Ein - fast - perfektes Wochenende

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 75. Kapitel


Von Tobias Kriener

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Inhalt Tagebuch

Mit dem Bar Evening am Donnerstag Abend wird in Nes Ammim immer die Arbeitswoche abgeschlossen und das Wochenende eingeläutet. Dieser Bar Evening war besonders erfreulich für mich, weil sich eine Partie Twilight Struggle mit Paul ergab, einem der neuen Freiwilligen, der schon deshalb sympathisch ist , weil er Kölner ist (und die Kölner Fraktion ist dieses Jahr stark: auch Daniel und Lea kommen aus der "Hilligen Stadt"). Paul ist als Zocker ein würdiger Nachfolger von Jakob: Immer neugierig auf neue Spieleerfahrungen; außerdem hat er mich dazu gebracht, erstmals seit Jahren wieder mein Schachspiel auszupacken! Und immerhin erinnerte ich mich noch soweit an Prinzipien wie das Ausnutzen von Entwicklungsrückstand des Kontrahenten und offenen Linien für Turmeinfälle, dass ich nicht unterging ... (Nicht unerwähnt soll bleiben, dass auch Dennis, unser neuer Financial Controler ein passionierter Schachspieler ist. An mir vorbei geht dagegen die von Tiemo, unserem Bookkeeper und Communications Officer, initiierte wöchentliche Pokerrunde am späten Freitagabend: Einmal hab ich's ausprobiert - aber Pokern finde ich einfach öde ...)

Freitag dann die geliebte Routine von Ha'aretz holen in Regba und lesen im Lieblingsstrandcafe in Shavei Zion. Das intellektuelle Vergnügen wird allerdings dadurch gedämpft, dass die Inhalte mich immer wieder innerlich zusammenkrampfen lassen - insbesondere nach einer Woche wie der vergangenen, in der Israel auf der "abschüssigen Bahn", von der unser Freund Amitai sprach, als wir uns voriges Wochenende in Jerusalem getroffen hatten, ein weiteres besorgniserregendes Stück voran gekommen ist: Die Grenzkontrolle am Flughafen wollte einer jungen amerikanischen Jüdin die Einreise verweigern. Sie will "Alijah machen" (also auf Grundlage des Rückkehrergesetzes, dass jeder Jüdin das Recht einräumt, israelische Staatsbürgerin zu werden, einwandern) und hat deswegen bereits "permanent residence" Status und ist im Besitz eines Visums als "Potential Immigrant", gültig bis März 2020. Der Grund für ihre Zurückweisung: Sie gehört der Gruppe "All That's Left" an, die sich gegen die Besatzung engagiert (woher weiß die Grenzkontollbehörde das eigentlich ... ?), und ist zu einer Protestaktion in Khan al-Ahmar gewesen - der Beduinensiedlung in der Nähe von Jerusalem, deren Räumung zugunsten der Erweiterung einer jüdischenSiedlung kurz bevor steht. Das ist Grund genug, sie zur "persona non grata" zu erklären ("You cannot enter. You are here to make trouble.”). Erst nach der Intervention der Meretz-Vorsitzenden Tamar Zandberg und des Meretz-Abgeordneten Mossi Raz sowie von Ha'aretz wurde ihr die Einreise gestattet - allerdings erst, nachdem sie ein Formular unterschrieben hatte, das den Titel trägt: “Declaration by a tourist (!) of non-entry to [Palestinian] Authority areas without the approval of the Coordinator of Government Activity in the Territories.” Der Leitartikel von Ha'aretz am Freitag kommentierte das folgendermaßen: "After “taking care” of the Israeli Declaration of Independence and replacing the principle of equality with Jewish superiority as a core value of the state, the right-wing government of Benjamin Netanyahu now seems bent on destroying another support column of the Zionist building, the Law of Return." Mit anderen Worten: Der Zionismus schafft sich selber ab ...

Bernie Sanders hat in einem Artikel im "Guardian" vor ein paar Tagen die Entwicklung in Israel in einen globalen Trend eingeordnet, in dem seit der Amtsübernahme Trumps autoritäre Politiker sich weltweit ermutigt fühlen, ihre Abrissarbeiten an demokratischen Strukturen unverblümt voranzutreiben.

Für mich als Christen evoziert dieser globale Trend überdies noch zusätzlich ein erhebliches Unwohlsein (ich könnte es auch ein christliches Schamgefühl nennen) darüber, dass die verlässlichste Wählerbasis Trumps die fundamentalistischen evangelikalen Christ_innen in den USA sind - trotz seines in deren Augen eigentlich total umoralischen Lebenswandels, seiner Frauenfeindlichkeit und seines Rassismus. Leider fällt die Katholische Geschwisterkirche wegen ihrer zahlreichen Missbrauchsskandale als moralisches Korrektiv derzeit aus. Die Frage ist, wie wir Protestant_innen unseren schrägen Geschwistern in den USA wirksam in's Gewissen reden könnten. Wer wäre eigentlich "auf unserer Seite" die Instanz dafür? Der ÖRK? Wer wäre "drüben" der Adressat? Denn ich habe den Eindruck: Diese Art von Christentum wächst sich immer mehr zur globalen Gefahr aus.

So - naja, nach diesen düsteren Randbemerkungen aber schnell wieder zurück zum "Dolce Vita" in Nes Ammim. Für mich ging es weiter mit einem schönen Kabbalat-Schabbat-Gottesdienst in "unserer" Reformsynagoge "Emet we Schalom" in Naharijah und danach einem leckeren Fischabendessen bei Teissir, unserem palästinensischen Dialogmitarbeiter, mitten in der Altstadt von Akko.

Am Schabbat selber dann haben wir es endlich geschafft, das "Cafe Klil" mal auszuprobieren. Klil ist ein Tal östlich von Nes Ammim an den Abhängen des galiläischen Berglands, das so etwas wie eine letztes Refugium der israelischen Althippies und ihrer Nachkommen zu sein scheint. Dort gibt es dieses Cafe, das nur am Wochenende geöffnet ist. Es hat etwas von einem Beduinenzelt, mit alten Sofas und Sesseln und vielen Teppichen und Kissen als Sitzmöbeln. Die Kinder klettern auf den Tischen rum, die Männer haben struppige Bärte, die Frauen weite Gewänder und keine BHs an (nicht alle, natürlich - das ist jetzt sehr überspitzt formuliert; und ich entschuldige mich auch ausdrücklich für die letzte, schlimm sexistische Beobachtung - an dem jetzt fälligen #metoo-shitstorm bin ich ganz alleine selber schuld ... - aber es ist wirklich alles sooo 70er-Jahre-mäßig ...) Und das Wichtigste sollte darüber nicht untergehen: Die selbstgebackenen Plätzchen sind ganz köstlich. Ein ausgesprochen "chilliger" Ort mit einem weiten Blick hinunter zum Meer und hinüber bis Haifa ...

Wir waren dann sogar auf die Minute pünktlich zurück zum "Rosch-HaSchanah-Empfang" der israelischen Nes Ammimniks auf dem Volleyballfeld - mit der üblichen viel zu lauten Musik und dem ebenso üblichen gigantischen Anfall von Plastikmüll. Sie hatten eine ganz netten Sketch vorbereitet, mit dem sie um Beteiligung an den ehrenamtlichen Aktivitäten warben. Und sie hatten sogar einen Sketch extra für die Volos vorbereitet, bei dem einer als deutscher Volo auftrat (sollte die graue Perücke auf meine grauen Haare anspielen ...?) und die Israelis begrüßte. Sein deutscher Akzent in dem auf Ivrit vorgetragenen Teil klang ziemlich authentisch; der deutsche Satz, den er auswendig gelernt hatte, klang dafür seehr israelisch ... Schade einerseits, dass bis auf Kyra gar keine Volos da waren; auf der anderen Seite gut, dass keiner von den Holländern mitbekommen hat, dass Nes Ammim für eine deutsche Sache gehalten wird ...

Der Wermutstropfen am Ende dieses Wochenendes war dann leider am späten Abend die Meldung, dass Schalke auch das dritte Spiel der neuen Saison verloren hat und sich im Tabellenkeller wiederfindet. Hoffentlich wird das nicht der nächste Abstieg aus der Bundesliga nach der gloriosen Vizemeisterschaft letzte Saison.


Tobias Kriener