Eine Gemeinde von Brüdern

Predigt zur 3. These der Barmer Theologischen Erklärung


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Von Stephan Schaar

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! AMEN.

Liebe Gemeinde, vor einer Woche war Pfingsten - zugleich “Geburtstag der Kirche” und Feier der Konfirmation. Die jungen Menschen haben sich mit der Frage beschäftigt, welches ihr “Traum von Kirche” sei. Ich freue mich darüber, dass es noch Leute gibt, die das interessiert: Menschen, die positiv nach Möglichkeiten zur Weiterentwicklung suchen, die hoffen und beten und nicht nur bemängeln, was alles schief läuft, und lautstark Veränderungen einfordern (die zugegebenermaßen auch nötig sind).

Wir haben gerade eben einen sehr kurzen Bibeltext gehört und dann die These 3 der Theologischen Erklärung von Barmen als Glaubensbekenntnis gesprochen. Das hat zwei Gründe: Die beiden Verse aus dem Epheserbrief gehen der 3. These als biblische Begründung voraus, und diese Erklärung wurde vor fast genau 90 Jahren auf der Synode der Bekennenden Kirche in Wuppertal-Barmen beschlossen, die vom 29. bis zum 31. Mai 1934 tagte.

Ganz andere Verhältnisse als heute herrschten damals: Die Nazis hatten nicht nur die Macht im Staat an sich gerissen, auch die Kirche wurde ihren Vorstellungen angepasst und einer hierarchischen Leitung unterstellt, analog dem Führerstaat. Nicht mehr - sola scriptura - die Heilige Schrift allein sollte maßgeblich sein für kirchliche Strukturen und den Inhalt der Verkündigung, sondern sie sollte vor allem Deutsch empfinden, reden und handeln und also absegnen, was die Regierung und die Partei gesagt und getan hat - vom Vorrang der eigenen Nation über die Bejahung des Krieges bis hin zur Vernichtung allen jüdischen Lebens.

Dem musste widersprochen werden, wollte man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Ich lese noch einmal die dritte These und füge einige Erläuterungen an: Die christliche Kirche ist die Gemeinde von (Schwestern und) Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.

  1. Die Schwestern fehlen im Originaltext. Es hat tatsächlich eine Frau - in Worten: eine (!) - an dieser kirchlichen Versammlung teilgenommen. Ebenso fehlen hier und in anderen Glaubensdokumenten aus jener Zeit die Juden - und zwar nicht nur die getauften.
  2. Die Kirche ist Gemeinde, steht hier, nicht: Die Kirche gliedert sich in zahlreiche Gemeinden. Wo Gemeinde ist, da ist die ganze Kirche, auch wenn vor Ort nicht die volle Fülle möglicher Entfaltungen kirchlichen Lebens vorhanden ist, weil nicht alle Gaben anzutreffen sind. Aber Kirche ist wesentlich Gemeinde, also geschwisterliche Gemeinschaft, nicht obrigkeitliche Institution, nicht Organisation - und schon gar nicht Dienstleisterin für religiöse Rituale.
  3. Sie hat - solus Christus - einen Herrn und wird allein von diesem regiert. Es ist der Heilige Geist und eben nicht der Zeitgeist, der die Kirche orientiert, indem immer wieder das Wort Gottes befragt und gesagt und auch nonverbal kommuniziert wird.

Ich fahre fort:

Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.

  1. Nicht nur jeder einzelne Christenmensch, sondern “Die Kirche” (das klingt vielleicht etwas merkwürdig) hat einen Glauben. Das wird hier zumindest vorausgesetzt. Gemeint ist jener Glaube, der in Worte gefasst und dokumentiert wird, etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis. Die Barmer Theologische Erklärung hat mittlerweile für viele Evangelische Gliedkirchen in Deutschland denselben Stellenwert erlangt: Hier steht geschrieben, wofür die Kirche steht jenseits je persönlicher Bejahung oder Verneinung dogmatischer Aussagen.
  2. Dieser Glaube wird zwar verbal zum Ausdruck gebracht, beschränkt sich aber nicht auf Worte. “An ihren Werken werdet ihr sie erkennen”, sagt Jesus in der Bergpredigt. Die Kirche hat sich als ihrem Herrn gehorsam zu erweisen, wird hier gefordert - und damit sowohl eine Dienstfertigkeit gegenüber weltlichen Herrschern abgelehnt als auch andere Ansprüche wie etwa die der finanziellen Machbarkeit zurückgewiesen. Nicht, was “sich rechnet” oder was “die Leute wollen” zählt, sondern was Gott von uns getan haben will.
  3. Die auszurichtende Botschaft ist jene von der Liebe Gottes, und zwar ohne jedwede rassistische oder sonst diskriminierende Einschränkung. Sie gilt allen Menschen, die - in gut lutherischer Diktion - als “begnadigte Sünder” bezeichnet werden. Kirche - das sind also nicht “die Guten”, sondern, etwas salopp formuliert, jene, “die es gut haben”, weil sie Gott um Christi willen recht sind.
  4. Diese christliche Botschaft beinhaltet auch Aussagen, die sich auf die äußere Gestalt der Kirche, auf ihre Gliederung und Ordnung beziehen. Zwar gibt es in der Alten Kirche durchaus das Amt des “Aufsehers”. Aber ebenso deutlich tritt uns Kirche, wie eingangs betont, als geschwisterliche Gemeinschaft entgegen, in der es eine Vielfalt von Gaben gibt, die keine Herrschaft des einen über die andere begründet. Kirche ist hörende und handelnde Gemeinschaft.

Liebe Gemeinde, in der Bekennenden Kirche gab es theologische und politische Überzeugungen in ziemlicher Bandbreite. Erst im Nachhinein wurde sie als eine feste Größe empfunden und betrachtet. Erst nach Krieg und Naziterror fanden die Aussagen der Barmer Erklärung viel Zustimmung im deutschen Protestantismus.

Das gilt allerdings ungeteilt nur für deren positive Aussagen. Die Verwerfungen wurden - und werden - von manchen Evangelischen als zu weitgehend und konkret abgelehnt, weil es, so ihre Überzeugung, Sache jedes einzelnen Christenmenschen sei, aus seinen Glaubensüberzeugungen konkrete Handlungsoptionen abzuleiten.

Die in Barmen versammelten Christenmenschen sahen das mehrheitlich anders und formulierten: Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.

Damals ging es um politischen Druck von Rechtsaußen. Heute gibt es vermeintliche und tatsächliche Sachzwänge, die uns Strukturanpassungen abnötigen. Im Laufe meiner bisherigen Lebenszeit sind wir von einer Mehrheit in der Gesellschaft zu einer Minderheit geworden - und das nicht etwa nur aufgrund zahlreicher Zuwanderung von Muslimen.

Die Gottvergessenen unter unseren Zeitgenossen haben sogar vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Sie vermissen ihn nicht und können so gut wie nichts mit Kirche, Glaube und Gemeinde anfangen. Christsein gehört längst nicht mehr zum guten Ton. Wenn wir uns nach dem Zeitgeist und danach richteten, was gerade “in” ist, dann müssten wir den Laden dichtmachen oder unter Absehung von Inhalten Rituale und Zeremonien anbieten - davon verstehen wir schließlich eine ganze Menge.

Aber nein: Wir haben eine Botschaft, wir haben einen Auftrag, wir haben einen Herrn. Er - und nicht wir - bestimmt, was Kirche zu sein hat und wie Kirche zu sein hat, jetzt und solange es Kirche gibt.

Amen.


Stephan Schaar
Pfarrer Bernd Becker spricht über die Bedeutung der Barmer Theologische Erklärung

Vor 90 Jahren als Bekenntnis der Deutschen Evangelischen Kirche formuliert und auf der Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen 1934 verabschiedet, stand sie im Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe in den evangelischen Kirchengemeinden in Burbach (Siegerland).