Zu den Waffen, Bürger

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


Statue von Claude Joseph Rouget de Lisle, dem Autor der französischen Nationalhymne, in seiner Geburtsstadt Lons-le-Saunier © Paul Oppenheim

Jedes Mal, wenn die französische Fußballnationalmannschaft antritt und die Fans im Stadion uni sono „zu den Waffen“ grölen, frage ich mich, ob das nicht eigentlich strafbar ist. Wäre gerade jetzt nicht eher ein Appell an die Freundschaft angesagt?

Am Abend des 7. Mai 2017 trat der frisch gewählte französische Präsident Emmanuel Macron an die Öffentlichkeit. Einsam schritt er durch die Nacht. Im Hintergrund sah man den erleuchteten Louvre und es erklang nicht die Marsellaise, sondern Beethovens Ode an die Freude, die Hymne der Europäischen Union. Es hätte der Beginn einer neuen Zeit sein können, aber am Ende seiner Rede sang er dann doch mit tausenden von Anhängern aus voller Kehle die Nationalhymne, die dazu aufruft, die Furchen der Felder mit dem unreinen Blut des Feindes zu tränken.

Jedes Mal, wenn die französische Fußballnationalmannschaft antritt und die Fans im Stadion uni sono „zu den Waffen“ grölen, frage ich mich, ob das nicht eigentlich strafbar ist. Vor dem Spiel stehen die Weltmeister von 2018 brav aufgereiht und bewegen die Lippen zu den Worten: „Gegen uns ist das blutige Banner der Tyrannei erhoben“. Woran mögen sie denken, wenn sie von den „grausamen Soldaten“ singen, die „bis in unsere Arme kommen, um unseren Söhnen und Gefährtinnen die Kehle durchzuschneiden“?

Das 1792 von Claude Joseph Rouget de Lisle erdichtete Revolutionslied wurde im Kampf gegen die Gegner der Revolution gesungen und war kurze Zeit Nationalhymne, bis es von Napoleon, der es nicht leiden konnte, wieder abgeschafft wurde. Nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg wurde die Marseillaise 1871 wieder mit klarer Ausrichtung gegen den deutschen „Erzfeind“ zur Nationalhymne erhoben. Dabei blieb es nach dem 2.Weltkrieg und 1958 wurde die Marseillaise in der Verfassung Frankreichs als Nationalhymne festgeschrieben.

Mit seiner sogenannten Sorbonne-Rede im September 2017 und zuletzt mit seinem Aufruf vom 4. März 2019 hat sich Emmanuel Macron immer wieder als Fürsprecher und Vordenker eines „Neubeginns in Europa“ positioniert. Er ist es, der daran erinnert, dass „das vereinte Europa ein historischer Erfolg ist – die Versöhnung eines zerstörten Kontinents durch ein einzigartiges Projekt für Frieden, Wohlstand und Freiheit.“

Im Kontext der „Versöhnung eines zerstörten Kontinents“ hat ein blutrünstiges Kampflied nichts zu suchen. Wäre es nicht an der Zeit, unsere Nachbarn in aller Freundschaft darauf hinzuweisen? Sollte man nicht darüber nachdenken, ob der Aufruf zu Gewalt und Rache auch in Form von Nationalhymnen bei internationalen Sportveranstaltungen untersagt werden müsste?


Paul Oppenheim