Misericordias Domini: Joh 10,11-16 – Vom guten Hirten und vom „Kern des Bundes“, den Juden

von Johannes Calvin

Calvin fragt, wie die Heiden zu Gottes Bund herzugeführt werden konnten, ''so daß sie sich den Juden zugesellen konnten. Denn weder durften ja die Juden den Bund, den Gott mit dem Volk geschlossen hatte, verlassen, um Christus die Ehre zu geben, noch mußten andererseits die Heiden das Joch des Gesetzes auf sich nehmen''.

11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. 13 Der Mietling flieht; denn er ist ein Mietling und achtet die Schafe nicht. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, 15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

V.11. „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.“ Seine einzigartige Liebe zu den Schafen beweist, daß er in Wahrheit ihr Hirte ist; denn ihr Heil liegt ihm so am Herzen, daß er dafür sogar sein eigenes Leben einsetzt. Daraus folgt, daß die mehr als undankbar, ja hundertfältigen Verderbens würdig sind, die eine so gütige und liebevolle Hut ihres Hirten verächtlich zurückweisen. Sie setzen sich dadurch verdientermaßen jeder Art von Schaden aus. Ferner erinnert Augustin sehr zu Recht daran, daß an dieser Stelle deutlich gesagt werde, was man von der Leitung der Kirche erwarten müsse, was zu meiden und was erträglich sei. Nichts ist wünschenswerter, als daß die Kirche von rechtschaffenen und eifrigen Hirten geleitet wird. Christus verkündet, er sei allein der gute Hirte, der vornehmlich in eigener Person und dann auch durch seine Werkzeuge die Gemeinde gesund und unversehrt erhält. Wo also ihre Verhältnisse gut geordnet sind und geeignete Menschen an der Spitze stehen, dort ist Christus in Wahrheit der Hirte. Aber zahlreich sind Wölfe und Diebe, die unter der Maske von Hirten ruchlos die Gemeinde zerstreuen. Christus verkündet, solche müsse man meiden, mit was für Namen sie sich auch schmücken. Wenn die Gemeinde von Mietlingen gesäubert werden könnte, wäre ihr Zustand besser; aber da der Herr auf diese Weise die Geduld seiner Gläubigen üben will und wir zugleich auch einer solch einzigartigen Gnade unwürdig sind, daß Christus uns nur in der Person untadeliger Hirten erscheint, sind sie zu ertragen, wenn wir sie auch nicht gutheißen und sie uns mit Recht mißfallen. Unter Mietlingen versteht man solche, die die reine Lehre beibehalten und die mehr zufällig, wie Paulus (Phil. l, 15) sagt, als mit rechtem Eifer die Wahrheit verkünden. Auf solche müssen wir hören, auch wenn sie Christus nicht treu dienen.

Denn wie Christus wollte, daß man die Pharisäer höre, da sie auf Moses' Stuhl saßen (Matth. 23, 3), so müssen wir dem Evangelium solche Ehrerbietung zollen, daß wir auch seine weniger guten Diener nicht verachten. Da aber jeder geringste Anstoß uns das Evangelium verleiden kann, soll uns, damit uns solche Kleinigkeiten nicht beirren, immer vor Augen stehen, was ich schon früher berührt habe: wenn in den Dienern Christi Geist nicht so mächtig wirkt, daß er sich in ihnen als der wahre Hirt offenbart, so werden wir dadurch für unsere Fehler bestraft, und indessen wird unser Gehorsam auf die Probe gestellt.

V. 12. „Der Mietling aber, der nicht Hirte ist. . .“ Obwohl Christus den Hirtennamen für sidi allein in Anspruch nimmt, läßt er dennoch stillschweigend mit einfließen, daß er ihm und zugleich auch seinen Werkzeugen, in denen er handelt, gemeinsam gehört. Wir wissen ja, wie viele nach Christus nicht gesäumt haben, ihr Blut für die Gemeinde zu vergießen, und auch die Propheten hatten vor seinem Kommen ihr Leben nicht geschont. Aber in seiner Person stellt er ein verbindliches Beispiel auf, um seinen Dienern eine Richtschnur zu geben. Wie abscheulich und schändlich nämlich ist unsere Lauheit, wenn uns unser Leben kostbarer ist als das Heil der Gemeinde, hinter dem Christus sein eigenes Leben hat zurücktreten lassen! Was er hier von der Hingabe des Lebens für die Schafe sagt, das ist gleichsam das gewisse und hervorstechende Merkmal väterlicher Liebe. Christus wollte einmal ein Zeugnis hinterlassen, was für einen einzigartigen Beweis seiner Liebe zu uns er gegeben hat, und dann wollte er alle seine Diener dazu aufrufen, seinem Beispiel zu folgen. Doch besteht ein Unterschied zwischen diesen und ihm: denn er hat sein Leben als Preis für unsere Rechtfertigung gegeben, sein Blut vergossen, um unsere Seelen zu reinigen, seinen Leib zum Sühneopfer dargebracht, um den Vater mit uns zu versöhnen. Bei den Dienern des Evangeliums aber ist nichts dergleichen möglich, sie bedürfen selbst alle der Reinigung, und allein durch sein Opfer werden sie entsühnt und mit Gott in Ordnung gebracht. Aber hier spricht Christus nicht von der besonderen Wirkung oder Frucht seines Todes, um sich mit anderen zu vergleichen, sondern um zu beweisen, wie tief seine Liebe zu uns war. Und dann will er auch andere einladen, ihm zu folgen. Kurz, wie es Christi eigentliche Aufgabe war, durch seinen Tod uns das Leben zu gewinnen und uns das zu geben, was das Evangelium enthält, so ist es die gemeinsame Pflicht aller Hirten, die Lehre, die sie verkünden, mit dem Einsatz ihres Lebens zu verteidigen und dadurch, daß sie die Lehre des Evangeliums mit ihrem Blut besiegeln, zu bezeugen, daß sie nicht mit bloßen Worten lehren, Christus habe für sie und die anderen Menschen das Heil erworben. Doch kann man hier fragen, ob man den für einen Mietling halten darf, der dem Angriff der Wölfe aus irgendeinem Grunde ausweicht. Diese Frage war einst gleichsam ganz brennend, als nämlich die Tyrannen grausam gegen die Kirche wüteten. Tertullian und ähnliche Leute waren meines Erachtens darin allzu streng. Die maßvolle Auffassung Augustins ist viel besser. Er erlaubt den Hirten dann zu fliehen, wenn sie durch ihre Flucht das allgemeine Beste mehr fördern und nicht etwa die ihnen anvertraute Herde im Stich lassen und verraten. Das aber geschieht nach seinen Worten, wenn die Gemeinde keinen Mangel an geeigneten Dienern hat und die Feinde dem Hirten aus so persönlichen Gründen nach dem Leben trachten, daß seine Abwesenheit ihre Wut besänftigen kann. Wenn aber eine allgemeine Gefahr droht und mehr zu fürchten ist, daß man glauben müßte, der Hirte fliehe aus Furcht vor dem Sterben und nicht mit dem Willen zur Fürsorge für die Gemeinde, dann darf er keinesfalls fliehen, denn das Beispiel seiner Flucht wird dann mehr schaden, als sein Leben in Zukunft noch nützen könnte. Allein das gilt es festzuhalten, dem Hirten soll seine Herde, ja sogar einzelne Schafe sollen ihm teurer sein als sein eignes Leben.

„Des die Schafe nicht eigen sind ...“ Hier scheint Christus alle ohne Ausnahme als Mietlinge anzusehen im Unterschied zu sich selbst. Denn da er der einzige Hirte ist, darf keiner von uns die Schafe, die er weidet, seine eigenen Schafe nennen. Aber wir wollen daran denken: Wer von Christi Geist geleitet wird, der hält das Eigentum des Hauptes der Gemeinde auch für sein Eigentum, und zwar nicht, um sich Macht anzumaßen, sondern um treu zu bewahren, was ihm anvertraut ist. Denn wer Christus wirklich verbunden ist, sieht nichts, was diesem so teuer ist, für etwas an, das ihn selbst nichts angeht. Deshalb sagt er gleich:

V. 13. „Der Mietling flieht...“, weil er kein Herz für die Schafe hat, so als wollte er sagen, ihn berühre die Zerstreuung der Schafe gar nicht, weil er nicht glaubt, daß es ihn etwas anginge. Denn wer nur auf den Lohn sieht, nicht auf die Herde, über den mag man sich wohl täuschen, solange die Gemeinde in Ruhe und Frieden lebt; sobald er aber schließlich einmal kämpfen müßte, wird er seine Untreue beweisen.

V. 14. „Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen . . .“ Erst betont Christus nochmals seine Liebe zu uns. Erkenntnis eines Menschen kommt aus der Liebe und zieht Fürsorge nach sich. Zugleich aber macht er deutlich, um alle die kümmere er sich nicht, die dem Evangelium nicht gehorchen, wie er im zweiten Teil des Verses wiederholt; und er bekräftigt noch einmal, was er schon früher gesagt hatte, auch ihn seinerseits erkennen seine Schafe.

V. 15. „Wie mich mein Vater kennt...“ Nichts zwingt dazu, ja es ist nicht einmal von Nutzen, in jene spitzfindigen Tüfteleien einzutreten, wie denn der Vater seine eigene Weisheit erkennen könne. Christus stellt sich hier einfach in die Mitte zwischen ihn und uns, wie er ja das Band ist, das uns mit Gott verbindet, als wollte er sagen, genauso wenig könne er unser vergessen, wie der Vater ihn zurückweise oder übersehe. Indessen fordert er auch von uns, daß wir unsererseits dem entsprechen; denn wie er alle Macht, die er vom Vater empfangen hat, zu unserem Schutze anwendet, so will er auch, daß wir ihm gehorchen und uns ihm unterordnen, wie er selbst ganz Eigentum des Vaters ist und alles ihm anheimstellt.

16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stelle; und auch diese muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören und wird eine Herde und ein Hirte werden.

V. 16. „Und ich habe noch andere Schafe...“ Obwohl einige Erklärer das Wort sowohl auf die Juden als auch auf die Heiden beziehen, die noch nicht Christi Jünger waren, besteht für mich doch kein Zweifel darüber, daß Christus dabei nur an die Berufung von Jüngern aus den Heiden gedacht hat. Stall nämlich nennt er die Sammlung des alten Gottesvolkes, in der es von den übrigen Völkern der Welt abgesondert zu Gottes Eigentum und einem einzigen Leibe zusammengewachsen war. So nämlich hatte Gott sich die Juden auserwählt, daß er ihre gottesdienstlichen Bräuche gleichsam wie Zäune um sie herumstellte, damit sie sich nicht mit den Ungläubigen vermischten, da der Eingang zum Stall der in Christus geschlossene Gnadenbund zum ewigen Leben war. Deshalb nennt er auch andere Schafe diejenigen, die nicht dasselbe Kennzeichen besaßen, sondern anderer Herkunft waren. Der ganze Sinn ist der: Christi Hirtenamt liegt nicht allein in dem kleinen Weltwinkel des Landes Juda beschlossen, sondern hat weit größeren Umfang. Wahr ist freilich, was Augustin hier sagt: Wie es innerhalb der Gemeinde viele Wölfe gibt, so außerhalb viele Schafe; aber doch paßt es zu der vorliegenden Stelle nicht ganz, wo es sich doch nur um die äußere Gestalt der Gemeinde handelt; denn die Heiden, die zur Zeit noch außen standen, sind ja später in Gottes Reich zugleich mit den Juden aufgenommen worden. Doch gebe ich zu, daß es insofern paßt, daß Christus mit Schafen auch die Ungläubigen bezeichnet, die man damals für alles andere als seine Schafe halten konnte. Doch bezeichnet er mit diesem Namen nicht nur solche Menschen, die in Zukunft Schafe sein sollten, sondern vielmehr bezieht sich dieses Wort auch auf die verborgene Wahl des Vaters; wir sind ja für Gott schon Schafe, bevor wir merken, daß er unser Hirte ist. So heißt es an anderer Stelle, wir waren noch seine  Feinde,  während er  uns  schon liebte,  wie  Paulus  auch Röm. 5, 10; Gal. 4, 9) sagt: wir waren Gott bekannt, bevor wir ihn kannten.

„Und auch diese muß ich herführen...“ Er macht deutlich, daß die Wahl Gottes zum Ziele komme, damit nichts verlorengehe, was er gerettet wissen zollte. Denn den verborgenen Plan Gottes, durch den die Menschen zum Leben bestimmt sind, offenbart endlich zur rechten Zeit die Berufung. Und zwar wird sie wirksam, indem Gott durch seinen Geist die zu seinen Kindern macht, die zuvor aus Fleisch und Blut geboren waren. Doch ist die Frage, wie die Heiden denn herzugeführt werden sollten, so daß sie sich den Juden zugesellen konnten. Denn weder durften ja die Juden den Bund, den Gott mit dem Volk geschlossen hatte, verlassen, um Christus die Ehre zu geben, noch mußten andererseits die Heiden das Joch des Gesetzes auf sich nehmen, um in Christus sich mit den Juden zu vereinigen. Hier muß man sorgsam zwischen dem Kern des Bundes und dem, was von außen hinzukommt, unterscheiden. Denn anders konnten die Heiden nicht zum Glauben an Christus kommen als dadurch, daß sie jenen ewigen Bund annahmen, in dem das Heil der Welt gegründet war. Auf diese Weise waren die Weissagungen erfüllt: Reden werden die Fremden die Sprache Kanaans (Jes. 19, 18). Ebenso: Sieben Heiden werden den Mantel eines Juden fassen und sagen: wir wollen mit euch gehen (Sach. 8, 23), und: kommen werden sie aus fernen Weltteilen und hinaufsteigen zum Berge Zion. Deshalb ist auch Abraham Vater vieler Völker genannt worden; denn vom Osten und Westen werden die kommen, die mit ihm im Reiche Gottes zu Tische sitzen sollen (Matth. 8, 11). Was aber die feierlichen gottesdienstlichen Handlungen angeht, so handelt es sich da um jene Scheidewand, von der Paulus (Ep. 2, 14) lehrt, sie sei eingerissen. So sind wir in der Einheit des Glaubens als dem Kern des Bundes mit den Juden vereint. Die feierlichen Handlungen aber sind abgeschafft, damit sie die Heiden nicht hindern, uns die Hand hinzustrecken.

„Und wird eine Herde und ein Hirte werden...“ Alle Kinder Gottes sollen zu einem Leibe zusammenwachsen. Wie wir bekennen, daß eine heilige Kirche sei, muß ja auch ein Haupt einen einzigen Leib haben. Ein Gott, sagt Paulus (Eph. 4, 4), ein Glaube, eine Taufe. Daher müssen auch wir eins sein, so wie wir zu einer Hoffnung berufen sind. Obwohl aber diese Herde in verschiedene Hürden verteilt zu sein scheint, sind die Gläubigen, die allenthalben in der Welt zerstreut sind, doch in einem gemeinsamen Gehege beschlossen; denn ihnen allen wird dasselbe Wort gepredigt, sie haben dieselben Sakramente, dieselbe Art zu beten und was sich als Bekenntnis des Glaubens sonst findet. Man beachte nun die Art und Weise, wie Gott diese Herde sammelt: dadurch nämlich, daß ein Hirte für alle da ist und man auf seine Stimme hört. Diese Worte bedeuten, wo die Kirche allein Christus Untertan ist, seinem Gebot gehorcht und auf seine Lehre hört, da erst ist ihr Zustand recht geordnet. Wenn die Anhänger des Papstes uns beweisen können, bei ihnen herrsche ein solcher Zustand, mögen sie die Bezeichnung „allgemeine Kirche" führen, mit dem sie jetzt nur großtun; wenn aber Christus dort nicht zu Wort kommt, seine Majestät mit Füßen getreten wird, seine heiligen Ordnungen zum Spott dienen, was ist dann ihre Einheit weiter als eine teuflische Verschwörung, die schlimmer und verfluchter ist als jede Zerstreuung? Daher wollen wir immer daran denken, daß wir beim Haupt beginnen müssen. So nennen auch die Propheten, wenn sie die Erneuerung der Gemeinde beschreiben, immer den König David und Gott gemeinsam, als wenn sie sagen wollten, es gäbe nur eine Gemeinde, wo Gott herrsche, und es bestehe das Reich Gottes nur da, wo die Ehre, der Hirte zu sein, Christus übertragen wird.

27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.

V. 27. „Meine Schafe hören meine Stimme...“          Daß sie nicht seine Schafe sind, weil sie nicht auf das Evangelium hören, beweist er mit Hilfe des Gegenteils. Welche nämlich Gott erwählt hat, auf die wirkt sein Ruf; so weist der Glaube sie als Christi Schafe aus. Gewiß wird die Bezeichnung Schafe deshalb auf die Gläubigen übertragen, weil sie sich Gott zur Leitung durch die Hand des höchsten Hirten übergeben, ihre frühere Wildheit abgelegt haben und sich fügsam und willfährig zeigen. Audi das ist kein geringer Trost für fromme Lehrer, daß Christus seine Schafe hat, die er kennt und die ihrerseits ihn erkennen, wenn auch der größere Teil der Welt nicht auf ihn hört. Soviel an ihnen ist, sollen sie sich bemühen, die ganze Welt in Christi Hürde zu versammeln, aber wenn es nicht nach Wunsch geht, sollen sie allein damit zufrieden sein, daß mit ihrer Hilfe die sich sammeln, die seine Schafe sind.

V. 28. 29. ... „Sie werden nimmermehr umkommen ...“ Das ist eine unvergleichliche Frucht des Glaubens, daß Christus uns gewiß und sorglos sein heißt, wenn wir im Glauben zu seiner Herde versammelt sind. Aber zugleich muß man darauf achten, worauf diese Gewißheit sich stützt; er selbst nämlich will der treue Wächter unseres Heils sein, denn er bezeugt, es liege in seiner Hand. Wenn aber das noch nicht genügen sollte, so fügt er hinzu, durch Gottes Kraft sei das Heil sicher aufgehoben. Das ist eine bedeutende Stelle! Sie belehrt uns darüber, daß das Heil der Auserwählten genauso gewiß ist wie die unüberwindliche Macht Gottes selbst. Ferner wollte Christus dieses Wort nicht in den Wind reden, sondern es den Seinen als Verheißung geben, damit es tief in ihren Herzen hafte. Wir schließen also: Christi Wort hat den Sinn, daß für die Erwählten die Heilsgewißheit unumstößlich sei. Wir sind zwar von mächtigen Feinden umgeben, und unsere Schwachheit ist so groß, daß wir manchmal dicht am Rande des Todes stehen; da aber der, der unser ihm anvertrautes Heil bewahrt, größer oder mächtiger ist als alle, so gibt es keinen Grund, zu zagen, als wäre unser Leben in Gefahr. Auch können wir weiter daraus sehen, wie unsinnig das Selbstvertrauen der Römischen ist, das auf dem freien Willen, der eigenen Tüchtigkeit und auf den Verdiensten aus ihren Werken beruht. Ganz anders hat Christus die Seinen unterrichtet. Sie sollen sich daran erinnern, daß sie in dieser Welt wie in einem tiefen Wald unter zahllosen Räubern leben. Und abgesehen davon, daß sie ohne Waffen eine leichte Beute sind, sollen sie erkennen, die Ursache des Todes liege tief in ihrem eigenen Innern, so daß sie allein im Vertrauen auf Gottes Hut ihren Weg sicher gehen können. Kurz, das Heil ist uns deshalb gewiß, weil es in Gottes Hand liegt; denn unser Glaube ist schwach, und wir wanken allzu leicht. Gott aber, der uns in seine Hand genommen hat, ist stark genug, durch einen einzigen Hauch alle Machenschaften unserer Feinde zu vereiteln. Hierauf sein Augenmerk zu richten ist nötig, damit nicht die Furcht vor Anfechtungen uns erschrecke. Denn auch Christus wollte uns darauf hinweisen, wie seine Schafe unbesorgt unter Wölfen zu leben vermögen.

„Und niemand kann sie aus meiner Hand reißen.“ Und hat hier die Bedeutung von »deshalb«. Aus der unbezwingbaren Macht Gottes schließt Christus, das Heil der Frommen hänge nicht von der Willkür der Feinde ab, weil sie sonst ja erst Gott überwinden müßten, der uns unter dem Schutz seiner Hände hat.

V. 30. „Ich und der Vater sind eins.“ Damit wollte er dem Gespött der Gottlosen entgegentreten. Sie konnten ja höhnisch behaupten, er habe mit der Macht Gottes nichts zu tun. Wie könne er seinen Jüngern seinen sicheren Schutz verheißen! Er bezeugt also, seine und des Vaters Pläne stimmten so überein, daß dessen Hilfe ihm und seinen Schafen niemals fehlen werde. Die alten Ausleger haben diese Stelle fälschlich dazu verwandt, zu beweisen, Christus sei mit dem Vater eines Wesens. Doch Christus spricht hier nicht von seiner Wesenseinheit mit Gott, sondern von der Obereinstimmung zwischen ihm und dem Vater: alle seine Taten werden von der Macht des Vaters bestätigt.

 

 

 

 


Aus: Otto Weber, Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Das Johannesevangelium, 1964, S. 265ff.