Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1902-1966)
Durch seine Familie kam Weber sowohl mit dem rheinischen Reformiertentum als auch mit Freien evangelischen Gemeinden in Kontakt. Von großer Bedeutung war die Prägung durch die Schülerbibelkreise, in denen er aktiv mitarbeitete. Von hier aus ist möglicherweise sein Entschluß zum Theologiestudium zu verstehen. Während der Studienjahre in Bonn und Tübingen (1921-25) orientierte sich W. hauptsächlich an Adolf Schlatter und seiner Theologie, aber auch von Karl Barth empfing er wichtige Impulse. Kirchliche Lebenswirklichkeit lernte er während seines Vikariats in Herchen an der Sieg (1925-27) kennen, wo er auch als Lehrer an der Realschule arbeitete.
Nach dem Zweiten Theologischen Examen wurde er vom Reformierten Bund als Dozent an die Theologische Schule Elberfeld berufen, zu deren Erfolg er, später als Direktor, maßgeblich beitrug (1928-33). In dieser Zeit befestigte er die lebenslange Freundschaft mit dem rheinischen Pfarrer Wilhelm August Langenohl. Durch seine Lehrtätigkeit und durch erste theologische Veröffentlichungen wurde das reformierte Profil von Webers Denken mehr und mehr wahrnehmbar.
Die politischen und kirchenpolitischen Veränderungen des Jahres 1933 stellten auch für W. einen folgenschweren Einschnitt dar. Im Mai wurde er sowohl bei der NSDAP wie auch bei den NS-treuen »Deutschen Christen« Mitglied; hierfür gab er vor allem eine volksmissionarische Motivation an. Reichsbischof Ludwig Müller berief Weber im September als reformierten Vertreter in das Geistliche Ministerium nach Berlin, wo dieser an der Umsetzung der deutsch-christlichen Gleichschaltungspolitik beteiligt war.
Gleichzeitig unternahm er mehrere Versuche, den innerkirchlichen Streit zu befrieden, stand aber dem eigentlichen Anliegen der entstehenden Bekennenden Kirche fern. Nach der Berliner Sportpalastkundgebung im November trat er aus der deutsch-christlichen Bewegung aus, weil er sich mit den dort deutlich gewordenen Zielen nicht mehr identifizieren konnte. Im Dezember trat er als Geistlicher Minister zurück, arbeitete aber als kommissarischer Vertreter des reformierten Bekenntnisses bis Ende 1934 weiter mit.
Zum Sommersemester 1934 wurde Weber zum Professor für Reformierte Theologie an der Universität Göttingen ernannt. Kurz danach veröffentlichte er mit der zweibändigen »Bibelkunde des Alten Testaments« sein erstes größeres Lehrbuch. Darin erkannte er das AT als Teil des christlichen Kanons an, benutzte aber vielfach antisemitische Stereotypen. Einerseits waren seine eigenen Überzeugungen hier wie in anderen Punkten durch die nationalsozialistische Ideologie bestimmt. Andererseits erkannten auch seine kirchenpolitischen Gegner durchaus Webers »Orthodoxie« in Lehre und Forschung an.
Vor allem zu Calvin, dessen Hauptwerk »Institutio Christianae Religionis« er übersetzte (1936-38), publizierte Weber In reduziertem Maße betätigt er sich weiter kirchenpolitisch, vor allem als theologischer Experte des Reformierten Arbeitsausschusses (RAA), der der Reformierten Landeskirche Hannovers nahestand. 1936 wurde er Obmann des Nationalsozialistischen Dozenten-Bundes (NSDB) in der Göttingen theologischen Fakultät. Erst im Sommer 1938 promovierte er, und zwar bei Emanuel Hirsch, dessen Nachfolger als Dekan er im folgenden Frühjahr wurde.
Während der Jahre 1940 bis 1945 war W. als assoziiertes Mitglied Vertreter der Reformierten im Geistlichen Vertrauensrat. In diesem Rahmen beteiligte er sich an einem Brief an Bischof Wurm, in dem der GVR die Ausstoßung »nichtarischer« Christen und Christinnen aus der Deutschen Evangelischen Kirche theologisch rechtfertigte - hier hatte Weber den Rahmen des christlichen Bekenntnisses verlassen. Im Deutschen Reformierten Kirchenausschuß, dem Nachfolgeorgan des RAA, setzte sich Weber für die Wahrung reformierter »Belange« ein, näherte sich daneben einigen Wuppertaler Mitgliedern der Bekennenden Kirche sowohl persönlich wie inhaltlich an. Als Dekan seiner Fakultät amtierte Weber bis zum Kriegsende, mit Ausnahme des Jahres 1943, als er zur Wehrmacht eingezogen wurde und in einem Kriegsgefangenenlager in Oberschlesien Dienst tat.
Der Übergang in die Nachkriegszeit verlief für Weber äußerlich weitgehend unproblematisch; sein Entnazifizierungsverfahren endete 1949 mit der Entlastung (Kategorie V). Dennoch empfand er sein Dasein als sehr von seinem Vorleben geprägt. Gegenüber Karl Barth und anderen (z. B. Martin Niemöller) bekannte Weber seine Schuld - und erfuhr dabei Vergebung. Trotz seines ehrlichen Schuldeingeständnisses war er aber nicht frei davon, in der Rückschau seine Vergangenheit an einigen Stellen apologetisch umzudeuten.
In den letzten Jahren bis zu seinem plötzlichen Tod 1966 verlief Webers Leben bei weitem nicht so bewegt wie zuvor. Theologisch zeigte er sich eindeutig von Karl Barth beeinflußt, über dessen »Kirchliche Dogmatik« er ab 1950 fortlaufend in präzisen Zusammenfassungen berichtete. Von Webers eigenen theologischen Werken sind besonders die zweibändigen »Grundlagen der Dogmatik« (1955 / 1962) zu nennen, in denen er neben einer breiten Aufnahme der Tradition und der Anlehnung an Barth vor allem durch die Verarbeitung personalistischer Denkstrukturen ein eigenes Profil zeigte. In seinen Seminaren an der Universität, aber auch in vielen Vorträgen und Aufsätzen behandelte er immer wieder die Anthropologie.
Wie ein roter Faden zieht sich die Beschäftigung mit Calvin und den reformierten Bekenntnisschriften durch seine Arbeit, weil es ihm ein wichtiges Anliegen war, die Relevanz reformatorischer Theologie in der Gegenwart aufzuzeigen. Aber auch zu neueren Themen wie der Frauenordination oder Wiederaufrüstung und Atombewaffnung nahm er (hier befürwortend - dort ablehnend) Stellung; in politischen Fragen äußerte er sich oftmals gemeinsam mit Ernst Wolf, der ihm unter den Göttinger Kollegen am nächsten stand. Dekan der theologischen Fakultät war Weber auch in den fünfziger Jahren (1950/51 sowie 1957/58), ferner amtierte er als Rektor der Universität Göttingen (1958/59) sowie als erster Gründungsrektor der Universität Bremen (1964-66).
Kirchliche Verantwortung übernahm er als Presbyter der reformierten Gemeinde (seit 1958), als Landessynodaler der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland (1963-65) sowie als Mitglied im Moderamen des Reformierten Bundes (1950-65). - Weber war oft in der ersten Reihe zu finden, beispielsweise es als deutsch-christlicher reformierter Geistlicher Minister 1933, als bedeutender deutscher Vertreter der Barthschen Theologie nach 1950, als Rektor der Göttinger und der Bremer Universität, sowie an anderen Orten. Durch seine Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen prägte er über 32 Jahre lang nicht nur die studentische Art, reformierte Theologie zu treiben.
Er lebte in vier politischen Systemen und lehrte in allen theologischen Disziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie). Seine rezeptive Begabung und seine pädagogischen Fähigkeiten, seine Auffassungsgabe und sein Darstellungsvermögen hoben ihn hervor, doch nicht immer dienten ihm seine Anlagen zum Guten.
Man kann Webers Leben auf mehreren Ebenen als ein »gebeugtes Leben« bezeichnen. Einmal in dem Sinne, daß er als gläubiger Christ sich dem Wort Gottes und den kirchlichen Bekenntnissen beugte. Zum zweiten war es ein »gebeugtes Leben«, weil W. sich vielfach den politischen Verhältnissen beugte und sich willig den Herrschenden unterordnete. Besonders im »Dritten Reich« beugte er sich den politischen Gegebenheiten derart, daß dies einer Beugung unter das Wort Gottes konträr gegenüberstand. Drittens: Als Weber sein Fehlverhalten erkannte und bereute, nahm er sein Leben wahr als von der Last der Vergangenheit »gebeugt«.
Quelle: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Dort ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Otto Webers sowie von Büchern und Artikeln über ihn. Die Veröffentlichung auf reformiert-info erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Traugott Bautz.
Literatur:
- Vicco von Bülow, Otto Weber (1902-1966). Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker (AKZG.B 34), Göttingen 1999
Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus
Theodor Beza und die Theorie der Volkssouveränität. Von Merete Nielsen, Göttingen
Das deutsche Grundgesetz bestimmt in Art. 20, § 1-4 das Volk als den eigentlichen Souverän, das durch Wahlen und Abstimmungen das Land lenken soll. Die Deutschen haben das Recht zu Widerstand gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, jedoch erst, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Was uns selbstverständlich vorkommt, war im 16. Jahrhundert noch neu und überraschend.
Es ging Beza nicht so sehr um eine politische Theorie als um die Begrenzung der königlichen Macht in der Folge der Bartholomäusnacht. Nachdem viele tausende Hugenotten auf Geheiß des Königs in Frankreich umgebracht worden waren, entstand eine Flut von hugenottischen Schriften in den Frankreich umgebenden Ländern, die dem König und die Königinmutter, Katharina von Medici, des Mordes anklagten (Kingdon, 1988). Die Gruppe der Männer, die Monarchomachen genannt wurden, dachten über eine Verfassung für Frankreich nach, die es dem König unmöglich machen sollte, seine Untertanen willkürlich umzubringen. Der Name Monarchomach (= Königsbekämpfer) ist missverständlich, denn die Monarchomachen waren weder Revolutionäre noch Aufrührer. Vielmehr wollten sie durch eine Verfassung einen Unrechtsstaat in eine Gesellschaft unter dem Gesetz ändern.
Im folgenden Zeitalter des Absolutismus war eine solche politische konstitutionelle Theorie suspekt, dennoch lebten die Gedanken Bezas fort in der Englischen Revolution (Salmon, 1959), in der Philosophie von John Locke und bei den Philosophen der Aufklärung, bis die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1786), die französische Menschenrechte (1789) und die Verfassung (1791) seine Ideen staatstragend machten. Heutzutage ist die Souveränität des Volkes eine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie, wie das Grundgesetz betont.
Der Name Monarchomachen bezeichnet Männer und zwar eine größere Gruppe von sowohl Protestanten wie Katholiken (Dennert, 1968, Einleitung IXf.). Es ist jedoch üblich, vor allem an ganz bestimmte Schriften, die zwischen 1573 und 1579 eine konstitutionelle Monarchie einforderten, zu denken. Diese Schrift war zuerst 1573 „Franco Gallia“ (= das fränkische Gallien) vom Juristen François Hotman in Genf. Kurz danach, 1574, erschien das anonyme Pamphlet „Du droit des magistrats“ (= Von den Rechten der Magistraten) in Heidelberg von Theodor Beza in Druck gegeben (Kingdon 1970, Einleitung). Schließlich die anonyme Schrift „Vindiciae contra Tyrannos“ (= Strafgericht gegen die Tyrannen) 1579, vermutlich von einem der Diplomaten Hubert Languet oder Philippe Duplessis-Mornay, womöglich von beiden zusammen verfasst. Alle diese Verfasser haben andere Schriften geschrieben, Beza z.B. war vorrangig ein biblischer Theologe, insofern als seine wissenschaftliche Ausgaben des Neuen Testaments und seine Übersetzung der Psalmen seine wichtigsten Beiträge zur reformierten Theologie waren. Zusammengenommen sind die drei Schriften „Franco Gallia“, „Du droit des magistrats = De iure magistratuum“ und „Vindiciae contra tyrannos“ jedoch ein wichtiger früher Beitrag zum politischen Denken.
I. Genf und die Folgen der Bartholomäusnacht
Nach Genf strömten Ende August 1572 traumatisierte Flüchtlinge aus Frankreich. Sie hatten überstürzt Frankreich verlassen, oft nur mit den Kleidern, die sie am Leibe trugen. In Genf organisierte man Quartier und Kleidung für sie (Manetsch, 2000).
Beza hatte so wenig wie alle andere den mörderischen Überfall auf die Hugenotten vorhergesehen. Die Berichte der Flüchtlinge erschütterten ihn. Er musste um den Fortbestand der reformierten Kirche in Frankreich bangen, auch weil es klar war, dass mindestens so viele Hugenotten wie die, die umgebracht worden waren, zum Katholizismus zurückkehrten.
Vom französischem Wahnsinn
Der Professor für Jurisprudenz, François Hotman, war mit seiner Familie aus Bourges nach Genf geflüchtet. Dort erhielt er einen Lehrstuhl an der Universität und schrieb zuerst (1573) sein Buch „De furoribus gallicis“ (= Vom französischem Wahnsinn), in welchem er von der Ermordung des Admiral Coligny und dem Gemetzel in Frankreich erzählte. Dies war sein Beitrag zum Zeitgeschehen. Danach ließ er im selben Jahr „Franco Gallia“ drucken.
Diese gelehrte Schrift war in akademischen Stil gehalten, weshalb sie der Aufmerksamkeit der Genfer Zensur entging. Hotman beschrieb die Verfassung Galliens vor der Ankunft der Römer, und wie später Frankreich als Königreich durch die Vermischung von Franken mit den ursprünglichen Galliern entstanden sei. Seiner These war, dass Frankreich, historisch gesehen, eine Wahlmonarchie besaß. Die Stände konnten sich einen König aus der königlichen Familie aussuchen, mussten sich aber keineswegs an das Primogenitur halten. Außerdem schreibt Hotman, es wäre ein Unglück für das Land, falls eine Frau an die Macht kommen sollte. Was die Zensur übersehen hatte, war sofort allen Lesern klar: Hotman sah es als eine Katastrophe für Frankreich an, dass die Valoiskönige durch die Erbfolge einander nachfolgten, besonders wenn es sich um Knaben handelte, die entweder von Ratgebern wie der Familie von Guise oder von der Königinmutter Katharina von Medici bevormundet wurden.
Die Wahlmonarchie war Hotmans erklärter Wunsch für Frankreich, und er meinte, dass die Stände die Macht besitzen sollten, den König nicht nur zu wählen, sondern auch abzusetzen, falls er sich als untauglich oder tyrannisch erwies. Der König sei der Diener des Volkes und von einem Eid, Schaden vom Volk abzuwenden, gebunden. Hotman beschrieb einen Kontrakt zwischen König und Volk, mit dem Ziel, den König abzusetzen, falls dieser kontraktbrüchig sei.
Es ist anzunehmen, dass Hotman diese Schrift Beza gab und mit ihm diskutierte. Auch Beza war ja ursprünglich Jurist und mit den Ereignissen in Frankreich bestens vertraut. Die beiden Männer kannten sich gut, waren beide am Hof von Nérac im August 1560 gewesen und hatten beide später dem Prinzen Ludwig von Condé gedient, Beza als theologischer, Hotman als juristischer Ratgeber.
Hotman hatte sich in „Franco Gallia“ mit der Monarchie beschäftigt. Die Frage nach der Schuld für die Grausamkeiten nicht nur in der Bartholomäusnacht, sondern in den mörderischen Wochen und Monaten danach, wurde in allen hugenottischen Schriften über die Massaker erörtert, und die Antwort war meistens, dass der König verantwortlich gewesen war.
Als in Frankreich wieder Ruhe einkehrte, überlegten sich viele der Flüchtlinge, ob sie es wagen konnten, in ihre Heimat zurückzukehren, entweder um vor erneuter Abreise ihren Besitz zu ordnen oder um dort zu bleiben. Im Frühjahr 1573 bot der französische Botschafter bei den Eidgenossen ihnen eine Treueschwur gegenüber dem König als Bedingung für ihre Sicherheit in Frankreich an. In diesem Schwur sollten sie erklären, sie hätten das Land „wegen der Wut der aufgebrachten Bevölkerung“ verlassen. Da die Flüchtlinge zutiefst davon überzeugt waren, der König habe das Gemetzel angeordnet, suchten sie nach Auswegen, den Eid anders zu formulieren. Man traf sich zu Hause bei Beza und formulierte eine Fassung, wonach sie geflüchtet waren „wegen der Wut gegen uns“ und gelobten, treue Untertanen des Königs innerhalb der Rahmen des Gesetzes zu sein. Damit war angedeutet, dass sie, falls der König selbst die Gesetze brach, ihm nicht gehorchen mussten.
Im August 1573 wurde ein entsprechender Vertrag zwischen den Flüchtlingen und der Krone unterzeichnet.
Im Sommer 1574 legte dann Beza dem Rat seinen Beitrag zu den Ereignissen vor, das Manuskript „De iure magistratuum“ (= „Vom Recht der Regierungen gegenüber ihren Mitbürgern“). Jetzt war die Zensur hellwach und riet dringend von einer Veröffentlichung ab. Der Rat entschied sich, diesem Rat zu folgen, nachdem er
„…das Gutachten (der Zensur) gehört hat und gefunden, diese Schrift enthalte nichts als die Wahrheit, wollen sie es trotzdem zu der jetzigen Zeitpunkt nicht drucken lassen, da es Erregung entfachen konnte sowie Probleme für die Stadt schaffen, da der Stil von Herrn de Bèze hinlänglich bekannt sei. Beschluss: Das Buch darf nicht gedruckt werden, und eventuell vorhandene Kopien sind zu vernichten.“ (Geisendorf, 312)
Beza nahm im selben Jahr eine französische Übersetzung mit nach Heidelberg. Dort traf er sich mit dem jungen Prinzen Heinrich von Condé, der in der Bartholomäusnacht zusammen mit Heinrich von Navarra und seine Schwester Katharina von Bourbon gefangen genommen worden war. In der Zwischenzeit hatte Heinrich von Condé flüchten können, während Navarra und seine Schwester immer noch im Louvre festgehalten wurden. Laut Bezas Schrift durften sich niedere Behörden gegen höhere zur Wehr setzen, um ihre Untertanen zu schützen. Der Prinz war folglich befugt, von der Pfalz aus mit pfälzischen Hilfstruppen in Frankreich einzumarschieren, um die Hugenotten zu schützen. Ähnlich hatte eine Stadt wie La Rochelle das Recht, sich gegen eine königliche Armee zu wehren, um ihre Bürger zu schützen. Die Drucklegung von Bezas Schrift in Heidelberg war brandaktuell (Kingdon 1970, Einleitung).
Das Originalmanuskript von Beza war zweifelsohne die lateinische Fassung. Da sie in Genf nicht erscheinen durfte, wurde die französische Übersetzung die Erstausgabe. Die erste gedruckte lateinische Ausgabe erschien 1576 in Basel, vier französische und sechs lateinische Ausgaben wurden zwischen den Jahren 1575 und 1608 gedruckt, so Geisendorf. Abgesehen von seinem Psalter ist „De iure magistratuum“ bzw „Du droit des magistrats“ die meistgelesene Schrift von Beza.
Beza hatte bereits in Genf vor, sein Manuskript anonym herauszugeben. Auch in Heidelberg sorgte er dafür, seine Spuren zu verwischen. Die französische Ausgabe wurde ohne Angabe des Ortes gedruckt. Als Verfasser wurden die Magdeburger angegeben, die ein Buch aus dem Jahr 1550 korrigiert und erweitert hatten: „Du droit des Magistrats sur leur subjects/ Traitte très nécessaire en ce temps, pour advertir de leur devoir tant les magistrats que les subjects: publié par ceux de Magdebourg l´an MDL et maintenant reveu et augmenté de plusieurs raisons et exemples. S.l. 1574; 85 p. in-8.“
Dieser Hinweis auf Magdeburg bezieht sich auf das Magdeburger Bekenntnis von 1550. Magdeburg weigerte sich, die Anordnungen des Interims in der lutherischen Stadt einzuführen. Als Begründung dafür schrieben die Pastoren der Stadt zusammen mit Nikolaus von Amsdorf eine heftige lutherische Widerstandsschrift. Die reformierte Widerstandslehre Bezas hatte ihre Wurzeln in Deutschland. Mehr dazu in Abschnitt III.
II. Vom Recht der Regierungen gegenüber ihren Untergebenen und der Pflicht der Regierten gegenüber den Regierenden
Obwohl Beza aus gegebenem Anlass schrieb, spürt man das nicht in seinem Buch. Das Buch ist in einem sachlichen Ton gehalten und argumentiert, als ob es für einen universitären Hörsaal gedacht sei.
Beza bezieht seine Argumente zum Teil aus der Bibel, zum Teil aus der Geschichte. Er verwendet klassische Beispiele aus der griechisch/römischen Antike, sowie Belege aus der neueren Geschichte. Die klassischen Textbeispiele sind das Rüstzeug eines Humanisten, die modernen eher ein Appell an die Evidenz, die allgemeine menschliche Erfahrung.
Beza betont, dass alle Macht vom Volk ausgeht. Um ordentlich regiert zu werden, hat das Volk sich einen Regenten ausgesucht und ein Kontrakt mit ihm geschlossen. Das Volk war vor dem König da, und der König soll für das Volk da sein, nicht umgekehrt:
„Die Völker sind nicht von den Regierungen hervorgebracht worden. Die Völker, denen es gefallen hat, sich durch einen Prinzen oder durch einige gewählte Herren regieren zu lassen, sind viel älter als ihre Regierungen. Daraus folgt, daß die Völker nicht für die Regierungen geschaffen sind, sondern im Gegenteil die Regierungen für die Völker. […] Daraus folgt, daß die Macht der Regierungen, wie groß und souverän sie auch seien, von derjenigen des Volkes, das sie in ihre Stellung gewählt hat, abhängt und nicht umgekehrt.“ (Klingenheben 1971, 44.61)
Damit erteilte Beza jedem Absolutismus und Gottesgnadentum eine Absage. Der Fürst regiert nicht aus Gottes Gnade, sondern durch einen Kontrakt mit dem Volk. Nur Gott soll man unbedingt gehorchen, sein Gesetz, das in den Zehn Geboten enthalten ist, steht vor jedem irdischen Gesetz. Der Dekalog stellt dar, welche Pflichten die Menschen gegenüber Gott (die ersten vier Gebote, auch die erste Tafel des Gesetzes genannt) und gegenüber den Mitmenschen (die letzten 6 Gebote, die zweite Tafel des Gesetzes) haben. Da diese Gebote absolut gelten, muss jedes irdische Gesetz sich daran messen lassen. Die Bürger haben eine Richtschnur, nach welcher sie ihre Regierung beurteilen können. Für Beza fallen die Zehn Gebote mit dem Naturrecht zusammen.
„Ich sage also, daß die Autorität der Regierungen – so groß und mächtig sie auch seien – durch zwei Grenzsteine eingeschränkt ist, die Gott selbst gesetzt hat, nämlich Frömmigkeit und Nächstenliebe. Wenn es geschieht, daß sie diese überschreiten, muß man sich jenes Apostelwortes erinnern: »Es ist besser Gott zu gehorchen als Menschen«“ (Apg 5,29b, a.a.O., 39).
Wenn alles gut liefe, sei der Regent sich seiner Pflichten gegenüber Gott und dem ihm anvertrauten Volk bewusst. Aber leider entwickle sich mancher Regent zu einem Tyrannen. Manchmal erobere ein Tyrann andere Länder und Völker; die Eroberten dürften sich dann verteidigen. Beza kann in einem solchen Fall den Tyrannenmord gutheißen, sogar den von einer Privatperson begangenen.
Aber Bezas Thema ist ein anderes: Wann wird ein legitimer Herrscher gegenüber seinem eigenen Volk zum Tyrannen? Der Antwort ist klar: Wenn dieser kontraktbrüchig wird. Wenn ein König seine eigenen Gesetze bricht, sind die Untertanen ihm nicht länger zu Gehorsam verpflichtet.
Im Allgemeinen darf ein Untertan davon ausgehen, dass die Regierung rechtens handelt, nur wenn die Regierung etwas anordnet, was gegen die normalen Pflichten verstößt, darf man sich verweigern. Die normalen Pflichten eines Menschen sind für Beza das Naturrecht, das z.B. das Familienleben regelt: „Alle diese Aufgaben…müssen wir treu erfüllen ohne davon abgebracht zu werden durch irgendwelche Edikte, Drohungen oder ungerechte Peinigungen von irgend jemand“ (a.a.O., 41f). Locke hat das Naturrecht definiert als das Recht auf Leben, Freiheit, Unversehrtheit und Eigentum. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde es das Recht auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück. Sowohl Beza wie auch Locke und Jefferson verbanden ganz selbstverständlich das Gesetz Gottes mit dem Naturrecht.
Aber Beza geht einen Schritt weiter: „Aber wenn der Tyrann dir verbietet zu tun, was Gott dir befohlen hat, so hast du deine Aufgabe nur dann erfüllt, wenn du, abgesehen davon, daß du den Tyrannen nicht gehorchst, auch Gott gehorchst.“ (A.a.O., 41). Beza fährt fort:
„Es ist der Ruhm der Christen, von allen Unrecht zu erleiden, aber niemandem Unrecht zu tun. Jemand könnte sagen: Wie ist das nun, gibt es kein Mittel gegen einen Regenten, der seine Herrschaft gegen alle göttliche und menschliche Rechte mißbraucht? Ja, es gibt sie gewiß, sogar wenn man auf menschliche Mittel zurückgreift.“ (A.a.O., 43)
„Was können die Untertanen mit gutem Gewissen tun, wenn ihre höchsten, rechtmäßigen Regierungen nachweislich zu Tyrannen werden?“ (A.a.O., 51f.)
Auf diese rhetorische Frage antwortet Beza, dass es mehrere Instanzen gibt. Zuerst die Privatpersonen: sie dürfen nichts auf eigene Faust unternehmen. Dann die untergeordneten Behörden und schließlich die: „…die zwar nicht die souveräne oder ordentliche Macht auszuüben haben, aber für alle Fälle eingesetzt sind, um als Zaum und Zügel der souveränen Regierung zu wirken.“ (A.a.O., 52)
Es seien die Gerichtshöfe, die Bürgermeister, die Vögte und die Ständerversammlung, die sich einem tyrannischen König widersetzen könnten, wenn nötig sogar mit Waffengewalt. Der König habe gegenüber den Amtsträgern bei seiner Krönung einen Eid abgelegt, nach den Gesetzen zum Wohle des Volkes zu regieren. Wenn er diese Gesetze willkürlich breche, seien die Beamten verpflichtet, das Volk, das ihnen anvertraut sei, zu schützen. Sie seien nur dem Staat verpflichtet, nicht der Person des Königs.
Hier kommt Beza zu seiner Kernthese: die Rechte und Pflichten der niederen Behörden. Die Idee der Wahlmonarchie und der Kontrakt zwischen König und Volk hatte er mit Hotman gemeinsam. Beza behauptet, dass die untergeordneten Behörden für das Wohlergehen des Volkes Sorge tragen müssen, wenn der König seine Macht missbraucht. Privatpersonen dürften auf gar keinen Fall eine Revolution anfangen:
„…die Aufgabe der Privatpersonen in dieser Notlage ist, sich mit dem untergeordneten Magistraten zu verbünden und ihre Bürgerpflicht zu erfüllen.“ (A.a.O., 94)
Er fügt hinzu:
„…die Tyrannei muß ganz bekannt sein; man darf niemals zu den Waffen greifen, bevor man alle andere Mittel versucht hat; und schließlich: man muß sorgfältig nicht nur das erwogen haben, was erlaubt ist, sondern auch das, was heilsam ist aus der Besorgnis, daß das Heilmittel nicht schlimmer sei als die Krankheit.“ (A.a.O., 95)
Mit anderen Worten: die Konsequenzen sollen sorgfältig bedacht sein.
Zu Letzt diskutiert Beza, ob Bürger sich auch in Religionsfragen schützen dürfen. Die Frage ist, ob Religion sich ausschließlich friedlicher Mitteln bedienen soll. Beza verwirft die Anwendung von Waffen, um eine Religion zu verbreiten. Nur durch „die Predigt des Wortes Gottes, durch Gebet und durch Geduld“ (a.a.O., 105) kann das Evangelium verkündet werden. Beza erwähnt die zwei Reiche-Lehre Luthers: „Man fügt diesem weiter die Abschnitte der Bibel hinzu, die den Unterschied zeigen, den es zwischen dem Königreich dieser Welt und dem geistlichen Reich gibt“. Aber Beza hält fest, dass die Religion in dieser Welt ihren Platz hat und dass die Regeln der Welt auch für Christen gelten:
„Zunächst antworte ich darauf: Es ist zu absurd und falsch anzunehmen, daß die Verteidigungsmittel, die den Angelegenheiten dieser Welt gemäß sind, (wie die Justiz und die Waffen sind) nicht nur andersartig seien als die geistlichen Verteidigungsmittel, sondern auch entgegengesetzt und derartig zuwiderlaufend, daß es in Fragen der Religion keine Anwendung für sie gäbe.“ (A.a.O., 105)
„Diejenigen, die die Regierungen über die Völker haben, müssen alle Mittel, die sie von Gott empfangen haben, unter denen, die ihnen anvertraut sind, zur Aufrechterhaltung des Gottesdienstes (in dessen Beachtung seine Ehrung liegt) anwenden.“ (A.a.O., 106)
Hier hat Beza vermutlich die hugenottischen Städte im Blick. An diesem Punkt ist er mit dem Magdeburger Bekenntnis vollkommen einig ist.
III. Das Magdeburger Bekenntnis und Luthers Lehre von der Notwehr
Im bewegten 16. Jahrhundert war Beza nicht der Erste, der über Möglichkeiten des Widerstands nachdachte. Er zitierte, wie oben gezeigt, selbst das Magdeburger Bekenntnis.
Luther hatte in den 1520ern mehrere Schriften herausgegeben, die die Trennung zwischen der Religion und dem weltlichen Regiment betonten. Beide „Reiche“ waren gottgewollt, aber sollten getrennt gehalten werden. Die Religion sollte ohne Zwang nur durch das Wort verkündigt werden und die Welt, die ja auch aus schlechten Christen und bösartigen Leuten bestand, sollte mit Gesetzen, Justiz und Waffengewalt regiert werden. Christenmenschen durften regieren oder Soldaten sein, weil die Welt Gott gehörte, und sie sollten, wenn erforderlich, ohne Bedenken die Strenge des Gesetzes oder kriegerische Mitteln einsetzen.
Sie sollten aber nicht versuchen, das Paradies auf Erden einzuführen.
Der große Bauernkrieg 1525 hatte vollends Luther davon überzeugt, dass, wenn „der gemeine Mann“, „Herr Omnes“, mit den Worten des Evangeliums die Herrschaft des Adels abschütteln wollte, die Anarchie ausbrechen würde. Seit diesem für Luther traumatischen Ereignis ließ er Fürsten die Reformation in ihre Länder einführen und aufrechterhalten.
Nach dem Augsburger Reichstag 1530 änderte sich die Situation und damit auch Luthers Haltung. Der Kaiser wollte nämlich das Wormser Edikt, das Luthers Sache als Ketzerei verbot, endlich durchführen. Die lutherschen Fürsten waren erschrocken und überlegten, inwieweit Widerstand gegen den Kaiser möglich und erlaubt war. Der Schmalkaldische Bund entstand mit Luthers - etwas zögerlichem - Segen (Wolgast 1977, 165-200, Scheible 1969). Er schrieb 1531 „Warnung an seine lieben Deutschen“ um den Deutschen davor zu warnen, der Katholizismus könne in den protestantischen Territorien wieder eingeführt werden. Er forderte nicht direkt zu Widerstand auf, aber bat Alle, die Wiederherstellung der katholischen Religion nicht zu unterstützen.
Der leitende Kraft im Schmalkaldischem Bund war der Landgraf Philipp von Hessen. Sein theologischer Berater war Martin Bucer aus Straßburg. Bucer hatte keine Bedenken, die Verteidigung gegen den Kaiser zu bejahen (Strohm 2002, 231-244), denn auch er war der Ansicht, die Stände hatten dem Kaiser gegenüber gewisse Freiheiten, z.B. in der Religionsausübung.
Nach dem Sieg des Kaisers im Schmalkaldischem Krieg 1547, wurde 1548 das Interim eingeführt. Die Protestanten durften den Kelch im Abendmahl und die Priesterehe behalten, ansonsten wurde katholische Lehre wieder eingeführt. Die Lutheraner waren zutiefst gespalten, ob und inwieweit sie sich dem Interim beugen sollten. Viele flüchteten, unter anderem Bucer, und fanden Asyl in England.
Die Stadt Magdeburg entschloss sich, das Interim nicht einzuführen (Kaufmann 2003). Die Prediger der Stadt begründeten ihre Haltung, indem sie 1550 das Magdeburger Bekenntnis verfassten. In dieser Schrift bekannten sie sich zuerst zur lutherischen Lehre, um dann zu begründen, warum Widerstand gegen den Kaiser unerlässlich war: Sie wollten in dieser Lehre leben und sterben.
Interessant ist, dass sie Luther huldigten als ihrem Vorbild und Glaubensvater. Sie bezogen sich vor allem auf seine oben erwähnte Schrift „Warnung an seine lieben Deutschen“ von 1531 und räumten ein, Luther habe verschiedene Positionen in seinen langen Leben bezogen. Aber obwohl sie mit der „zwei-Reiche“ Lehre vertraut waren, waren sie dennoch überzeugt, in Luthers Geist zu handeln, wenn sie sich weigerten, das Interim einzuführen und damit Widerstand gegen den Kaiser leisteten. Das so oft zitierte Bibelwort Römer 13 wurde von ihnen so ausgelegt, dass rechtmäßige Obrigkeit die Guten schützen und die Bösen strafen solle. Tat sie es nicht, war sie nicht von Gott (Röm. 13, 4).
Die Stadt wurde schließlich 1552 von den kaiserlichen Truppen erobert, aber zu dem Zeitpunkt war der Kaiser praktisch entmachtet und nicht länger im Stande, etwas gegen seine aufrührerischen Untertanen zu tun. Der Augsburger Religionsfrieden 1555 erlaubte der Stadt, wieder lutherisch zu sein.
IV. Schluss
Schon 1553 hatte Beza von den Rechten der niederen Obrigkeit geschrieben (Kingdon 1955). Dabei waren ihm die lutherschen Überlegungen zum Widerstandsrecht der Stände und Städte dem Kaiser gegenüber bekannt.
Der Kaiser war 1519 von den Kurfürsten gewählt worden und hatte eine Wahlkapitulation unterschrieben. Damit konnten die Fürsten ihre Religionsfreiheit behaupten, bis sie den Schmalkaldischen Krieg verloren. Auf Dauer konnte der Kaiser allerdings nicht im gesamten Reich die katholische Religion wieder durchsetzen. Als der Kurfürst Moritz von Sachsen sich gegen ihn wandte, musste Karl V. aufgeben und verließ Deutschland.
Dieses Beispiel für die Macht und Möglichkeiten der niederen Obrigkeiten war Beza bekannt. Hotman hatte bereits für die Wählbarkeit der französischen Könige argumentiert und Beza schloss sich diesem Argument an.
Dennoch ging Beza weiter als seine deutschen Vorlagen: er plädierte für eine Verfassung dem Naturrecht gemäß – auch wenn er als Theologe zuerst an den Dekalog dachte. Er behauptete, der König stünde nicht über die Gesetze, sondern müsste sie befolgen.
In den zehn Jahren, seitdem der erste Religionskrieg in Frankreich ausgebrochen war, wirkte Beza, so weit ihm möglich, bei jedem Friedensvertrag mit, um rechtliche Sicherheit für die Hugenotten zu gewinnen. Das von ihm ausgehandelte Edikt vom Januar 1562 war das für die Reformierten günstigste, bis sie 1598 endgültige Rechtsicherheit mit dem Edikt von Nantes erreichten. Auch der Friedensvertrag von 1570, auf hugenottischer Seite von Jeanne d´Albret verhandelt, gab den Hugenotten weitgehende Sicherheit. Die Hochzeit von Heinrich von Navarra mit Marguerite de Valois wurde als Unterpfand für den Frieden in Frankreich gesehen. Bis zur Bartholomäusnacht hatte Beza begründete Hoffnung, die Hugenotten seien durch Verträge und Edikte geschützt. Diese Rechtslage hatte der König willkürlich außer Kraft gesetzt, wozu er laut Beza keine Befugnis hatte. Der König wurde zum Tyrannen.
Beza wünschte sich in Frankreich einen Rechtsstaat, konkreter: eine konstitutionelle Monarchie und eine Regierung für das Volk. Mit diesem Wunsch ging er weiter als seine deutschen Vorgänger. Bei ihm findet man die abwertende Bezeichnungen „Herr Omnes“ oder „Hans Unvernunfft“ (v. Friedeburg 1999, 64, Zitat aus dem Magdeburger Bekenntnis) nicht. Er spricht vom Volk und von Privatpersonen, denen kein Widerstandsrecht eingeräumt werden kann, aber er ist niemals verachtend.
Beza war kein Demokrat in unserem Sinne, freie Wahlen waren ihm unbekannt. Dennoch setzte er gewisse Denkstrukturen zum ersten Mal in die Welt. Die vielen Drucke seiner Schrift sowie auch die Anfeindungen derjenigen, die den königlichen Absolutismus vertraten, zeigen, dass seine Botschaft weit reichte.
Literaturliste
Quellen:
Bekenntnis/Unterricht und Vermahnung der Pfarrherrn und Prediger zu Magdeburg. Magdeburg, Michael Lotter 1550 VD16 A 2333.
Das Magdeburger Bekenntnis, in: Irene Dingel (Hrsg.): Der adiaphoristische Streit (1548-1560), Bd. II, Göttingen 2012.
Beza, Theodor: De iure magistratuum, Vom Recht der Regierungen gegenüber ihren Mitbürgern, übersetzt und kommentiert von Werner Klingenheben, Zürich 1971.
Theodor Beza: De iure magistratuum, hrsg. v. Klaus Sturm, Neukirchen-Vluyn 1965.
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Luther, Dr. Martin: Von Weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523, WA 11, 245-281.
Luther, Dr. Martin: Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können, 1526, WA 19; 623-662.
Luther, Dr. Martin: Warnung an seine lieben Deutschen, 1531, WA 30,3; 276-322.
(Alle Luther-Schriften sind in moderner Sprache in der Inselausgabe 1983, Bd. IV, abgedruckt.)
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Merete Nielsen, Göttingen, März 2014