15. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 6,25-34 - Sorget nicht!

von Johannes Calvin

''Wenn wir Christi Worte richtig verstehen, untersagt er uns nicht jegliche Sorge, sondern nur solche, die aus dem Mißtrauen genährt wird.''

Matthäus 6,25-34
25 Darum sage ich euch: Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen kann, ob er gleich darum sorgt? 28 Und warum sorgt ihr für die Kleidung? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eine. 30 So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen?

In diesem ganzen Redeabschnitt tadelt Christus die allzu ängstliche Sorge um Unterhalt und Kleidung, mit der sich die Menschen quälen, und weist zugleich das Mittel an, diese Krankheit zu heilen. Daß er ihnen das Sorgen verbietet, darf man nicht so genau nehmen, als ob er die Seinen aller Sorge enthöbe. Wir wissen, daß die Menschen nun einmal so geboren sind, daß sie irgendeine Sorge mit sich herumtragen. Das ist nicht zuletzt ein Teil des Elends, das Gott uns zur Strafe auferlegte, um uns zu demütigen. Aber übertriebene Sorge verurteilt er aus zwei Gründen: weil die Menschen sich nämlich vergeblich mit ihr quälen und martern, indem sie sich mehr mühen, als ihre Umstände es erlauben oder ertragen. Darum nehmen sie sich mehr heraus, als ihnen zusteht, und vergessen, im Vertrauen auf ihren eigenen Fleiß, Gott anzurufen. Jene Verheißung bleibt bestehen, daß die Gläubigen um der Gnade Gottes willen ruhig schlafen dürfen, während die Ungläubigen spät zu Bett gehen, früh aufstehen und ihr Brot mit Sorgen essen (vgl. Ps. 127, 2). Mögen die Kinder Gottes auch von Mühe und Sorge nicht frei sein, so kann man sie doch nicht eigentlich um ihren Lebensunterhalt bekümmert nennen, weil sie in der Geborgenheit der göttlichen Fürsorge ruhig leben dürfen. Hieraus zeigt sich, wie weit die Sorge um den Unterhalt zu treiben ist: jeder von uns soll arbeiten, soweit es sein Beruf erfordert und der Herr es befiehlt, damit das Bedürfnis einen jeden dazu treibt, Gott anzurufen. Solche Sorge hält die Mitte zwischen lässiger Sicherheit und überflüssiger Marter, mit der sich die Ungläubigen aufreiben. Wenn wir Christi Worte richtig verstehen, untersagt er uns nicht jegliche Sorge, sondern nur solche, die aus dem Mißtrauen genährt wird. Ihr sollt euch nicht darum sorgen, sagt er, was ihr essen und trinken werdet. Das ist wahrlich denen eigen, die in Furcht vor Not und Mangel zittern, als ob es ihnen jeden Augenblick an Nahrung fehlen könnte.

Matth. 6, 25.Ist nicht das Leben mehr...“ Der Schluß geht vom Größeren auf das Geringere. Christus hatte übertriebene Sorge verboten, damit das Leben erträglich würde. Nun fügt er den Grund hinzu: Gott, der das Leben selbst gegeben hat, wird doch bestimmt nicht dulden, daß uns die Mittel zu seiner Erhaltung fehlen. Und sicherlich tun wir Gott kein geringes Unrecht, sooft wir ihm nicht zutrauen, daß er uns mit Nahrung und Kleidung versorgt, als ob er uns nur zufällig in die Welt gesetzt hätte. Wer nämlich fest überzeugt ist, daß Gott, der Schöpfer des Lebens selbst, sehr genau über unsere Lebenslage Bescheid weiß, der wird nicht bezweifeln, daß er in allerbester Weise auch für unsere Nöte sorgt. Sooft uns also irgendeine Sorge oder Unruhe um den Unterhalt ankommen mag, wollen wir daran denken, daß unser Leben Gottes Sorge ist, weil er es uns geschenkt hat.

Matth. 6, 26.Sehet die Vögel unter dem Himmel an.“ Hier ist nun das Heilmittel: wir sollen lernen, uns in die Fürsorge Gottes einzubetten. Denn der Unglaube ist der Vater aller Sorge, die das Maß übersteigt. Darum ist das einzige Mittel gegen die Habsucht, wir nehmen Gottes Verheißungen an, mit denen er bezeugt, daß er für uns sorgen wolle. Auf diese Art will der Apostel (Hebr. 13, 5) die Gläubigen von der Besitzgier befreien; darum bestätigt er diesen Grundsatz, weil es doch heißt: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Im ganzen ermuntert er uns, Gott zu vertrauen, der keinen von den Seinen, wie verachtet er auch sein mag, übersieht. Man muß aufmerksam darauf achten, daß er sagt, der himmlische Vater ernähre die Vögel. Wenn sie sich auch auf wunderbare Weise am Leben erhalten, wer von uns denkt schon daran, daß ihr Leben von der Fürsorge Gottes abhängt, die auch sie gnädig mit umfaßt? Wenn sich nun dies tief in unser Herz senkt, daß Gottes Hand den Vögeln ihre Nahrung darreicht, fällt es uns auch nicht schwer, für uns zu hoffen, die wir nach seinem Bild geschaffen sind und zu seinen Kindern gezählt werden. Wenn er sagt: „Die Vögel ... säen nicht, sie ernten nicht“, will er uns damit keineswegs zu Müßiggang und Faulheit einladen; er meint nur, wenn auch alle Reserven uns im Stich lassen, wird uns allein die Fürsorge Gottes genügen, die den Tieren das Lebensnotwendige im Überfluß schenkt. Lukas setzt für „Vögel" Raben und spielt damit vielleicht auf jene Psalmstelle (147, 9): „Der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die zu ihm rufen." Manche meinen, David habe deshalb ausdrücklich von Raben gesprochen, weil sie sofort von den Alten verlassen werden und es besonders nötig haben, daß sie durch die Hand Gottes genährt werden. Daraus zeigt sich, daß Christus die Seinen nichts anderes lehren wollte, als ihre Sorge auf Gott zu werfen.

Matth. 6, 27. Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen kann?“ Hier verurteilt Christus einen anderen Fehler, der fast immer mit übertriebener Sorge um Lebensunterhalt verbunden ist, nämlich daß der Mensch sich anmaßt, was ihm nicht zukommt, und ohne Bedenken in gottloser Verwegenheit seine Grenzen überschreitet. „Ich weiß, Herr", sagt Jeremia (10, 23), „daß des Menschen Tun nicht in seiner Gewalt steht, und es liegt in niemandes Macht, wie er wandle oder seinen Gang richte. Man findet unter hundert kaum einen Menschen, der sich nicht irgend etwas vom eigenen Fleiß und seiner Tüchtigkeit zu versprechen wagte. Hieraus folgt, daß Gott hintangestellt wird und sie, was immer sie bewerkstelligen, bedenkenlos jeglichen Erfolg sich zuschreiben. Um solche Tollkühnheit zu bändigen, sagt Christus, alles, was zur Erhaltung unseres Lebens diene, hänge allein von Gottes Segen ab; als ob er sagen würde: in törichter Weise reiben sich die Menschen auf, da nun einmal all ihre Mühe überflüssig und vergeblich, ihre Sorge ohne Erfolg ist, solange Gott sie nicht segnet. Das drückt Lukas noch klarer aus, wenn Christus hinzufügt: „So ihr denn das Geringste nicht vermöget, warum sorgt ihr für das andere?" Aus jenen Worten geht deutlich genug hervor, daß mit dem Unglauben zugleich der Hochmut überführt wird, daß die Menschen ihrer Geschicklichkeit mehr zutrauen, als billig ist.

Matth. 6, 29. Auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit...“ Der Sinn ist: Was an Güte aus Gras und Blumen hervorleuchtet, übersteigt weit, was Menschen mit ihrem Reichtum, ihrer Macht oder auf sonstige Weise vermögen. Die Gläubigen sollen fest annehmen, daß ihnen nichts zur vollkommenen Fülle fehlen wird, wenn sie auch keine Hilfsmittel haben und einzig der Segen Gottes kräftig ist.

Matth. 6, 30.O ihr Kleingläubigen.“ Nicht ohne Grund beklagt sich Christus hier über Mangel und Schwachheit des Glaubens; denn je mehr wir mit unserer kurzsichtigen Vernunft um unser irdisches Leben besorgt sind, desto offenbarer wird der Unglaube, wenn nicht alles nach Wunsch geht. Sehr viele, die in ruhigen Zeiten wenigstens ein erträgliches Maß an Glauben aufzuweisen scheinen, verzweifeln darum, wenn die Gefahr der Armut auf sie zukommt.

31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürft. 33 Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. 34 Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe. Hier verfolgt er dieselbe Absicht wie oben: die Gläubigen sollen sich der väterlichen Sorge Gottes anvertrauen und von ihm erhoffen, was sie für sich notwendig halten, damit sie sich nicht mit überflüssiger Ängstlichkeit peinigen. Er verbietet das „Sorgen“ oder das „Fragen“, wie es bei Lukas heißt. Er meint damit die Art derer, die hierhin und dorthin spähen und Gott nicht anschauen, auf den allein sie gerichtet sein sollten. Niemals geben sie Ruhe, solange sich unter ihren Augen nicht der Ertrag eines ganzen Jahres häuft. So wenig räumen sie Gott das Amt ein, die Welt zu erhalten, daß sie sich in geschäftiger Unruhe erhitzen und quälen. Wenn er sagt: „nach solchem allem trachten die Heiden", wirft er ihnen allzugrobe Unwissenheit vor, aus der all diese Sorgen fließen. Denn daß die Ungläubigen sich niemals beruhigen können, kommt nur daher, daß sie sich vorstellen, Gott sei müßig und schlafe im Himmel, oder wenigstens, er kümmere sich nicht um ihre menschlichen Angelegenheiten, daß er sie in seiner Treue einhüllt und wie seine Familie ernährt. Der Vergleich (mit den Heiden) bedeutet: Die haben schlechte Fortschritte gemacht, ja noch nicht einmal die Anfänge der Frömmigkeit erfaßt, die mit den Augen des Glaubens nicht Gottes Hand sehen, die gedrängt voll ist von einer verborgenen Fülle alles Guten, so daß sie gelassen und ruhig von daher ihre Versorgung erwarten dürfen. „Euer himmlischer Vater", sagt er, „weiß, daß ihr des alles bedürft." Er will sagen: Wer allzu ängstlich für sein Leben sorgt, ehrt die väterliche Güte und geheime Fürsorge Gottes nicht mehr als die Ungläubigen.

Luk. 12, 29.Macht euch keine Unruhe.“ Diese Worte entsprechen dem letzten Satz bei Matthäus: Sorgt nicht für den andern Morgen. Christus tadelt einen neuen Fehler; denn die Menschen umfaßten am liebsten gleich fünf Jahrhunderte mit ihrer Vorsorge. Das griechische Wort, das Lukas gebraucht, heißt eigentlich: „von einer Höhe Ausschau halten", was wir gewöhnlich nennen: „das Auge lange hin und her schweifen lassen". Die Zügellosigkeit unseres Fleisches scheut keine Mühe, Himmel und Erde hundertmal umzuwälzen. Dadurch bleibt für Gottes Fürsorge kein Platz mehr übrig. Deshalb rügt dieser Ausdruck eine übertriebene Wißbegier, weil wir durch sie unnütze Beschwerden auf uns ziehen und uns so selbst vor der Zeit elend machen. Wenn Matthäus sagt: „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe“, meint er, daß die Gläubigen ihre Sorgen so weit mäßigen sollen, daß sie nicht über Gebühr vorsehend sein wollen. Wie gesagt, es wird nicht jegliche Geschäftigkeit verurteilt, sondern nur, was an verstecktem, maßlosem Umfang die Grenzen überschreitet.

Matth. 6, 33.Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes.“ Mit einem weiteren Argument rückt er der übertriebenen Nahrungssorge auf den Leib; er erweist, daß sie auch eine grobe, leichtfertige Vernachlässigung der Seele und des himmlischen Lebens bedeutet. Er gibt zu bedenken, wie falsch es sei, daß die Menschen, zu einem besseren Leben geboren, sich wieder an irdische Dinge hängen. Man kann dem Reich Gottes nur dann den ersten Platz einräumen, wenn man sich in der Mäßigung der Unterhaltssorge übt. Denn was ist geeigneter, den Mutwillen des Fleisches zu zügeln, damit er in diesem Leben nicht über die Stränge schlägt, als die Betrachtung des himmlischen Lebens? Das Wort „Gerechtigkeit“ kann man sowohl auf Gott wie auf sein Reich beziehen. Denn wir wissen, daß das Reich Gottes aus Gerechtigkeit, das heißt aus neugeschaffenem geistlichem Leben, besteht. Wenn er sagt, das Restliche werde dann von selbst zufallen, meint er, alles für das irdische Leben kommt wie eine Beigabe hinzu, die dem Reich Gottes untergeordnet werden muß.

 


Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Zwölfter Band: Die Evangelien-Harmonie 1. Teil, Neukirchener Verlag, 1966, S. 221ff.