Fehleinschätzung

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


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Es könnte das Wort des Jahres werden: „Fehleinschätzung“. Im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Debakel ist es in aller Munde. Viele Fehleinschätzungen haben die Coronakrise weltweit begleitet und begleiten sie noch immer. Genau genommen trifft es auf nahezu alle Politikbereiche zu und genauso auf wirtschaftliche oder kirchenpolitische Prognosen. Fehleinschätzungen sind nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall, aber warum ist das so?

Ich fahre zu schnell. Der Bremsweg ist zu lang. Es kommt zum Aufprall. Der Auffahrunfall wäre vermeidbar gewesen, wenn ein Computer an meiner Stelle gewesen wäre. Fehleinschätzungen sind etwas typisch Menschliches beim Autofahren wie in der Politik, in der Wirtschaft oder in der Kirche.

Es gibt Fakten, Zahlen, Daten, Erfahrungswerte, Naturgesetze, mathematische Formeln und demgegenüber gibt es den Menschen mit seinen Wünschen und Ängsten, aber auch mit seiner Willenskraft und einer ganzen Portion Selbstüberschätzung. Manchmal gelingt es uns tatsächlich durch Glaube, Hoffnung, Liebe die Grenzen des Möglichen zu verrücken. Gerne sprechen wir davon, dass der Glaube Berge versetzt. Sportler machen es uns vor: schneller, höher, weiter.

Politiker sind aber gut beraten, sich auf Fakten und Zahlen zu verlassen und sich nicht von Ideologien und irrationalen Stimmungen lenken zu lassen. Ein Sprichwort lautet, Angst sei ein schlechter Ratgeber. Darüber lohnt es sich nachzudenken, wenn man bedenkt, wozu uns die Angst vor Terror, vor Fremden, vor Klimawandel oder Krankheit in letzter Zeit getrieben hat.

Anders als im Sport, kann man sich in der Politik nicht beliebig viele Probeläufe leisten. Selbstüberschätzung aber auch übertriebene Ängste erzeugen Fehleinschätzungen, die zwar menschlich sind, aber in den Dimensionen nationaler Politik Milliarden Euro und viele Menschenleben kosten können. Wenn das der Fall ist, darf die Fehleinschätzung nicht folgenlos bleiben. Dafür gibt es in einer Demokratie neben Untersuchungskommissionen und Gerichten auch Wahlen. So haben wir es bei unserer Stimmabgabe in der Hand, Zahlen und Fakten ernst zu nehmen und dabei nicht selber, auf Fehleinschätzungen hereinzufallen.


Paul Oppenheim