Camping

Predigt zu Johannes 7, 37-39 um Sonntag Exaudi, 16. Mai 2021


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Von Kathrin Oxen

Camping wird der Trend des Sommers. Ich bin gar keine Camperin, aber ich weiß trotzdem, wovon ich spreche. Im letzten Sommer habe ich für kurze Zeit einen Campingplatz geführt. Und selbst die gut ausgestatten Dauercamper sind mir dabei sehr sympathisch geworden. Denn trotz allem Komfort ist man als Camper tatsächlich sehr viel draußen. Wie gut der Tag wird, hängt zuerst einmal vom Wetter ab. Alle reden gerne darüber. Niemand hat Einfluss darauf. „Schon frisch“ sagen Camper manchmal. Niemals würden sie zugeben, dass die Ostsee immer noch etwas anderes als das Mittelmeer ist. Da sitzen sie lieber in Funktionskleidung um eine Feuerschale. Und wenn der Wind am Vorzelt reißt, ist es im Wohnwagen erst recht gemütlich.

Letzten Sommer ist das Trend gewesen, wegen der Pandemie natürlich. Und diesen Sommer wird es wohl nicht anders sein. Es wäre schön, wenn es noch ein bisschen so bliebe. Ich mag die Menschen, für die Komfort nicht alles ist, die mal anders leben wollen, provisorischer, freier, ohne den ganzen Kram, wenigstens ein, zwei Wochen im Jahr. Beim Camping lernt man, was man wirklich braucht und was nicht. Und draußen, zusammen mit anderen vor dem Wohnwagen oder dem Zelt wird jeder Abend ein kleines Fest. Auch in einer Fleecejacke.

„Ein Kind Gottes bleibt ein Mensch auf Reisen“ (Nico ter Linden) Damit sie nicht vergessen, dass sie Menschen auf Reisen sind, feiern Jüdinnen und Juden in jedem Jahr das Laubhüttenfest. Eine Woche lang wohnt man draußen oder nimmt zumindest die Mahlzeiten in einer provisorischen Hütte ein. Sie feiern ihre Camping-Geschichte. Der Rabbiner Jonathan Sacks sagt: „Die Laubhütte ist eine Metapher für die jüdische Situation nicht nur während der vierzig Jahre in der Wüste, sondern auch in den fast 2000 Jahren im Exil und in der Zerstreuung. Über Jahrhunderte lebten die Juden, ohne zu wissen, ob sich der Ort, an dem sie sich niedergelassen hatten, als bloß vorübergehende Behausung erweisen würde. Sie lebten in einem Zustand permanenter Ungewissheit. Das Laubhüttenfest ist das Fest der Ungewissheit. Was wirklich bemerkenswert ist, ist, dass es in der Tradition „unsere Zeit der Freude“ genannt wird. Für mich liegt hier das Wunder im Kern der jüdischen Erfahrung: dass die Juden in der Lage waren, mit dem Risiko und der Ungewissheit zu leben und sich dennoch freuen konnten. Das ist geistiger Mut ersten Ranges. Glaube ist der Mut, mit der Ungewissheit zu leben.“

Glaube ist Mut, mit der Ungewissheit zu leben. Glaube ist Camping. Das Dach einer Laubhütte darf nicht zu hoch sein. Und es muss durchlässig sein. Man soll spüren, dass man kein Dach über dem Kopf hat. Bei aller Sicherheit, bei aller Freiheit, in der wir leben - das letzte Jahr hat doch uns gezeigt, wie löchrig alle Dächer sind, die wir uns selbst gebaut haben. Und wie Camping plötzlich ein ganz großer Trend werden kann. Auch für die, die das noch nie gemacht haben.

Jesus ist zum Laubhüttenfest in Jerusalem, in der Stadt, wo der Tempel steht, den sich das Volk Israel nach seiner langen und mühevollen Camping-Geschichte schließlich doch noch gebaut hat. Zu dem Fest gehört ein Wasserritual. In einer großen Prozession wird Wasser geschöpft und um den Altar herum ausgegossen. Sie tragen das Wasser aus einem Teich herbei und gießen dann es auf die Steine. Und erinnern sich an die Zeiten, als es anders war. Als sie kein Wasser auf die Steine gießen mussten, sondern das Wasser aus dem Felsen kam, ein sprudelnde Quelle mitten in der Wüste.

Jesus ist heimlich in Jerusalem. „Es war ein großes Gemurmel über ihn im Volk. Einige sprachen: Er ist gut; andere aber sprachen: Nein, sondern er verführt das Volk. Niemand aber redete offen über ihn aus Furcht von den Juden.“ (Joh 7, 12f.)

„Die Juden“ allgemein sind hier nicht gemeint. Es sind schließlich nur Jüdinnen und Juden hier, die dieses Fest feiern. Es geht um einen anderen Unterschied. Jesus hat zu der ganzen Sache mit dem Tempel ein gespaltenes Verhältnis, zur Religion als feste Einrichtung mit Gebäuden, Personal und ritualisierten Abläufen insgesamt. Er, der wohnsitzlose Wanderprediger, hat es nicht so mit Tempeln. Er ist in jeder Hinsicht eher für Camping.

Ich sehe ihn da stehen im Vorhof, unauffällig unter all den Feiernden, die Tempelwand aus kühlen Steinen im Rücken, wie er sich die Prozession anschaut, das Ritual, die ernsten, würdevollen Gesichter derer, die es vollziehen und dass am Ende doch nur Pfützen auf den Steinen um den Altar zurückbleiben. Lebendig ist das nicht mehr, das Wasser nicht und sonst auch nichts. In ihm selbst staut sich etwas auf: „Am letzten Tag des Festes, am Großen Tag, stand Jesus da und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir; und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leibe fließen.“ (Joh 7, 37f., Übersetzung von Hartwig Thyen)

Aus der Schwelle des Tempels soll einmal eine Quelle entspringen, die die ganze Welt bewässert. Das hat der Prophet Ezechiel vorhergesagt. Und jetzt steht hier Jesus und sagt: Hier wird gerade sehr viel Wasser verschüttet. Aber ich bin die Quelle. Euer Glaube muss lebendig bleiben, er muss immer wieder zum Ursprung zurück, zu der Zeit, als ihr nicht viel hattet und auch nicht viel brauchtet. Außer dem Wissen, dass Gott mit euch durch alle Wüsten geht. Ich sage euch: Camping wird wieder der Trend im Glauben.

Für das jüdische Volk haben sich diese Worte erfüllt. Die Zeit des Tempels blieb nur ein Zwischenspiel in ihrer Geschichte. Wenige Jahrzehnte, nachdem Jesus dort gestanden hatte, war der Tempel schon zerstört. Nicht zerstört worden ist ihr Glaube, der Mut der Jüdinnen und Juden, mit der Ungewissheit zu leben, sie zu feiern, jedes Jahr beim Laubhüttenfest. In diesem Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Im September soll es deswegen ein deutschlandweites, großes Laubhüttenfest geben. Dann werden wir sehen und es mitfeiern können: Der jüdische Glaube ist mehr Camping als Tempel. Eigentlich schon immer.

Jesus steht im Laubhüttenfest in Jerusalem im Tempel, in kritischer Distanz zu seinem eigenen Glauben und untrennbar mit ihm verbunden. Jesus ist die Quelle für alle Menschen, die nicht von Geburt zu Gottes Volk gehören. Es kann seitdem eigentlich nicht mehr um Juden oder Christen gehen, sondern nur noch darum, ob wir das gemeinsam schaffen:

Glauben als Camping. Zusammen draußen in der Welt sein, mit dem Himmel als Dach in Erinnerung an die Wüstenzeiten, die zu jedem Leben gehören. Und in der Freude an unserem Gott, der alle Wege mit uns geht.

Amen


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.