinung, die Massaker seien von langer Hand vorbereitet gewesen (Kingdon 1988, Soman 1974). Nach ihrer Meinung hätten der König und / oder seine Mutter den Friedensvertrag von St. Germain und die königliche Hochzeit eingefädelt, um die Hugenotten nach Paris zu locken und dort umzubringen. Unmittelbare Konsequenz dieser Annahme war für die Hugenotten, dem König gegenüber die Treue zu kündigen. In den vergangenen Jahren hatten die Hugenotten stets ihre Loyalität behauptet und nur Krieg geführt, um die Durchführung der Toleranzedikte und Friedensabkommen einzufordern.
Jetzt wandten die Hugenotten sich gegen den König, der sie betrogen hatte. Führende Skribenten (Kingdon 1988) diskutierten das Widerstandsrecht gegen einen Tyrannen. Calvin hatte stets Gehorsam gegenüber der Obrigkeit angemahnt, auch während der schrecklichen Verfolgungen, als die Pastoren ihn um weniger hochtrabende („moins sublime“) Vorschläge baten, als dass die Gemeinden nur beten sollten. Nach der Bartholomäusnacht entwickelten die Reformierten eine Lehre von den Verpflichtungen des Souveräns dem Volk gegenüber, und dem Recht auf Widerstand, wenn der König seinen Verpflichtungen nicht nachkam.
Die Familie Valois hatte ihren guten Ruf endgültig verloren. Als der jüngere Bruder Karls, der Herzog von Anjou, sich um den polnischen Thron bewarb, musste er sich gegen die Anklage des Beistands zum Mord verteidigen. Er wurde vom polnischen Adel zum König gewählt, musste jedoch unterschreiben, dass solche religiösen Verfolgungen in Polen niemals stattfinden sollten. Von Karl IX. wird berichtet, dass er blutüberströmt starb, von den Gedanken an seine Opfer gequält; er starb an Tuberkulose. An erster Stelle jedoch wurde - sowohl von Katholiken als auch von Protestanten - die Königinmutter als Giftmischerin und Urheberin des Massakers verdächtigt.
Die Zeit der Bartholomäusnacht bleibt rätselhaft. Man weiß nicht mit Sicherheit, warum das Attentat auf den Admiral stattfand. Die Hugenotten stilisierten ihn zum protestantischen Märtyrer, aber, wie oben gezeigt, könnte das Attentat sehr wohl andere Ursachen als religiöse haben. Vermutlich löste das Überleben Colignys die Ermordung der leitenden Hugenotten aus, aber wer die Entscheidung, sie umzubringen, traf, und warum, bleibt unklar. Karl IX. rechtfertigte sich später mit der Behauptung, die Hugenotten hätten den Mord der königlichen Familie als Rache für das Attentat auf Coligny geplant. Elizabeth von England sagte dazu, ein schwer verwundeter Mann wäre wohl nicht im Stande, ein Mordkomplott gegen den König zu schmieden. Möglicherweise hatten der Kronrat und die königliche Familie am Samstag, dem 23. August, große Angst vor den Konsequenzen des fehlgeschlagenen Attentats. Eine andere Vermutung, so Sutherland, ist, dass die Königinmutter den Krieg unbedingt verhindern wollte. Deshalb musste Coligny umgebracht werden.
Sicher ist, dass Frankreich nach den Massakern erst recht unter Religionskriegen zu leiden hatte. Die Hugenotten verteidigten sich mit einer unfassbaren Zähigkeit, weil sie gelernt hatten, dem König zu misstrauen. Wenn es stimmen sollte, dass die königliche Familie den Mord an Coligny und den hugenottischen Adligen befohlen hatte, war das Ergebnis ihres eigenen Befehls für sie und für Frankreich eine Katastrophe. Unmittelbarer Nutznießer des Verbrechens war Spanien. Der Herzog von Alba hatte erst einmal Ruhe, sein blutiges Handwerk in den Niederlanden fortzusetzen, und Spanien konnte einen Krieg gegen England planen, während Frankreich, das in Bürgerkriegen versank, sich nicht einmischen konnte.
Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Familie Guise im Auftrag des Papstes und Spaniens die ersten Schritte unternahm. Die Familie Valois mit dem Kronrat zeichnet sich wohl für den zweiten Teil verantwortlich. Für die Ermordung von Hugenotten, nicht nur in Paris, sondern in Orléans, Meaux, La Charité, Angers, Saumur, Bourges, Lyon, Rouen, Bordeaux, Toulouse, Gaillac und Albi sind wohl eher die Grausamkeiten der Religionskriege verantwortlich. In allen diesen Städten hatten die Reformierten im Laufe der Kriege zeitweilig den Oberhand gewonnen und während ihrer Vorherrschaft die Katholiken schwer gekränkt. Der geballte Hass, der sich in diesen Massakern entlud, ist wohl als Rache zu sehen. Rache trifft aber meistens den Falschen, den Unschuldigen.
8. Die Folgen
Eine erstaunliche Spätfolge der Massaker ist die Erschaffung einer hugenottischen demokratischen Republik im Süden Frankreich, die von Paris weitgehend unabhängig war.
Eine andere Folge ist die Säkularisierung des Königtums. Das mittelalterliche französische Königtum war sakral. Die Schwäche der letzten Valois-Könige, die faktische Herrschaft von Katharina von Medici, die vielen für Hugenotten günstigen Edikte, die Bekehrung Heinrichs IV. zum Katholizismus, all' diese Versuche, einen religiöse Streit zu entschärfen, ließen den König wie einen Politiker agieren. Damit hatte er seine Aura eingebüßt. Die Hugenotten diskutierten zwar eifrig, ob man einen Tyrannen töten durfte, aber de facto waren es katholische Fanatiker, die erst Heinrich III. und dann Heinrich IV. umbrachten.
Die Hugenotten erlangten 1598 durch das Edikt von Nantes eine für sie zufriedenstellende Lösung. Dieses Edikt unterschied sich nicht grundlegend von dem Edikt im Januar 1562 und allen folgenden Edikte und Friedensabkommen, aber jetzt gab es zum ersten Mal einen König, der die Autorität hatte, ein solches Edikt wirklich durchzusetzen. Heinrich IV. hatte zwar seine sakrale Aura eingebüßt, aber dafür leitete er den Absolutismus in Frankreich ein.
II. Ein Zeitzeugenbericht
„In den Straßen wurde getötet“. Ein Bericht vom Überleben
„Früh am Morgen des 23. Augusts weckte eine kleine reformierte Küchenmagd mich auf mit der Nachricht, in den Straßen werde getötet. Ich sah aus dem Fenster, wie Gardisten mit weißem Kreuze am Hut befestigt durch die Straße liefen…“
Die Erzählerin dieses Augenzeugenberichts ist Charlotte Arbaleste de la Borde (1550-1606), verwitwet de Fauquères. Sie heiratete später den Freund Heinrichs IV., Philippe Duplessis-Mornay (1549-1623). Mit ihm hatte sie mehrere Kinder. Als ihr ältester Sohn das Elternhaus verlassen sollte, schrieb sie ihm 1595 ihre Erinnerungen, die bis zum 19. Jahrhundert nur in Manuskriptform vorlagen. Charlotte Arbaleste de la Borde wollte ihrem Sohn vor Augen führen, wie Gott die Gläubigen und seine Kirche beschützt und geleitet hatte. Deshalb handelt das Buch zum großen Teil von ihrem Gatten, der sich sowohl theologisch als auch militärisch und diplomatisch betätigt hatte. Als Ehefrau war sie ihm überallhin gefolgt und hatte die Ereignisse miterlebt. Ihre Memoiren gelten dem Ehepaar, sind also eine Doppelbiographie.
Charlotte Arbaleste de la Borde erzählt zuerst dem Sohn von seinem Vater. Sie beschreibt seine Familie, seine Geburt, seine Jugend und Ausbildung bis er als 22-jähriger im August 1572 in Paris eintraf. Der junge Philippe Duplessis-Mornay war während seiner Ausbildung in Europa herumgereist. Nach Paris kam er, um Admiral Coligny einen Rapport über die Situation in den Niederlanden zu überreichen. Die Ereignisse im August schildert seine spätere Ehefrau zunächst in einem Bericht über ihn. Sie selbst lässt sie zum ersten Mal auftreten, um ihre Flucht aus Paris zu erzählen. Die nächsten Jahre schildert sie dann abwechselnd aus seiner und aus ihrer Sicht bis zur Hochzeit 1576. Dieser Struktur folgend wird hier kurz von Duplessis-Mornay erzählt.
Philippe Duplessis-Mornay logierte zunächst in einem Pariser Gasthof. Als er von dem Attentat gegen Coligny hörte, beschloss er am 23. August in die Nähe des Admirals zu ziehen, um ihm zu helfen und zu beschützen. Glücklicherweise hätte er erst am Montag, den 25. August in die Rue de Béthisy einziehen können. In der Nacht weckte ein Bekannter ihn im Gasthof mit der Nachricht, der Admiral und sein Gefolge seien ermordet. Duplessis-Mornay verbrannte sofort seine Papiere. Als die Gardisten kamen, versteckte er sich zwischen den steilen Dächern der eng aneinander stehenden Pariser Häuser. Den Sonntag über hielt er sich im Haus versteckt, aber am Montag drängte der Wirt ihn zu verschwinden, er könne ihn nicht länger schützen.
Der Buchhändler im Haus nebenan war bereits ermordet worden. Duplessis-Mornay zog sich schlichte schwarze Kleider an und lief zum Notar der Familie, während das Haus des Buchhändlers geplündert wurde. Der Notar ließ ihn unter seinen Schreibern sitzen. Leider fanden seine Bediensteten sich dort allmählich ein, denn ein junger Edelmann reiste damals nicht ohne Hauslehrer, Kammerdiener und Gefolge. All' diese plötzlich auftauchenden Leute machten den Nachbarn misstrauisch. Ein junger Schreiber bot dem verfolgten Adeligen an, ihn aus Paris zu bringen. Bei den Stadttoren standen Wachen, aber der Schreiber meinte an die Pforte St. Martin jemanden zu kennen, der ihnen behilflich sein würde.
Dies Stadttor war geschlossen und sie beschlossen, es an die Pforte St. Denis zu versuchen. Dort erzählten sie, dass sie nach Rouen wollten. De Mornay war so übereilt geflüchtet, dass er noch Hausschuhe trug. Diese wurden ihm zum Verhängnis. Kaum durchgelassen, kamen jemandem die Pantoffeln verdächtig vor. Wollte etwa ein Katholik einen Hugenotten aus der Stadt schmuggeln? Die Wachen liefen ihnen hinterher und einige Bürger aus der Vorstadt stellten sie, wollten de Mornay nicht ziehen lassen und drohten damit, ihn zu ertränken. Sie hielten ihn in einem Haus zurück, während sie versuchten etwas über ihn herauszufinden. In seiner Verzweiflung überlegte der Flüchtende, sich aus dem Fenster zu stürzen. Doch die Hoffnung lebend aus der Stadt herauszukommen siegte. De Mornay sandte seinem Notar die Bitte um eine Bescheinigung und erhielt auch bald die Bestätigung, er sei dem Notar bekannt. De Mornay durfte Paris verlassen; er reiste nach England in der Überzeugung, Gott habe ihn gerettet, damit er sich für Gerechtigkeit einsetze.
Charlotte Arbaleste war im Jahr 1572 gerade 22 Jahre alt, schon seit drei Jahren verwitwet und Mutter einer kleinen Tochter. Sie stammte aus einer Familie, die wie viele andere religiös geteilt war: der Vater reformiert, die Mutter katholisch. Der Vater, Guy Arbaleste de la Borde, vicomte de Melun, war Präsident des Pariser Rechnungshofes gewesen.
Um 1559 war Prinz Ludwig von Condé in seinem Haus zu Gast. Die Prediger im Gefolge des Prinzen hielten Gottesdienste und Andachten. Guy Arbaleste war so beeindruckt, dass er den reformierten Glauben annahm. Unter Zwang kehrte er im ersten Religionskrieg 1562 zum Katholizismus zurück. Nach dem Friedenschluss 1563 verlangte er die Bekehrungsurkunde zu sehen und schwor mit geballtem Faust, dass er reformiert war und bleiben wolle. Er erzog seine Kinder im reformierten Glauben, und seine Tochter Charlotte Arbaleste heiratete 1567 einen jungen Hugenotten. Dieser fiel 1569 im dritten Religionskrieg.
Im August 1572 war Charlotte Arbaleste in Paris, um Erbangelegenheiten nach dem Tod ihres Vaters zu regeln. Sie wollte die Stadt am Montag, dem 25. August verlassen, um den Winter bei ihrer verheirateten Schwester zu verbringen. In den frühen Morgenstunden wurde sie geweckt und sah die Gardisten. Sie schickte einen Boten zu ihrer Mutter mit der Bitte um Hilfe. Ihr Onkel, (katholischer) Bischof von Senlis, versprach sie abzuholen. Er kam jedoch nicht, weil sein Bruder (ein Reformierter) zusammen mit dem Admiral umgebracht worden war. In der Aufregung vergaß er seine Nichte.
Nach ein Paar Stunden Wartezeit ließ Charlotte Arbaleste ihre Tochter zu einem Verwandten und guten Freund tragen. Dieser ließ die Kleine durch eine Hintertür in sein Haus ein und teilte der Mutter mit, sie sei bei ihm willkommen. Um acht Uhr morgens ging sie zu diesem M. de Perreuze. Er erzählte, der Admiral und alle die Edelmänner um ihn seien umgebracht worden. Kaum hatte Charlotte Arbaleste ihr Haus verlassen, trafen die Diener des Herzogs von Guise dort ein. Sie drohten ihrer Mutter und versuchten so, die Tochter zu erpressen. Erfolglos. Sie blieb in ihrem Versteck. Der Herzog ließ ihr Haus plündern.
Im Haus des M. de Perreuze waren um die 40 Hugenotten versteckt. Um nicht aufzufallen, ließ er in anderen Stadtteilen einkaufen und stand selbst in seiner Eingangstür, um sich mit den Plünderern und Mördern, die in den Nachbarhäuser zugange waren, zu unterhalten. Am Dienstag wurde ihm mitgeteilt, man wolle sein Haus durchsuchen; daraufhin verließen die meisten Hugenotten sein Haus, nur eine Dame wurde im Holzschuppen und Charlotte Arbaleste in der Kornkammer versteckt. Dort saß sie und hörte das Geschrei der Männer, Frauen und Kinder, die in den Straßen getötet wurden. Sie wurde fast wahnsinnig vor Angst um ihre kleine Tochter, die im Haus war – vermutlich unter den anderen Kindern. Kaum war wieder Ruhe eingekehrt, schickte sie die Tochter zu ihrer Großmutter, die katholisch war.
M. de Perreuze bat die Zurückgebliebene, eine andere Bleibe zu suchen. Da Charlotte Arbaleste nicht zu ihrer Mutter konnte, deren Haus bewacht war, zog sie am Dienstag Abend zu einer früheren Zofe ihrer Mutter, die mit einem Milizkapitän verheiratet war. Die Mutter kam am selben Abend, mehr tot als lebendig, zu Besuch. Der Kapitän fühlte sich anscheinend nicht verpflichtet, Charlotte Arbaleste zu töten oder sie auszuliefern, aber er drängte sie sehr, zur Messe zu gehen. Lange wagte sie es nicht dort zu bleiben. Ihre Mutter bat eine befreundete Familie, sie aufzunehmen. Bereits am Mittwoch um die Mittagszeit ging sie dorthin.
Auch diese Familie, der Präsident de Tambonneau und seine Frau, hatten hugenottische Verwandte. Da man ihnen drohte, ihr Haus zu durchsuchen, schickten sie bereits am Donnerstag Abend Charlotte Arbaleste fort, zu einem Kornhändler. Dieser ließ sie, unterstützt vom Ehepaar Tambonneau, fünf Tage lang in einem Zimmer wohnen. Dort durfte sie weder umhergehen - die Dielen knarrten! -, noch durfte sie Licht anzünden, was die Nachbarn gesehen hätten.
Die Mutter, die aus Angst dafür gesorgt hatte, dass Charlottes Brüder sich wieder zum Katholizismus bekehrt hatten, bat ihre Tochter noch einmal, sich zu bekehren. Da Charlotte Arbaleste dies Ansinnen zurückwies, drohte ihre Mutter damit, ihr die kleine Tochter zurückzugeben. Charlotte antwortete, dass die beiden dann zusammen stürben und fasste den Beschluss, aus Paris zu flüchten.
Elf Tage nach der Bartholomäusnacht verkleidete Charlotte Arbaleste sich und nahm ein Boot flussaufwärts, Richtung Sens. Beim Verlassen von Paris musste sie alle ihre Passierscheine vorzeigen. Sie hatte keinen einzigen. Sofort kam der Verdacht auf, sie sei eine flüchtige Hugenottin und man müsse sie ertränken. Als erstes wurde sie vom Boot genommen. Sie gab den Namen eines früheren Buchhalters ihrer Großmutter an und sagte, er würde für sie bürgen. Zwei Wachen führten sie dorthin. Der Buchhalter wollte aber nur sagen, ihre Familie sei gut katholisch, sie selbst sei früher auch Katholikin gewesen, jetzt könne er sich jedoch für nichts verbürgen.
In diesem Augenblick kam eine Frau vorbei, die die Soldaten fragte, was los sei. Diese antworteten, sie hätten hier eine Hugenottin, die sie ertränken sollten, weil sie so erschrocken aussah. Die Unbekannte erwiderte, sie kenne das Mädchen, es sei eine gute Katholikin, ginge ständig zur Messe, und wenn es mitgenommen aussah, sei es wegen eines ausgestandenen Fiebers. Daraufhin brachten die Soldaten Charlotte Arbaleste zurück zum Boot. Wäre sie ein Mann, sagten sie, wäre sie nicht so leicht davongekommen. In der Zwischenzeit wurde ihr letzter Zufluchtsort beim Kornhändler durchsucht. Auch dieses Mal war sie ihren Verfolgern in letzter Sekunde entwischt.
Mit im Boot saßen zwei Mönche, ein Priester und zwei Kaufmänner mit ihren Frauen. Außerdem entdeckte Charlotte Arbaleste einen Diener des Hauses Tambonneau, der ihr andeutete, sie dürfe ihn nicht ansprechen. Nach dem Abendessen unterhielten die Mitreisenden sich begeistert über die Ereignisse in Paris, während Charlotte Arbaleste, um nichts sagen zu müssen, Müdigkeit vortäuschte. Nachts entstand ein neues Problem: die Reisenden teilten sich die Betten; unter ihrer Verkleidung hatte Charlotte Arbaleste eine fein bestickte Chemise. Die Frauen, mit der sie sich das Bett teilte, durften das gute Stück nicht sehen. Die Nacht verging irgendwie, und am nächsten Morgen schlug der Diener ihr vor in Ivry auszusteigen, da sie in Melun erkannte werden könnte.
Er führte sie zu einem Haus, das der Familie Tambonneau gehörte, und ließ beim früheren Kanzler Michel de l´Hôpital, dessen Frau Hugenottin und eine Verwandte von Charlotte Arbaleste war, anfragen, ob diese in seinem Haus aufgenommen werden könne. L´Hôpital ließ antworten, dass seine Frau sich bekehrt habe, und dass Soldaten, angeblich zu seinem Schutz, bei ihm einquartiert seien. Käme Charlotte Arbaleste, müsste sie zur Messe gehen. Wie er richtig vermutet hatte, lehnte sie ab, und wurde vom Diener in einem Dorf bei einem Winzer einlogiert.
Soldaten von der Schweizergarde der Königin Elisabeth von Österreich kamen, um das Dorf nach Hugenotten zu durchsuchen. Aber das Haus, wo Charlotte Arbaleste wohnte, wurde von ihnen beschützt und sie konnte sich dort versteckt halten. Nach einiger Zeit borgte sie sich vom Winzer einen Esel und ritt vom ihm begleitet zum Haus ihrer Großmutter. Dort blieb sie zwei Wochen. Ihre Großmutter war ja katholisch. Alsbald tauchte ein Priester auf und versuchte unter Drohungen sie zu bekehren.
Charlotte Arbaleste ritt weiter zum Haus ihres ältesten Bruders, der notgedrungen wieder zum Katholizismus übergetreten war. Auch er bestand auf den Besuch der Messe am Sonntag, was sie ablehnte. Als sie den Priester sah, machte sie kehrt. Der einzige Ort in der Nähe, wo man noch frei Hugenotte sein konnte, war das Fürstentum Sedan, wo Henri Robert, Herzog von Bouillon, residierte. Charlotte Arbaleste beschaffte sich Geld, um dorthin zu reisen. Vor ihrer Abreise versöhnte sie sich mit ihrem Bruder, der ihre Reise und sie selbst segnete – vielleicht war er erleichtert, sie loszuwerden.
Sedan erreichte Charlotte Arbaleste zu Allerheiligen am 1. November. Die dortigen Hugenotten nahmen sie freudig auf und kleideten sie wieder standesgemäß ein. Der Herzog und die Herzogin empfingen sie freundlich und sie blieb dort, bis sie Philippe Duplessis-Mornay kennenlernte und ihn heiratete.
Diese Beschreibung der Ereignisse in der Bartholomäusnacht und danach ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens zeigt sie deutlich, dass weder Charlotte Arbaleste noch Philippe Duplessis-Mornay ohne die Hilfe von Katholiken überlebt hätten. Charlotte Arbaleste erzählt von Mord und Plünderungen, aber sie schwelgt nicht in Grausamkeiten. Das Märtyrerbuch von Jean Crespin erzählt ausführlich vom festen Glauben und grausamen Tod der Hugenotten. Verglichen damit ist der Bericht von Charlotte Arbaleste zurückhaltend. Sie erzählt viel von der Freundlichkeit ihrer Beschützer, von ihrer Dankbarkeit und der völlig unerwarteten Hilfe von Unbekannten.
Ihr Bericht weicht an mehrere Stellen von den sonst in der Forschung an erster Stelle dargestellten Geschehnissen ab. Es ist bekannt, dass König Karl IX. bereits am Vormittag des 24. August ein Ende des Mordens und der Plünderungen verordnete. Charlotte Arbaleste erzählt von beidem über mehrere Tage lang. Dass Hausdurchsuchungen stattfanden, und dass Paris abgeriegelt war, findet man nirgendwo in der gängigen Sekundärliteratur. Philippe Duplessis-Mornay gelang die Flucht durch die Pforte St. Denis, obwohl seine Hausschuhe ihm beinahe zum Verhängnis geworden wären. Sein Hauslehrer trennte sich von ihm, um nicht aufzufallen. Er wurde bei der Pforte St. Honoré umgebracht. Charlotte Arbaleste flüchtete 11 Tage nach der Bartholomäusnacht und wurde wegen fehlender Passierscheine fast ertränkt.
Die Soldaten, die die Dörfer in der Region Brie durchsuchten, und den früheren Kanzler Michel de l`Hôpital bewachten, kommen in der zu Rate gezogenen Forschung nicht vor. De l`Hôpital hatte als Kanzler sehr auf die Autorität des Königs bestanden, deshalb auch die Durchführung der Edikte und Friedensabkommen eingefordert, und, obwohl selbst katholisch, war seine Frau reformiert. Viele Gutsbesitzer der Umgebung seien umgebracht worden, erzählte der Winzer Charlotte Arbaleste. Diese Massaker in der Provinz um Paris haben bislang keine Beachtung in der Forschung gefunden.
Weder die Wachen bei den Stadttoren noch die Schweizergarde der Königin in der Brie haben selbstständig gehandelt. Egal, welchen Erlass der König am 24. August bekannt gab, die Verwaltung der Stadt Paris und der Regionen in Île de France wollten anscheinend die Hugenotten ausrotten. Auch wenn Charlotte Arbaleste überlebte der Druck auf sie, zu konvertieren, blieb groß. Deshalb zog sich nach Sedan – der Stadt, in der sie in ihrer ersten Ehe gewohnt hatte, während ihr Gatte in dem niederländischen Aufstand unter Wilhelm von Oranien gekämpft hatte. Dort war ihre erste Tochter, Suzanne de Pas, zur Welt gekommen.
In der Bartholomäusnacht und in den folgenden Tagen war Charlotte Arbaleste immer zuerst um ihre Tochter besorgt. Die Kleine wurde zuerst zu M. de Perreuze gebracht, ihr galten die Gedanken der Mutter, als sie sich in der Kornkammer versteckte, und sie wurde dann bei ihrer katholischen Großmutter einquartiert. Charlotte Arbaleste setzte ihr eigenes Leben aufs Spiel, aber nicht das ihrer Tochter. Der Hugenotte, Präsident de la Place, verbot seinem Sohn, das weiße Kreuz auf seinem Hut zu befestigen. Pastor Merlin, Seelsorger des Admirals Coligny, der in der Nacht seiner Ermordung mit ihm betete und sich selbst nur in letzter Minute durch eine Flucht über die Dächer retten konnte, litt schrecklich darunter, dass seine Kinder von einer Frau gerettet wurden, die ihnen katholische Gebete beibrachte.
Charlotte Arbaleste dagegen nahm in Kauf, dass ihre Tochter, um zu überleben, katholisch aufwuchs. Ihre eigene Mutter bedrohte sie bei dem Versuch, Charlotte zu bekehren, sogar damit, ihr das Kind zurückzubringen. In dem oben erwähnten Märtyrerbuch von Jean Crespin (das u.a. die letzten Stunden des Präsidenten de la Place beschreibt) wird viel über die Glaubensfestigkeit der Märtyrer erzählt. Charlotte Arbaleste hingegen macht nicht viel Aufhebens um ihren Glauben, aber sie zieht für sich selbst nicht einen Augenblick in Betracht, die Messe zu besuchen. Weder der Kapitän, bei dem sie Schutz sucht, noch die Erpressung ihrer Mutter oder die Einladung ihres Bruders, können sie von diesem Vorsatz abbringen. Andererseits hatte sie, genau wie ihr späterer Gatte, die feste Hoffnung, zu überleben. Beide betrachteten ihr Überleben als ein Geschenk Gottes. Die vielen Getöteten sind keine Strafe Gottes, das Überleben einiger weniger dagegen ist ein Zeichen für seine Güte.
III. Literatur
Quellen:
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- Crespin, Jean: Histoire des Martyrs, persecvtez et mis à mort pour la vérité de l´évangile, I-XII, Genf 1597
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Sekundärliteratur:
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- Sutherland, N.M.: Princes, Politics and Religion, 1547-1589, London 1984
Die Bartholomäusnacht in der Kunst:
- Dumas, Alexandre: La reine Margot, 1845. Roman
- Mann, Heinrich: Die Jugend des Königs Henri Quatre, Roman, Rororo Nr. 13487
- Mann, Heinrich: Die Vollendung des Königs Henri Quatre, rororo Nr.13488
- Chéreau, Patrice: „Die Bartholomäusnacht“, Org.: „La reine Margot“, mit Isabelle Adjani und Daniel Auteuil, 1994. Film über den Roman von Dumas
- Dr. Jo Baier: „Henri 4“, mit Julien Boisselier und Joachim Król, 2010. Film über die Romane von Heinrich Mann
IV. Zeittafel
1515-1547 Franz I. – die Ketzer werden zunehmend verfolgt.
1547- 1559 Heinrich II. – immer härtere Ketzerverfolgungen
1559 - 1560 Franz II. – die Familie de Guise möchte die Ketzerverfolgungen Heinrichs fortsetzen.
1560 – 1574 Karl IX. – die Regentin Katharina von Medici versucht, sich mit den Hugenotten zu arrangieren, denn
um 1559-1560 rechnet man mit einer Anzahl von 1 Million Hugenotten = 10% der Bevölkerung.
1561 Religionsgespräche in Poissy
1562 Januar-Edikt mit großen Zugeständnissen an die Hugenotten
1562 März: Massaker in Vassy; der Herzog von Guise überfällt einen reformierten Gottesdienst.
1562 April: Ausbruch des 1. Religionskrieges. Die ersten drei Kriege dauern bis:
1570 Frieden von St. Germain; günstig für die Hugenotten
1571 Admiral Coligny wird in den königlichen Rat aufgenommen, plant Krieg in Holland.
18. August 1572 Die Schwester des Königs, Marguerite von Valois (Margot), heiratet Heinrich III. von Navarra, später Heinrich IV. von Frankreich.
21. August 1572 Ende der Hochzeitsfeier
22. August 1572 Attentat gegen Admiral Coligny. Er wird verwundet, überlebt aber. Die königliche Familie besucht ihn. Die Hugenotten schwören Rache.
23. August 1572 Die königliche Familie holt Rat ein. Am Abend werden die Garde, die Bürgermiliz und die Polizei mobilisiert, Paris wird abgeriegelt.
24. August 1572 Kurz nach Mitternacht weckt die Glocke von St. Germain l´Auxerrois die Bürger. Zuerst wird Admiral Coligny vom Herzog von Guise ermordet, danach sein Gefolge und die Adligen im Louvre. Heinrich von Navarra und seinen Vetter, der Prinz von Condé, dürfen am Leben bleiben, wenn sie ihrer Religion abschwören, was sie beide tun. In den Straßen von Paris werden Hugenotten systematisch getötet und deren Häuser geplündert.
28. August gilt als die Ende der Massaker in Paris.
August/ September 1572: Massaker in La Charité sur Loire, Meaux, Orléans, Bourges, Angers, Saumur, Lyon, Troyes und Rouen.
Oktober 1572: Massaker in: Bordeaux, Toulouse, Gaillac und Albi. Man rechnet mit 30.000 Toten und mindestens gleich viele Konvertiten. Die meisten reformierten Kirchen befinden sich jetzt im Süden und Südwesten Frankreichs.
1573 Der vierte Religionskrieg endet mit guten Bedingungen für die Hugenotten. Im Süden entstehen demokratische, reformierte, vereinigte Provinzen mit weitgehender Unabhängigkeit von Paris.
1574-1589 Heinrich III. - Der letzte Valois Bruder zieht, obwohl katholisch, den Zorn der extremen Katholiken auf sich.
1576 Heinrich von Navarra flüchtet von Paris, rekonvertiert und setzt sich an die Spitze der Reformierten Südfrankreichs.
1584-92 Die katholische Liga bekämpft Heinrich III. von Frankreich, weil er Heinrich von Navarra zu seinem Nachfolger einsetzt. Zugleich kämpft die Liga gegen Heinrich von Navarra. Die Liga will keinen Hugenotten als König Frankreichs.
1589-1610 Heinrich IV. König von Frankreich.
1593 Heinrich IV. nimmt noch einmal den katholischen Glauben an.
1598 Edikt von Nantes. Sicherheit für die Hugenotten.
Merete Nielsen, Göttingen