Immerhin ein Minimum

Pfarrer Bernd Becker spricht über die Bedeutung der Barmer Theologische Erklärung


Bernd Becker und Justus Bien (v.l.) © Claudia Irle-Utsch

Vor 90 Jahren als Bekenntnis der Deutschen Evangelischen Kirche formuliert und auf der Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen 1934 verabschiedet, stand sie im Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe in den evangelischen Kirchengemeinden in Burbach (Siegerland).

Am Jahrestag der Erklärung, dem 31. Mai, sprach Pfarrer Bernd Becker, Direktor des Evangelischen Presseverbands für Westfalen und Lippe sowie Moderator des Reformierten Bundes in seinem Abschlussvortrag zunächst über die Vordenker um den Theologen Karl Barth und die Delegierten in Barmen. In den sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung formulierten sie, was für die Deutsche Evangelische Kirche im zweiten Jahr der nationalsozialistischen Diktatur unverhandelbar war: das unbedingte Bekenntnis zur Heiligen Schrift und zu Jesus Christus, die Absage an eine Unterordnung unter politische Ideologien, das Bekräftigen einer Einheit auf der Basis des Evangeliums und die Verantwortung, wider jedwede falsche Lehre aufzustehen. Damit, so Bernd Becker, habe man sich von den „Deutschen Christen“ und ihrer „völkischen“ Haltung zu Gott und der Welt abgegrenzt.

Die Christus-Zentrierung, die in den sechs Thesen ausgeführt werde, sei damals wichtig gewesen, um als Kirche eine Orientierung zu haben. Dass sowohl ein Brückenschlag zu Menschen jüdischen Glaubens als auch eine Aussage zum politischen Widerstand in der Barmer Erklärung fehle, könne einerseits durchaus aus dieser primären Selbstvergewisserung verstanden werden. Andererseits aus der grundsätzlichen Obrigkeitstreue des deutschen Protestantismus. Karl Barth habe im Nachhinein, etwa 1967 in einem Brief an Bonhoeffers Freund Eberhard Bethge, von der Schuld gesprochen, dass er „die Judenfrage nicht geltend gemacht habe“.

(gekürzte Fassung, ursprüngliche veröffentlicht in "Unsere Kirche - Die evangelische Zeitung")

Vorwürfen, die Barmer Erklärung sei nicht weit genug gegangen, sei Barth später auch mit der Aussage begegnet, dass dieses Bekenntnis sicherlich ein Minimum gewesen wäre. „Aber immerhin: es war ein Minimum“, so Barth, keine Heldentat, aber doch eine widerständige Form, die er sich so oder so ähnlich auch bei Presse und Theater, im Rechtswesen und in der Armee gewünscht hätte.

Hochspannend war der Blick auf die Rezeption der Erklärung nach dem Zusammenbruch des sogenannten „Dritten Reichs“, im In- wie im Ausland. So hätten schon am 11. Juni 1934 lutherische Theologen aus dem Ansbacher Kreis den „Ansbacher Ratschlag“ veröffentlicht, der in acht Thesen der Erklärung von Barmen widersprach. Mit Aufmerksamkeit hätten die Kirchen in den von den Nazis besetzten Nachbarländern Holland und Frankreich die Barmer Theologische Erklärung wahrgenommen und für sich auch angenommen.

Dass der Ökumenische Rat der Kirchen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der dann neu formierten Evangelischen Kirche in Deutschland mit einer Zusammenarbeit wieder anknüpfen konnte, sei auch in der Klarheit der Erklärung begründet gewesen, so Becker. Im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hätten die Barmer Thesen noch einmal eine besondere Kraft entfaltet; schließlich hätten sich die Christinnen und Christen dort weiterhin einer kirchenfeindlichen Ideologie erwehren müssen. Dass nach 1989 nicht nur im Bereich der Kirche, sondern auch in Politik und Gesellschaft, die Maßgabe war, dass „sie“, also die Menschen in der ehemaligen DDR, „von uns“ lernen sollten, sei „keine gute Entwicklung“ gewesen, so Becker: „Mit Folgen, die wir bis heute haben.“

Es sei zu beobachten, dass vielfach dort, wo die Kirche unter außergewöhnlichem staatlichen Druck gestanden habe oder stehe, die Barmer Theologische Erklärung einen guten Grund für eindeutige Positionierungen darstelle. Der Publizist und Pfarrer verwies exemplarisch auf die protestantischen Kirchen in Indonesien, Japan, Südkorea oder Südafrika, wo zum Teil auf der Basis des alten Textes weitergehende Aussagen getroffen worden seien: zu sozialer und ökonomischer Ungerechtigkeit, zu Rassismus, zu ökologischer Zerstörung.

Auch aus diesem Grund sei Barmen mehr, so Becker. „Die Erklärung ist ein lebendiges Zeugnis von Mut und Entschlossenheit.“ Sie lehre, „sich auf Christus zu konzentrieren“, sei ein Plädoyer für Mut und Zivilcourage mit unbedingter Bedeutung fürs Hier und Jetzt. Denn angesichts des wachsenden Antisemitismus und Antidemokratismus, der Islamophobie, von Klimakrise und Kriegen, einer Ökonomisierung von Gesellschaft und (vielleicht auch) der Kirche, seien die Barmer Thesen mehr als ein Zeichen von einst, sondern hätten das Vermögen, Wegweisung zu geben.

Ja, die 90 Jahre alte Erklärung sei zeitgemäß, so Becker. Wenn auch „nicht so hilfreich im interreligiösen Dialog“, weil doch sehr pointiert auf „Jesus allein“. Heute würde man manches dialogischer formulieren, so der in Hüttental geborene Gast aus Bielefeld. Das mindere aber ihre Bedeutung nicht.

Die letzte Veranstaltung der Südsiegerländer Reihe endete mit einem gemeinsam gesungenen Lied: „Nun danket alle Gott“, begleitet vom an diesem Abend auch solistisch brillierenden Gitarristen Justus Bien, sangen einst auch die Synodalen in Barmen. Das Gotteslob trägt. Wie es im Anfang war, so jetzt und immerdar!

(gekürzte Fassung, ursprünglich veröffentlicht in "Unsere Kirche - Die Evangelische Zeitung")


Claudia Irle-Utsch (freie Journalistin)
von Holger Pyka, Köln

"...dass die Bekennende Kirche insgesamt im historischen Rückblick nicht ... zur pauschalen Glorifizierung als theologisch inspirierte Widerstandskämpfertruppe eignet, ändert nichts daran, dass die Barmer Erklärung, in all ihrer dogmatisch-verstaubt scheinenden Sprache und ihrer inhaltlichen Unvollständigkeit, ein wichtiges Wort zur Zeit war und ist."
von Pfr. Christian Brehme, Schlangen und Kohlstädt

''Die Barmer Erklärung hat mich zu einem grundsätzlichen und kämpferischen Predigen angeleitet'', schreibt Pfarrer Brehme zu seinen Predigten, gehalten im Sommer 2008 in Schlangen und Kohlstädt, Lippische Landeskirche.