Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1492-1549)
Ludwig XII. versuchte mehrmals, Marguerite als Braut in Europa zu verhandeln, aber weder ihre Aussichten, noch ihr Vermögen waren ausreichend, um eine internationale Ehe einzugehen. Stattdessen heiratete sie 1509, gerade siebzehn Jahre alt, den Herzog von Alençon, von dem wenig bekannt ist. Die Forschung geht meistens davon aus, dass sie und ihr Gatte wenig Gemeinsames hatten, zumal der Herzog vor Allem ein Soldat war. Dafür hatte sie aber eine geliebte Schwiegermutter, Marguerite von Lorraine, die eine zutiefst fromme Frau war. Jahre später schrieb Marguerite über ihren Tod und ließ ihre Trauer darüber durchblicken.
Als Ludwig XII. befürchten musste, nicht selbst Söhne zeugen zu können – er hatte „nur“ zwei Töchter, Claude und Renée de France – holte er Franz d´Angoulême an seinem Hof und gab ihm seine Tochter Claude zur Ehe. 1515 verstarb er und Franz bestieg als Franz I. den Thron Frankreichs.
Für Marguerite änderte sich das Leben schlagartig. Sie kam zu ihrem Bruder an den Hof, und da die Königin Claude sehr zurückhaltend und scheu war, übernahm sie bald die repräsentativen Pflichten. Zusammen mit ihrer Mutter bildete sie mit Franz ein Trio, die sogenannte „Dreieinigkeit“. Franz konnte immer mit seiner Mutter und seiner Schwester rechnen, und sie unterstützten ihn nach Kräften.
Franz I. wurde der erste Renaissancekönig Frankreichs. Er war jung, viril und plötzlich auch reich. Er ließ bauen an der Loire, eroberte das Herzogtum Mailand, versuchte sich als Deutschrömischer Kaiser wählen zu lassen – das war eine extrem teure Angelegenheit – und verwickelte sich in Rivalitäten sowohl mit Heinrich VIII. von England als auch mit Kaiser Karl V.
Schon 1516 verhandelte er ein Konkordat mit dem Pabst in Bologna. Die französische Kirche hatte seit dem Mittelalter ihre gallikanische Freiheiten gegenüber dem Pabst verteidigt, und als Frankreich sich als Nationalstaat festigen konnte und mit Franz I. fast die Grenzen erreicht hatte, die noch heute gelten, gelang es auch Franz, eine römisch-katholische Nationalkirche zu vereinbaren. Vor allem durfte er wichtige Posten in der Kirche mit seinen Kandidaten besetzen, die dann vom Pabst anerkannt wurden. Damit war die französische Kirche ihrem König treu ergeben, nicht desto weniger war sie streng katholisch, besonders die Fakultät der Theologie der Universität von Paris (oft abgekürzt Sorbonne genannt) wachte über die reine katholische Lehre. In den Jahren 1515 bis 1534 war Franz theologisch eher liberal und pfiff die eifrigen Theologen zurück, nach 1534 machte er mit ihnen gemeinsame Sache.
In Frankreich bildeten sich Kreise von Reformkatholiken und Humanisten, die der etwas verkrusteten katholischen Theologie kritisch gegenüberstanden. Sie forderten die Bibel in der Muttersprache und in den Händen von Laien. Sie kritisierten Heiligenkult und Reliquienverehrung, und versuchten eine Erweckung der Gläubigen im Sinne vom reformatorischen „sola fide, sola scriptura“ (= durch den Glauben allein und durch die Heilige Schrift allein) herbeizuführen. Der leitende Humanist war der alte Lefèvre d´Etaples (Faber Stapulensis), der nach Jahren als Herausgeber klassischer antiker Schriften endlich bereit war, die Heilige Schrift zu übersetzen. Er wurde unterstützt von Guillaume Briçonnet, Bischof von Metz. Dieser führte Reformen in seiner Diözese durch, legte die Bibelübersetzung des Lefèvre in den Kirchen aus, verjagte die Franziskaner, die sonst fast Predigtmonopol besaßen, und ließ durch seine eigene Leute „reformatorisch“ predigen. Unter ihnen waren Gérard Roussel, der später Hofkaplan bei Marguerite wurde, Guillaume Farel, der später in Genf als Reformator zusammen mit Calvin wirkte, und Simon Robert, der die frühere Nonne Marie Dentière heiratete und auch in die Schweiz zog.
Als katholischer Bischof wollte Briçonnet nicht die katholische Kirche umstürzen oder dem Pabst die Treue kündigen, er wollte dagegen die Kirche von innen erneuern. Er gehörte dem Reformkatholizismus an, der in Frankreich oft als „évangelisme“ bezeichnet wird, mit dem deutschen Wortbrauch „evangelisch“ aber wenig zu tun hat. Die Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Lefèvre d´Etaples wollten zu den Quellen zurück, sie wollten die Bibel allen zugänglich machen, sie hatten von Paulus gelernt, dass Rechtfertigung durch den Glauben geschieht, aber er sah das alles nicht als Grund, die Einheit der Kirche auf Spiel zu setzen. Diese Männer prägten Marguerite.
An Bischof Briçonnet wandte sich Marguerite mit der Bitte um geistigen Beistand. Ein Briefwechsel folgte, der sich (nachweislich) über die Jahre 1521 bis 1524 erstreckte. Der Bischof schrieb lange Homilien, und Marguerite bat ihn ständig um mehr „seelische Nahrung“. Sie verwendete vermutlich seine schriftlichen „Predigten“ als Grundlage für Andachten mit ihren Hofdamen. Abschriften ließ sie in ihrem Freundes- und Verwandtenkreis verteilen .
Briçonnet legte ihr die Bibellektüre ans Herz, mit besonderer Wertschätzung der Paulinischen Briefe. Nebenbei sei bemerkt, dass sowohl Luther als auch Calvin in jungen Jahren den Römerbrief auslegten, denn wer Erneuerung für die Kirche erhoffte, kam um Paulus nicht herum. Das Besondere bei Briçonnet war allerdings sein Hang zur Innerlichkeit, die Liebe zwischen Christus und der Seele, die Aufgabe des Selbst und das Hinschmelzen in Christus. Gute Werke, der Verdienst der Heiligen, Fasten und Pilgern kamen bei ihm dagegen nicht vor.
Für Marguerite bedeutete diese religiöse Erneuerung, dass sie anfing, geistliche Gedichte zu schreiben, ihre poetische Ader wurde freigelegt. Das erste Gedicht handelt von einer nächtlichen Vision. Ihre Nichte – die Tochter ihres Bruders – starb 1524 mit acht Jahren, und Marguerite fragt die reine Seele, was sie glauben soll. Der Antwort ist klar, sie soll Christus allein lieben und glauben. Briçonnet hätte es nicht besser ausdrucken können.
In diesen Jahren wurden Luthers Schriften in Frankreich verbreitet und wir wissen mit Sicherheit, dass Marguerite seine Schriften kannte. Die theologische Fakultät der Universität von Paris leistete Widerstand gegen die lutherische Ketzerei und das bekam Bischof Briçonnet zu spüren. In seinen Briefen an Marguerite bat er sie wiederholt um Unterstützung und besonders darum, dass sie ihren Bruder und ihre Mutter für seine Reformen gewinnen möge. Marguerite hatte zwar großen Einfluss auf ihren Bruder, aber trotzdem musste Briçonnet alle seine Reformvorhaben aufgeben. Die Gruppe um ihn flüchtete nach Straßburg, während er selbst widerrufen musste. Er starb kurze Zeit später.
1524 starb Königin Claude, und Marguerite wurde mit der Aufsicht der königlichen Kinder betraut. Aus ihrem Briefwechsel wissen wir, wie sehr diese Kinder ihr ans Herz wuchsen. Ihre Ehe blieb kinderlos – ihre Trauer darüber vernimmt man in den Briefen an Briçonnet – und jetzt konnte sie ihre mütterlichen Gefühle den Kindern ihres geliebten Bruders zu Gute kommen lassen.
1525 verlor Franz I. die Schlacht bei Pavia in Norditalien. Seit vielen Jahren, schon in der Regierungszeit Karl VIII. hatte Frankreich mit den italienischen Stadtstaaten Krieg geführt. Jetzt stießen in Italien die habsburgischen und die französischen Truppen zusammen. Die Blüte des französischen Adels wurde an einem Tag vernichtet, und Franz selbst wurde gefangengenommen. Der Herzog von Alençon flüchtete vom Schlachtfeld und starb wenige Monate später, von seiner Gattin liebevoll gepflegt.
Jetzt schlug die Stunde für Marguerite. Mit ihrer Mutter hatte sie in Lyon den Ausgang des Krieges abgewartet, und nach dem Tod ihres Gatten ließ sie ihre Mutter als Regentin Frankreichs zurück, sie selbst segelte und ritt zu ihrem Bruder, der schwer krank in Madrid im Gefängnis lag. Sie pflegte ihn wieder gesund und versuchte mit dem unerbittlichen Kaiser Karl V. zu verhandeln. Sowohl sie als auch Franz dachten, dass der ritterliche Ehrencodex seine Befreiung möglich machen würde, Karl war aber auf handfeste Vorteile aus. Am Ende versprach Franz alles, um freizukommen, fuhr nach Hause, gab seine Söhne quasi als Unterpfand dem Kaiser und musste eine Riesensumme als Lösegeld aufbringen.
Als Regentin hatte die streng katholische Louise von Savoyen die französische Kirche in ihrem Kampf gegen die „Ketzer“ unterstützt, deshalb war auch keine Hilfe für Briçonnet und seine Leute zu erwarten. Nach der Rückkehr Franzens war er noch abhängiger als zuvor von der Kirche, nur sie konnte ihm mit dem Geld, das er dem Kaiser schuldete, versorgen. Anders als die deutsche Fürsten, die sich sehr wohl handfeste Vorteile von der Reformation in ihren Ländern erhoffen konnten, hatte der französische König schon eine (katholische) Nationalkirche, die ihn kräftig unterstützte, natürlich in der Annahme, dass er keine „Ketzer“ dulden würde.
Marguerite war eine noch junge Witwe, und ihr zweiter Gatte war ein junger, strahlender Held: Henri d´Albret, König von Navarra. Er hatte sich in der Schlacht von Pavia tapfer geschlagen, war gefangen genommen worden, hatte sich aber in einer „Mantel und Degen Aktion“ buchstäblich erfolgreich abgeseilt. Er war zudem ein Frauenheld und 12 Jahre jünger als Marguerite. Sein Königreich war winzig: das Königreich Navarra war ursprünglich das, was wir heute das Baskenland nennen, ein Gebiet, das sich beidseitig über den Pyrenäen erstreckte, jedoch sein Schwerpunkt auf der Südseite der Bergkette mit Pamplona als Hauptstadt hatte. Die Albrets, als südfranzösische Großgrundbesitzer, waren durch Heirat an die Krone gekommen, nur um erleben zu müssen, dass Spanien 1512 der Gebiet um Pamplona eroberte. Damit schrumpfte das Königreich auf Basse-Navarre zusammen, der französische Teil des Baskenlandes. Da er auch Vicomte von Béarn war, eine unabhängige Grafschaft mit eigener Regierung und Generalständen, hatte er dennoch sein eigene Hausmacht. Er erwartete, sozusagen als Mitgift, dass Franz ihm helfen würde, ganz Navarra zurückzuerobern. Franz dagegen erwartete, dass er die Grenze gegen Spanien verteidigen würde und machte ihn zum Oberbefehlshaber in Guienne, eine Bezeichnung für Südwestfrankreich von den Pyrenäen bis Loire, vom Atlantik bis Auvergne.
Was Marguerite erwartete, wissen wir nicht. Ihre Ehe bedeutete für sie eine Zerreißprobe zwischen dem geliebten Bruder und dem Ehemann, und es war für sie nicht einfach, beiden gegenüber loyal zu sein.
Ihre Ehe bedeutete aber auch, dass sie endlich Mutter wurde. 1528 gebar sie ihre Tochter, Jeanne d´Albret, danach einen Sohn, der kurz nach dem Geburt starb, und dann – sie wurde ja nicht jünger – hatte sie eine Reihe von Fehlgeburten und Scheinschwangerschaften.
Als Königin mit eigenem Herrschaftsgebiet konnte sie jetzt Glaubensflüchtlingen Schutz bieten. Bei ihrem Bruder trat sie immer noch für Andersdenkende ein, sie konnte aber jetzt in Bourges luthersche Studenten und Dozenten an die Universität holen, sie brachte den alten Lefèvre d´Etaples bei ihrem Hof in Nérac unter, sie machte Gérard Roussel zum Bischof von Oloron, und sie stellte als Sekretäre bekannte humanistische Skribenten ein, unter ihnen Clément Marot, Dichter und Verfasser vom ersten gereimten französischen Psalter.
Anfänglich blieben sowohl sie wie ihr Gatte am Hofe. Sie verhandelte zusammen mit ihrer Mutter und Margaretha von Habsburg, Statthalterin der Niederlande, den sogenannten Damenfrieden von Cambrai aus. Sie empfing Botschafter, verhandelte mit dem Pabst, und hatte immer noch die Aufsicht über die königlichen Kinder. Sie reformierte Klöster überall in Frankreich, ihre Lektüre der Lutherschrift „Von den Mönchsgelübden“ hatte sie nicht dazu gebracht, die Klöster abzuschaffen, sondern eher Missstände abzubauen.
1531 veröffentlichte Marguerite ihr religiös-poetisches Werk „Ein Spiegel der sündigen Seele“. Die zweite Ausgabe 1533 wurde von der Sorbonne als ketzerisch verurteilt und verboten. Wütend verlangte Franz I. die Rücknahme der Verurteilung, und die Universität fügte sich schleunigst. Als dann, 1534, die Plakataffäre mit ihrem Angriff auf die Messe und das katholische Abendmahlverständnis die Gemüter erregte, ging sie nach Südfrankreich. Dort konnte sie unter Anderen einem Flüchtling, dem jungen Calvin, weiterhelfen. Sie hatte seit jungen Jahren freundschaftliche Beziehungen zu ihrer Cousine, Renée de France, Herzogin von Ferrara, gepflegt, und jetzt schickten die zwei gleichgesinnten Verwandten einander hilfsbedürftige Glaubensflüchtlinge zu.
In den nächsten Jahren war das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester etwas abgekühlt. Franz I. unterstützte die römisch-katholische Kirche nach Kräften, und Marguerite war vorsichtig geworden. Als der Berater des Königs ihn aber fragte, ob Gefahr bestünde, Marguerite könne zum Protestantismus übertreten, erwiderte der König: „Dafür liebt sie mich zu sehr!“, und behielt Recht damit.
Die Ruhe und Abgeschiedenheit am Hofe bedeutete für Marguerite Zeit für eine rege schriftstellerische Tätigkeit. Die religiösen Gedichte waren wohl eher eine Art meditative Übung inmitten der oberflächlichen Geschäftigkeit des Hofes. Jetzt verfasste sie Schauspiele, die am Hof aufgeführt wurden. Angeregt durch die Beschäftigung mit den Schriften des Plato, die sie durch den italienischen Humanisten Pico della Mirandola und Marsilio Ficino kennengelernt hatte, dachte sie über das Wesen der Liebe nach, und ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde von diesen Überlegungen geprägt. Sie ließ Platos Schriften ins Französisch übertragen, so wie sie auch die Novellen von Boccaccio, „Dekameron“, übersetzen ließ. Diese Novellen beeinflussten ihre berühmteste Werk, die Novellen, aus denen das „Heptameron“ besteht, und die von ihr über einen längeren Zeitraum zusammengefügt wurden. Sie gab nur ein Buch in Druck, „Les marguerites de la Marguerite des princesses“, die Perlen der Perle (Marguerite) der Prinzessinnen, mitsamt dem Folgeband: „Suyte des marguerites“ (1547). Alle andere Schriften von ihr waren zu ihren Lebzeiten nur als Manuskript vorhanden, aber das Heptameron wurde ungefähr zehn Jahren nach ihrem Tod als Buch herausgegeben, und zählt seitdem zu den Klassikern des 16. Jahrhunderts, obwohl es oft missverstanden worden ist – dazu mehr später (vgl. Nielsen, Theologie als Erzählung).
Eine andere wichtige Angelegenheit in den letzten Jahren, ihr Verhältnis zu ihrer Tochter Jeanne, wird im Artikel über diese behandelt. In den letzten Jahren hatte sie eine Auseinandersetzung mit Calvin über die Freigeister, die sich bei ihrem Hof aufhielten. Ihre Bedeutung für die Reformation wird später untersucht. Klar ist allerdings, dass sie als Katholikin starb. Als ältere Frau zog sie sich immer öfters in Klöstern zurück und auch, wenn sie nie besonders rechtgläubig war, trat sie nie aus der Kirche aus. Sie starb 1549 auf ihrem Schloss Odos.
Marguerite d`Angoulême war eine hoch begabte, zutiefst fromme Frau. Sie ging unbeirrt ihre eigenen Wege, und auch, wenn sie diskret war, ließ sie sich nicht einschüchtern. Ihre Verdienste für die Verbreitung der Reformation sind offenkundig, und in Genf wusste Calvin sehr wohl, wie dankbar er ihr sein musste. Dabei war die geistige Freiheit ihr ohne Zweifel eine Herzensangelegenheit, während ihre Tochter und Enkelin mit Nachdruck Partei ergriffen. Zu Marguerites Zeiten waren diese geistige Freiheit und die Hoffnung, die katholische Kirche von innen zu erneuern und zu „reformieren“, ohne die Glaubensspaltung vollziehen zu müssen, noch möglich. Diese Umstände gaben ihr etwas Spielraum, den spätere Generationen nicht länger hatten.
Literatur
In Deutschland ist die Literatur zu Marguerite d´Angoulême übersichtlich. Zu erwähnen sind:
Margarete von Navarra: Das Heptameron, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960, mit einem ausgezeichneten Nachwort von Peter Amelung. Neudruck München 1979, 1999 (dtv 12710)
Eltz-Hoffmann, Lieselotte von: Kirchenfrauen der frühen Neuzeit, Stuttgart 1995
Kraus, Claudia: Der religiöse Lyrismus Margaretes von Navarra, München 1981
Schönberger, Axel: Die Darstellung von Lust und Liebe im Heptaméron der Königin Margarete von Navarra, Frankfurt a/M 1993
Sckommodau, Hans: Die religiösen Dichtungen Margaretes von Navarra, Köln 1955
Sckommodau, Hans: Galanterie und vollkommene Liebe im „Heptaméron“, Münchener Romanistische Arbeiten, Band 46, München 1977
Sckommodau, Hans: Die spätfeudale Novelle bei Margareta von Navarra, Sitzungsbericht der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt, Bd. XIV, Nr. 4, Wiesbaden 1977
Zimmermann, Margarete: Der Salon der Autorinnen: französische „dames de lettres“ vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert, Berlin 2005
Stedman, Gesa & Zimmermann, Margarete: Höfe – Salons – Akademien, Hildesheim 2007
Hinzu kommt eine Übersetzung:
Febvre, Lucien: Margarete von Navarra. Eine Königin der Renaissance zwischen Macht, Liebe und Religion, Frankfurt a/M 1998 (Originaltitel: Autour de l´Heptaméron: Amour sacré, amour profane, Paris 1996)
Allgemeine Kirchengeschichte:
Strasser-Bertrand, Otto Erich: Die evangelische Kirche in Frankreich, in: Die Kirche in ihrer Geschichte, Göttingen 1975
In Frankreich zählt sie zu den wichtigen Renaissancedichterinnen. Eine vollständige wissenschaftliche Ausgabe ihrer Werke von Nicole Cazauran ist in Arbeit:
Marguerite de Navarre: Oeuvres Complètes, Paris 2001. Bisher erschienen:
Heptaméron, Paris 2000 und die Bände 1,3,4,8 & 9
Die klassische Biografie ist:
Jourda, Pierre: Marguerite d´Angoulême, duchesse d´Alençon, reine de Navarre (1492-1549), Étude biographique et littéraire, Paris 1930, Genf 1978
Jourda, Pierre: Répertoire analytique et chronologique de la Correspondance de Marguerite d´Angoulême, Duchesse d´Alençon, reine de Navarre (1492-1549), Paris 1930
Christine Martineau, Michel Veissière & Henry Heller: Guillaume Briçonnet/Marguerite de Navarre: Correspondance, 2 Bd., Paris 1975-79
Herminjard, Aimé, hrsg.: Correspondance des réformateurs dans les pays de langue française, Genf 1886-79
In Heptaméron, ed. Nicole Cazauran, ist weiterführende Literatur erwähnt. Hier verweise ich nur auf drei Kolloquien aus dem Jahr 1992:
Marguerite de Navarre, 1492-1992, Actes du Colloque international de Pau (1992), Mont-de- Marsan 1995
Etudes sur l´Heptaméron de Marguerite de Navarre, Colloque de Nice, 15-16 Fèvrier 1992, Uni.de Nice, o. J.
Marguerite de Navarre, Actes du colloque international du 14 au 16 septembre 1992, Lódź 1997
Karlsson, Britt-Marie: Sagesse divine et folie humaine, Etude sur les structures antithétiques dans l´Heptaméron de Marguerite de Navarre (1492-1549), Göteborg 2001
Montaigne: Oeuvres complètes, Paris 1962
Ausgewählte Literatur in englischer Sprache:
- Patricia F. Cholakian & Rouben C. Cholakian: Marguerite de Navarre, Mother of the Renaissance, New York 2006
- Cholakian, Patricia F.: Rape and Writing in the Heptameron, Carbondale 1991
- Cottrell, Robert D.: The Grammar of Silence, A Reading of Marguerite de Navarre´s Poetry, Washington D.C. 1985
- Davis, Betty J.: The Storytellers in Marguerite de Navarre´s Heptaméron, Lexington 1978
- Davis, Natalie Zemon: Society and Culture in Early Modern France: eight Essays, Stanford 1975
- Farge, James K.: Orthodoxy and Reform in Early Reformation France, The Faculty of Theology of Paris, 1500-1543, Leiden 1985
- Ferguson, Gary: Mirroring belief: Marguerite de Navarre´s Devotional Poetry, Edinburgh 1992
- Gelernt, Jules: World of Many Loves, The Heptameron of Marguerite de Navarre, Chapel Hill 1966
- Greengrass, Mark: The French Reformation, London 1987
- Salmon, J.H.M.: Society in Crisis, France in the Sixteenth Century, London 1975
- Tetel, Marcel: Marguerite de Navarre´s “Heptaméron”: Themes, Language and Structure, Durham N.C. 1973
Anna Olevian
(1514-1596)
Anna Olevian (Trier 1514 - Herborn 1596)
Von Gunther Franz, Trier
Inder Reformationsgeschichte ist wie auch sonst in der Geschichte vor allem von handelnden Männern die Rede. Umso bemerkenswerter ist es, daß im Trier der Gegenreformation eine Frau als tapfere evangelische Christin mit einem besonderen Lebensschicksal hervorgetreten ist. Am 4. Juli 1596 starb in Herborn (Nassau) Anna Olevian, geborene Sinzig, die Mutter des Reformators und Theologieprofessors Caspar Olevian. Ihre große gußeiserne Grabplatte ist neben der ihres Sohnes in der Herborner Kirche erhalten:
ANNA SINZICHIN / WEILAND GERHAR/DI OLEVIANI RAHTS/ VERWANTEN VND RENTHMEISTERS DER STAD / TRIER HAVSF/RAW WELCHE DEN / 4. JVLII ANNO 1596 SELI/GLICH ENTSCHLAFFEN/ALTERS/IM 82.
Das Interesse an Caspar Olevian hat - ausgehend von einer Ausstellung und Tagung des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte anläßlich seines 400. Todesjahres 1987 - in den letzten Jahren stark zugenommen. 1992 wurde in Trier die Caspar-Olevian-Gesellschaft gegründet. Das Leben der Mutter, die nach der Niederschlagung des Reformationsversuches und Ausweisung ihrer Söhne mit den anderen Evangelischen 1559 erstaunlicherweise noch 25 Jahre lang als bekennende Protestantin in Trier ausharren konnte, bis sie im Alter von 70 Jahren 1584 fortziehen maßte, ist dagegen noch nicht dargestellt worden.
Anna ist die Enkelin des Trierer Metzgers Gerhard Sinzig und der Barbara sowie die Tochter des Metzgerzunftmeisters Antonius Sinzig (+ 1551) und der Margarethe. Anna Sinzig ist nach der Altersangabe auf ihrer Grabplatte 1513/1514 geboren. Sie heiratete um 1533 Gerhard von der Olewig, wie sein Vater Thiso von der Olewig Bäckermeister. Sie nannten sich nach dem heute durch seine Weinlokale bekannten Trierer Vorort, aus dem sie stammten. Die Familie nannte sich später latinisiert Olevianus. Gerhard wurde Zunftmeister der Bäcker und Rentmeister. Die Metzger und Bäcker bildeten neben Webern und Gerbern-Schuhmachern die vier „großen Ämter“ (Zünfte) im Stadtrat, die besonders bei der Besetzung eines der beiden Bürgermeister (des Zunftbürgermeisters) und der Rentmeister eine wichtige Rolle spielten. Das Ehepaar lebte in dem 1533 von Thiso von der Olewig erworbenen Haus „Wittlich“, Am Graben. In dem erhaltenen gotischen Haus befindet ist noch ein großer Architekturbogen, der die Öffnung des Backofens nach oben abschloß.
In diesem Haus ist am 10. August 1536 Caspar Olevian als dritter Sohn geboren worden. Caspar besuchte unter anderem die Schule der Fraterherren (Brüder zum gemeinsamen Leben) zu St. German. Die Brüder waren Vertreter der devotio moderna, der neuen vertieften Frömmigkeit, die auch den jungen Olevian beeinflußte. Dieser bezog mit 13 Jahren 1550 die Universität Paris (Sorbonne) und studierte 1553 - 1557 in Orleans und Bourges Jura. Bedeutende Gelehrte führten Bourges, wo Caspar 1557 promovierte, an die Spitze der europäischen Rechtsfakultäten. In Orleans und Bourges kam Olevian in Verbindung mit den heimlich wirkenden evangelischen Gemeinden; er hatte wahrscheinlich näheren Kontakt zu dem calvinistischen Juristen Hugo Donellus (Hugues Doneau).
Entscheidend wurde ein Unglück am 1. Juli 1556. Prinz Hermann Ludwig von der Pfalz (der Sohn des späteren Kurfürsten Friedrich III.), der in Bourges studierte, ertrank bei einer Bootsfahrt auf der Auron. Olevian geriet beim Versuch, den Prinzen zu retten, selber in Lebensgefahr und legte ein Gelübde ab: »Wenn ihn Gott aus dieser Not erretten würde, so wollte er seinem Vaterland das Evangelium predigen, wenn er dazu berufen würde. Olevian hatte sicher schon vorher bedacht, daß es eine wichtige Aufgabe wäre, in seiner Heimat für die Reformation zu wirken. Nach der Promotion kehrte Olevian im Juni 1557 nach Trier zurück, wo er die Bekanntschaft mit evangelisch gesinnten Bürgern, darunter Bürgermeister Johann Steuß machte. Er studierte dann Theologie in Genf bei Johannes Calvin und in Zürich bei Petrus Martyr und Heinrich Bullinger. Auf Wunsch evangelisch gesinnter Ratsmitglieder reiste er im Juni 1559 nach Trier zurück, um bei der Einführung der Reformation zu helfen. Mit ihm kam sein Bruder Dr. med. Friedrich Olevian aus der Schweiz.
Es war für Anna Olevian sicher eine besondere Freude, ihre Söhne, die beide den damals sehr angesehenen Doktorgrad, der Aussicht auf führende Stellungen eröffnete, erworben hatten, wieder bei sich zu haben.
Es ist nicht bekannt, seit wann Anna evangelisch gesinnt war. König Philipp II. von Spanien schrieb als luxemburgischer Landesherr am 8. Januar 1558 an den Trierer Kurfürsten Johann von der Leyen, er habe mit Sorgen vernommen, daß etliche Einwohner der Stadt Trier das Sakrament unter beiderlei Gestalt empfangen würden.
Caspar Olevian erhielt eine Stelle an der Burse der Philosophischen Fakultät »zur Taube«, wo er die Dialektik nach Philipp Melanchthon lehren sollte. Diese Anstellung sollte in Absprache mit Bürgermeister Steuß den äußeren Rahmen für die reformatorische Wirksamkeit geben. Olevian begann, einen deutschen Katechismus auszulegen, und hielt am 10. August, seinem 23. Geburtstag, in der Burse vor großem Publikum eine mitreißende, zwei Stunden dauernde evangelische Predigt. Am 13. August rechtfertigte er sich gegenüber dem Stadtrat, daß seine auf der Heiligen Schrift gegründete Lehre »allein zu der Ehr Gottes und unser aller Seelen Seligkeit und zu keiner Aufruhr oder Unruhe gereichen solle«.
Eine Befragung der im Stadtrat vertretenen Zünfte ergab eine Mehrheit von neun Zünften gegen die Weber, Schneider und Schmiede für die Einstellung der deutschen Predigten. Die Ratsminderheit wies Olevian die Kirche des Bürgerspitals St. Jakob an, wo er seit dem 20. August eine ständig wachsende Zuhörerschaft hatte. Augenzeugen schätzten 500-600 Anhänger (ohne Frauen, Kinder und Dienstboten), ein Drittel der Bürgerschaft, die vielleicht in jenen Tagen noch 6000 Personen umfaßte.
Die Evangelischen wurden »Konfessionisten« genannt, da man sich zur Augsburgischen Konfession bekannte und unter Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 das Recht auf freie Religionsausübung beanspruchte. Die von den evangelisch gesinnten Ständen in Augsburg dem Reichstag vorgelegte Bekenntnisschrift von 1530 war im Laufe der Jahre bis 1540 von Melanchthon dogmatisch verändert worden, so daß sie auch Calvin unterschrieb und sich Evangelisch-reformierte (Olevian war ein Schüler Calvins) unter ihren Schutz stellen konnten.
Da der Anspruch der Stadt Trier auf Reichsunmittelbarkeit aber nicht anerkannt war, erklärte der Kurfürst und Erzbischof Johann von der Leyen am 2. Oktober 1559, die Augsburgische Konfession nicht zuzulassen. Er belagerte die Stadt bis zu deren Kapitulation am 25. Oktober 1559. Um den Widerstand zu brechen, wurden in die Häuser der Evangelischen Truppen gelegt, in das Haus der Bäckerswitwe Anna Olevian (Gerhard war vor dem 26. Juni 1559 verstorben) zehn Landsknechte! Caspar Olevian, Johann Steuß und andere führende Protestanten wurden verhaftet und sollten wegen Aufruhrs angeklagt werden. Für Anna gab es einen unglaublichen Wechsel der Gefühle. Freude und Stolz über ihre Söhne und den großen Erfolg von Caspars reformatorischen Predigten - der Tod ihres Mannes und die Gefahr, daß Caspar in seiner Heimatstadt verurteilt und hingerichtet würde.
Eine 26köpfige Gesandtschaft von Kurfürst Friedrich von der Pfalz und anderen evangelischen Fürsten traf ein, um die bedrängten Trierer Glaubensgenossen zu unterstützen und Bluturteile zu verhindern. Das war eine ganz ungewöhnliche diplomatische Aktion. Am 19. Dezember 1559 wurde Caspar Olevian mit den anderen Gefangenen freigelassen. Sechsundvierzig am Reformationsversuch besonders aktiv beteiligte Bürger mußten innerhalb acht Tagen die Stadt verlassen. Auch die anderen Anhänger der Augsburgischen Konfession sollten aus der Stadt fortziehen, wenn sie nicht einen Eid als katholische Bürger schwören würden. Der Arzt Friedrich Olevian verweigerte den Eid und wanderte am 27. Januar 1560 ebenso wie 35 andere mit ihren Familien aus. Für Anna 1559 war trotz der Erleichterung über die Rettung Caspars die Ausweisung ihrer beiden Söhne ein schwerer Schlag.
Friedrich wurde 1565 Leibarzt des Herzogs Wolfgang von Pfalz Zweibrücken und heiratete 1567 Felicitas Windecker, die Tochter des Leibarztes des Pfalzgrafen Johann Casimir. Friedrich Olevian ist am 8. Mai 1576 in Worms-Neuhausen gestorben.
Caspar Olevian wurde 1560 nach Heidelberg, der Hauptstadt der Kurpfalz, als Leiter des Sapienzkollegs (eines Predigerseminars), dann als Professor der Dogmatik und als Pfarrer und theologisches Mitglied des Kirchenrates berufen. Olevian arbeitete an der kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 mit, während seine Beteiligung an der Abfassung des Heidelberger Katechismus, der zur reformierten Bekenntnisschrift wurde, nur schwer nachzuweisen ist.
Nach dem Tod Friedrichs III. 1576 durch den lutherischen Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz entlassen, wurde Olevian Prinzenerzieher in Berleburg (Grafschaft Sayn-Wittgenstein). Graf Johann VI. der Ältere von Nassau-Dillenburg beriet seit 1582 mit Olevian über die geplante reformierte Hohe Schule, die die Aufgaben einer Universität haben sollte. Am 8. Mai 1584 erhielt Olevian in Herborn die erste Pfarrstelle übertragen und wurde Professor und Gründungsrektor der Hohen Schule.
Anna Olevian hatte außer Friedrich und Caspar wahrscheinlich fünf weitere Kinder. Der älteste Sohn war wohl Matthias, benannt nach dem in Trier verehrten Apostel. Er wurde Goldschmied und Mechaniker und erhielt - von Schulden gedrückt 1584 von seinem Bruder Caspar in Dillenburg eine Stellung als Aufseher für Bauvorhaben der Grafschaft Nassau-Dillenburg und als Bauschreiber verschafft. 1587 war er Schichtmeister des Bergwerkes Weidenfels. Nach Caspars Tod wurde die Bestallung am 7. Januar 1588 gelöst. 1603 ist Matthias in Frankenthal, von wo seine Frau Maria von Roomen als Glied der wallonisch-reformierten Exulantengemeinde stammte, bezeugt.
Über Anton Olevian, den Caspar noch 1559 an der neugegründeten Akademie in Genf als Student unterbrachte, wissen wir nichts weiteres.
Die Schwester Anna Olevian heiratete um 1578 den Frankfurter Arzt Johann Bechtold (Berthold) Bach (Rivius). Da die Hochzeit nicht im Frankfurter Kirchenbuch zu finden ist, wurde vermutet, daß sie in Trier, wo die Mutter der Braut lebte, stattgefunden habe. Eine evangelische Trauung war aber dort nicht möglich. Rivius wurde 1579 in Basel zum Dr. med. promoviert und 1589 bis zu seinem Tod 1622 Physikus der Stadt Frankfurt. Seine Frau Anna starb 1596.
Wohl eine Schwester, deren Namen wir nicht kennen, heiratete einen Loefenius und ist die Mutter von Michael (von) Loefenius, geboren um 1550 in Trier. Er war ein bedeutender pfälzischer Beamter in Heidelberg und in der Oberpfalz. In jungen Jahren Geheimer Rat von Kurfürst Friedrich III. wurde er 1576/77 als Calvinist entlassen. 1592 - 1612 war er Mitglied des Oberrats der Kurpfalz, 1598 wurde Loefenius evangelischer Administrator des Stiftes Kastl in der Oberpfalz (1604 geadelt, 1620 gestorben).
Caspar Olevians Schwester Irmina heiratete ihren Onkel Vinzenz Sinzig und ist die Mutter von Ottilie Sinzig, die 1574 in Heidelberg den Theologieprofessor Johannes Piscator (Fischer, 1574 - 1624) heiratete. Er wurde zusammen mit Caspar Olevian 1577 ausgewiesen, fand bei diesem Unterkunft in Berleburg und wurde 1584 wieder mit ihm zusammen Professor in Herborn, und zwar für Philosophie. Piscator verfaßte das Herborner Bibelwerk, auch Piscator-Bibel oder nach dem Zusatz Markus 8,12 »Straf-mich-Gott-Bibel« genannt. Piscator hatte mit Caspar Olevian einen gemeinsamen Lebensweg und verfaßte den »Kurzen Bericht vom Leben und Sterben Herrn D. Casparis Oleviani«, ,der dem Sammelband der deutschen Schriften von 1590 vorangestellt wurde (1994 als Faksimile-Edition veröffentlicht).
So hatte die Bäckerswitwe Anna Olevian eine große Familie mit bedeutenden Vertretern in den verschiedenen reformierten Territorien Deutschlands. Daß neben ihrem Sohn Caspar zwei weitere Verwandte in Heidelberg 1577 als führende Calvinisten entlassen wurden, unterstreicht dies eindrucksvoll. Anna konnte in Trier, in dem seit 1560 die Jesuiten tatkräftig die Gegenreformation und katholische Reform förderten, ihren Glauben nur im Stillen leben. Die Reste einer Kanzel, auf der nach der Überlieferung Caspar Olevian im Haus „Wittlich“ gepredigt haben soll, sind im Rheinischen Landesmuseum nicht mehr erhalten. Olevian hatte eine öffentliche Kanzel in der Kirche des Jakobsspitals und brauchte keine Hausgottesdienste zu halten. Hat vielleicht die Kanzel den nach 1560 in Trier verbliebenen Evangelischen gedient, die sich bei der Bäckerswitwe versammelten? Allerdings waren es nicht so viele, daß man eine Kanzel gebraucht hätte.
Da eine Anzahl Bürger und etliche Frauen nicht in Trier, sondern in evangelischen Gemeinden außerhalb des Kurstaates das Abendmahl empfangen hatten, stellte der Stadtrat 1564 die Betreffenden vor die Wahl, entweder Ostern - seit dem Mittelalter der traditionelle Termin in Trier zu kommunizieren und eine diesbezügliche Bescheinigung eines Priesters vorzulegen oder innerhalb drei Wochen mit Weib und Kind die Stadt zu verlassen. Anna Olevian wurde von zwei Geistlichen verhört, die am 6. Juni 1564 darüber berichteten:
»Item die alte Bäckermeisters, nämlich Doktor Caspars Mutter, und ihr Schwester Margareth, die dieser Zeit hinab gen Düsseldorf mit ihrem Sohn gezogen, haben sich durch seine Unterweisung dahin erwiesen, daß sie angezeigt, daß sie ohne gewisse Beschwernis ihrer Gewissen von ihrer Kommunion nicht abstehen könnten. Aber dieweil er, Herr Johann, sie eines andern berichtet, wollen sie zum fleißigsten gebeten haben, noch etwa vierzehn Tage mit ihnen Geduld zu haben, sich noch dazwischen zu bedenken und den Herrn zu bitten, der Hoffnung, der sollt einen guten Geist eingeben.«
Unter wie starkem Druck Anna stand, kann man daraus ersehen, daß sie am Nachmittag desselben Tages dennoch zusammen mit Leonhards Sophie dem Domdechanten versprach, von ihrem »Irrtum« abzustehen, mit dem widersprechenden Zusatz: »Aber so jemand ihrethalben sollt oder möcht geärgert werden, wäre ihr viel lieber auszuziehen, denn allhier zu bleiben.« Die Bemühungen des Domdechanten waren umsonst; Anna blieb evangelisch.
Mit dem Verlust des Prozesses um die Reichsunmittelbarkeit 1580 war die letzte Chance zur Einführung der Reformation in Trier dahin. Kurfürst und Erzbischof Jakob von Eltz erließ die neue Stadtverfassung (Eltziana), in der bestimmt war, daß ein Nichtkatholik »in der Stadt und Bürgerschaft nicht geduldet werden« dürfe. Sein Nachfolger Johann von Schönenberg (1581 - 1599) wurde 1582 von den Jesuiten gelobt, weil er keine Anhänger einer anderen Religion (Protestanten und Juden) dulde und deswegen alle Pfarrer nach Namen und Zahl derselben befragt habe. Am 10. Januar 1583 erschien der Kurfürst persönlich im Trierer Stadtrat und brachte zur Sprache, daß etliche Bürger nicht katholischer Religion seien und an anderen Orten kommunizieren würden. (Die nächstgelegenen evangelischen Gemeinden waren Veldenz und Mülheim an der Mosel, wo 1523 von Pfalz-Zweibrücken die Reformation eingeführt worden war.) Bereits am folgenden Tag erfolgte die »Inquisition« (Befragung) der Verdächtigen. In dem Protokoll heißt es: »Anna, Bäckermeisterin zu (in dem Haus) Wittlich, sagt und bekennt, daß sie ein Christ und getauft sei, habe nun etlich Jahr lang nach (der) Einsetzung Christi das hochwürdige Sakrament (das Abendmahl unter beiderlei Gestalt) zu Frankfurt, Straßburg und an andern Orten empfangen. Wenn sie wüßte, daß sie es anders sollte empfangen, wollte sie, daß sie nicht so lange lebte. Habe eine Zeit (nämlich fast 70 Jahre lang!) allhier gelebt, keinem Menschen anders denn Ehr und alles Guts getan, erzeigt und erwiesen, ohne Lob zu reden. Was ihr nunmehr begegnen soll und will, wolle sie dem lieben Gott befehlen.«
In Straßburg konnte Anna Olevian 1571 bis 1574 ihre Nichte Ottilie Sinzig, deren Mann Johannes Piscator Münsterprediger und Professor war, besuchen, in Frankfurt seit 1578 ihre Tochter Anna, verheiratet mit dem Arzt Johann Bechtold Rivius. Es war für eine alleinstehende ältere Frau ungewöhnlich, so weite Reisen zu unternehmen. Andererseits kann eine Handwerkerwitwe, die den Betrieb mit Gesellen weiterführte, eine resolute Geschäftsfrau gewesen sein.
Obwohl bei dem Verhör auf den ernsten Befehl des Kurfürsten hingewiesen wurde, schritt man nicht sofort zur Tat. Ein Jahr später, am 7. Januar 1584 heißt es im Ratsprotokoll: »Die Confessionisten sollen sich uns gemäß verhalten, sonsten bis Reminiscere die Stadt räumen« und am 13. September desselben Jahres: »Die Religionsverwandten sollen endlich ausgehalten (ausgewiesen) werden«. Am 9. Oktober 1584 wurde schließlich beschlossen, daß die »Confessionisten« nochmals ernstlich vermahnt werden und nach dem Befehl des Kurfürsten. Bürgerschaft und Stadtrechte verlieren sollten.
Die Stadtchronik »Gesta Trevirorum« berichtet (aus dem Lateinischen übersetzt):
»Einige haben sich bekehrt. Der Goldschmiedemeister Johannes Thiener und mehrere andere sind aus der Stadt ausgewiesen worden, unter ihnen die Mutter jenes Caspar Olevianus, die sich auf die Medizin, die Frauen brauchen, versteht, Johannes Steuß und Lorenz Zweichart, zwei Sprecher des Bürgerkriegs (tubae civilis belli), und mehrere aus der gewöhnlichen Bevölkerung.«
Der Metzger Johannes Steuß war ein Sohn des beim Reformationsversuch 1559 hervorgetretenen Bürgermeisters. Bei Anna Olevian wurde betont, daß sie sich besonders auf die Medizin verstünde. Da kommt einem der Gedanke, ob es für sie nicht sogar die Rettung war, daß sie in nach damaligen Lebensverhältnissen - hohem Alter von etwa 70 Jahren ausgewiesen worden ist. Nachdem es in Trier (seit 1459/60 bezeugt) immer wieder Prozesse gegen Zauberer und Hexen gegeben hat, begann 1586 die große Prozeßwelle, die in dem (1996 edierten) Register des St. Maximiner Amtmanns Claudius Musiel und zahlreichen erhaltenen Prozeßprotokollen bezeugt ist. Daraus ist besonders die Verbrennung des Trierer Schultheißen Dr. Dietrich Flade als Zauberer 1589 bekannt. Die 1985 veröffentlichten Thesen von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, daß die Hexenprozesse der »Vernichtung der weisen Frauen« und Hebammen gedient hätten, haben in der Öffentlichkeit viel Interesse gefunden, werden aber weder durch die Trierer noch andere Akten gestützt. Auch waren die Trierer Prozesse keine Inszenierung gegen Protestanten, die man einfacher des Landes verwiesen hatte.
Dennoch hätte eine ungewöhnliche und unangepaßte alte Frau wie die Mutter des Reformators, die an der »Häresie« festhielt und die Heilkunst praktizierte , leicht das Opfer von »Besagungen«, den unter dem Zwang der Folter erpreßten Bezichtigungen, wen man auf dem Hexentanzplatz gesehen habe, werden können. Wie leicht konnte es passieren, daß eine Frau, die sich um Hilfe in Krankheit oder vor einer Geburt an die Bäckerswitwe wandte, abgewiesen wurde oder die Behandlung nicht erfolgreich war. Dann mußte es »natürlich« eine Hexe sein. Anna Olevians Nachbarin im Haus »zum Drachen« (benannt nach einem Bild) gegenüber dem Haus »Wittlich« hatte auf andere Weise Aufsehen erregt. Maria zum Drachen bot als reiche und auffallend gekleidete Frau Anlaß zum Stadtklatsch. Ähnlich wie im wirklichen Leben war sie angeblich in einem roten Gewand mit schwarzen Leisten und mit einem silbernen Gürtel als Aller-Oberste auf dem Hexentanzplatz erschienen. Sie wurde in einer Strohhütte verbrannt.
Anna Olevian zog 1584 zu ihrer Tochter Anna nach Frankfurt und dann zu ihrem Sohn Caspar nach Herborn, der im selben Jahr Pfarrer und Professor an der neu gegründeten Hohen Schule geworden war.
Im 50. Lebensjahr, auf der Höhe seines Wirkens, stürzte Olevian am 30. Dezember 1586 bei einem Krankenbesuch auf dem Weg zum Filialort Hirschberg zweimal, wahrscheinlich auf vereistem Weg, und erlitt wohl eine schwere innere Verletzung. Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg schlug vor, als Arzt Olevians Schwager Dr. Rivius aus Frankfurt kommen zu lassen. Seit dem 25. Februar 1597 konnte Olevian das Krankenlager nicht mehr verlassen. Am 11. März machte er sein Testament. Dieses ist nicht nur ein Dokument der Frömmigkeit und der Sorge um den Fortbestand des Kirchen- und Schulwesens in verschiedenen reformierten Territorien, an dessen Aufbau Olevian maßgeblich mitgewirkt hat, sondern auch ein Zeugnis der Fürsorge für seine Familie und seine Mutter. Sein Schwager Doktor Rivius habe eingewilligt, daß die Güter (Grundstücke) in Olewig (Olevia) verkauft werden sollen, damit die Mutter vom Erlös eine Rente erhält. Olevian bat den Grafen, seine schützende Hand über seiner Mutter und seinen Bruder Matthes Olevianus zu halten. Falls Caspars Kinder vor seiner Mutter sterben sollten, soll sie den Nießbrauch der Blumen des Erbguts in Olewig erhalten.
Anna Olevian und ihr Sohn Matthias reisten nach Caspars Tod nach Trier und verkauften am 6. November 1587 den Besitz in Olewig für 300 Gulden an Dr. Eucharius Bock in Luxemburg. Das frühere Bäckerhaus »Wittlich« hatte Caspar in seinem Testament nicht erwähnt, da es im Besitz seiner Mutter war. Sie verkaufte es am z. März 1588 für 2100 Taler an Schultheiß und Schöffen des kurfürstlichen weltlichen Hochgerichts Trier. Kurfürst und Erzbischof Johann von Schönenberg hatte dieses Gebäude zum Hochgericht bestimmt und ließ am 1. Dezember 1589 ein großes Gerichtsbild als Mahnung zum gerechten Gericht aufhängen, das heute im Städtischen Museum Simeonstift in Trier erhalten ist. Hier und im Trierer Rathaus fanden die Hexenprozesse mit den vorangehenden schrecklichen Folterungen statt, bis Kurfürst Lothar von Metternich (1599 - 1622) das Gericht verlegte. Das Haus »Wittlich« wurde von dem Hof- und Universitätsdrucker Hubert Reulandt, der zwischen 1638 und 1640 aus Luxemburg kam, übernommen und war über hundert Jahre lang der Sitz der Reulandtschen Druckerei, der einzigen im ganzen Obererzstift Trier (das etwa dem heutigen Regierungsbezirk entspricht). Das Geburtshaus von Olevian hat also eine ganz ungewöhnliche Geschichte.
Anna Olevian überlebte ihren Sohn Caspar in Herborn noch acht Jahre, bis sie am 4. Juli 1596 im 82. Lebensjahr verstarb.
Wenn wir soviel Nachrichten über das Leben von Anna Olevian und ihre Familie haben, daß man darüber einen Roman schreiben könnte, liegt das keineswegs nur an dem bedeutenden Sohn. Von dessen Frau Philippina wissen wir im Gegensatz nicht einmal den Nachnamen, nur, daß sie eine »fromme Witwe« aus Metz war, die Olevian in Straßburg kennenlernte, 1561 heiratete und die 1611 in Amberg gestorben ist. Anna muß eine ungewöhnliche Frau gewesen sein, die die Kraft hatte, fünfundzwanzig Jahre lang mit wenig anderen Evangelischen im gegenreformatorischen Trier zu leben, nicht irgendwo im Stillen, sondern in ihrem großen Haus im Zentrum der Stadt in der Nähe des Marktes.
In der Herborner Kirche erinnern die Grabplatten neben dem Reformator und Theologen auch an dessen Mutter. In Trier wurde 1974 eine Gedenktafel für Caspar Olevian neben dem Eingang zum Caspar-Olevian-Saal im früheren kurfürstlichen Palast angebracht. Auf Vorschlag der Caspar-Olevian-Gesellschaft soll ebenfalls an seinem Geburtshaus eine Tafel angebracht werden, auf der auch seiner Mutter Anna gedacht wird.
Es gibt wenige Frauen aus der Zeit der Reformation und der folgenden Kirchengeschichte, an die wir uns heute erinnern. Geduldige »Spurensuche«, wie ein heute beliebtes Wort lautet, wird auch anderswo interessante Frauenschicksale ans Licht bringen.
Vortrag vor der Caspar-OlevianGesellschaft in der Universität Trier am 14. November 1996. Eine wissenschaftliche Fassung ist erschienen in: Hessen in der Geschichte. Festschrift für Eckhart G. Franz zum 65 Geburtstag, herausgegeben in Zusammenarbeit mit anderen von Christof Dipper. Hessische Historische Kommission Darmstadt 1996, S. 70-79
Literaturhinweise
Wilhelm Holtmann, Caspar Olevian, Theologe der Reformationszeit, in: Kurtrier. Jb. 25 (1985), S. 7389
Gunther Franz (u.a.), Caspar Olevian 1536 -1587. Evangelisch- reformierter Theologe aus Trier. Katalog einer Ausstellung der Stadtbibliothek Trier. Trier 1987 (Ausstellungskataloge Trierer Bibliotheken 14)
Caspar Olevian (1536 bis 1587), ein evangelisch-reformierter Theologe aus Trier. Studien und Vorträge anläßlich des 400. Todesjahres. Köln 1989 (Sonderdruck aus Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes)
Gunther Franz/F. Gerhard Goeters/Wilhelm Holtmann (Hg.), Caspar Olevian, Der Gnadenbund Gottes 1590. Faksimile-Edition mit Kommentar. Köln 1994. Darin: Karl Müller, Ahnentafel und Stammbaum der Familie Caspar Olevians, S. 499-512
J. F. Gerhard Goeters, Caspar Olevian, in: Theol. Realenzyklopädie, Bd. 25, Berlin 1995, S. 237-239
Gunther Franz, Trier zur Reformationszeit, in: 2000 Jahre Trier, Bd. 2: Trier im Mittelalter, hg. Hans Hubert Anton/Alfred Haverkamp. Trier 1996, S. 553 -588.
Prof. Dr. Gunther Franz, Trier