Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Auch der Schwache rufe: Ich bin stark! (Joel 4,10)
Liebe Gemeinde!
„Pflugscharen zu Schwertern!“ Kein Druckfehler ist das auf unserem Plakat. So steht es bei Joel, anders als bei Micha oder Jesaja (gottesdienstliche Lesung: Micha 4,1-4). Erste Annäherung an einen unbekannten Predigttext:
Am 4.10.1914 sagt der Wiener Erzbischof Piffl bei einer „Eucharistischen Kriegsandacht“ im Stephansdom in Wien: „Wir kämpfen für Wahrheit und Recht, wir kämpfen für Gott und unseren heiligen Glauben, wir kämpfen für unseren Kaiser und unsere heimatliche Scholle.“ Und da ruft Gott ruft nun allen zu: „Schmiedet um eure Pflugscharen zu Schwertern und eure Winzermesser zu Lanzen. Selbst der Schwache rufe: Ein Held bin ich!“ „Pflugscharen zu Schwertern!“ 1917, nach drei Jahren Krieg, wird derselbe Erzbischof das deuten als „Kirchenglocken zu Kanonen“ – Durchhalteparolen sind im Reich angesagt.
Als ich bei der Vorbereitung unserer Sommerkirchreihe auf diese Predigten gestoßen bin, war mein erster Impuls: Typisch Kriegspredigt – da wird aber auch alles so umgebogen, wie man’s gerne hätte. „Schwerter zu Pflugscharen“, so muss es doch richtig heißen, Profetenwort bei Jesaja und Micha, wir haben die Lesung gehört. Motto der Antikriegsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, Vor-Bild für die berühmte Statue vor den Vereinten Nationen und dann für den illegalen Aufnäher der DDR-Friedensbewegung … Und da kommt einer daher, natürlich ein katholischer Erzbischof, und dreht das Ganze einfach um! Empörung!
Zweite Annäherung: Noch einmal lesen, genauer hingucken. Bischof Piffl, so steht in seiner Predigt, bezieht sich nicht auf Micha und Jesaja, sondern auf Joel. Ich schlage nach bei Joel: Und wirklich, da steht es: „Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Auch der Schwache rufe: Ich bin stark!“ (Joel 4,10, Lutherübersetzung) Meine Empörung weicht der Irritation: Schwerter zu Pflugscharen – Pflugscharen zu Schwertern: Haben diejenigen recht, die sagen, mit der Bibel könne man eben alles belegen? Ein Steinbruch sei sie für dies und jenes, alles kann man herauslesen, was einem passt?
Die Friedensbewegung liest Jesaja und Micha, die Kriegsideologen lesen Joel? Steht da beides in der Bibel? Ja, es steht wirklich beides in unserer Bibel. Aber, und damit zur dritten Annäherung: Noch einmal lesen, noch genauer hingucken. Und zwar diesmal nicht die 1914-Predigten, sondern die Bibel selbst. Also Joel.
Joel. Vier kurze Kapitel zwischen Hosea und Amos. Viel von Gottes Gericht, von notwendiger Buße, Umkehr Israels, ist bei ihm zu lesen – und von Gottes letztlicher Gnade, neuem Heil für Israel und damit für die Welt. Joel lebt und redet drei Generationen nach Jesaja. Dessen Profezeiungen waren immer noch im Gedächtnis, gerade die Heilsverheißungen, die bis heute zu unseren weihnachtlichen Texten gehören. Etwa die vom Immanuel, dem „Gott-mit-uns“ – wir haben letzten Sonntag davon gehört.
Heilsverheißungen geben Zuspruch und Orientierung über die Tagespolitik hinaus. Gerade, wenn sie so plastisch geschrieben sind wie der Abschnitt von den Schwertern, die umgeschmiedet werden zu Pflugscharen. Wie da ein Frieden geschildert wird nicht nur für Israel, sondern durch Israel, das Friedensland, für alle Welt. Ach, wie schön wäre es, heute am Israelsonntag, da ungebrochen anknüpfen zu können. Aber die Wirklichkeit ist anders. Jeden Tag lesen, hören, sehen wir davon.
Ist die Verheißung von Frieden, von Waffenlosigkeit nur etwas für gute Zeiten, nur etwas für blauäugige Idealisten? Gibt es Zeiten, wo die Friedensbotschaft sozusagen rückabgewickelt werden muss: Schwerter müssen wieder her und Lanzen, Gewehre und Panzer und Bomben! Ist Joel für solche Rückwendung ein Zeuge?
Noch einmal: Noch genauer gelesen, was Joel verkündet und wem und in welcher Lage. Zunächst: Für die Profeten, auch Joel, ist die Verheißung eines endgültigen Friedens eng verknüpft mit der Erwartung, dass auch der innere Friede stimmt: Recht und Barmherzigkeit, gemessen vor allem am Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft, den „Witwen, Waisen und Fremdlingen“. Und da sehen sie „Rechtsbruch statt Rechtspruch, Bluttat statt Guttat“ (Jes.5,7). Wenn es so weitergeht, kann das nur ins Verderben führen, so mahnen sie und stellen auf der anderen Seite den Segen Gottes vor Augen, wenn der innere Frieden denn gut organisiert ist.
In den Zeiten Joels ist man froh über 70 Jahre äußeren Frieden und singt Halleluja, zitiert die schönen Verheißungen Jesajas und Michas – aber wieder hat sich das Unrecht breit gemacht, die Sozialkritik der alten Profeten ist vergessen. Nein, nicht völlig vergessen. Joel zumindest erinnert sich. Und der macht’s wie die Alten. Er analysiert die soziale Schieflage und kündigt Unheil an für Israel, wenn es denn alles so weiter geht.
Von Heuschrecken redet er. Und von Feinden, die gegen Israel ziehen, „mächtig und ohne Zahl“ (1,6) Schlimm wird es kommen, ganz schlimm – von einem schrecklichen „Tag des Herrn“ spricht Joel. An diesem Tag wird richtig gestellt, was falsch war, da geht alles unter, was unrecht ist. Und dieser Tag kommt „wie ein Verderben vom Allmächtigen“ (1,15). Joel appelliert an sein Volk:
„Doch auch jetzt noch, spricht der Herr, bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen, mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt um zu dem Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig, und von großer Güte!“ (2,12-13)
Umkehr zu Gott und zu seinem Recht, Umkehr zu einem Glauben, der nicht zufrieden ist damit, Gott sozusagen als Talisman mitzuführen, Umkehr zu einem gesellschaftlichen Leben, das die kleinen Leute und die Fremden nicht unterdrückt – dazu aufzurufen, das ist doch eigentlich die Aufgabe der Priesterschaft im Tempel. Aber Joel hat kein Vertrauen in die Priester. Die haben in der Geschichte genug Unrecht abgesegnet. So verheißt Joel ein allgemeines Priester- und Profetentum – eine Bibelstelle, die in der Pfingstgeschichte wieder aufgenommen wird: „Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.“ (3,1-2)
Und dann, durch eine Umkehr, einen Neuanfang im Geist Gottes, werden auch alle Feinde verschwinden im Nichts. Aber vorher gibt es eben den „Tag des Herrn“. Den Tag des Gerichts. Der Profet ruft auf zu einem „Heiligen Krieg“ (4,9) – aber wen ruft er auf? Nicht etwa an Israel ergeht sein Ruf zu den Waffen, nicht an die eigenen Leute - sondern an die Assyrer, die Fremden, die Feinde, die Heiden. Sie sollen sozusagen als Arm Gottes sein eigenes, erwähltes Volk überfallen und ein Ende machen mit unrechter Herrschaft, falscher militärischer Selbstsicherheit, fatalem Gott-mit-uns-Heldentum – um der Erwählung willen!
„Ruft dies aus unter den Heiden! Bereitet euch zum Heiligen Krieg! Bietet die Starken auf! Lasst herzukommen und hinaufziehen alle Kriegsleute! Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwache spreche: Ich bin stark! Auf, alle Heiden ringsum, kommt und versammelt euch!“ (4,9-11) Die Feinde, die Assyrer mit ihren Hilfstruppen, die schon bereitstehen, Israel zu schlagen, als Werkzeuge Gottes, die helfen sollen, dass es in Israel zu einem Neuanfang kommt.
Wehrkraftzersetzung ist das! Und das mit alten, bekannten, geschätzten Profetenworten, die Joel so einfach umdreht! Umso schlimmer! Fünfte Kolonne! Weg mit ihm! Über sein Schicksal ist nichts bekannt, das Neue Testament weiß noch viel über die Leiden der Profeten Gottes, die als Vorbild des Leidens Jesu gesehen werden. Man stelle sich vor: Im Deutschen Reich 1917 oder 1943: Die inzwischen überlegenen Feinde als Werkzeuge Gottes! Damit ein gründlicher Neuanfang kommt, damit das Recht Gottes eine neue Chance hat! Wer mag so etwas predigen? In der Kirche? In Israel? Vorgestern – gestern – heute?
In der Zeit des Joel verstärkt sich die Ahnung von einer großen Katastrophe Israels. Und sie kam ja auch: Erst durch die Assyrer für das Nordreich, dann durch die Babylonier für Jerusalem und das Südreich. Die Profeten deuten das als Tat ihres Gottes: Gott benutzt die fremden Armeen, die nichts von diesem Auftrag wissen können, um sein Volk zur Rechenschaft zu ziehen und auf den richtigen Weg zu bringen!
Später wird das die Grundlegung sein für einen Neuanfang Israels im und nach dem babylonischen Exil. Denn da hatten, so erinnerte man sich an ihre Profezeiungen, nicht einfach fremde Mächte mit stärkeren Göttern gesiegt, sondern immer noch war der eigene, von alters her bekannte Gott am Werk gewesen. Und den gilt es neu zu bekennen: Mit einem klaren Glauben und richtigen Taten. In der Hoffnung auf die ebenfalls nicht vergessenen Heilsverheißungen. Im Bewusstsein der bleibenden Erwählung.
Zur profetischen Verkündigung, das mag sie leichter machen, gehört fast immer auch die Heilszusage. Auch bei Joel. Wenn denn Israel umkehrt, neu anfängt, vor oder nach der Katastrophe, dann werden die Feinde in die Wüste geführt, damit sie Israel nicht mehr bedrohen können. Am Ende wird Gott „seinem Volk eine Zuflucht sein und eine Burg den Israeliten.“ (4,16) Und dann werden „die Berge von süßem Wein triefen und die Hügel von Milch fließen, und alle Bäche in Juda werden voll Wasser sein. Aber Ägypten soll wüst werden und Edom eine Einöde.“ (4,18-19)
Joel mit seiner bissigen Umdrehung der schönen Friedensverheißung seiner Vorgänger: Bischof Piffl hat ihn 1914 – gewollt oder ungewollt - missverstanden. Zur Wehrertüchtigung eignet sich Joel nicht. Die profetische Verkündigung bleibt sozusagen auf Linie, ermöglicht Innehalten, Außenschau, Selbstkritik in massivster Form.
Mein erster Ärger und auch meine erste Irritation sind geschwunden. Für mich bleiben drei Dinge wichtig:
Ein erstes: Nein, die Bibel ist kein für alle beliebig nutzbarer Steinbruch. Und herausgerissene Verse eignen sich nicht dafür, als Gottes direktes Wort ausgegeben zu werden. Genaueres Bibellesen hilft. Und da gilt die große Linie: Die Friedens- und Versöhnungsbotschaft. Im Alten Testament wie im Neuen.
Ein Zweites: Das könnte uns nun irgendwie überlegen stimmen, zumal über Bischof Piffl. Aber was Joel verkündet, macht mich doch eher erschrecken: Wenn da der äußere Friede als Teil einer heilvollen Welt so eng verknüpft ist mit der sozialen Gerechtigkeit – dann sind die Perpektiven auch für uns nicht so rosig, wie wir immer denken. Weltinnenpolitisch gesehen. Da mag der Friede auch gegen uns durchgesetzt werden, die wir denken, wir seien so eine Art Friedensmacht. Da könnte es sogar schlimm ausgehen mit uns, wenn denn Unrecht und Ausbeutung, strukturelle Gewalt und Waffenexporte (wir haben die Bronzemedaille!) einmal abgerechnet werden. Wenn das stimmt, dass Gott am Werk bleibt – und dann ist er vielleicht, um für uns zu sein, erst mal gegen uns und unsere Machenschaften?
Und ein Drittes: Was das alles für die aktuellen Konflikte im Namen und Mittleren Osten bedeutet, wage ich kaum zu denken. Auf jeden Fall wird meine Solidarität mit Israel und dem jüdischen Volk, auch den Juden hier am Ort, nicht nachlassen – aber das bedeutet eben auch die Hoffnung darauf, dass die zum Frieden rufende Stimme der Profeten gehört werden möge auch in Israel gegen alle Politik der Stärke und der Vergeltung und der nur militärisch begründeten Selbstsicherheit. Aber wer sind wir Deutschen, dass wir das von Israel einklagen?
Und wer sind wir, dass wir denken könnten, wir müssten überall in der Welt als sozusagen moralisch Überlegene „eingreifen“, also Waffen liefern, Truppen schicken? Bleibt nicht doch die pazifistische Position von den Pflugscharen statt den Schwertern die letztlich verantwortlichere und auch politisch nachhaltigere?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre uns Herzen und Sinne im Christus Jesus.
Amen