Kein Geistlicher hat sie begleitet

Kirche und Suizidhilfe - ein Kommentar


© Pixabay

Von Gudrun Kuhn

In einem christlichen Haus bin ich nicht aufgewachsen. Aber mein eigenes wollte ich dazu machen. Eingebunden in die Stationen des Kirchenjahrs mit seinen biblischen Texten, seinen Liedern, ja auch seinem Brauchtum. Kein fernes Urlaubsziel hat mich jemals an Weihnachten oder Ostern gelockt – hätte ich dort womöglich ohne kirchliche Traditionen sein müssen. Weihnachtsmännern und Rentieren bleibt meine Türe verschlossen. Und statt Halloween feiere ich Reformationsfest.

Jetzt aber muss ich befürchten, mein Leben vielleicht in einem kirchenfernen Heim be­schlie­ßen zu müssen. Nicht, dass ich zu solch einer Institution weniger Vertrauen hätte. (Soweit man über­haupt Vertrauen haben kann in einen Bereich, der von den politisch Verantwortlichen so sehr vernachlässigt wird wie die Altenpflege und die in ihr Beschäftigten.) Nein, prinzipiell habe ich keinerlei Vorbehalte gegen nichtkirchliche Einrichtungen. Nicht in medizinischer Hinsicht. Nicht in sozialpflegerischer. Nicht in humanistischer. Aber – das Kirchenjahr wird mir fehlen. Ja, es wird dort Weihnachtsmänner und Rentiere geben. Und Valentinstage und Jahres­zeiten­fes­te. Aber kein Kirchenjahr. Dennoch werde ich darauf verzichten müssen. Und auf den Trost, den ich in einer vertrauten christlichen Atmosphäre empfinden könnte. Aber das Risiko ist zu hoch.

Das Risiko, dass mich christliche Prinzipienreiter im letzten Moment abschieben. Dass sie um ihres reinen Gewissens wegen mein Leiden verlängern. Und andere tun lassen, was sie für Sün­de halten. Dass ich mich schlimmstenfalls von meiner Tochter in die Schweiz oder die Nie­derlande fahren lassen muss. Weiß ich doch von genug Schicksalen, für die bei schwerster Krankheit eine palliative Linderung nicht mehr möglich war. Und der erlösende Tod auf sich warten ließ. Quälend lange auf sich warten ließ.

Muss ich also wählen? Muss ich die Angst wählen vor einem schlimmen Tod? Oder den Verzicht auf einen christlichen Trost? Werden mir nur säkular sozialisierte Menschen den letzten Liebesdienst tun dürfen, wenn mich nichts anderes mehr vor einem elenden Ende retten kann als ihre Hilfe, aus dem Leben zu gehen?

Ich kann den Unterschied nicht sehen zwischen fundamentalistischen Ideologien, die ärztliche Eingriffe verweigern und Theologien, die einen Suizid um jeden Preis verhindern wollen. Die Begründung ist bei beiden die gleiche: Gott ist der Herr über Krankheit und Gesundheit, über Leben und Tod. Was soll das für ein Gott sein, der seine Geschöpfe ausweglos leiden lässt? Der ‚Herr‘... Nein, es ‚gefällt dem allmächtigen Gott‘ nicht, mir die letzte Entscheidung im Notfall zu verweigern.

Und da höre ich schon, wie man mir Vereinfachung vorwirft. Nicht der Suizid an sich ist verwerflich, sondern die Assistenz. Und diese ‚Todsünde‘ darf man niemandem zumuten. Aber ein qualvolles Dahinsiechen und Sterben darf man anderen zumuten. Und zuschauen, wie sie sterben wollen, es aber nicht mehr eigenhändig beschleunigen können. Was lerne ich daraus? Wer darauf hofft, dass ihm im allerernstesten Ernstfall geholfen wird, möge tunlichst eine christliche Pflegestätte oder Sterbeklinik meiden. Dann eben kein Kirchenjahr. Und kein Gebet. Und kein letztes Lied. Kein Trost im Sterben...


Gudrun Kuhn
Ein Beitrag zur Debatte über den assistierten Suizid in der Diakonie

Von Jürgen Kaiser