Matthäus 5,1-12
1 Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. 12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
Matth. 5, 1. „Er ging auf einen Berg.“ Die Leute, die hier eine andere Predigt Christi annehmen wollen, als die in Luk. 6 überlieferte, lassen sich zu sehr von einem schlüpfrigen und armseligen Argument bewegen? Matthäus erzähle, Christus habe auf einem Berg zu den Jüngern geredet, Lukas aber scheine anzugeben, die Predigt sei in der Ebene gehalten worden. Sie lesen nämlich die Worte des Lukas fälschlicherweise in einem Zusammenhang: Christus sei in eine Ebene hinabgestiegen und habe, indem er die Augen über seine Jünger aufhob, so zu ihnen gesprochen. Beide Evangelisten verfolgten ja den Plan, einmal an einer besonderen Stelle gewisse Hauptstücke der Lehre Christi zusammenzuordnen, die sie als Richtschnur für ein frommes und heiliges Leben betrachteten. Obgleich Lukas also vorher ein Feld erwähnt hatte, verfolgt er dieselbe Geschichte nicht in einer fortlaufenden Kette (von Erzählungen) weiter, sondern geht von den Wundern zu der Lehre über, ohne Zeit und Ort anzugeben. Auch bei Matthäus steht keine Zeitangabe, nur die Bezeichnung eines einzigen Ortes. Überhaupt hat Christus wahrscheinlich nur nach der Berufung der Zwölf so gepredigt. Aber nur um die Zeitfolge einzuhalten, die anscheinend vom Geist Gottes übergangen ist, wollte ich nicht allzu wißbegierig sein. Frommen und bescheidenen Lesern muß es nämlich genügen, daß sie hier eine kurze Zusammenfassung der Lehre Christi vor Augen haben, die aus mehreren und verschiedenen seiner Predigten zusammengestellt ist; in der ersten dieser Reihe erörterte er (sc. Christus) vor den Jüngern die Frage der wahren Glückseligkeit.
Matth. 5, 2. „Und er tat seinen Mund auf...“ Diese überflüssig erscheinende Beifügung spiegelt die hebräische Sprache wider. Denn was in anderen Sprachen ungeschickt wäre, wird bei den Hebräern oft gebraucht: sie können sagen: „er tat den Mund auf“ für: „er fing an zu reden". Indessen halten viele die Aussage für betont, weil es einigermaßen gewichtig und auffallend in die Mitte gerückt ist, mag es in guter oder schlechter Hinsicht sein. Da jedoch einige Schriftstellen dem widersprechen, gefällt mir jene erste Erklärung besser. Was soll außerdem die scharfsinnige Spekulation, Christus habe seine Jünger nur bildlich auf einen Berg geführt, um ihre Gemüter ganz von den irdischen Sorgen und Mühen weg in die Höhe zu entführen! Vielmehr hat er nämlich auf dem Berg die Abgeschiedenheit gesucht, um sich, fern von der Menge, ein wenig mit seinen Jüngern von den Anstrengungen zu erholen. An erster Stelle aber ist zu überlegen, zu welchem Zweck Christus zu seinen Jüngern über die wahre Glückseligkeit sprach. Wir wissen, daß nicht nur der Mann von der Straße, sondern auch der Gebildete in dem Irrtum befangen ist, ein solcher Mensch sei glücklich, der, frei von aller Beschwerde, doch im Besitz der Erfüllung seiner Wünsche, ein vergnügtes und ruhiges Leben führe. Zweifellos schätzen alle in ihrem Urteil die Glückseligkeit nach den gegenwärtigen Verhältnissen ein. Christus stellt diese verkehrte Ansicht richtig, als ob die glücklich seien, denen es jetzt, nach dem Fleisch, gut und wunschgemäß geht; er will ja die Seinen daran gewöhnen, das Kreuz zu erdulden. Die Leute, die fest meinen, Erdulden passe nicht zu einem glücklichen Leben, sind nämlich nicht in der Lage, den Mühsalen und Ungerechtigkeiten, die ertragen werden müssen, ruhig den Nacken zu beugen. Deshalb gibt es einen Trost, womit die Härte des Kreuzes und aller Übel gemildert, ja sogar versüßt wird, solange wir überzeugt sind, daß wir mitten im Elend glücklich sind; denn unser Erdulden wird vom Herrn gesegnet, und bald folgt ein freundlicherer Ausgang. Ich gestehe allerdings, diese Lehre liegt der allgemeinen Ansicht fern; aber so ziemt es sich Christi Jüngern zu denken, daß sie ihre Glückseligkeit außerhalb der Welt und oberhalb der Empfindung des Fleisches ansiedeln. Aber wenn auch die irdische Vernunft niemals dem zustimmt, was Christus hier predigt, so setzt er uns doch kein Phantasiegebilde vor, so wie einst die Stoiker mit ihren Paradoxen spielten, sondern er zeigt an der Sache selbst, warum gerade die wahrhaft glücklich sind, deren Lebensumstände man für elend hält. Denken wir also daran, daß dies das Hauptstück der Rede ist; denn Christus weigert sich, die elend zu nennen, die durch Kränkungen und Unverschämtheiten bedrückt werden und den verschiedensten Drangsalen unterworfen sind. Christus versichert nicht nur nachdrücklich, daß die falsch handelten, die das Glück des Menschen an der Gegenwart bemessen - denn in kurzer Zeit müsse sich das Elend der Frommen zum Besseren wenden -, sondern er ermahnt auch die Seinen zum Dulden, indem er ihnen Hoffnung auf Lohn schenkt.
Matth. 5, 3. „Selig sind, die da geistlich arm sind...“ Bei Lukas steht der Ausdruck ohne den Zusatz da; aber Matthäus drückt den Gedanken Christi klarer aus, weil die Armut vieler verflucht und unglücklich ist. Da also die meisten Menschen unter Widerwärtigkeiten leiden - innerlich aber wuchert ihr Stolz und Trotz unaufhörlich weiter -, erklärt Christus die für glückselig, die sich, nachdem sie die Widerwärtigkeiten gezähmt und bezwungen haben, ganz Gott unterwerfen und, innerlich voll Demut, sich seinem Schutz anvertrauen. Andere erklären die „geistlich Armen“ als solche, die nichts für sich in Anspruch nehmen; und dies in solchem Ausmaß, daß sie, nachdem das Vertrauen auf alles Fleisch geschwunden ist, ihre Armut gar nicht merken. Aber weil der Sinn in den Worten des Matthäus und Lukas notwendig gleichbleiben muß, ist es nahezu ohne Zweifel, daß solche arm genannt werden, die unter Unglück leiden und darin angefochten werden. Dies ist nur wichtig, weil Matthäus durch seine Zufügung die Glückseligkeit auf die allein beschränkt, die gelernt haben, sich unter der Zucht des Kreuzes zu demütigen. Denn das Himmelreich ist ihr. Wir sehen, daß Christus die Seinen nicht mit einer windigen Überredung ermutigt oder auf eisernem Trotz beharrt wie die Stoiker, sondern indem er sie an die Hoffnung auf das ewige Leben erinnert, ermuntert er sie zur Geduld; denn auf diese Weise würden sie in das Reich Gottes eingehen. Es ist wirklich der Mühe wert, zu beachten, daß niemand geistlich arm ist, der sich nicht, bei sich selbst auf das Nichts zurückgeworfen, auf die Barmherzigkeit Gottes verläßt. Denn herrischen und stolzen Geistes sind die, die durch Verzweiflung zerbrochen und erdrückt, dann noch wider Gott murren.
Matth. 5, 4. „Selig sind, die da Leid tragen.“ Dieser Satz ist nicht nur eng verbunden mit dem vorangehenden, sondern wirkt auch wie seine Erweiterung oder Bestätigung. Denn da Unglück die Menschen elend macht, entsteht gewöhnlich das Urteil, es zöge fortlaufend Trauer und Leid nach sich. Nun gibt es keinen größeren Gegensatz zum Glück als die Trauer. Doch bestreitet Christus, daß Trauernde unglücklich seien, und lehrt dazu, daß Trauer zu einem glückseligen Leben verhelfe, da sie zum Empfang der ewigen Freude heranbilde und man auf diese Weise wie mit Stacheln angetrieben werde, nur in Gott wahrhaften Trost zu suchen. So schreibt Paulus Röm. 5, 3ff.: „... wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt; Geduld aber bringt Bewährung; Bewährung aber bringt Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden."
Matth. 5, 5. „Selig sind die Sanftmütigen.“ Mit „Sanften" und „Milden" meint Christus solche Leute, die bei Ungerechtigkeiten nicht gleich aus der Haut fahren, nicht auf jede Beleidigung empfindlich reagieren, die bereit sind, lieber alles zu ertragen, als es den Gottlosen gleichzutun. Daß Christus gerade solchen den „Besitz des Erdreichs“ verspricht, scheint gar keinen Reim zu geben; denn die Herrschaft eignen sich doch die an, die auf jede Ungerechtigkeit heftig zurückschlagen und bei einer Verletzung schnell mit der Rache bei der Hand sind. Und sicherlich gehen erfahrungsgemäß die Gottlosen nur umso kühner und mutwilliger zu Werk, desto sanftmütiger man sich alles gefallen läßt. Daraus ist das teuflische Sprichwort entstanden, man müsse mit den Wölfen heulen, weil der, der sich zum Schaf mache, bald von den Wölfen zerrissen werde. Aber Christus setzt den eigenen und des Vaters Schutz der Raserei und Gewalttätigkeit der Wütenden entgegen und versichert den Sanften nicht vergeblich, daß sie Herren und Erben der Erde sein werden. Die Kinder dieser Welt halten sich nur dann für sicher, wenn sie tatkräftig rächen, was an Bösem ihnen widerfährt, wenn sie mit Hand und Waffe ihr Leben schützen. Wir aber müssen ganz fest daran glauben, daß Christus der einzige Hüter unseres Lebens ist, und es bleibt uns nichts anderes, als uns unter dem Schatten seiner Flügel zu bergen. Auch müssen wir ja Schafe sein, wenn wir zu seiner Herde gerechnet werden wollen. Wenn einer als Einwand die Erfahrung anführt, die dem ganz widerspreche, so möge er zuerst wohl erwägen, wie unruhig die Zügellosen sind und sich von innen her aufwühlen. Es gilt wirklich von ihrem so unruhigen Leben, daß sie, mögen sie auch hundertmal Herren der Erde sein, mit all ihrer Habe doch nichts besitzen. Für die Kinder Gottes antworte ich: obwohl sie sich niemals fest auf der Erde ansiedeln können, sollen sie sie als Wohnort in Ruhe genießen. Dieser Besitz ist nicht nur zum Schein, weil sie die Erde ja bewohnen, zumal sie wissen, daß sie ihnen durch göttlichen Willen gegeben ist. Darum werden sie gegen die Zügellosigkeit und Raserei der Bösen von der erhobenen Hand Gottes geschützt und, allen Angriffen des Schicksals ausgesetzt, der Frechheit der Bösen preisgegeben, von allen Gefahren umringt, leben sie doch sicher in der Obhut Gottes, so daß sie wenigstens von der Gnade Gottes schon kosten dürfen; und daran lassen sie sich genügen, bis sie am Jüngsten Tag das Erbe der Welt antreten.
Matth. 5, 6. „Selig sind, die da hungert.“ „Hungern" und „dürsten" deute ich als ein Bild für Mangel leiden, unvermeidlicher Notlage preisgegeben sein und um sein Recht betrogen werden. Matthäus setzt „hungern nach der Gerechtigkeit“ als Beispiel für eine Vielzahl von Möglichkeiten. Doch steigert er die Unwürdigkeit der Lage, indem er darauf hinweist, sie sollten ängstlich seufzend nur verlangen, was recht ist; wie wenn er gesagt hätte: glücklich sind, die ihre Wünsche mäßigen, indem sie nur begehren, was billig ist, und trotzdem wie Hungernde schmachten. Wie sehr auch ihre Angst sich auf den Spott richten mag, mit dem sie gequält werden, so gehen sie doch dadurch auf ihr sicheres Glück zu; denn einmal werden sie satt gemacht werden. Einmal wird Gott ihr Seufzen erhören und ihr ehrliches Verlangen stillen, da es sein Amt ist, die Hungrigen mit Gütern zu füllen, wie es im Lied der Jungfrau Maria heißt.
Matth. 5, 7. „Selig sind die Barmherzigen.“ Dies ist auch so ungewöhnlich und wunderbar, daß es menschlicher Ansicht widerspricht. Die Welt nennt die glücklich, die auf ihre sorglose Ruhe bedacht sind und sich fremde Not vom Leib halten; Christus dagegen preist hier die selig, die neben dem eigenen Unglück noch das fremde Mißgeschick bereitwillig auf sich nehmen, den Armen helfen, sich schlechtweg mit den Leidenden zusammengehörig erklären und sich gleichsam in denselben Zustand begeben, um sich desto besser der Hilflosen annehmen zu können. Er fügt hinzu: denn sie werden Barmherzigkeit erlangen, freilich nicht nur bei Gott, sondern auch unter den Menschen selbst, deren Sinne Gott zur Menschenfreundlichkeit lenken wird. Wie undankbar die Welt einstweilen auch sein und wie übel sie den Barmherzigen ihren Dienst belohnen mag, so muß es genügen, daß bei Gott Gnade für die Barmherzigen und Mildtätigen aufbewahrt ist, daß sie ihn also wiederum für sich gnädig und barmherzig finden.
Matth. 5, 8. „Selig sind, die reines Herzens sind.“ Hier führt Christus anscheinend etwas an, was einmal mit dem Urteil der Allgemeinheit übereinstimmt. Lauterkeit des Herzens, so geben alle zu, sei die Mutter aller Tugend. Indessen hält kaum jeder zehnte die Schlauheit nicht für die höchste Tugend. Daher kommt es, daß beim Volk die Talentierten glücklich heißen, die in geschickter Weise Ränke schmieden und ihre Geschäftspartner mit allerlei undurchsichtigen Künsten schlau umgarnen. Diese Verhaltensweise des Fleisches billigt Christus ganz und gar nicht, sondern er preist die selig, die nicht an Schläue ihr Vergnügen haben, sondern lauter unter den Menschen einhergehen und in Wort und Miene die Gedanken ihres Herzens ausdrücken. Da aber die Einfältigen verlacht werden, weil sie nicht umsichtig und entschieden genug Vorsorge für sich treffen, weist Christus sie in die Höhe; denn weil sie nicht scharfsinnig genug sind, auf der Erde zu betrügen, so dürfen sie im Himmel Gottes Anblick genießen.
Matth. 5, 9. „Selig sind die Friedfertigen.“ Er meint die, die nicht allein den Frieden suchen und, soviel an ihnen liegt, Streit meiden, sondern solche, die eifrig Streitigkeiten unter andern schlichten, allen zum Friedensstifter werden und Anlässe zu Haß und Eifersucht entfernen. Das ist nicht unüberlegt gesagt; denn da das Friedenstiften zwischen Streitenden keine leichte Sache ist, machen sich besonnene Menschen, die den Frieden wahren wollten; sehr unbeliebt; sie müssen von beiden Seiten Vorwürfe, Klagen und Beschwerden hören. Denn jede Partei wünscht sich einen Anwalt, der auf ihrer Seite steht. Damit wir darum nicht von Menschengunst abhängig seien, befiehlt uns Christus, das Urteil seines Vaters zu erwarten. Denn er ist ein Gott des Friedens und rechnet uns zu seinen Kindern, solange wir den Frieden suchen, auch wenn wir uns mit unserem Bemühen bei den Menschen unbeliebt machen. Berufen zu sein und (zu seinen Kindern) gerechnet zu werden ist nämlich ebensoviel wert.
Matth. 5, 10. „Selig sind, die verfolgt werden.“ Mit diesem Satz haben Christi Jünger am meisten Schwierigkeiten, und je widerwilliger das Fleisch ihn aufnimmt, desto aufmerksamer muß er bedacht werden. Wir können nämlich unter keinem andern Gesetz für Christus kämpfen, als daß uns der größere Teil der Welt in Feindschaft verfolgt bis zum Tod. Denn Satan, der Fürst der Welt, rüstet die Seinen unablässig mit Kampfeswut aus, damit sie Christi Glieder verhöhnen. Es sieht nämlich diesem Ungetüm ähnlich und liegt außerhalb der (menschlichen) Natur, daß man Leute ohne Schuld feindselig quält, wo sie doch die Gerechtigkeit lieben. Daher sagt Petrus (1. Petr. 3, 13): „... wer ist, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?" Aber infolge der Verderbtheit einer solch zügellosen Welt beschwört nur allzuoft gerade der Eifer nach guter Gerechtigkeit den Haß der Bösen herauf. Besonders aber ist es geradezu das Los der Christen, bei der Mehrzahl der Menschen verhaßt zu sein. Das Fleisch kann nämlich die Lehre des Evangeliums nicht ertragen; keiner wird gern seiner Fehler überführt. „Um der Gerechtigkeit willen leiden“ bezieht sich auf die Menschen, die dadurch den Haß der Bösen auf sich ziehen und ihre Wut hervorlocken, daß sie sich mit ehrlichem, wohlwollendem Eifer bösen Interessen widersetzen und die guten nach Kräften verteidigen. Auf dieser Seite nimmt allerdings die Wahrheit Gottes mit Recht den ersten Platz ein. So unterscheidet Christus an diesem Kennzeichen seine Zeugen von den Übeltätern und Gottlosen. Ich wiederhole, was ich oben gesagt habe: da alle, die gottselig in Christus leben wollen, der Verfolgung preisgegeben sind, so ist Paulus Zeuge (2. Tim. 3, 12), daß dieses Wort sich allgemein an alle Frommen richtet. Manchmal ist der Herr zwar nachsichtig mit unserer Schwachheit und erlaubt den Gottlosen nicht, uns einfach zum Vergnügen zu quälen. Doch sollten wir über diesen Satz an einem zurückgezogenen und stillen Ort nachdenken, daß wir, sooft es nötig ist, zum Kampf bereit sind und ihn nicht ohne gute Ausrüstung beginnen. Da im übrigen in diesem ganzen Leben die Lage der Frommen ausgesprochen elend ist, ermutigt uns Christus mit Recht, unsere Hoffnung auf das himmlische Leben zu richten. Und darin unterscheidet sich die ungewöhnliche Aussage Christi am meisten von den Erfindungen der Stoiker, die anraten, jeder solle mit seinen Wunschvorstellungen zufrieden sein, so daß er für sich selbst entschiede, was sein Glück sei. Christus hängt die Glückseligkeit nicht an einer leeren Phantasie auf, sondern gründet sie in der Hoffnung auf künftigen Lohn.
Matth. 5, 11. „Wenn sie euch schmähen ...“ Dafür steht in Luk. 6, 22. „Wenn sie euch hassen und euch ausstoßen und schelten euch und verwerfen euren Namen als einen bösen ...“ Mit diesen Worten wollte Christus seine Gläubigen trösten, daß sie nicht den Mut fallen ließen, wenn sie sahen, daß sie der Welt ein Greuel waren. Es bedeutete nämlich keine leichte Anfechtung, gleich Gottlosen und Heiden aus der Gemeinde ausgestoßen zu werden. Er wußte, wie sehr sie den Heuchlern zuwider sein würden, und sah im voraus die Feinde des Evangeliums in wildem Angriff gegen seine winzige, verachtete Herde losbrechen. Darum wollte er sie fest schützen, damit sie nicht unterlägen, wie sehr auch der ungeheure Schwall von Beschimpfungen sie zu erdrücken drohte. Hier zeigt sich auch, daß wir den päpstlichen Kirchenbann nicht zu fürchten brauchen, solange uns jene Tyrannen von ihren Synagogen ausschließen, weil wir uns nicht von Christus scheiden lassen wollen.
Matth. 5, 12. „Seid fröhlich und getrost...“ Das bedeutet: das Heilmittel ist zur Hand, daß wir uns nicht von den ungerechten Vorwürfen zermalmen lassen; denn wir brauchen nur unsere Herzen auf den Himmel zu richten, dort bietet sich überreicher Grund zur Freude, die die Traurigkeit wegschmilzt. Was die Papisten unter dem Namen Lohn vortäuschen - eine solche Schminke läßt sich durch keinen Aufwand abwaschen. Es gibt nämlich kein gegenseitiges Verhältnis zwischen Lohn und Verdienst, wie sie faseln, sondern die Verheißung auf Lohn ist völlig unverdient. Wenn wir daher bedenken, wie verstümmelt und fehlerhaft auch die guten Werke der Besten sind, so wird klar, daß Gott niemals ein Werk des Lohnes würdig findet. Zu beachten sind dagegen diese Zusätze „um meinetwillen“ oder „um des Menschensohnes willen" und ebenso: „wenn sie euch schmähen, so sie daran lügen“. Es soll sich nur nicht gleich als Märtyrer Christi brüsten, wer durch eigene Schuld Verfolgung leidet; einst gaben sich die Donatisten nur mit diesem Titel zufrieden, weil sie die Obrigkeit gegen sich hatten. Und heute bringen die Wiedertäufer das Evangelium in Verruf, wenn sie mit ihren Phantasien die Kirche verwirren; dennoch rühmen sie sich, die Wundmale Christi zu tragen, wo sie doch zu Recht verdammt werden. Aber Christus preist nur die selig, die seine Sache in rechter Weise verteidigen. „Denn also haben sie verfolgt...“ Mit Absicht ist dies zugefügt, damit die Apostel, wenn sie etwa Siege ohne mühevollen Kampf erhofften, in Verfolgung nicht ermatteten. Denn weil überall in der Schrift die Erneuerung aller Dinge unter der Herrschaft Christi verheißen wird, bestand die Gefahr, daß sie sich in einer eitlen Zuversicht wiegten und nicht an ihren Kriegsdienst dachten. Und aus anderen Stellen geht hervor, daß die Vorstellung töricht ist, das Reich Christi sei mit Schätzen und Genüssen angefüllt. Darum erinnert Christus nicht ohne Grund daran, daß ihnen dieselben Kämpfe bevorstünden, wie sie einst die Propheten durchlitten haben, da sie nun einmal an ihre Stelle rückten. Denn nicht nur im Blick auf die Zeit nennt er die Propheten ihre Vorgänger, sondern weil sie derselben Schar angehörten, müßten sie sich an ihrem Beispiel bilden. Was man vor aller Welt als die neun Glückseligkeiten erfunden hat, ist wertlos genug, als daß es einer langen Widerlegung bedürfte.