Du kommst nach Hause mit der schlechten Nachricht.
Das kann die Gewissheit über eine befürchtete Krebserkrankung sein.
Es kann sich um die Bestätigung handeln, dass ein naher Angehöriger verstorben ist.
Es ist ebenso vorstellbar, dass die schlechte Nachricht mit dem Beruf zu tun hat, etwa die Schließung des Firmenstandorts in deiner Stadt.
Du kommst also mit dieser Nachricht nach Hause, wo die Familie auf dich wartet, die Antwort erwartet auf jene Frage, die sie schon seit so langer Zeit quält.
Einerseits: Solange es diese Antwort noch nicht gab, bestand noch die Möglichkeit - wenigstens theoretisch -, dass es am Ende eine gute Nachricht sein würde.
Andererseits ist es aber nicht auszuhalten, Wochen und Monate im Ungewissen zu verharren.
Du kommst nach Hause, niedergeschlagen. Du brauchst nichts zu sagen: Deine Mimik, deine Körperhaltung, die vollkommene Niedergeschlagenheit sagen mehr als 1000 Worte.
Das “Du”, von dem ich hier rede, ist er: Jochen Klepper, Evangelischer Theologe, tätig als Journalist und Schriftsteller, seit 1931 verheiratet mit einer jüdischen Witwe, Mutter zweier Töchter.
Klepper kehrt von einem Gespräch mit Adolf Eichmann zu seiner Frau und deren jüngerer Tochter nach Nikolassee zurück. Es ist der 10. Dezember des Jahres 1942. Die schlechte Nachricht ist die endgültige Ablehnung eines Ausreiseantrages für die beiden Frauen.
Die letzte Tagebucheintragung Kleppers von eben diesem Tage lautet: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“
Das ist schon für sich genommen so heftig, dass man schon ein ziemlich grober Klotz sein müsste, wenn einen dies gar nicht bewegte.
Ich füge noch ein Zitat hinzu - und zwar einen Tagebucheintrag aus dem Jahr 1933: „Warum sollte es mir besser gehen als den Juden? Lieber dort sein, wo Gott leiden läßt als jetzt mit Gott für das Vaterland emporgetragen zu werden!“
Er hat dennoch alles versucht, ist eingezogen worden und wurde - als wehrunwürdig - wieder entlassen. Er hat verhandelt und gebettelt, gegrübelt und gebetet.
Der gemeinsam beschlossene Gang in den Tod war ein letzter Akt der Freiheit und die einzig erkennbare Alternative zum Abgeholt- und Getrenntwerden zu Qual und Ermordung.
Quälend detailliert wird dem Kinobesucher in dem Film “Schattenstunde” vor Augen geführt, was in den letzten Stunden der Familie Klepper geschah.
Ich habe mit den Tränen ringen müssen wie zuletzt bei “Schindlers Liste”. Nicht nur sein Thema, sondern auch die Erzählweise dieses Films hat mich so schwer beeindruckt, dass ich es gern mit anderen teilen mochte.