Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.
Mit Gott verbunden sind wir, liebe Gemeinde, durch Jesus Christus aufgrund der Taufe. Dem spüren wir schon seit geraumer Zeit nach, indem wir - einen nach dem andern - uns biblische Bundesschlüsse ansehen; denn auch wenn es für uns vormalige Heiden etwas ganz Besonderes und Neues ist, mit Gott verbunden zu sein: Das Volk des Ersten Bundes kennt eine ganze Reihe dieser Bundesschlüsse. Teils werden sie formelhaft-verkürzt in Erinnerung gerufen durch Bezeichnungen wie “Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs”.
Um letzteren geht es heute. Ich will versuchen zu skizzieren, wen wir hier vor uns haben, und ich kann dabei nicht anders vorgehen, als dass ich die Masse des Textes zusammenfasse; denn lesen können wir die umfangreiche Jakobsgeschichte innerhalb eines Sonntagsgottesdienstes nicht :
Es beginnt mit der Geburt der Zwillinge Esau und Jakob. Zwei sehr ungleiche Brüder sind das: Der eine ein rauer Bursche, etwas einfältig, wie es scheint, ein Outdoor-Typ, ganz nach dem Geschmack seines Vaters Isaak. Der Jüngere hält die Ferse des Erstgeborenen. Er ist ein Feingeist und Stubenhocker, Mamas Liebling, und ganz offenkundig ist er cleverer als sein großer Bruder: Er bringt es fertig, Esau die Zusage abzuluchsen, dass er auf sein Vorrecht als Erstgeborener verzichtet; es kostet ihn, so die biblische Geschichte, lediglich ein Linsengericht, das der bärenhungrige Kerl eilig verzehrt.
Mit dem Erstgeburtsrecht geht der väterliche Segen einher, und dieser väterliche ist zugleich auch Gottes Segen. Während aber Gott weiß, dass er in diesem Fall die menschliche Logik durchkreuzen und den Jüngeren dem Älteren vorziehen will, muss Isaak erst überlistet werden. Rebekka denkt sich aus, welchen Wettlauf mit der Zeit Jakob gegen Esau wohl gewinnen kann, und lässt den alten, beinahe blinden Mann um ein Stück Wildbret bitten, das ihm der ausersehene Sohn zubereiten möge, ehe er den Segen empfängt. Doch während Esau auf die Jagd geht, hat Rebekka schon einen Ziegenbock in der Bratpfanne, dessen raues Fell dem aalglatten Jüngling umgehängt wird, um den Greis zu täuschen.
Natürlich wundert sich der Betrogene, als nach der Mahlzeit und der Segnung ein zweites Mal sein - diesmal echter - Sohn Esau mit Speise und Segenswunsch bei ihm erscheint; aber da ist es bereits zu spät: Er hat nur den einen wirklichen Segen als sein Vermächtnis weiterzugeben. Was er Esau zusagen kann, ist ein Leben ohne Heimat und Ansehen. Um dessen verständlicher Wut zu entkommen, hat sich Jakob auf den Weg ins Zweistromland gemacht, zu dem Ursprung der gesamten Sippe; Esau hingegen, der eh nichts mehr ändern kann, fügt sich in die Verhältnisse, heiratet einheimische Frauen und scheint irgendwann vergessen zu haben, dass es da einen Bruder gibt, der “seinen” Segen erschlichen hat:
“Aß ihn doch mit dem Segen rumlaufen!”, mag er gedacht haben, der offenbar nicht unzufrieden war mit seinen Lebensumständen und dem Bruder irgendwann nicht mehr grollte. Aber was heißt das eigentlich: “Mit dem Segen rumlaufen”?
Darauf kommen wir noch, selbstverständlich. Doch ich will fortfahren nachzuerzählen.
Das Schlitzohr Jakob findet seinen Meister in Laban, dessen Tochter Rahel es dem jungen Mann angetan hat: 7 Jahre wird er dafür arbeiten, sie heiraten zu dürfen. Doch nach der Hochzeitsnacht stellt er konsterniert fest, dass sein Schwiegervater ihm die ältere Schwester Lea ins Zelt gelegt hatte. Das sei nun mal so Sitte in diesem Land, erklärt der, dass erst die ältere Tochter verheiratet wird; doch um Jakob zu besänftigen - und weiterhin von dessen Fleiß und Gottes Segen zu profitieren -, bekommt er nach der Hochzeitswoche die Hübsche ebenfalls zur Frau, nur dass er abermals 7 Jahre für den Gauner Laban schuften muss.
Der will ihn auch dann nicht gehen lassen, als die vereinbarte Zeit um ist. Aber Jakob drängt nun darauf, in die Heimat zurückzukehren. Als Lohn wird ein Teil der Viehherden verabredet, und mit Gottes Hilfe gelingt es Jakob, diesmal den Spieß umzudrehen, indem er die Tiere manipuliert, die lauter gescheckte Kälber werfen, die vereinbarungsgemäß den Herden Jakobs zugerechnet werden.
So macht er sich als reicher Mann und Vater vieler Söhne auf den Rückweg nach Kanaan. Auch wenn viel Zeit vergangen ist, fürchtet er den Moment, in dem er auf seinen Bruder treffen wird. Er schickt großzügige Geschenke voraus, begleitet von devoten Grüßen, und er hofft, dass der Bruder ihm nicht den Krieg erklären wird.
Ich greife voraus und sage: Nein, ganz im Gegenteil kommt es zu einem Happy End, zur Versöhnung. Und wenn sie nicht gestorben sind...
Aber halt, da war noch etwas! Nachdem sein Viehzeug und seine Familie längst über den Grenzfluss Jabbok gegangen sind, bleibt er ebendort allein zurück, und es kommt zu einer Begegnung, die ich nun doch besser vorlesen möchte:
25Jakob blieb zurück, für sich allein. Da rang jemand mit ihm, bis die Morgenröte aufkam. 26Da sah er, dass er ihn nicht überwinden konnte, und berührte sein Hüftgelenk, so dass das Hüftgelenk Jakobs verrenkt wurde, als er mit ihm rang. 27Da sagte er: »Aß mich los, denn die Morgenröte kommt auf.« Und der sagte: »Ich lass dich nicht los, nur wenn du mich segnest.« 28Er sagte zu ihm: »Wie ist dein Name?« Und der: »Jakob.« 29Da sagte er: »Jakob soll dein Name nicht mehr sein, sondern Israel, Gottesstreiter, denn gekämpft hast du mit Gott und mit Menschen und hast es gekonnt.« 30Da bat Jakob seinerseits und sagte: »Sag mir doch deinen Namen!« Und der sagte: »Wieso fragst du nach meinem Namen?« Und er segnete ihn dort. 31Da gab Jakob dem Ort den Namen Peniël, ›Angesicht Gottes‹, denn: »Ich habe Gott gesehen – von Angesicht zu Angesicht, und mein Leben wurde gerettet.« 32Da ging für ihn die Sonne auf, als er an Penuël vorübergegangen war, er war aber ein Hinkender wegen seiner Hüfte.
“Dann nehme ich jetzt den Segen mit und ziehe weiter!” - War es das, was Jakob/Israel in diesem Moment dachte? Eher nicht. Jedenfalls klingt mir dieser Satz zu sehr nach einer Trophäe, nach einer Beute, nach einem Etwas, das man in die Tasche stecken und bei Bedarf herausholen kann. In diesem Sinne kann man eine Menge Zeug mal eben mitnehmen - wer weiß, wozu es noch gut sein mag? Aber der Segen Gottes ist kein solches “Ding”.
In unserem Gesprächskreis “Werkstatt Themengottesdienst” haben wir eine Art Definition formuliert: Beim Segen geht es nicht etwa nur um Glück und Gedeihen, sondern darum, einen Auftrag Gottes anzunehmen und auszuführen - wofür man dann entsprechende Unterstützung erhält. Konkret geht es um die Fortführung der Traditionslinie, die mit Abraham begonnen wurde und mit der Umbenennung einen neuen Fixpunkt erhält, auf den man sich von nun an beziehen wird: Volk Israel.
Wenn wir sagen, es gehe nicht nur um Glück und Gedeihen, so bestreiten wir aber nicht, dass es eben darum durchaus auch geht.
Wenngleich ich die Nacherzählung an jener Stelle abgebrochen habe, da Jakob sich mit dem Bruder versöhnt und wieder in Kanaan ansässig wird, geht die Geschichte doch weiter - zunächst einmal sehr blutig und brutal mit der Vergewaltigung seiner Tochter Dina und der Rache an den Bewohnern von Sichem. Dann dreht sie sich vor allem um den Lieblingssohn Joseph und dessen Brüder.
Wir erfahren nochmals, was es heißt, von Gott gesegnet zu sein - nämlich durchaus eine Last zu tragen zu bekommen: Was helfen die schönen Träume Josephs, wenn sie ihm den Hass seiner Brüder einbringen? Was nützt es ihm, das Vertrauen des Potiphar zu gewinnen, wenn dessen Frau ihn verleumdet und ins Gefängnis bringt? Ja, Gott schenkt ihm die Gabe, Träume zu deuten - und so kommt er als zweiter Mann im Staat an den Hof des Pharao. Aber unglücklich ist er doch, fern von der Heimat und abgeschnitten zu sein von seiner Familie! Erst als es zur Begegnung mit den Brüdern kommt, zeigt sich, dass der Segen Gottes keine Privatangelegenheit ist, sondern den Weg öffnet für seine ganze Familie, das ganze Volk Israel in eine Zukunft ohne Existenzangst - jedenfalls für lange Zeit.
Zurück zu Jakob: Wenn Segen auch den Aspekt enthält, dass jemand - wie es in der Bibel gelegentlich heißt - “alt und lebenssatt” stirbt, dann trifft das tatsächlich auf ihn zu. Aber “Geld, Gold, ein sorgenfreies Leben” - das ist nicht gemeint. Vielmehr hat er mehr als einmal mit Gott und mit Menschen (und sicher auch sehr häufig mit sich selbst) ringen müssen, sich durchringen müssen zu Entscheidungen, und an seinem schlingernden Lebenslauf können wir ablesen, dass er keine reine Lichtgestalt ist, sondern ein betrogener Betrüger, der Fehler macht und sie bereut. Aber Gott ist an seiner Seite, weil er, trotz allem, mit Gott unterwegs ist.
Das also ist der Segen Gottes, nicht nur im Falle Jakobs:
Für manchen klingt das womöglich ein wenig sehr nüchtern und vielleicht sogar enttäuschend. Nun: Ein lieber Gott, der unser Wohlbefinden garantiert, würde anderes geben; aber einen solchen finden wir - in der Bibel jedenfalls - nicht. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi ist ein eifersüchtig Liebender, der auf uns acht hat - auch darauf, ob wir nach ihm fragen oder ihn vergessen. Seinen Segen bringen zahlreiche Lieder zum Ausdruck, von denen ich zum Abschluss zwei ausschnittweise zitieren möchte. Das erste stammt aus “Durch Hohes und Tiefes”: Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen; geh in seinem Frieden, was auch immer du tust. Geh unter der Gnade, hör auf Gottes Worte: bleib in seiner Nähe, ob du wachst oder ruhst.
Zugegeben, das ist freikirchlich und stammt von Manfred Siebald, war dem Vernehmen nach ursprünglich ein Geburtstagslied, also ein Ständchen, das bei uns öfters in der Version “Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen” erklingt. Aber in unserem Evangelischen Gesangbuch findet sich auch das zu recht beliebte Lied “Komm, Herr, segne uns” von Dieter Trautwein, und in dem heißt es:
Keiner kann allein Segen sich bewahren. Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen. Segen kann gedeih’n, wo wir alles teilen, schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.
Wir singen das heute gar nicht, aber ich möchte noch eine Strophe in Erinnerung bringen:
Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden, wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden. Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen - die mit Tränen säen, werden in ihm ruh’n.
Schenke uns, Herr, deinen Segen und lass uns spüren: Wir sind nicht allein. Du bist bei uns.
Schenke uns deinen Segen und mach, dass wir es allen zeigen: Wir gehören zu dir, in Freud und Leid.
Amen.