Hilfe beim Sterben

Mittwochskolumne von Georg Rieger


© Handreichung der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, 2011, Foto: Georg Rieger

In der Diskussion um die aktive Sterbehilfe nehmen Vertreter*innen der Kirchen und der Theologie sehr einhellig die Position ein, dass der Mensch nicht über das Ende seines Lebens verfügen dürfe.

Die Argumente, die hierfür angeführt werden, werden meiner Einschätzung nach die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Erlaubnis zur Selbsttötung und auch zur Assistenz dabei nicht aufhalten können – auch nicht in der Kirche und Theologie. Wie vor nicht allzu langer Zeit Homosexualität noch als nicht mit einem kirchlichen Amt vereinbar angesehen wurde und diese Haltung theologisch vermeintlich wasserfest begründet schien, so wird es hoffentlich auch in dieser Frage laufen. Schon weil die Ablehnung des selbstgewählten Todeszeitpunkts in vielen Fällen seelsorgerlich nicht haltbar ist.

Durch die Forderung eines Verbots der aktiven Sterbehilfe oder dem Versagen dieser in diakonischen Einrichtungen wird die Beendigung des eigenen Lebens zur Sünde erklärt. Die zahlreichen veröffentlichten theologischen Einlassungen führen diesen Begriff zwar nie ausdrücklich an. Die Zuschreibungen, es handle sich um ein Eingreifen in Gottes Besitz oder seine Vorsehung, kann aber wohl kaum anders gedeutet werden, als dass es sich mit der Selbsttötung um einen Übergriff in Gottes Kompetenzen handelt – also um eine Sünde.

Bei keiner Beerdigung nach einem Suizid ist mir auch nur im Anflug der Gedanke gekommen, solche Sätze zu äußern. Stets ist es mir wichtig, die Gründe zu respektieren und jeden Gedanken an etwas Sündiges aus der Welt zu räumen. War ich an diesen Gräbern also theologisch unaufrichtig?

Meine Mutter hat in ihrer Patientenverfügung festgelegt, dass sie zu einem Zeitpunkt, in dem ihr eine Krankheit das Leben schwerer macht, als sie möchte, durch Einstellen der Nahrungszufuhr aus dem Leben treten will. Das zu hören war für meine Geschwister und mich nicht einfach, zumal wir ihr pflegerische und persönliche Betreuung zusagen können. Und doch habe ich ihr meine Unterstützung zugesagt, die es für dieses Vorhaben braucht.

Dass uns Menschen unser Leben nicht gehört, wie immer wieder angeführt, ist einer dieser theologischen Sätze, die sich sehr gefestigt anhören. Doch wie soll diese steile These ernsthaft durchbuchstabiert werden, ohne auf das Niveau von theologischem Extremismus hinabzusteigen? Tagtäglich bestimmen wir verantwortlich über unseren Körper und über unser Leben. Auch Eingriffe zur Entstehung und zur Verlängerung des Lebens sind für uns selbstverständlich. Warum das Ende davon ausgenommen sein soll, erschließt sich mir nicht.

Vor allem aber will mir nicht in den Kopf, warum durch den Nimbus der Unantastbarkeit das Problem der Verantwortung und der Gnade gelöst werden soll. Denn natürlich ist mir wichtig, dass von der Zeugung bis zum Tod der Mensch nicht einfach tut, was ihm gerade einfällt, sondern das Leben als ein Geschenk versteht und sich seiner Verantwortung vor Gott bewusst ist. Aber ich werde auch nicht müde zu betonen, dass unser Handeln und Versagen unter der Zusage von Gottes Gnade steht.

Warum also diese wenig aussichtsreichen und unaufrichtigen Rückzugsgefechte? Die Aufgabe von Verkündigung und Seelsorge liegt in dieser Frage doch ganz eindeutig darin, Menschen in ihrem Lebenswillen zu bestärken und so Freitode zu vermeiden. Da, wo uns das nicht gelingt und es für jemanden nicht mehr erträglich ist, auf dieser Welt zu sein, kann dieser Schritt aber sehr wohl Respekt erfahren. Er muss es sogar. Und natürlich kann es in extremen Fällen auch ein Akt der Nächstenliebe sein, dabei zu helfen. Betroffene wie Angehörige brauchen in solchen Situationen den Trost, dass Gott mit seiner Güte und Gnade bei ihnen ist – und dass diese mit dem Tod auch nicht endet. Und das dürfen wir als Seelsorger*innen nicht so dahinsagen, sondern müssen davon auch überzeugt sein. In diesem Sinne wünsche ich mir ein neues theologisches Nachdenken über diese Frage.


Georg Rieger